25. Dezember 2019 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke

Hermann L. Gremliza (20.11.1940–20.12.2019) ist tot

Hermann L. Gremliza, seit 1974 Herausgeber der linken Monatszeitschrift »konkret«, ist am 20. Dezember 2019 im Alter von 79 Jahren nach langer Krankheit in Hamburg gestorben. Einige Nachrufe würdigen ihn als leidenschaftlichen Journalisten, strengen Stilisten, gnadenlosen Polemiker oder gar als die prägende Figur der linken Sprach- und Deutschlandkritik. Sicherlich war Hermann auch all dies, vor allem aber war er selbstbewusst und dezidiert ein politischer Akteur, der mit dem von ihm herausgegebenen Blatt in die Verhältnisse interveniert hat.

1940 in Köln geboren, wuchs er in Stuttgart auf, was unschwer zu überhören war. Er hatte in Tübingen Geschichte und Politik studierte, war in der Studentenbewegung aktiv und Chefredakteur der Tübinger Studentenzeitschrift »Notizen«. Die Entlarvung der Verstrickung in das NS-Regime und die Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit der Universität in der Stadt am Neckar war damals sein zentrales Anliegen.

SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein wurde auf ihn aufmerksam und holte Gremliza zwei Jahre später in ein Team, das in West-Berlin ein Wochenblatt mit dem Arbeitstitel »Heute« gegen die lokale Dominanz des Springer-Verlags aufbauen sollte. Als der Versuch scheiterte, beförderte Augstein den linken Journalisten zum stellvertretenden Ressortleiter »Deutsche Politik« beim SPIEGEL. Aber es war die bewegte Zeit der aufbegehrenden Studentenproteste und offensichtlich waren die 68er bei ihrem Marsch durch die Institutionen »früher als anderswo im SPIEGEL angekommen«, wie der damalige Chefredakteur Günter Gaus anmerkte.

Gremliza jedenfalls wollte, dass die Mitbestimmung auch für das Blatt gelten sollte und trat für ein Redaktionsstatut ein, das die Berufung von Chefredakteuren, Ressortleitern und Kolumnisten an das Einvernehmen mit einem zu wählenden Redaktionsrat binden und damit den Redakteuren ein Vetorecht bei allen wichtigen Personalentscheidungen einräumen sollte. Im September 1971 schließlich kündigte Augstein Gremlizas Vertrag, Ende 1971 verließ dieser den SPIEGEL. Augstein rief ihm hinterher: »Wir sind und bleiben eine liberale, eine im Zweifelsfall linke Redaktion« und warb in einer Rede vor der SPIEGEL-Belegschaft um Verständnis für die Entscheidung, »dass der SPIEGEL sich von Leuten trennt, die auf seinen Trümmern ein Fanal abschießen wollen«.

Gremliza wechselte als Redakteur zum von Klaus Rainer Röhl verlegten Monatsmagazin »konkret«. Als der Verlag 1973 in Konkurs ging, kaufte er den Titel aus der Konkursmasse, gründete den Neuen Konkret Verlag und brachte die Zeitschrift nach einjähriger Pause im Oktober 1974 wieder an die Kioske. Er gab dem Magazin, das in den 1960er Jahren zum führenden Blatt der linken Szene und der Studentenbewegung geworden war, unzweifelhaft ein neues Profil, machte aus »Konkret« ein politisches Magazin, schrieb selbst regelmäßig Leitartikel und Polemiken. Zu seinen großen Vorbildern gehörten der Wiener Journalist und Zeitkritiker Karl Kraus sowie der ebenfalls aus Wien stammende Publizist Alfred Polgar, dessen feine und ironische Art er besonders schätzte.

An Selbstbewusstsein hat es Hermann nicht gemangelt: Er sah »konkret« in der Tradition von Karl Kraus und verband sie mit unabhängigem gesellschaftskritischen Journalismus. Dass er dabei die Rahmenbedingungen für linke Publizistik gelegentlich überschätzte, wurde deutlich, als er 1981 Manfred Bissinger, ehemaliger Stern-Redakteur und Pressesprecher des Hamburger Senats, als Chefredakteur ins Blatt holte. In der Folge wurde die Auflage zwar zunächst deutlich erhöht, aber für die von Bissinger gewollte und auf den Weg gebrachte aufwändige und aggressive Illustrierte reichten dann die Mittel trotz stillschweigender Unterstützung von Geldgeber*innen wohl nicht. Bissinger verließ im Januar 1984 die konkret-Redaktion (»die Zusammenarbeit mit Gremliza sei von Anfang an ein einziges Missverständnis« gewesen) mit fast allen Redakteur*innen, Gremliza machte sein Blatt wieder allein.

Und auch mit anderen Aktionen machte er sich nicht nur Freunde: Er schuf und verlieh einen Karl-Kraus-Preis, der an die Bedingung geknüpft war, dass die Bedachten nie wieder ein Wort schreiben würden. Preisträger waren Fritz J. Raddatz und Günter Wallraff. Insbesondere bei dem letzteren Autor hat das ein Geschmäckle: 1987 behauptete Gremliza, dass er für Wallraff das Buch »Der Aufmacher« über dessen verdeckte Ermittlungen in der »Bild«-Zeitung geschrieben habe. Wallraff bestritt diese Angabe damals im Kern zwar nicht, bezeichnete Gremliza aber als Neider.

Das Magazin »konkret« sah Gremliza als Herausgeber weiterhin »als einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands«. Die beißende Kritik an Alt- und Neofaschisten waren seine zentralen Themen in der politischen Monatskolumne. Ein zweites Markenzeichen war jeden Monat die Rubrik »konkret express«, in der er das »Gemisch aus unbeholfenem Gestammel, Reklamejargon, Technokratendeutsch und Gesinnungslumperei« (so Thomas Blum in seinem Nachruf im neuen deutschland) des Medienbetriebes aufspießte – mit besonderer Vorliebe arbeitete er sich an ZEIT-Chefredakteur und -Herausgeber Theo Sommer sowie an Beiträgen aus der »Kinder-FAZ« ab, wie er die »taz« zu bezeichnen pflegte.

Zentrales Anliegen Gremlizas waren in den letzten Jahren vor allem »Attacken gegen Deutschtümelei, Israelkritik und völkisches Denken«. Er trug damit zur Existenz einer politischen Strömung »Nie wieder Deutschland« bei, die dann aber in der »Jungle World« eine eigene publizistische Grundlage fand.

Sehr kritisch und skeptisch blieb Hermann bis zum Schluss gegenüber allen Versuchen der Transformation der Sozialdemokratie (deren Mitglied er bis 1989 war) sowie gegenüber den Versuchen, eine linkssozialistische politische Alternative zu formieren. Das war übrigens nicht immer so. Im Jahre 1980 gab er im VSA: Verlag gemeinsam mit Heinrich Hannover den Band »Die Linke. Bilanz und Perspektiven für die 80er« mit Beiträgen u.a. von Wolfgang Abendroth, Elmar Altvater, Peter Brückner, Peter Glotz, Detlef Hensche und Gerhard Schröder (damals gerade als Juso-Vorsitzender ausgeschieden) heraus, in dessen Vorwort sich die beiden Herausgeber zwar mit »einer eigenen Meinung zurückhalten, aber diese Hoffnung, dass es zu einem ›historischen Kompromiss‹ der deutschen Linken kommen möge, werden wir aussprechen dürfen.«

Der VSA: Verlag und das Zeitschriftprojekt Sozialismus.de haben großen Respekt vor der journalistischen und literarischen Leistung von Hermann L. Gremliza sowie vor dem Durchhaltevermögen und dem politischen Selbstverständnis von »konkret«. Inhaltlich wie politisch stehen wir jedoch für deutlich andere Optionen. Um das nicht im Unklaren zu lassen, eine kleine Polemik ganz im Sinne des Verstorbenen in Sachen »Herrschende Klasse und Casino«.

»Krise« und »Chaos«: Folgt man Gremliza, ist weder das eine noch das andere aktuell. Weder das Licht noch die Heizung fällt aus, vielleicht gehen ein paar Banken oder Konzerne pleite, aber das ist – »konkret« gesprochen – kapitalistischer Alltag wie die Ausplünderung des Proletariats. Gremliza fragt, warum die Bourgeoisien ein Bereicherungssystem geschaffen haben, dessen Bankrott offenkundig wird. Seine Antwort: Sie wurden nie daran gehindert.

Wir sehen das anders: Der Kapitalismus basiert auf einem Widerspruch. Die Mitglieder der herrschenden Klasse agieren trotz Wettbewerb (Ausgleich zur allgemeinen Profitrate) als eine praktische Brüderschaft, weil sie sich im Verhältnis zur Größe ihres eingesetzten Kapitals die abgepresste Beute am gesellschaftlichen Surplus teilen. In der Akkumulation sind periodische Phasen der Stagnation und Krise eingeschlossen. Wie viel die Einzelnen oder ganze Fraktionen – etwa des Finanzkapitals – von diesem Verlust zu tragen haben, wird zur Frage von Machtverhältnissen; die Konkurrenz verwandelt sich in einen Kampf feindlicher Brüder. In der Geschichte ist nur ausnahmsweise ein belastbarer Konsens der Bourgeoisie nachweisbar.

Aus den ökonomischen Kämpfen entstehen hin und wieder politische Aktionen, die sich in mehr oder minder umfangreicheren Regulierungen niederschlagen. Soziale Grundlage dafür ist der Widerstand der Lohnabhängigen gegen die Verschlechterung von Lohn, Arbeitszeit und -bedingungen – kurz: die Kämpfe um den Wert der Ware Arbeitskraft (auch in der gesellschaftlich-kulturellen Dimension). Gremliza sieht das auch und verweist auf den New Deal der 1930er Jahre, schätzt dessen Resultate jedoch als »gering« ein.

Auch das halten wir für kurzsichtig. Damals sind in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise die Ansprüche des Geldkapitals als auch die industriellen Verwertungsraten zurückgedrängt und eingehegt worden. Erst Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung brachten die krasse Vermögens- und Einkommensverteilung zurück, die wir von vor 1929 kennen. Unter Roosevelt wurde 1935 der Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen bis auf 79% heraufgesetzt – hohe Unternehmens- und Einkommenssteuersätze prägten zu Beginn den Nachkriegskapitalismus. Im New Deal wurden die Rechte der lohnabhängigen Klassen erweitert und damit die Bedingungen für politische Interventionen – die über den gewerkschaftlichen Kleinkrieg hinausgehen – verbessert.

Und John Maynard Keynes sah eine Politik der »Sozialisierung der Investitionsfunktion« und der »Euthanasie des Rentiers« als einen Weg, internationalen Frieden praktisch wahr werden zu lassen. Daran könnte angeknüpft werden. Allerdings wird sich Regulierung heute nicht auf die Rezepte des New Deal beschränken können. Paul Krugman stellt zu Recht fest: »Wir haben es vorgezogen zu vergessen, was in den 30er Jahren passiert ist. Und weil wir uns geweigert haben, aus der Geschichte zu lernen, wiederholen wir sie jetzt.«

Also können und müssen wir das Casino jetzt schließen. Dass Hermann nicht mehr zurückpolemisieren kann, ist bedauerlich.

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