27. November 2023 Andrew Fisher: Konservative Steuerpolitik auf Kosten von Menschen mit Gesundheitsproblemen
Großbritanniens »garstige« Partei in Aktion
Nach neuen Plänen der konservativen britischen Regierung sollen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können, künftig unter Androhung von Sanktionen gezwungen werden, sich eine Arbeit zu suchen. Sie schlägt wieder zu, die garstige Partei – »the nasty party«.
Der ehemalige Premierminister David Cameron ist als Außenminister ins Kabinett zurückgekehrt, und es sieht so aus, als habe er George Osborne, seinen langjährigen Finanzminister und Vollstrecker einer harten Sparpolitik, und Iain Duncan Smith, seinen langjährigen Arbeits- und Sozialminister und Vollstrecker eines gnadenlosen Sozialabbaus, gleich mitgebracht. Unter diesem Trio wurden die Sozialleistungen zwischen 2010 und 2016 um hohe Milliardenbeträge gekürzt.
In diesem Sinne hat Finanzminister Jeremy Hunt in seiner Regierungserklärung am 22. November angekündigt, dass Menschen mit einem Handicap oder gesundheitlichen Einschränkungen bestraft werden sollen, während gleichzeitig Unternehmen Steuererleichterungen in Milliardenhöhe erhalten. Nach den Plänen der Regierung sollen Menschen, die bisher aus gesundheitlichen Gründen als eingeschränkt arbeitsfähig galten, gezwungen werden, sich eine Arbeit zu suchen, wenn sie nach den neuen Regelungen der Regierung als arbeitsfähig eingestuft werden. Andernfalls drohen Sanktionen.
Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Renten (DWP) wird dies schätzungsweise 700.000 Menschen mit Behinderungen oder Langzeiterkrankungen betreffen. Nicht wenige dieser Langzeiterkrankten gehören zu den 7,8 Millionen Menschen, die auf den Wartelisten des NHS für eine Behandlung stehen. Um die Situation im Gesundheitswesen zu verbessern, will Hunt jedoch keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellen.
Wenn diese Menschen nun als arbeitsfähig eingestuft werden und keinen Anspruch mehr auf entsprechende Unterstützungsleistungen haben, müssen sie mit einer Kürzung ihrer Leistungen um mehr als ein Drittel rechnen - von 129,50 Pfund pro Woche auf 84,80 Pfund.
Menschen mit psychischen Erkrankungen könnten von diesen Änderungen am stärksten betroffen sein. Der Berufsverband Royal College of Psychiatrists warnt: »Wenn diese Vorschläge umgesetzt werden, werden viele Menschen mit psychischen Erkrankungen gezwungen sein, sich um Arbeit zu bemühen, obwohl sich ihr Gesundheitszustand nicht verbessert hat, oder sie werden mit Sanktionen konfrontiert. Sanktionen können zu einer raschen Verschlechterung der psychischen Gesundheit bis hin zu suizidalen Krisen führen.«
Während der konservative Schatzkanzler den britischen Unternehmen das Geld hinterherwirft, zieht er Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen das Geld aus der Tasche. Die Banken haben im vergangenen Jahr Rekordgewinne eingefahren, angekurbelt durch höhere Zinsen. Doch bei wem will Hunt abkassieren? Nicht bei den Banken mit ihren unerwartet hohen Gewinnen, sondern bei den Empfängern von Grundsicherung, die in Armut leben.
Das sind die unmoralischen Entscheidungen einer konservativen Regierung – und einer Regierung, von der die meisten Briten laut Umfragen glauben, dass sie bei den nächsten Wahlen abgewählt werden sollte. Die Wahlen können nicht früh genug stattfinden.
Entgegen den Befürchtungen gibt es keine Kürzungen bei der Grundsicherung – diese wird im April nächsten Jahres wie gesetzlich vorgesehen um die im September gemessene Inflationsrate erhöht und nicht, wie zunächst angedeutet, um die niedrigere Oktoberrate. Eine Anhebung in Höhe der Inflationsrate hält uns aber nur dort, wo wir sind und bringt keine Erleichterung. Diejenigen, die von der Grundsicherung leben müssen, die in Großbritannien besonders niedrig ist, stehen bis zum Hals im Wasser.
Wie aus einer im vergangenen Monat veröffentlichten Studie der Joseph Rowntree Foundation (JRF) hervorgeht, ist die Zahl der von Armut betroffenen Menschen in Großbritannien seit 2017 um 148% gestiegen.[1] Laut JRF sind Menschen arm oder mittellos, »wenn sie es sich nicht leisten können, ihre grundlegendsten physischen Bedürfnisse zu befriedigen, um warm, trocken, sauber und ausreichend ernährt zu leben«. Und nach dieser Regierungserklärung wird sich die Situation noch verschärfen.
Die Böswilligkeit der Regierung geht einher mit Inkompetenz. Die Umsetzung der Politik wird sich wahrscheinlich verzögern, weil es an Arbeitsberatern mangelt, so dass die Antragsteller in der schlechtesten aller Welten leben: Ihre Leistungen werden gekürzt, ohne dass ihnen bei der Arbeitssuche geholfen wird.
Diese zusätzlichen 700.000 Personen müssen sich nun dem unterziehen, was das Arbeitsministerium als »Konditionalität«, als erzwungene Unterstützung, bezeichnet – alle 14 Tage ein intensives Gespräch mit einem Arbeitsberater, um in irgendeinen Job vermittelt zu werden. Das Problem ist, dass es nicht genügend Arbeitsberater gibt.
Bereits vor einem Jahr kündigte Hunt Pläne an, Eltern mit geringem Einkommen, das durch die Grundsicherung (Universal Credit) aufgestockt wird, zu einer »intensiven Arbeitssuche« zu verpflichten. Diese Politik ist Gegenstand einer »Erleichterung«, wie das Arbeitsministerium sie nennt. In der verklausulierten Sprache der Regierungsbürokratie bedeutet dies, dass sie sich verzögert, weil es nicht genügend Arbeitsberater in den Jobcentern gibt, um sie umzusetzen.
Ich habe von einigen DWP-Mitarbeitern gehört, dass der Arbeitsverwaltung etwa 30.000 Mitarbeiter fehlen, um ihre Politik umzusetzen – das schließt etwa 20.000 Arbeitsberater und andere Funktionen im Netzwerk der Jobcenter ein. Das DWP und die Jobcenter werden durch den prognostizierten Anstieg der Arbeitslosigkeit, der vom Amt für Haushaltsverantwortung (Office for Budget Responsibility, OBR) nach oben korrigiert wurde, weiter unter Druck gesetzt: »Die Arbeitslosigkeit wird im zweiten Quartal 2025 auf 1,6 Millionen Menschen (4,0% der Erwerbsbevölkerung) ansteigen. Dieser Höchststand der Arbeitslosigkeit ist um rund 85.000 Personen (oder 0,2 Prozentpunkte) höher [...] als wir im März erwartet hatten.«
Auf dem Parteitag der Konservativen Ende September hatte Hunt angekündigt, die Zahl der Verwaltungsbeamten wieder auf den Stand vor der Pandemie zu bringen. Das würde bedeuten, 66.000 Stellen zu streichen – und nicht 20.000 oder 30.000 zusätzlich zu schaffen. In seiner Regierungserklärung wiederholte Hunt die Absicht, »die Größe des öffentlichen Dienstes bis zum Ende der nächsten Ausgabenüberprüfungsperiode auf das Niveau vor der Pandemie zu reduzieren«.
Der Tory-Finanzminister verfolgt also eine Politik, die darauf abzielt, die Zahl der Personen, die der »Konditionalität« unterliegen, zu erhöhen, ohne dafür ausreichend Personal zur Verfügung zu haben, und mit Plänen, das wenige vorhandene Personal noch weiter zu reduzieren. Wenn Hunt, wie die Meinungsumfragen vorhersagen, bei den nächsten Wahlen seinen Posten als Finanzminister und sein Abgeordnetenmandat verliert, wäre ihm zu wünschen, dass er selbst die Mühsal des intensiven »Fördern und Forderns« bei der Arbeitssuche erfährt, die er Millionen anderen auferlegt hat.
Anmerkung:
[1] Suzanne Fitzpatrick et al.: Destitution in the UK 2023. London: Joseph Rowntree Foundation; https://www.jrf.org.uk/report/destitution-uk-2023.
Andrew Fisher ist freiberuflicher politischer Analyst und Kolumnist. Von 2016 bis 2019 war er Leiter der Grundsatzabteilung (Executive Director of Policy & Research) der Labour Party. In Sozialismus.de 11-2023 schrieb er zusammen mit John McDonnell über die »Die Aufgaben einer künftigen Labour-Regierung. Bestandsaufnahme des Erbes langjähriger Austeritätspolitik.« Der hier dokumentierte, leicht bearbeitete Beitrag erschien zuerst am 23.11.2023 unter dem Titel »The nasty party is back – and disabled people are bearing the brunt« in seiner Kolumne in der Londoner Tageszeitung The i (i-news) (Übersetzung: Hinrich Kuhls).