13. Juni 2019 Joachim Bischoff: Unterschiedliches Wachstumstempo der Weltkonjunktur

Handelskrieg als Rezessions-Risiko

Im ersten Quartal 2019 stieg das saisonbereinigte BIP gegenüber dem Vorquartal im Euroraum (ER19) um 0,4% und in der EU28 um 0,5%, Zugleich wird das unterschiedliche Wachstumstempo in den USA deutlich.

Auch in Deutschland fiel der Zuwachs der Wirtschaftsprodukt Im ersten Quartal mit 0,4% erfreulich positiv. Die Umsätze im Handwerk kletterten vor allem dank des Baubooms binnen Jahresfrist um 6,4%, während die Service-Branche einen Umsatz- und Beschäftigungsrekord aufstellte.

Diese Nachrichten waren überraschend, weil die Bundesrepublik Ende des vergangenen Jahres nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt war. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zog aus dieser Entwicklung den Schluss, dass die deutsche Konjunktur deutlich robuster sei, als von vielen zuletzt befürchtet: »Die Rezessionsgefahren für Deutschland sind zuletzt deutlich zurückgegangen.«

Die Vertreter der deutschen Wirtschaft dagegen sind weitaus pessimistischer: Nach mehreren Jahren mit mehr als 2% Wirtschaftswachstum – im vergangenen Jahr waren es noch 1,4% – traut der Spitzenverband DIHK der weltweit viertgrößten Volkswirtschaft 2019 nur noch ein Plus von 0,6% zu. Die stabile Binnenkonjunktur stützt sich nach dessen Auffassung auf die anhaltend hohe Konsumnachfrage der privaten Haushalte, die für mehr als 50% der deutschen Wirtschaftsleistung von fast 3,4 Billionen Euro steht.

Beim Auslandsgeschäft sind die Erwartungen so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Bundesbank spricht von einer »zweigeteilten Konjunktur«, die sehr schwache Industrie auf der einen Seite, und alle anderen Sektoren als stützende Faktoren auf der anderen. Die von den Wirtschaftsforschungsinstituten vermutete Rückkehr zum Aufschwung könnte sich als Illusion erweisen.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) ist skeptisch und hat seine Konjunkturprognosen für weite Teile der Welt teils drastisch zurückgenommen. Zum Beispiel Deutschlands: Noch im vergangenen Sommer sagten die Ökonomen der Bundesrepublik für 2019 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,1% voraus. In der neuesten Schätzung sind es gerade noch 0,8%, auch die Aussichten für 2020 sehen sie mit 1,4% gleichfalls bescheiden. Allein in diesem Jahr würden damit rund 50 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung fehlen, mit denen Politik und Unternehmen noch vor Monaten fest gerechnet hatten. Das hätte spürbare Folgen für die Firmenbilanzen wie für die Staatskasse.

Das Bedauerliche an dieser Abwärtsentwicklung ist aus Sicht des IWF, dass die Talfahrt nicht etwa die Folge finsterer Börsenmächte oder schwer beeinflussbarer Marktkräfte ist, sondern das Ergebnis politischer Fehler. Als Ursachen für den Abschwung nennen die Experten in unter anderem die fortgesetzten Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, China und Europa, den Rückgang der Autoverkäufe nach der Einführung neuer Abgasnormen in Deutschland, den wochenlangen Stillstand der Regierungsgeschäfte in Washington sowie die politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen in Argentinien und der Türkei.

Der Handelskrieg zwischen den beiden größten Weltökonomien ist weiter ungelöst. So hat US-Präsident Donald Trump die Strafzölle auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar kürzlich von 10% auf 25% erhöht. Peking holte daraufhin zu einem Gegenschlag aus und drohte mit der Verknappung der Seltenen Erden, die insbesondere in der High-Tech-Industrie Anwendung finden. Die USA beziehen stolze 80% dieser Metalle aus China. Darüber erhöhte China im Gegenzug Zölle auf US-Waren im Wert von 60 Milliarden US-Dollar ab dem 1. Juni auf bis zu 25%.

Der US-Präsident setzte seit zwei Jahren Strafzölle und Zolltarife als Mittel ein, um China, Kanada, Mexiko, Japan, Europa Zugeständnisse abzupressen, auch wenn sich der wirtschaftliche Schaden bislang in Grenzen hielt. Allerdings hat der Handelskrieg das Potenzial, die Weltwirtschaft in kurzer Zeit in eine Rezession zu treiben.

Noch schwerer wiegt, dass der Bann gegen Unternehmen – sei es wegen des Iran-Geschäfts, sei es wegen Russland-Beziehungen oder sei es wegen des Verdachts der Spionage – tragende Säulen der Weltwirtschaft abräumt: die Vertragsfreiheit und die Rechtssicherheit. Was heute mit Huawei geschieht, könnte im Streitfall morgen auch die Autokonzerne, die Nahrungsmittelindustrie oder die Chemiebranche anderer Länder treffen.

Die Chancen diese Eskalation abzuwenden sind gering, wie der aktuelle Fall Iran belegt. Selbst wenn sich die EU-Kommission im Auftrag aller europäischen Staaten schützend vor die vom Bannstahl aus Washington betroffenen Unternehmen stellt, sind diese Maßnahmen gegenüber dem Dollar-Regime eher symbolischer Natur. Letztlich müsste es darum gehen, eine weltweite Allianz zum Schutz der Welthandelsordnung zu schmieden – unter Einschluss von Russland und China.

Der von Trump angezettelte neue Kalte Krieg gegen die Weltnachkriegsordnung ist hochgefährlich. Die Tendenz zur Weltunordnung hat sich seit dessen Präsidentschaft enorm verschärft. Auf den zurückliegenden Gipfeltreffen (G7, G20 und NATO) wurde mehr und mehr deutlich, dass sich die europäischen Alliierten nicht mehr auf das Agieren der Führungskraft USA verlassen können. Trump verbindet ein schockierendes Maß an Ignoranz mit einem genauso schockierenden Maß an Feindseligkeit gegenüber Amerikas Alliierten, worauf diese wenig vorbereitet sind, und der westlichen Werteordnung.

Nicht viel anders stellt sich der Fall einer Vorsorge für den Krisenfall dar, wenn es um die Frage geht, was die europäischen Länder im Falle eines Absturzes in die Rezession machen. Auch hier sind die Maßnahmen sich auf eine Schlechtwetterphase nicht weit vorangekommen. »Rainy Day Funds« sollen in wirtschaftlich schwachen Zeiten eine Rezession abfedern – ein Finanzpolster für sinnbildlich verregnete Tage.

Die Idee dahinter ist alt: Staaten legen Geld zurück, solange es gut läuft, und federn damit zum Beispiel die Arbeitslosigkeit ab, wenn es wirtschaftlich bergab geht. Doch die Verwirklichung in der EU ist ein Beispiel für unzureichenden politischen Willen. Die abtretende EU-Kommission will sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden und fordert ein höheres Tempo bei den Reformen zur Stärkung des Euro. Vor allem das geplante Euro-Zonen-Budget und der Ausbau des Euro-Rettungsschirms ESM müssen laut der Kommission nun rasch voran gebracht werden.

Bereits 2014 hatte Jean-Claude Juncker zusammen mit den Präsidenten des Europäischen Rats, der Euro-Gruppe, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Zentralbank ein Reformpaket zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion bis 2025 vorgeschlagen. 2017 forderte dann der französische Präsident Emmanuel Macron ein milliardenschweres Euro-Zonen-Budget. Die Pläne sind inzwischen stark eingedampft, der Streit über Details zieht sich in die Länge.

Juncker betonte: »Es geht uns um Arbeitsplätze, Wachstum und soziale Gerechtigkeit für unsere Bürgerinnen und Bürger«. Insgesamt seien zwar viele der in der letzten Wirtschaftskrise offenbarten Lücken der Währungsunion inzwischen geschlossen worden und die Wirtschafts- und Währungsunion sei so robust wie nie zuvor. Doch für den Krisenfall ist unzureichend vorgesorgt.

Auch in den USA entwickelt sich eine Debatte über die Stabilität der Konjunkturentwicklung und möglicher Gegenmaßnahmen. Nach einem herausgehobenen Wirtschaftswachstum im ersten Quartal hinterlässt der Handelskonflikt mit China auch in den USA deutliche Spuren. Der sich in den vergangenen Monaten zuspitzende Konflikt lässt die US-Wirtschaft bei Neueinstellungen um einiges zurückhaltender werden.

Angesichts der zunehmenden Spannungen in den Handelsstreitigkeiten der USA hatten Spitzenvertreter der US-Notenbank Fed zuletzt Bereitschaft signalisiert, die Wirtschaft gegebenenfalls mit einer Zinssenkung zu stärken. Man sei darauf vorbereitet, die Geldpolitik bei Bedarf zur Stützung des Wachstums anzupassen. Auch wenn die Wirtschaft rund laufe, würden von der Handelspolitik Risiken für die Konjunktur ausgehen.

Der handelspolitische Clinch, in dem sich die USA mit vielen Ländern befindet, hat die konjunkturellen Risiken deutlich erhöht. Das bleibt auch Amerikas Notenbank nicht verborgen. Zwar ist im ersten Quartal 2019 das BIP-Wachstum der USA mit 3,1% überraschend stark ausgefallen. Doch das Tempo wird sich nicht halten lassen.

Im Zentrum der Probleme steht der globale Automobilmarkt. In China, dem mit Abstand größten Automarkt der Welt, sinken die Verkaufszahlen rapide. Die Ursachen sind einige hausgemachte Faktoren und der von der USA angezettelte Handelskrieg. Dieser belastet den globalen Automarkt mehr als seinerzeit die Finanzkrise. In 12 der 15 größten Märkte weltweit sinkt der Absatz seit Anfang des Jahres.

Donald Trump befindet sich in der Vorbereitung der politischen Kampagne für seine Wiederwahl und neben der Migration, einem Respekt für die Hegemonialstellung der USA, den sich der Präsident durch sein rüdes Auftreten auch gegenüber Verbündeten erhofft, ist das Wirtschaftswachstum ein weiterer wichtiger Faktor.

Die Trump-Administration kann sich daher politischem und ideologischem Wunschdenken nicht entziehen, so etwa in Bezug auf eine anhaltend positive Wirkung der Steuersenkungen von 2017. Die Prognosen des Weißen Hauses bauen zudem im Gegensatz zu den anderen Instituten auf weitere wachstumsfördernde Deregulierungsmaßnahmen und ein Infrastrukturprogramm. Die Ziellinie für das Wirtschaftswachstum liegt daher für Trump sehr hoch.

Der US-Präsident hat auch deshalb die Fed erneut scharf kritisiert und zu einer Zinssenkung gedrängt. Die Zinsen seien »viel zu hoch«, twitterte er und bezeichnete die geldpolitische Strategie der politisch unabhängigen Währungshüter als »lächerlich«: »Sie haben keine Ahnung.« Der frühere Immobilien-Tycoon sieht den Euro und andere Währungen gegenüber dem Dollar als unterbewertet an, was den USA zum Nachteil gereiche.

Der US-Leitzins liegt derzeit in einer Spanne von 2,25 bis 2,5%. Die Fed hatte ihn 2018 wegen der auf Touren laufenden Wirtschaft mehrfach angehoben. Angesichts des Handelsstreits und der schwächeren Weltwirtschaft fuhren die Währungshüter dieses Jahr auf Sicht und tasteten den Schlüsselsatz nicht an. An den Märkten wird allerdings damit gerechnet, dass sich dies innerhalb des nächsten halben Jahres ändern wird und die Zinsen sinken werden.

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