30. März 2023 Joachim Bischoff/Björn Radke: Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses

Großes Werkstück der Modernisierung Deutschlands?

Die Koalitionsparteien haben nach einem langwierigen Verhandlungsmarathon einen Neustart der Reformpolitik insbesondere in den Bereichen Verkehrs-, Klima- und Energiepolitik präsentiert.

Laut dem 16 Seiten umfassenden Beschluss soll es u.a. schnellere Planungsverfahren bei großen Infrastrukturprojekten geben, vor allem die Behebung von Engpässen bei den Autobahnen soll zügiger erfolgen. Dazu musste auch der Klimaschutz modifiziert werden. Keine Angaben machten die Koalitionspartner nach dem Treffen zum Thema Kindergrundsicherung.

Vor der Beratung des Koalitionsausschusses hatte es in der »Regierung der Vernunft und Modernisierung« erheblich geknirscht. Denn ursprünglich wollte Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Etatpläne der Koalition für das Haushaltsjahr 2024 sowie die mittelfristige Finanzplanung bis 2027 schon Mitte März dem Kabinett vorstellen. Dann gab er bekannt, dass die Vorlage seiner Eckwerte auf vorerst unbestimmte Zeit verschoben werden müsse, da er keinen Spielraum für die Zusatzwünsche seiner Ministerkolleg*innen in Höhe von 70 Mrd. Euro sehe. Lindner besteht auf der Einhaltung der Schuldenbremse und will zugleich auf Steuererhöhungen verzichten. Vor allem die Kindergrundsicherung hätte für eine Sprengung des öffentlichen Finanzrahmens gesorgt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spielte die Auseinandersetzungen herunter, die im Vorfeld des Koalitionsausschusses-Treffens die öffentliche Debatte prägten. Auch in früheren Regierungen habe es sehr lange Beratungen gegeben. Es sei wichtig, dass man als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt alles richtig mache. Es gehe um eine Tempo-Beschleunigung bei den Entscheidungen.

Scholz lobte die gute Sacharbeit zwischen den drei Parteien. »Es geht um die größte Modernisierung einer Volkswirtschaft.« In der Ampel-Koalition wachse durch diese Debatte auch das Gefühl, »dass wir es sind, die es machen müssen«, sagte er angesichts der Vorwürfe der Opposition, dass die Ampel heillos zerstritten sei. Noch kurz vor dem Ende des Koalitionsausschusses hatte Oppositionsführer Friedrich Merz orakelt: »Wir haben ganz offensichtlich in Deutschland eine Regierungskrise.« Man muss die Selbsteinschätzung der Koalitionäre nicht teilen – aber an einem Kipppunkt ist das politische Bündnis der »Vernunft« noch nicht.

Die Staatssekretärin für Klima-Außenpolitik und ehemalige Greenpeace-Chefin, Jennifer Morgan, wies laut FAZ vom 29.3. zudem die These zurück, dass die Arbeit der Koalitionsregierung durch die Polykrise (Corona, Ukrainekrieg) in ihrem politischen Programm mindestens behindert worden sei: »Untersuchungen zeigen, dass der russische Überfall die Energiewende um fünf bis zehn Jahre beschleunigt hat.« Der Krieg und die Kriegsfolgen haben die ökologische Transformation aber sicherlich erschwert.

Nach den Marathon-Beratungen des Koalitionsausschusses soll jetzt die größte Modernisierung der Berliner Republik endlich Tempo gewinnen: mehr Investitionen in die Bahn, ein schnellerer Ausbau von Autobahnen, kein Verbot von alten Gas- und Ölheizungen, aber trotzdem die Klimaziele bis 2030 einhalten. Die Ampel-Koalition bleibt bei ihrem Ziel, künftig von fossilen Heizungen wegzukommen – und den Umbau für alle, die sich das nicht leisten können, sozial abzufedern.

Weiterhin gilt, dass ab 2024 neu eingebaute Heizungen »möglichst« zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Möglich bleiben sollen aber auch Heizungen, die mit »grünem« aus erneuerbaren Energien oder »blauem« CO₂-neutral aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff oder mit Biomasse betrieben werden. Es werde genügend Übergangsspielräume geben. Untere und mittlere Einkommen sollten unterstützt werden, solange Wärmepumpen noch teurer seien, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Bürger*innen sollten nicht draufzahlen, der Umstieg werde gefördert mit Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds.

Die Lkw-Maut soll ab 2024 um einen CO₂-Aufschlag erhöht werden, der dann auch für kleine Lkw ab 3,5 Tonnen gelten soll. 80% dieser Mehreinnahmen sollen laut Grünenchefin Ricarda Lang dem Ausbau des Schienennetzes sowie dem Bahnverkehr insgesamt zugutekommen. Den Investitionsbedarf für die Bahn bezifferte sie bis 2027 auf 45 Mrd. Euro.

Auch mit einem weiteren Anliegen konnten sich FDP und SPD durchsetzen: Autobahnen und Straßen können schneller gebaut werden. Bei Straßen soll dies für 144 Autobahnprojekte gelten. Der Schwerpunkt liegt auf der Beseitigung bereits vorhandener Engpässe. Dafür soll künftig ein »überragendes öffentliches Interesse« gelten. Erhalt und Sanierung sollen Vorrang vor Neubau haben. Die Umsetzung der im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Projekte soll neu priorisiert werden, einschließlich eines umfassenden Dialogprozesses mit Verbänden und Wirtschaft.

Dafür wird der Naturschutz an neue Bedingungen geknüpft. Für den Ausbau erneuerbarer Energien sollen noch mehr Flächen zur Verfügung gestellt werden. Die Kommunen bekommen demnach mehr Spielraum, um Flächen auszuweisen. An Schienen, Autobahnen und Bundesstraßen sollen mehr Windräder und Solaranlagen gebaut werden. Bei neuen Autobahnen soll verpflichtend die Möglichkeit zum Bau von Solaranlagen in deren Randbereich genutzt werden.

Das aktuelle Klimaschutzgesetz sieht vor, dass jeder Sektor (wie Verkehr, Gebäude oder Energie) jedes Jahr eine Vorgabe für den maximalen Ausstoß an Klimagasen zu erfüllen hat. Der Verkehrssektor hat sie zuletzt verfehlt. Künftig soll es möglich sein, dass ein Sektor die Zielverfehlungen eines anderen ausgleichen kann. Zudem soll statt fester Jahresziele stärker auf einen längeren Zeitraum geblickt werden. Dazu soll eine Regierung jeweils im ersten Jahr der Legislaturperiode ein umfassendes Programm vorlegen. Werden die Ziele verfehlt, sollen aber vor allem aus den dafür verantwortlichen Sektoren Nachbesserungen vorgeschlagen werden – was zu neuen Debatten zwischen den Ministerien führen dürfte, aber aktuell Druck auch von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nimmt.

Details zu einer sozialen Abfederung für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen finden sich in dem Modernisierungspaket nicht. »Unbillige Härten sollen auch zum sozialen Ausgleich werden vermieden.« Es werde geprüft, wie der Austausch von Gas- und Ölheizungen »gezielt und bürokratiearm« mit Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds gefördert werden kann. »Niemand wird im Stich gelassen«, versprechen die Ampel-Parteien.

FDP-Chef Lindner erläuterte, dass die strikten Emissionsvorgaben für einzelne Wirtschaftssektoren im Klimaschutzgesetz aufgegeben werden sollen. Insgesamt solle der Klimaschutz zu einer »echten Querschnittsaufgaben der Bundesregierung« werden, heißt es in dem Beschlusspapier der drei Regierungsparteien. »Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft.«


Kritik von allen Seiten

Für die Grünen bemängelte selbst die Fraktionschefin Katharina Dröge, »dass in diesem Koalitionsausschuss mehr fürs Klima hätte beschlossen werden müssen«. Dagegen lobte FDP-Fraktionschef Christian Dürr die Beschlüsse zum Klimaschutz und zum Infrastruktur-Ausbau. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zeigte sich zufrieden, denn es seien Ergebnisse erreicht worden, die Deutschland »Jahre der Beschleunigung« bringen werden. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Andreas Jung, monierte den Ampel-Kurs beim Klimaschutz. »Wir müssen vorankommen beim Klimaschutz, aber wir müssen es verbinden mit der sozialen Komponente, mit der Wirtschaft, Nachhaltigkeit in der ganzen Breite. Das ist unser Weg. Das erwarten wir von der Regierung.«

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, kritisiert die Beschlüsse: »Diese Anti-Klimaschutz-Koalition legt allen Ernstes Hand an das Bundesklimaschutzgesetz. Damit versündigt sie sich an allen künftigen Generationen.« Er forderte die Abgeordneten des Bundestages auf, »die geplante Verschlechterung des schon wenig ambitionierten Gesetzes aus der Merkel-Ära rundweg abzulehnen«. Für Martin Kaiser vom Vorstand Greenpeace Deutschland habe der »Ampel-Marathon« dem Klimaschutz »viel zu wenig« gebracht, ihn gar »an wichtigen Stellen« sogar zurückgeworfen.

Sozialverbände kritisieren, dass die Ampel-Parteien nach ihren langwierigen Beratungen keinerlei Aussagen zur Zukunft der Kindergrundsicherung getroffen haben. »Die ›Ampel‹ vertagt die Zukunft der Kinder auf den Sankt Nimmerleinstag«, erklärte der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers.

Bundeskanzler Scholz bat in einer Regierungsbefragung im Bundestag um Verständnis dafür, dass seine Regierung einige Details der geplanten Reform noch nicht geklärt hat. Er relativierte das Projekt mindestens zeitlich: »Wir haben auch noch viele andere Reformvorhaben, denn es gibt einen großen Reformstau in Deutschland.« Die Ampel-Parteien hätten aber das Projekt Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag festgeschrieben und würden es auch umsetzen. Dabei gehe es darum, »dass die Leistungsansprüche, die da zur Verfügung stehen, auch tatsächlich benutzt werden«.

Der Bundeskanzler betonte: »Es geht um die Modernisierung unseres Landes im 21. Jahrhundert.« Gleichzeitig sollen die beschlossenen Maßnahmen keine zusätzlichen Kosten im Bundeshaushalt verursachen. Wie das gelingen soll, bleibt offen. Sicher ist dieser von den Ampel-Parteien vereinbarte Kompromiss nur ein Teilstück, mit dem die Auseinandersetzungen um die Finanzierung dieser Modernisierung nicht beendet sind. Und ob die beschlossenen Maßnahmen zur Beschleunigung greifen, bleibt abzuwarten. Die »Ampel« hat ihre Hausaufgaben bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen bei gleichzeitig voranzutreibenden Reformen noch vor sich.

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