28. November 2022 Joachim Bischoff: Folgen des America-First-Protektionismus

Handelskrieg unter Partnern?

Die EU will ihre Industrie vor dem amerikanischen »Inflation Reduction Act 2022« (IRA) schützen. Es droht ein Rückschlag für die transatlantischen Beziehungen, die unter US-Präsident Donald Trump bereits stark gelitten hatten.

Zwischen den Partnern der »demokratischen Wertegemeinschaft« ist erneut erheblich Sand im Getriebe. Auch die USA laborieren immer noch mit hohen Preissteigerungsraten. Allerdings hat sich die hohe Inflation dort im Oktober stärker als erwartet abgeschwächt. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stiegen die Verbraucherpreise um 7,7%. Ökonomen hatten im Durchschnitt nur mit einem Rückgang auf 8,0% gerechnet. Im Vormonat hatte die Inflationsrate noch 8,2% betragen.

Dies ist bereits der vierte Rückgang in Folge. Auch die Kerninflation, ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise, fiel von 6,6% auf 6,3%. Die Verminderung war ebenfalls stärker als erwartet.

In den USA wurde der starke Teuerungsschub anders als in Europa nicht durch Russlands Angriffskrieg und die steigenden Energiekosten ausgelöst (vgl. dazu auch meinen Beitrag Vor einer Ära der Inflation? auf Sozialismus.deAktuell vom 21.11.2022). Vor allem ist der Brennstoff Gas in den Vereinigten Staaten weiterhin relativ günstig.

Treiber der Teuerungswelle war in den USA hingegen der Nachfrageboom, der unter anderem durch Joe Bidens üppige Konjunkturprogramme ausgelöst worden war. Diese lösten einen Kaufrausch aus, der Experten zufolge globale Folgen hatte: Amerikaner kauften so massenhaft Konsumgüter, dass sie damit weltweit die Preise in die Höhe trieben.

Neben der deutlichen Erhöhung der Leitzinsen durch die US-Notenbank, mit denen die Wirtschaftsaktivitäten gedämpft werden sollen, kämpft die US-Administration unter Biden auch mit fiskalischen Mitteln gegen die hohen Inflationsraten. So soll das beschlossenes Gesetzespaket der US-Regierung, der »Inflation Reduction Act 2022«, darauf abzielen, die hohe Inflation in den USA einzudämmen.

Bei dem kürzlichen Besuch von Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ging es um die negativen Rückwirkungen dieses Gesetzes: Denn es sei eine guter Ansatz, dass US-Präsident Joe Biden mit den Maßnahmen im IRA sowohl die Inflation bekämpfen als auch den grünen Umbau der Wirtschaft voranbringen wolle, sagte der Kanzler. »Umgekehrt müssen wir natürlich für Fairness im Miteinander zwischen Europa und den Vereinigten Staaten Sorge tragen.« Borne erklärte, dass die »lobenswerten Ambitionen, eine Antwort auf den Klimanotstand zu geben, nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Europa und den USA führen dürfen«.


Amerikanischer Protektionismus mit grünem Mäntelchen

Mit dem IRA sollen vor allem die Klimatransformation der US-amerikanischen Wirtschaft erheblich zu forciert werden. Steuererleichterungen für Elektroautos, massive Investitionen in Technologien zur Reduktion von CO2-Emissionen und der Ausbau von Wind- und Solarkraft – dies sind nur einige jener im Gesetz geregelten Vorhaben, die die USA in eine grünere Zukunft führen sollen.

Doch was zunächst wie eine begrüßenswerte Offensive für mehr Klimaschutz aussieht, wird in Europa mit Skepsis betrachtet. Das Gesetzespaket, das über zehn Jahre hinweg Ausgaben von rund 430 Milliarden Dollar vorsieht, droht europäische Unternehmen zu benachteiligen.

So verspricht die Regierung jedem Elektroautokäufer 7.500 Dollar Steuergutschrift, sofern die Fahrzeuge in Amerika zusammengesetzt wurden. Von 2026 an müssen obendrein 80% der seltenen Mineralien für die Antriebsbatterien in Amerika oder in Ländern geschürft werden, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben – die EU gehört bislang nicht dazu.

Lieferungen von »verdächtigen ausländischen Einheiten« sind generell untersagt – das zielt auf China, ist aber genügend vage, um auch Unternehmen aus anderen Ländern auszuschließen. Nach einer Übergangszeit müssen die Batterien dann komplett aus Amerika kommen.

Mit dem Inflation Act und der Elektroauto-Förderung verfolgt die Regierung Biden also drei strategische Ziele: Sie will die Inflation bekämpfen und die Wirtschaft klimaverträglich umbauen, sie will Amerika reindustrialisieren, und sie will Chinas politischen und technologischen Hegemoniebestrebungen einen Riegel vorschieben. Die europäische und speziell auch die deutsche Automobilindustrie könnte der Leidtragende sein, sofern sie nicht in den USA selbst produziert.

Schon jetzt investiert die deutsche Industrie kräftig in den Vereinigten Staaten. BMW hat gerade bekannt gegeben, in den kommenden Jahren sein Werk in Spartanburg für 1,7 Milliarden Dollar ausbauen zu wollen. Der Spezialchemiehersteller Evonik eröffnete Anfang September ein Forschungszentrum in Pennsylvania. Da der IRA umfangreiche Subventionen auch für andere Branchen vorsieht, steht aus europäischer Sicht zu befürchten, dass Unternehmen in die USA abwandern könnten.

Die Autoindustrie ist für Europa von herausragender Bedeutung. Laut dem europäischen Branchenverband Acea wurde 2021 in Europa rund ein Fünftel der 79 Millionen weltweit hergestellten Fahrzeuge gebaut. Der Sektor beschäftigt in der EU 2,6 Millionen Personen. Addiert man angrenzende Tätigkeiten hinzu, sind es knapp 13 Millionen Menschen oder 6,6% aller Arbeitsplätze in der EU.

Dominiert wird die Branche von Deutschland. Jedes dritte in der EU hergestellte Auto wurde 2021 in einer deutschen Fabrik gebaut. Volkswagen, der größte europäische Autokonzern, ist in Wolfsburg zu Hause, wo er die größte Fahrzeugfabrik der Welt betreibt. VW hat aber auch in vielen EU-Staaten Produktionsstätten, so zum Beispiel neun in Polen, vier in Tschechien und vier in Spanien. Das Unternehmen erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von 250 Milliarden Euro und hat weltweit mehr Mitarbeiter (662.000) als Luxemburg Einwohner.

Doch jüngst ist die Branche in Schwierigkeiten geraten. Die Produktion ist seit 2017 um einen Drittel eingebrochen, laut Acea hat Europa in der weltweiten Fahrzeugherstellung Marktanteile an China verloren. Volkswagen hat sich mit dem Dieselskandal blamiert, Tesla lässt die Fahrzeuge deutscher Unternehmen teilweise altbacken aussehen, der Verbrennungsmotor ist in Europa bald nicht mehr erlaubt, und gestörte globale Lieferketten sowie die Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie setzen die Industrie unter Druck.


Europa will eine Verständigung mit den USA

Die Europäische Union (EU)weist darauf hin, dass das Gesetzespaket nicht die Wettbewerbsbedingungen zwischen Europa und den USA verzerren dürfe, ringt ansonsten aber noch um eine einheitliche Linie. Die EU und die USA bemühen sich um eine Lösung für zentrale Aspekte der »diskriminierenden« Produktionsanforderungen im US-Inflationsbekämpfungsgesetz IRA. Die EU erklärte, dass sie den Fall vor die Welthandelsorganisation bringen könnte, falls kein Kompromiss erzielt werden kann.

Valdis Dombrovskis, der geschäftsführende Vize-Präsident der Europäischen Kommission und Außenhandelskommissar, sagte, das Thema sei für viele Länder und Unternehmen ein wichtiges Anliegen: »Es hat den Anschein, dass viele der in dem Gesetz vorgesehenen grünen Subventionen die EU-Automobil-, Erneuerbare-Energien-, Batterie- und energieintensive Industrien benachteiligen könnten.«

Zur Konfliktbewältigung haben die EU und USA inzwischen eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Daneben gibt es noch den halbjährlich tagenden Trade and Technology Council (TTC), in dem dieses Thema ebenfalls eine große Rolle spielen dürfte. Einen Handelskrieg, so heißt es explizit in Frankreich und Deutschland, wolle man vermeiden.

Nach Aussage von Dombrovskis bestünde die ideale Lösung des Konflikts darin, dass die EU dieselben Ausnahmen von den Gesetzesbestimmungen gewährt bekäme wie Kanada und Mexiko, die 1994 ein gemeinsames Freihandelsabkommen mit den USA vereinbart haben. In der Kommission gilt das allerdings als wenig realistisch. Immerhin aber, so der Eindruck von Experten, deute allein die Einrichtung der Arbeitsgruppe darauf hin, dass auch die Amerikaner um Schadensbegrenzung bemüht sind. Die vor Kurzem ausgehandelte Einigung zu Flugzeugzöllen sowie die Verständigung über den Stahl- und Aluminiumsektor deuteten ebenfalls in diese Richtung.

Die für ganz Europa wichtige Autoindustrie wurde von Verzögerungen und Problemen in den globalen Wertschöpfungsketten sowie der Pandemie stark gebeutelt, nachdem sich Volkswagen mit gefälschten Abgastests selbst in Schwierigkeiten gebracht hatte. Und nun drohen in einem der wichtigsten Exportmärkte Wettbewerbsnachteile, und zwar ausgerechnet im Segment der Elektroautos. Diese aber sollen gerade Volkswagen in die klimafreundliche Zukunft befördern.

Doch auch jenseits des IRA gibt es gegenwärtig einige Reibungspunkte in den europäisch-amerikanischen Beziehungen. Die amerikanischen Bestrebungen, Chinas politischen und ökonomischen Einfluss in der Welt zurückzudrängen, stehen hinter dem US-Exportbann für Hightech-Chips und Chiptechnologie nach China, der indirekt auch europäische Unternehmen trifft. Die USA haben den Import und den Verkauf von Telekommunikations- und Überwachungstechnologie chinesischer Hersteller weitgehend verboten. Betroffen sind zehn Unternehmen, u.a. Huawei und ZTW, einschließlich derer Smartphones.

Weitere Kollateralschäden für die europäische Wirtschaft, wenn sich der amerikanisch-chinesische Konflikt zuspitzen sollte, sind zu erwarten, was der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertage (DIHK), Volker Treier, vorsichtig so ausdrückte: »Die Zuspitzung des Handelskonflikts der beiden Weltwirtschaftsgiganten kommt für die deutsche auslandsaktive Wirtschaft konjunkturell zur absoluten Unzeit.« (FAZ vom 28.22.2022)

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