8. Mai 2019 Otto König/Richard Detje: Venezuela – Fehlschlag der »Operacion Libertad«

Guaidó’s Putsch erneut gescheitert

Fibonacci Blue/flickr.com (CC BY 2.0)

Die Pläne der venezolanischen Opposition und Trump-Administration, in Venezuela einen schnellen »Regime-Change« durchzusetzen, sind erneut gescheitert.

Vier Monate nach dem ersten und neun Wochen nach dem zweiten gescheiterten »Humanitäre-Hilfe-Putschversuch« von Cúcuta ist der Versuch von Gerardo Antonio Guaidó Márquez, eine Militärrevolte gegen den Präsident Nicolás Maduro anzuzetteln, fehlgeschlagen.

Nach dem Motto »Jetzt oder nie« hatte Guaidó in den frühen Morgenstunden des 30. April vor dem Luftwaffenstützpunkt La Carlota in der Hauptstadt Caracas im Kreis einer kleinen Gruppe desertierter Soldaten zum militärischen Aufstand gegen die Regierung Maduro aufgerufen: »Die Usurpation endet heute.« Die nationalen Streitkräfte könnten »mit der Unterstützung des venezolanischen Volkes, mit der Unterstützung unserer Verfassung und mit der Garantie rechnen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen«, lautete die Twitter-Nachricht, mit der Guaidó den Eindruck erweckte, maßgebliche Teile des Militärs hinter sich zu haben. Forsch rief er die »Schlussphase der Operation Freiheit« aus, in der Hoffnung, mit der Erstürmung des Präsidentenpalastes Miraflores sich die ersehnte Krone aufsetzen zu können.

Für einen durch Putsch ausgelösten »Regime Change« hätte es in Washington nicht an der nötigen Rückendeckung gefehlt. Dass es koordinierte Vorkehrungen gab, darauf weist das Verhalten des Anti-Maduro-Lagers in Lateinamerika hin, denn kaum hatte sich der Oppositionsführer mit aufständischen Soldaten gezeigt, veröffentlichte die »Lima-Gruppe« eine Erklärung, in der es hieß, man werde das von ihm installierte Regime anerkennen. Öffentliche Unterstützung gelobten die rechtskonservativen Präsidenten von Kolumbien und Brasilien, Iván Duque und Jair Bolsonaro, der US-amerikanische Außenministers Mike Pompeo, aber auch Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments und der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD). Zwei Tage später konstatierte die Neue Zürcher Zeitung: »Der Oppositionsführer Juan Guaidó hat sich mit seinem Aufstand gegen das Regime von Präsident Maduro verspekuliert« (3.5.2019).

Tatsächlich ist klar geworden, dass der angebliche »Interims-Präsident« auch mehr als drei Monate nach seiner Selbsternennung keine hinlängliche Macht im Land hat. Trotz der massiven Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lage in Venezuela, die in erster Linie hausgemacht ist und durch die verschärften US-Sanktionen verstärkt wird, die den Rest der Gesundheitsversorgung[1] in Venezuela zum Zusammenbruch brachten, ist Guaidós Machtbasis im Land nicht gewachsen. Aufrufe zu Massenprotesten erhielten nicht genügend Resonanz, selbst die Stromausfälle, gleich ob durch Pannen wegen schlechter Infrastruktur oder durch Cyberangriffe und Sabotage verursacht, haben die Stimmung nicht zugunsten Guaidós kippen lassen.

Trotz der Enttäuschung über den Verlauf, den die von Hugo Chávez angeführte boliviarische Revolution genommen hat, und die Verschlechterung der Lebensbedingungen auch in den chavistischen Hochburgen, den Barrios, ist die Ablehnung der rechten Opposition und die Einmischung aus den USA offenbar größer. Die offene Unterstützung der USA für Guaidó hält die Erinnerungen an den durch Massenproteste gestoppten Staatsstreich gegen Chávez im April 2002 wach.

Hinzu kommt die wiederholte Fehleinschätzung der Haltungen in den bolivarischen Streitkräften (FANB). »Die falsche Behauptung (…) relevante Teile des Militärs seien in sein Lager übergelaufen, hat ihm und seinem Projekt geschadet. (…) Der gewünschte Knockout-Effekt ist nicht eingetreten. Ernüchterung und Ermüdung nach monatelangen Massendemonstrationen machen sich breit«, analysiert Günther Maihold von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik die falsche Strategie der Opposition (DW, 2.5.2019). Möglicherweise ist das Guaidó selbst klar, denn nur so ist zu verstehen, dass er die Eskalation sucht, um eine mögliche ausländische Intervention zu provozieren.[2] Er würde ein solches »Angebot« aus Washington in der Nationalversammlung zur Abstimmung stellen, sagt er in einem Interview mit der US-Tageszeitung Washington Post. Eine »False-Flag«-Operation könnte das Land in eine Welle großer Gewalt stürzen.

Es scheint, als hätten die US-Amerikaner mit Juan Guaidó, protegiert von Leopoldo López, dem Parteichef der Voluntad Popular, auf das falsche Pferd gesetzt. In den Monaten zuvor war er regelrecht »hochgeschrieben« worden. So begrüßte die Redaktion der New York Times Guaidó als »glaubwürdigen Rivalen« von Maduro mit einem »erfrischenden Stil und der Vision, das Land voranzubringen«. Die Bloomberg News applaudierten ihm für die »Wiederherstellung der Demokratie« und das Wall Street Journal erklärte ihn »zu einem neuen demokratischen Führer«. »Juan Guaidó ist die Figur, die für diese Situation geschaffen wurde«, sagte Marco Teruggi, argentinischer Soziologe und Chronist der venezolanischen Politik, gegenüber The Grayzone. »Mit seinen Besuchen in Washington, Brasilia und Bogota wurde dieser Putsch vorbereitet«, schreibt Achim Wahl.[3]

Gezielte Desinformationspolitik[4] ist an der Tagesordnung und macht eine realistische Berichterstattung schwer. US-Sicherheitsberater John Bolton und Verteidigungsminister Mike Pompeo behaupteten, dass Nicolas Maduro schon seine Flucht aus dem Land vorbereitet habe und dass die »wichtigsten Personen des Regimes«, einschließlich Verteidigungsminister Wladimir Padrino, Maikel Moreno, der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs, und Ivan Rafael Hernandez Dala, der Kommandeur der Präsidentengarde, und Chef der militärischen Gegenspionage, längst hinter dem Rücken Maduros mit der Opposition verhandelten.

Zu der Vorstellung, dass sich Verteidigungsminister Padrino an die Seite von Juan Guaidó stellen könnte, um Maduro zu stürzen, gehört schon eine gehörige Portion Naivität. Padrino gehört seit Beginn der Regierung von Hugo Chávez zu den hohen Offizieren, die den Chavismus verteidigen. Während Teile der Armee 2002 gegen Chávez putschten, hielt Padrino ihm die Treue. 2012 wurde er von Chávez zum Chef des Generalstabs der Armee befördert, 2014 von Maduro zum Verteidigungsminister.

Des Weiteren suggeriert die US-Regierung, dass Soldaten aus Kuba Maduro an der Macht halten würden. Für Washington ist die nicht belegbare Behauptung die Legitimation dafür, neue Sanktionen vorzubereiten. Kuba werde man mit Sanktionen auf »höchstem Niveau« belegen, falls die Karibikinsel nicht »seine Soldaten« aus Venezuela zurückziehe, droht US-Präsident Trump.

Gleichzeitig wurde der fast 200 Jahre alten Monroe-Doktrin, die den Anspruch einer Vormachtrolle der USA in Lateinamerika erhebt, wieder neues Leben eingehaucht. Erst kürzlich erklärte John Bolton, warum Venezuela im Visier ist: »In dieser Regierung haben wir keine Angst davor, den Begriff ›Monroe-Doktrin‹ zu verwenden. Dies ist ein Land in unserer Hemisphäre, und seit Ronald Reagan haben die amerikanischen Präsidenten es sich zum Ziel gesetzt, eine vollständig demokratische Hemisphäre zu schaffen.«

Rund 50 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen Guaidó als »Interimspräsidenten« an – ein falscher Schachzug. »Wir bekräftigen, dass es nur einen politischen, friedlichen und demokratischen Ausweg aus den vielfältigen Krisen des Landes geben kann«, heißt es in einer Stellungnahme der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Hinter vorgehaltener Hand, schreibt Der Spiegel, fragen sich europäische Diplomaten, ob es nicht voreilig war, Guaido anzuerkennen, hat sich die EU dadurch doch als potenzieller Vermittler selbst aus dem Spiel genommen. Die europäischen Länder stehen jetzt, ob gewollt oder ungewollt, an der Seite der Trump-Regierung, die im Zusammenspiel mit rechten bis ultrarechten Regierungen in der Region einen Machtwechsel zu erzwingen sucht.

Dabei ist fraglich, ob Trump – »alle Optionen liegen auf dem Tisch« – die USA tatsächlich in einen neuen Krieg ziehen lassen will,[5] oder ob er nicht vielmehr eine Strategie der »schrittweisen wirtschaftlichen Strangulation« verfolgt. Das geschieht gegenwärtig nicht nur in Venezuela, sondern ebenso im Iran und erneut verstärkt gegen Kuba.

Das fruchtlose Kräftemessen in Caracas, das die Bevölkerung immer weiter polarisiert und aufreibt, kann nur politisch beendet werden. Um Gewalt zu verhindern, ist ein breiter gesellschaftlicher Dialog zur Überwindung der Krise notwendig. Und es bedarf internationaler Mittler, um die Konfrontation zu entschärfen – wie Mexiko und Uruguay, die es in weiser Voraussicht abgelehnt haben, sich auf eine Seite in diesem Konflikt zu stellen. Doch die schwerste Aufgabe steht danach an: die ökonomische und soziale Rekonstruktion des Landes.


[1] Die Ökonomen Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs kommen in der am 25. April vom US-amerikanischen Thinktank »Center for Economic and Policy Research« (CEPR) veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass die von den USA verhängten Strafmaßnahmen gegen Venezuela allein in den Jahren 2017 und 2018 mindestens 40.000 Menschenleben gekostet haben, in erster Linie die von HIV- und Krebskranken, Diabetikern und Patienten mit Bluthochdruck. »Durch die Sanktionen werden den Venezolanern lebensrettende Medikamente, medizinische Ausrüstung, Lebensmittel und andere notwendige Importe vorenthalten«, erklärt CEPR-Kodirektor Weisbrot. Das sei sowohl nach US-amerikanischen als auch nach internationalen Gesetzen und von den USA unterzeichneten Verträgen illegal.
[2] Die radikale Opposition um die Politikerin María Corina Machado hatte Guaidó unter Verweis auf den Verfassungsartikel 198.11 mehrfach aufgefordert, grünes Licht für ein Eingreifen von außen zu geben. Dieser Artikel besagt, dass die Nationalversammlung in Krisensituationen ausländische »militärische Missionen« zu Hilfe rufen kann (Amerika 21, 6.5.2019).
[3] Vgl. Achim Wahl: Venezuela im Fadenkreuz geopolitischer Auseinandersetzungen, WeltTrends, April 2019.
[4] »Wir logen, wir betrogen, wir stahlen. Wir hatten ganze Trainingskurse dazu. Das erinnert mich an den Ruhm des amerikanischen Experiments.« (Ex-CIA-Direktor Pompeo lt. Telepolis 27.4.2019)
[5] Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass der Gründer der privaten Sicherheitsfirma Blackwater (heute Arcadi) dabei sei, eine Privatarmee für den Kampf gegen Venezuelas Regierung zu rekrutieren. Prince habe bei einflussreichen Trump-Unterstützern in Washington und bei wohlhabenden Venezolanern im Ausland um Investitionen und politische Unterstützung für die Aufstellung einer 5.000 Mann starken Kampftruppe geworben. Diese Truppe solle zugunsten von Oppositionsführer Juan Guaidó in den Machtkampf in Venezuela eingreifen.

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