5. Februar 2020 Joachim Bischoff: Der Vorwahlkampf in den USA hat begonnen

»Großartiges amerikanisches Comeback« (Trump)?

Am 3. Februar fanden in Iowa im Mittleren Westen der USA die ersten Vorwahlen zur Ermittlung der Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im November 2020 statt. Auch wenn dort nur drei Millionen Menschen wohnen und nur eine geringe Zahl von Delegierten für den eigentlichen Nominierungskongress (bei den Demokraten 41 von insgesamt über 4.000) gewählt wurden, steigert ein Sieg in Iowa die Bekanntheit und hilft beim Spendensammeln.

Bei den Republikanern hat wie erwartet der amerikanische Präsident Donald Trump mit 97% als überragender Sieger abgeschnitten (die beiden Gegenkandidaten kamen jeweils auf gut 1%). Weil sich abzeichnet, dass dies auch anderswo so sein wird, haben die Republikaner in mehreren Gliedstaaten die Vorwahlen gestrichen, weil Trump keinen ernsthaften Herausforderer hat.

Für die Demokraten endete die Vorwahl in Iowa in einem organisatorisch-politischen Debakel, das selbst nach langem Warten noch immer keine belastbaren Endergebnisse vorliegen. Stand heute morgen sind 71% der Wahllokale ausgezählt und es liegt der 39jährige Pete Buttigieg mit 26,8% vor dem 78jährigen Senator Bernie Sanders (25,2%), der Senatorin Elizabeth Warren (18,4%) und dem ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden (15,4%). Wann die restlichen 29% ausgezählt sind, ist weiter unklar. Auch wenn der Vorsitzende der Demokraten in Iowa, Troy Price, erklärte, die Umstände der Resultatübermittlung seien inakzeptabel und sich dafür entschuldigte, unterstreicht die politische Blamage die verbreitete Vermutung: Gleich wer für die Demokraten kandidiert, Trump sei eh nicht zu schlagen.

Den Spott über das organisatorische Desaster schüttete dieser wie üblich in einem Twitter-Tweet selbst aus:

 

Ein »State of the Union« als Wahlkampfrede

Der US-Präsident sieht sich trotz des Amtsenthebungsverfahrens gestärkt. Auch die Enthüllungen in der Ukraine-Affäre, die deutlich machen, dass dieser Präsident alles seinen persönlichen Interessen unterordnet, erschüttern seine Selbsteinschätzung nicht: In weiteren Tweets twitterte er: »Trumps Umfragewerte sind die höchsten seit der Wahl, trotz der anhaltenden Hexenjagden.«

In seiner Rede »State of the Union« setzte er arrogant seine Ego-Show fort und nutzte die Gelegenheit, vor großem Publikum seine Erfolge herauszustellen. Er und seine Regierung hätten mehr für dieses Land getan, als jede andere Regierung zuvor. Die USA würden gerade eine Revolution erleben, eine positive Revolution, mit der es gelungen sei, den trostlosen Zustand der amerikanischen Wirtschaft und Politik zu überwinden.

»Ich wusste, dass wir kurz vor einem sehr tiefgreifenden wirtschaftlichen Aufschwung standen – wenn wir die Dinge richtig machen. Einer, der eine historische Welle von Investitionen, Lohnwachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen wiederbeleben würde. Ich wusste, dass, wenn wir das Potenzial unseres Volkes freisetzen, wenn wir die Steuern senken und die Vorschriften drastisch reduzieren (und das haben wir in einem Ausmaß getan, das es in der Geschichte unseres Landes noch nie gegeben hat, in kurzer Zeit), wenn wir gebrochene Handelsabkommen reparieren und die amerikanische Energievorräte voll ausschöpfen würden, der Wohlstand in Rekordgeschwindigkeit wieder nach oben rasen würde. Und genau das haben wir getan, und genau das ist auch geschehen.« Er habe seine Versprechen gehalten und einen guten Job gemacht, weshalb es in einem Tempo, das vor drei Jahren noch »unvorstellbar« gewesen sei, jetzt weiter gehe.

Hat gegenüber dieser »Revolution« ein Bewerber der Demokratischen Partei überhaupt eine Chance?


Ziele und Programme der Spitzenkandidaten der Demokraten

Bei den Demokraten traten bislang elf Bewerber an, nach Iowa zeichnet sich ab, dass es auf nationaler Ebene auf den Ex-US-Vizepräsidenten Joe Biden und Pete Buttigieg, die beide eher moderate Positionen vertreten, die beiden Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren, die beide eine klar linksgerichtete Agenda haben, sowie den Multimilliardär und Ex-Bürgermeister von New York, Mike Bloomberg, hinauslaufen wird, auch wenn Letzterer den Vorwahlen in Iowa kein Gewicht beimaß und auf die bevölkerungsreichere US-Bundesstaaten setzt.

Alle aussichtsreichen Bewerber bei den Demokraten sprechen sich dafür aus, mindestens einen Teil der Steuersenkungen, die mit dem »Tax Cuts and Jobs Act – TCJA« in Kraft gesetzt worden sind, wieder rückgängig zu machen. Zum einen werde dadurch in Verbindung mit der expansiven Ausgabenpraxis die Staatsverschuldung in extreme Größenordnungen gesteigert, zum anderen verschärfe diese Steuersenkungen die soziale Ungleichheit deutlich. Mit der TCJA wurde der Spitzensteuersatz bei der individuellen Einkommenssteuer von 39,6 auf 37% gesenkt, der Freibetrag bei der Erbschaftssteuer auf 11,4 Mio. $ verdoppelt und der Satz bei der Körperschaftssteuer (corporate income tax) von 35% auf 21% gesenkt.

Zudem treten diese Kandidaten für eine Erhöhung des Mindestlohns auf Bundesebene von derzeit 7.25 $ pro Stunde auf 15 $ ein, was bereits 2019 von der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus beschlossen, aber von den Republikanern im Senat wieder verworfen wurde. Der Mindestlohn auf Bundesebene, der bereits 1938 im Rahmen des »Fair Labor Standards Act« existiert, ist letztmals 2009 auf die jetzige Höhe angepasst worden. In einer Vielzahl von Gliedstaaten und Gemeinden gibt es wegen dieser Blockade längst entsprechende Beschlüsse und praktische Erhöhungen der Mindestlöhne und vielerorts ist er indexiert und folgt der Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus.

Die Änderungen in der Steuer- und Sozialpolitik sind in der Programmatik der führenden BewerberInnen der demokratischen Partei unterschiedlich angelegt und mit weiteren Reformen kombiniert. Auch Mike Bloomberg will seinem Wahlprogramm zufolge die Steuern für Topverdiener und Reiche anheben.

Auch um die Einkommensungleichheit zu bekämpfen, brauche es ein fortschrittlicheres und faireres Steuersystem, »das von wohlhabenden Amerikanern wie mir verlangt, mehr zu zahlen«, erklärte Bloomberg. Mit den Mehreinnahmen sollen Investitionen in die Gesundheitsversorgung, Infrastruktur, Bildung und den Kampf gegen den Klimawandel finanziert werden.

Zu den politischen Feldern, auf denen die Demokraten bei aller Unterschiedlichkeit im Detail einen Politikwechsel fordern, gehören die Krankenversicherung und das Gesundheitssystem. Die Mehrheit der Demokraten betrachtet die gesundheitspolitischen Maßnahmen unter Trumps als Sabotageakte gegen Obamas Krankenversicherungsreform. Sie wollen aufgrund der erneuten Zunahme der Unversicherten (siehe Abb.) »Obamacare« und streben zumindest teilweise eine Verstaatlichung des Krankenversicherungswesens an.

Für ein so reiches Land wie die Vereinigten Staaten sei es alarmierend, dass die Unversicherten-Quote wieder steigt – und das in wirtschaftlich eher guten Zeiten. Während der Krise 2009/2010 waren in den USA 50 Mio. Menschen, über 16% der Bevölkerung, nicht krankenversichert. An den Problemfeldern Mindestlohnes und Krankenversicherung wird deutlich, dass in den USA die Forderung nach einem Green New Deal sich nicht allein auf eine andere Klimapolitik konzentrieren kann.

Diese machen gleichwohl alle aussichtsreichen demokratischen Spitzenkandidaten zum Thema und unterstützen einen »Green New Deal« zum Kampf gegen den Klimawandel mittels einer zehnjährigen nationalen Mobilmachung, während deren die Treibhausgasemissionen auf null reduziert werden sollen. Während alle Kandidat*innen eine Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen wollen, befürworten nur Biden und Buttigieg konkrete Maßnahmen wie eine CO2-Steuer oder ein Emissionshandelssystem.


Politikwechsel in gemäßigter oder deutlich linkerer Version?

Alle Bewerber der demokratischen Partei treten in unterschiedlicher Schärfe gegenüber der republikanischen Partei und Donald Trump für einen Politikwechsel ein – in einer eher gemäßigten und einer deutlich linkeren Alternative, für die Joe Biden auf der einen und Bernie Sanders auf der anderen Seite stehen. Insbesondere Letzterer präsentiert sich selbst als demokratischen Sozialisten. Dabei muss bedacht werden, dass höhere Steuern für Unternehmen und die Reichsten sowie eine öffentlich mitfinanzierte Krankenversicherung für alle und ein flächendeckender Mindestlohn von 15 $ für viele Amerikaner bereits »Sozialismus« bedeuten. Sanders hat besonders unter jungen Wählern viele Fans. Niemand sammelte im Vorwahlkampf bislang so viele Einzelspenden wie er – und keine andere Kampagne hat so viele enthusiastische Freiwillige.

Und nicht nur jüngere Generationen sind davon überzeugt, dass eine sozial-ökonomische Ausgleichung dringend erforderlich ist und ein Umbau in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftssystems zur Abstimmung steht. Sanders liegt in Iowa deutlich vor Biden und auch in New Hampshire, wo die zweite Vorwahl stattfinden wird, signalisieren die Umfragen, dass er mit durchschnittlich 26,3% vorn liegt, Biden kommt hier nur auf 16,8%. Sanders konnte zudem in den vergangenen Wochen auch im Durchschnitt der nationalen Umfragen seinen Rückstand auf Biden verkleinern – Biden wird mit 28,8%, Sanders mit 22,5% und Elizabeth Warren mit 14,1% gewertet.

Die Parteizentrale der Demokratischen Partei favorisiert einen moderaten Kandidaten, der unabhängige Wähler aus der Mitte nicht mit linken Umverteilungsideen verschreckt und eher Chancen gegen Trump habe. Sowohl Biden, stärker noch Bloomberg entsprechen diesen Vorstellungen, um den demokratischen Sozialisten Sanders als Kandidaten zu verhindern. Der Widerstand gegen Sanders kommt aus den Parteiströmungen, die einer sozial-ökologischen Transformation keine realistische Chance zu billigen. Allerdings besteht mit Kandidaten wie Biden oder Bloomberg die Gefahr einer geringeren Wahlbeteiligung. Junge Wählerinnen und Wähler mit einer gezielten Anti-Sanders-Kampagne zu verprellen, könnte dazu führen, dass zu viele von ihnen zu Hause bleiben. Zudem geht es auch um die Mobilisierung der Lohnabhängigen.


Die soziale Seite des Politikwechsels

Bei den im November stattfindenden Präsidentschaftswahlen ist mit einem äußerst knappen Wahlergebnis zu rechnen. Entsprechend umkämpft sind die Stimmen der organisierten Lohnabhängigen. Gerade in den Rostgürtel-Staaten, wo die Gewerkschaften noch vergleichsweise stark sind, können einige hundert Stimmen mehr oder weniger den Ausschlag geben.

Auch wenn 2016 noch 51% der Gewerkschaftshaushalte ihre Stimme der Demokratin Hillary Clinton gaben, konnte Trump mit einem Anteil von 43% deutlich aufholen und erreichte das beste Ergebnis für einen Republikaners seit 1984. Die Frage des Mindestlohns oder die Zurückdrängung der prekären Arbeit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor in der politischen Auseinandersetzung, ebenso wie die Arbeitslosigkeit, die – Amerikas Wirtschaft befindet sich seit der Großen Wirtschaft- und Finanzkrise 2008 in einer Aufwärtsbewegung – auf einem Tiefstand ist.

Allerdings hatte der US-Präsident wiederholt versprochen, die Wachstumsrate dauerhaft auf 3% anzuheben, was – so Finanzminister Mnuchin – durch Probleme beim Flugzeugbauer Boeing und einen längeren Streik bei General Motors verfehlt worden sei. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr nur um 2,3% gewachsen, die 2,9% im Jahr 2018 waren eine Eintagsfliege.

An den Lohnabhängigen und den Gewerkschaften ist der dennoch nicht zu bestreitende Aufschwung vorbeigegangen. Hinzu kommt, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Jahr 2019 den niedrigsten Wert seit Beginn der Statistik im Jahr 1983 erreicht hat. Nurmehr 14,6 Mio. Personen und damit nur noch 10,3% aller amerikanischen Gehalts- und Lohnempfänger sind Mitglieder von Gewerkschaften, eine Halbierung seit 1983. Noch dramatischer fällt der Rückgang aus, wenn man nur den Privatsektor in den Blick nimmt: Jeder sechste Arbeitnehmer war vor knapp 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied, zuletzt war es nur noch jeder sechzehnte – sicherlich ein Faktor für die stagnierenden Löhne.

Dass dennoch die amerikanischen Gewerkschaften im vergangenen Jahr einige aufsehenerregende Erfolge in Arbeitskämpfen vorzuweisen haben – die neuen Gesamtarbeitsverträge der United Auto Workers (UAW) mit General Motors, Ford und Fiat Chrysler Automobiles oder die arbeiterfreundliche Ausgestaltung des neuen nordamerikanischen Freihandelsabkommens USMCA – mag damit zusammenhängen, dass sie auf lokaler und Gliedstaatenebene und auch bei der faktischen Erhöhung der gesetzlichen Mindestlöhne eine wichtige Rolle spielten und noch immer spielen. Nicht zuletzt deshalb fordern sämtliche Präsidentschaftsanwärter der Demokraten einen nationalen Mindestlohn von 15 $ pro Stunde.


Konservative Revolution versus einer, die von der Wirklichkeit ausgeht

In der Wahl im November stehen letztlich zwei gesellschaftspolitische Konzeptionen zur Wahl: Der aktuelle US-Präsident Trump hat dem Pessimismus den Kampf angesagt. Der amerikanische Traum sei schöner da als jemals zuvor, was daran liege, dass die amerikanische Wirtschaft dank seiner konservativen Revolution »sich in der Mitte des größten Booms befindet, den die Welt jemals gesehen hat«. Aber inzwischen gehen viele Ökonomen von einer konjunkturellen Abschwächung aus, auch die amerikanische Zentralbank rechnet für das Wahljahr 2020 nur noch mit einem Wachstum von 2,0.

Schon gegenwärtig verschleiert allerdings der Jubel über den historisch großartigsten Boom, dass die Einkommensschere in den USA auseinandergeht und die Reallöhne für die meisten seit Jahrzehnten stagnieren. So konstatiert der Inhaber des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, der US-Ökonom Joseph E. Stiglitz: »Auch der Löwenanteil der BIP-Zunahme geht an die da oben. Die medianen wöchentlichen Realeinkommen liegen nur 2,6% über ihrem Niveau bei Trumps Amtsantritt. Und die langen Phasen stagnierender Löhne werden durch diese Anstiege nicht ausgeglichen. So liegt etwa der Medianlohn vollzeitbeschäftigter männlicher Arbeiter (und wer vollzeitbeschäftigt ist, ist gut dran) nach wie vor über 3% unter dem Stand vor 40 Jahren.«

Und nach wie vor sind Wohngegend und Ethnie von entscheidender Bedeutung für die Zukunftsperspektive der Amerikaner. Knapp 30 Millionen haben immer noch keine Krankenversicherung, zwei Drittel aller Fälle von Privatkonkurs stehen im Zusammenhang mit Gesundheitsproblemen. Mittlerweile sterben jährlich mehr Menschen an einer Opioid-Überdosis als im Straßenverkehr. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Lebenserwartung zurückgegangen ist – in einem Industrieland in einer vermeintlichen Boomphase.

Auch Bernie Sanders wirbt für eine Revolution, aber eine Revolution, die die Wirklichkeit als Ausgangspunkt akzeptiert. Zu der gehört, dass – um noch einmal Stiglitz zu zitieren – »Trumps Wirtschaft den Ansprüchen nicht gerecht« wird. Ob sich allerdings die Wähler*innen in den USA im November für die Sandersche Gesellschaftskonzeption entscheiden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob dieser sich bei den Demokraten in den Vorwahlen als Kandidat durchsetzen kann, und ob Stiglitz’ Schlussfolgerung an Überzeugungskraft gewinnt: »Trump verdient also nicht nur bei so wichtigen Aufgaben wie der Bewahrung der Demokratie und dem Erhalt unseres Planeten eine Sechs. Auch im Fach Wirtschaft sollte er ein ›Nicht bestanden‹ erhalten.«

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