13. Januar 2018 Joachim Bischoff/Björn Radke: Die Sondierungsergebnisse

»Hervorragende Ergebnisse«?

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SPD-Chef Martin Schulz ist mit den Ergebnissen der Sondierung zufrieden und kämpft mit der deutlichen Mehrheit des Parteivorstandes für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen: »Wir haben hervorragende Ergebnisse erzielt.« Die Bundeskanzlerin betont den Kompromisscharakter.

Für Angela Merkel handelt es sich »um ein Papier des Gebens und des Nehmens, wie es sein muss, das dann für unsere Gesellschaft einen breiten Bogen aufspannt«. Die Ergebnisse seien nicht oberflächlich, sie drückten vielmehr aus, »dass wir ernsthaft daran arbeiten, heute und in dieser Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir auch in 10 und 15 Jahren gut in Deutschland leben können«.

Auch CSU-Parteichef Horst Seehofer äußert sich »hochzufrieden«, die Vereinbarung sei ein Signal an die BürgerInnen: »Wir haben verstanden.« Union und SPD hätten »die richtige Antwort« auf das Ergebnis der Bundestagswahl gegeben. Der CSU-Chef unterstreicht: Wie die Angst vor der Altersarmut gäbe es ja etliche Punkte, die zu der krachenden Niederlage der Parteien bei der zurückliegenden Bundestagswahl beigetragen hätten.

Im Sondierungspapier zur Vorbereitung von Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung wird an die aktuelle positive Tendenz angeknüpft: »Die Wirtschaft boomt, noch nie waren so viele Menschen in Arbeit und Beschäftigung. Das ist auch Ergebnis der Regierungszusammenarbeit von CDU, CSU und SPD. Das Wahlergebnis zeigt aber auch, dass viele Menschen unzufrieden waren… Wir wollen sichern, was gut ist ... Wir werden die Probleme anpacken, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen Wir werden für Stabilität und Zusammenhalt ebenso wie für Erneuerung und Sicherheit in unserem Land arbeiten.«

Der Maßstab zur Beurteilung der Ergebnisse ist damit vorgegeben: Inwieweit werden die Alltagsprobleme angepackt?


Investitionen in Europa

Neu gegenüber der Politik der zurückliegenden Periode ist die unzweideutige proeuropäische Ausrichtung. Mindestens deklamatorisch soll die Periode bloßer Mängelverwaltung der europäischen Zusammenarbeit beendet sein. Deutschland soll sich aktiv in die Debatte über die Zukunft der EU und eine Stärkung der europäischen Integration einbringen. Europa soll bürgernäher und transparenter gestaltet und dadurch neues Vertrauen gewonnen werden.

»Investitionen in Europa sind Investitionen in eine gute Zukunft unseres Landes. Wachstum und Wohlstand in Deutschland sind auf das Engste mit Wachstum und Wohlstand in Europa verknüpft.« Es geht um die Ausweitung von Investitionen, aber auch den Ausbau des sozialen Europas: »Wir wollen einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln. Wer konsequent gegen Lohndumping und soziale Ungleichheiten in wirtschaftlich schwächeren Ländern in Europa kämpft, sichert auch den Sozialstaat und die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland.«

Die unglücksträchtige Periode der europäischen Austeritätspolitik unter dem früheren Finanzminister Wolfgang Schäuble soll also zu Ende sein. Ob dies auch bei der Alternative »Jamaika« mit den Deregulierungsfanatikern der FDP unter ihrem Chef Lindner der Fall gewesen wäre, darf man bezweifeln.

CDU, CSU und SPD treten dafür ein, dass Deutschland mehr Geld in den EU-Haushalt zahlt. Dies wird allerdings schon durch den britischen EU-Austritt nötig. Bei den Sondierungen einigten sich die Parteien auch darauf, die Euro-Zone besser abzusichern. »Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Euro-Zone.«

Angedeutet ist also die Entwicklung in Richtung eines künftigen Investitions-Haushalts für die Euro-Zone. Man wolle die Euro-Zone auf jeden Fall »nachhaltig stärken und reformieren«. Es müsse darauf achten, ob der Aufbruch nach Europa praktisch vorankommt. »Unternehmen dürfen sich künftig nicht mehr ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen können, indem sie die Staaten der EU gegeneinander ausspielen. Steuerdumping muss unterbunden werden. – Wir unterstützen eine gemeinsame, konsolidierte Bemessungsgrundlage und Mindestsätze bei den Unternehmenssteuern. Es muss damit das Prinzip gelten, dass das Land des Gewinns auch das Land der Besteuerung ist. Wir wollen mit Frankreich zusammen hierfür eine Initiative ergreifen, auch um eine europäische Antwort auf internationale Veränderungen und Herausforderungen in diesem Bereich, nicht zuletzt in den USA, zu geben.«


Probleme im Land zwar erkannt, aber zu kurz gesprungen

Auch im nationalen Zusammenhang sind Reformen geplant. Das Sondierungsergebnis ist kein bloßer Notfallplan zur Zurückgewinnung von WählerInnen. Die Beschlüsse zu Rente, Gesundheit und Pflege greifen drückende Probleme auf, bedeuten aber unterm Strich eine Erhöhung der Sozialausgaben. Sie sollen bei unter 40% (2017: 38,85%) stabilisiert werden, dabei werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 0,3% gesenkt. Aufgrund der Leistungsausweitungen (keine Mehrausgaben bei der Rente, aber deutliche Leistungsausweitungen, die allein zu Lasten der BeitragszahlerInnen gehen) ist die grundlegende Sanierung des Alterssicherungssystems auf spätere Zeiten vertagt.

Positiv ist die gesetzliche Absicherung eines Rentenniveaus von 48% bis 2025 (kostet aber in dieser Legislaturperiode wegen der guten Konjunktur noch nicht viel, würde erst zur nächsten greifen; bisher war ein weiteres Absinken bis 2025 bisher auf 46 % geplant). Allerdings: Nach derzeitigen Prognosen der Rentenversicherung dürfte das Rentenniveau in den kommenden fünf Jahren ohnehin stabil bei ungefähr 48% bleiben.

Gleichermaßen wird ein kleiner Schritt zu Beseitigung der Tendenz zur Altersarmut eingeleitet: die Einführung einer »Grundrente« für Menschen mit 35 Jahren Beitragszeiten (Kindererziehungs- und Pflegezeiten werden angerechnet, aber keine Zeiten der Arbeitslosigkeit) mit Bedürftigkeitsprüfung analog der Grundsicherung. Die Leistungshöhe soll 10% über der Grundsicherung im Alter liegen und die private Vorsorge ist keine Voraussetzung mehr. Zusammen mit der in Kraft getretenen Freibetragsregelung für private und betriebliche Vorsorge wird es eine massive Ausweitung der Leistungsberechtigten geben, bei Ausschluss von Menschen mit fehlenden Beitragszeiten.

Auch die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein positiver Aspekt: Demnach sollen die Beiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Zurzeit werden 14,6% je zur Hälfte gezahlt, den Rest, der im Schnitt bei einem Prozentpunkt liegt, bezahlen die Arbeitnehmer alleine.

Angesichts der miserablen Situation im Pflegebereich sind auch die geplante Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Altenpflege und die Schritte zu einer Ausweitung der Pflegekräfte (+ 8.000) und zur Sicherung von Entgeltbedingungen ein Fortschritt. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen die möglichen Koalitionäre dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. Eine solche Stärkung der Handlungsmacht der Gewerkschaften hätte man sich freilich generell gewünscht.

Die angestrebte neue Regierung will zudem ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut schnüren: »Dazu wollen wir zur Entlastung einkommensschwacher Familien den Kinderzuschlag erhöhen. Gemeinsam mit dem Kindergeld soll der Mindestbedarf des sächlichen Existenzminimums (derzeit 399 €) gedeckt werden.« Auch hier gilt es festzuhalten, dass endlich ein Problem anerkannt und eine Beseitigung eingeleitet werden soll. Dies gilt auch für weitere Reformen im Bildungsbereich: Die Schulen sollen mit einer Investitionsoffensive gestärkt, ein Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung im Grundschulalter geschaffen und das Bafög erhöht werden.

Um die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt endlich zu verbessern, wollen die Parteien dem Papier zufolge ein neues Regelinstrument im SGB II »Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle« schaffen. Die Finanzierung des Programms müsse über den Eingliederungstitel gewährleistet werden, der hierfür um eine Mrd. Euro jährlich aufgestockt werden soll. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3% gesenkt werden.

Hier hätte man eindeutig mehr machen können und müssen: Die Kassenlage der Arbeitslosenversicherung ist gut, die Absenkung des Beitragssatzes ein kleines Bonbon. Denn für einen Schritt in Richtung eines sozialen Arbeitsmarktes sind eine Milliarde Euro pro Jahr mehr für den Eingliederungstitel ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin bemerkenswert ist die Ermöglichung des Passiv-Aktiv-Transfers und das neue Regelinstrument im SGB II für 150.000 Menschen.


Nichts
gegen wachsende soziale Spaltung

Beim Start zur großen Koalition 2013 waren die Einführung des Mindestlohns und die Altersrente mit 63 deutliche Signale für eine Stärkung der sozialen Seite der Ökonomie. In dem Sondierungspapier für die angestrebte neue Koalition von CDU, CSU und SPD fehlt eine entsprechende herausragende Botschaft.

Die Quote der Sozialausgaben wird leicht steigen und die Unternehmen und Reichen können sich über den Verzicht auf eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes wie auf Steuererhöhungen freuen. Der Solidaritätszuschlag soll bis zum Jahr 2021 um zehn Mrd. Euro gesenkt, dies wäre bei einer Jamaika-Koalition sicherlich großzügiger ausgefallen. Insgesamt verhindern die Festschreibung der Verteilungsverhältnisse und die Finanzierung notwendiger Verbesserungen durch die BeitragszahlerInnen eine spürbare Verringerung der sozialen Spaltung der bundesdeutschen Gesellschaft. Das Kernproblem, die Zurückdrängung der sozialen Ungleichheit, wird kaum bewegt.

Festzuhalten ist zudem, dass der Großteil der Reformen nicht nachhaltig wirkt. Es müsste neben der zügigen, deutlichen Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro, um der Altersarmut bei Niedrigverdienern gegenzusteuern, auch um eine Stabilisierung und schrittweise Anhebung des Rentenniveaus gehen, um für alle Einkommensgruppen die Lohnersatzfunktion der Renten sicherzustellen. Eine solche Reform würde verhindern, dass sich immer mehr Menschen um ihren Lebensstandard im Alter Sorgen machen müssen.

Hinzukommen müssten weitere Änderungen in der Arbeitsmarktpolitik, wie das Verbot der Mini-Jobs und die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen. Dies würde zu einer Stärkung der Position der Gewerkschaften führen, und damit die Chance vergrößern, auch in der Primärverteilung die Kräfteverhältnisse zugunsten der Lohnabhängigen zu verbessern.

Wenn die Löhne stärker steigen sollen, muss sich die Machtbalance in der Arbeitswelt verändern. Zunächst müsste das Tarifvertragssystem gestärkt werden. Tarifverträge müssen so lange nachwirken, bis ein neuer Vertrag an ihre Stelle tritt. Zudem sollten Tarifverträge leichter allgemein verbindlich erklärt werden können. Ferner muss reguläre Beschäftigung gefördert, prekäre Jobs diskriminiert und gleiche Arbeit gleich bezahlt werden. Von alldem findet sich in dem Sondierungspapier nichts. Ansätze für eine Umverteilung, welche die soziale Spaltung stoppen bzw. perspektivisch umkehren könnten, sind nicht zu erkennen.


Die negativen Botschaften werden die Debatte prägen

Neben der zeitlichen Vertagung der Einhaltung der Klimaziele sind dies vor allem die Verabredungen zur Flüchtlingspolitik. Sie sind repressiv und tragen die Handschrift der CSU. Es ist zynisch, angesichts der gegenwärtigen politischen Praxis, wenn es in dem Papier heißt: »Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge.« Die Verhandler*innen haben sich unzweideutig auf weitere Asylverschärfungen und Maßnahmen gegen die »irreguläre« Migration nach Deutschland und Europa geeinigt.

Man setze die »Anstrengungen fort«, die Migration »zu steuern und zu begrenzen« – damit sich »eine Situation wie 2015 nicht wiederholt«. »Bezogen auf die durchschnittlichen Zuwanderungszahlen, die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre sowie mit Blick auf die vereinbarten Maßnahmen und den unmittelbar steuerbaren Teil der Zuwanderung … stellen wir fest, dass die Zuwanderungszahlen … die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden.« Auch der umstrittene Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Status wird drastisch beschränkt. Er soll auf 1.000 Menschen pro Monat begrenzt werden.

Die Regeln für Asylsuchende werden repressiver. Man hat sich auf eine Art »Transitzentren light« geeinigt. Entsprechende Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen sollen zwar nicht mehr, wie von der Union gefordert, in Grenznähe errichtet werden, wohl aber »zentral« für verschiedene Regionen. Die in der Vergangenheit immer wieder umstrittene Entscheidung, ob ein Land als sicherer Herkunftsstaat gilt oder nicht, soll künftig mit einem Automatismus geregelt werden. Liegt die Anerkennungsquote bei weniger als 5%, wird ein Land den Plänen zufolge auf die Liste aufgenommen. Für Algerien, Marokko und Tunesien soll das bereits schnell gelten.

Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen bleiben die Politiker allgemein:

  • Entwicklungszusammenarbeit verbessern
  • Ausbau humanitären Engagements
  • Engagement für Friedenssicherung ausweiten (u.a. Stärkung internationaler Polizeimissionen).
  • faire Handels- und Landwirtschaftspolitik (faire Handelsabkommen)
  • verstärkter Klimaschutz
  • restriktive Rüstungsexportpolitik.


Wenig sozialer Aufbruch trotz stabilen Wachstums

Insgesamt gibt es wenig Anzeichen für einen gesellschaftlichen Aufbruch und die Anstrengung zur Etablierung eines neuen sozialeren Gesellschaftsvertrages. Angesichts der vorliegenden Wirtschaftsentwicklung sind die verabredeten Haushaltsausgeben geradezu knauserig. Die deutsche Wirtschaft hat ihr Wachstumstempo 2017 gesteigert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte um 2,2% zu, nach 1,9% 2016. Damit ist in Deutschland das stärkste Wachstum seit 2011 zu verzeichnen. Damals musste sich Europas größte Volkswirtschaft allerdings von der tiefen Rezession 2009 infolge der globalen Finanzkrise erholen.

Getragen wurde der kräftige Wirtschaftsaufschwung von der Kauflust der VerbraucherInnen, gestiegenen Investitionen vieler Unternehmen und der starken Weltwirtschaft, die die Nachfrage nach »Made in Germany« ankurbelt. Deutschlands Exporteure steuern 2017 auf das vierte Rekordjahr in Folge zu. In den ersten elf Monaten wurden Maschinen, Autos und andere Waren im Wert von 1,18 Bio. Euro ausgeführt (plus 6,5%).

Der deutsche Staat konnte nach Berechnungen der Statistiker 2017 zum vierten Mal in Folge mehr Geld einnehmen als ausgeben. Der Überschuss von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen machte unter dem Strich 1,2% des BIP aus, nach 0,8% im Vorjahr. Selbst die Haushaltsüberschüsse in zurückliegenden Jahr könnten beispielsweise zu Verstärkung der Investitionen genutzt werden.

Die geplanten Maßnahmen zum sozialen Wohnungsbau, zur Ausweitung der Öffentlichen Personennahverkehrs oder der Stärkung von ländlichen Räumen sind finanziell allerdings so kläglich, dass diese Reformen keine Spuren hinterlassen werden.

Der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, wirbt für eine neue Koalition und für eine Stärkung der Investitionen. Die Unternehmen brauchten endlich Planungssicherheit. Sie seien wachsenden weltweiten Risiken ausgesetzt, und die könnten die Konjunktur bremsen. Die größten Bedrohungen gingen von den drei wichtigen Handelspartnern China, USA und Großbritannien aus.

In China sei »irritierend«, dass die kommunistische Partei immer stärker auf Geschäfts- und Investitionsentscheidungen Einfluss nehme. Die Steuerreform von US-Präsident Donald Trump werde den Steuerwettbewerb weltweit enorm verschärfen. Zudem drohten weitere protektionistische Schritte, wie etwa ungerechtfertigte Antidumping-Maßnahmen. Beim Brexit schließlich müsse sich die deutsche Wirtschaft auf alle Eventualitäten einstellen, auch einen »harten« ungeordneten Ausstieg der Briten aus der EU.

Kempf geht davon aus, dass die Sondierungen von SPD und Unionsparteien in echten Koalitionsverhandlungen münden. Einer neuen Regierung müsse es aus seiner Sicht vor allem darum gehen, die Wachstumskräfte mit mehr Investitionen zu stärken. »Die Regierung muss das Geld dort ausgeben, wo sich die Wachstumspotenziale heben und Arbeitsplätze sichern und neue schaffen lassen.« Für Verteilungsdiskussionen sei nicht die Zeit. Der BDI fordert eine Steuerstrukturreform sowie eine Neuausrichtung der Klima- und Energiepolitik. »Wir benötigen eine echte Modernisierungsoffensive«, sagte Kempf. Zudem müsse Europa mit seiner Wirtschafts- und Währungsunion gestärkt werden.


Der
SPD fehlen überzeugende Gestaltungskonzepte

Die Erwartung, die SPD würde sich für ein umfassendes, nachhaltiges Reformprogramm einsetzen, werden nicht eingelöst. Dies nicht nur, weil der Widerstand der bürgerlichen Parteien so hartnäckig war. Die Ergebnisse sind auch deshalb bescheiden, weil die SPD keine überzeugende Konzeption zu einer sozialeren Gestaltung des Kapitalismus verfolgt hat.

Ein Verständnis der SPD, wie der europäischen Sozialdemokratie insgesamt, bestand immer auch darin, in Anerkennung der veränderten Strukturen des modernen Kapitalismus für eine nachhaltige Regulierung des Gesamtsystems zu kämpfen. Von der Analyse der Strukturen wie von diesem Anspruch sind die Sozialdemokraten in Europa (mit Ausnahme der Mehrheit der Labour-Party in Großbritannien) und hierzulande aktuell jedoch weit entfernt.

Ob es gelingen wird, mit der Umsetzung des vorliegenden Rohentwurfs eines Regierungsprogramms auch eine Erneuerung der Partei einzuleiten, muss mit großer Skepsis betrachtet werden. Wenn der größte Landesverband (NRW) mit Blick auf das bestehende Sondierungsergebnis schon seine Zustimmung für Koalitionsverhandlungen vermeldet, werden es die Kritiker*innen in der Partei nicht leicht haben, die Idee einer Erneuerung der Sozialdemokratie in die Praxis umzusetzen.

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