1. Juni 2020 Redaktion Sozialismus: Die Protestbewegung und der US-Präsident

»I can’t breathe«

Foto: Lorie Shaull (Flickr, CC-Licence)

»Ich kann nicht atmen« waren die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd am Montag, bevor er, niedergedrückt von einem weißen Polizisten, das Bewusstsein und sein Leben verlor. George Floyds letzte Worte sind zur Parole einer Protestbewegung geworden, wie sie Amerika seit Jahrzehnten nicht gesehen hat.

Aus dem verzweifelten Hilferuf, der Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wird nun auf Demonstrationen eine wütende Anklage. Die Wut und der Schmerz des schwarzen Amerikas sind nicht neu. Floyd ist der jüngste Fall in einer nicht abreißenden Folge von Afroamerikanern, denen ihre Hautfarbe zum Verhängnis wurde.

Der Tod von George Floyd hat in den USA eine Welle von friedlichen Protesten, aber auch von Gewalt ausgelöst. In vielen Städten kam es zu Ausschreitungen und Festnahmen. »Black Lives Matter« (»Das Leben Schwarzer zählt«): Frustriert fragen die Demonstranten, warum sie das immer wieder neu betonen müssen. Wo doch nicht erst die Coronavirus-Pandemie mit inzwischen schon mehr als 100.000 Toten und über 40 Millionen Arbeitslosen zeigt, wie ungerecht es in diesem Land oft zugeht, wie viel schwerer Minderheiten von solchen Krisen betroffen sind.

Und wer sich die Proteste genau anschaut, die auf immer mehr Städte übergreifen, sieht, dass da bei weitem nicht nur Schwarze protestieren. Unter den – überwiegend jungen – Demonstranten sind auch viele Weiße, die nicht nur aus Solidarität, sondern auch aus dem Gefühl eigener Frustration mitlaufen. Und manche von ihnen befördern das Chaos.

Die Wut richtet sich vor allem gegen US-Präsident Donald Trump. Dieser personifiziert für viele der Demonstranten all das, was schiefläuft, was verhasst ist. Er nimmt das zwar wahr – und setzt jetzt voll auf »Law and Order«, auf ein hartes Durchgreifen, was die Fronten weiter verhärten könnte.

Die USA sind im Jahr 2020 ein zutiefst gespaltenes Land, das zunehmend an seinem eigenen großen Traum zweifelt: Dass alles erreichbar ist, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Die Pandemie befeuert diese Zweifel, da sie gerade auch die Zukunftspläne vieler junger Menschen durchkreuzt.

Bereits ist von einen »failing state« angesichts des zeitweilig völlig überforderten Gesundheitswesen und der horrenden Arbeitslosenquote die Rede, ein Staat, der es nicht schafft, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und seine Bürger zu beschützen (siehe hierzu auch den Beitrag »Der US-amerikanische Albtraum« von Joachim Bischoff in Heft 6-2020 von Sozialismus.de). Scharfe Kritik an der Corona-Krisenpolitik der US-Regierung hat der frühere Präsident Barack Obama geübt: »Diese Pandemie hat vor allem unsere Überzeugung zunichtegemacht, dass die Leute, die in der Verantwortung stehen, wissen, was sie tun.« Die Krise legt nach Obamas Ansicht aber nicht nur die Ahnungslosigkeit von Regierenden offen.

Für den bekannten US-Autor Georg Packer ist der »failing state« bereits Realität: »Wir leben in einem gescheiterten Staat.« (ZeitOnline vom 5.5.2020) Als das Virus in die USA kam, »fand es ein Land mit schwerwiegenden Grunderkrankungen vor … chronische Krankheiten – eine korrupte politische Klasse, eine sklerotische Bürokratie, eine herzlose Wirtschaft, eine gespaltene und abgelenkte Öffentlichkeit – waren jahrelang unbehandelt geblieben. Wir hatten gelernt, unangenehm mit den Symptomen umzugehen. Es bedurfte des Ausmaßes und der Intimität einer Pandemie, um ihre Schwere aufzudecken – um die Amerikaner mit der Erkenntnis zu schockieren, dass wir in der Kategorie mit hohem Risiko sind.« Vom Präsidenten kamen nur vorsätzliche Blindheit, Sündenbocktheorien, Prahlerei und Lüge.

Zu den landesweiten Protestbewegungen trägt eben auch die Corona-Krise bei, hat sie doch die Kluft zwischen den sozioökonomischen Klassen praktisch über Nacht wieder weit aufgerissen und zusätzliche Gefühle von Ohnmacht und Ungerechtigkeit geweckt.

Die langjährige Konjunktur in den USA hatte die Kluft zwischen Schwarzen und Weißen etwas verringert, die Arbeitslosenquoten für Schwarze und Latinos waren auf historische Tiefststände gesunken, um nun im März und April wieder zu explodieren. Die Zahl der arbeitslosen Schwarzen ist innehalb von zwei Monaten von 1,2 auf 3,25 Millionen angewachsen.

 

Für den Bundesstaat Minnesota, in dem George Floyd jetzt ermordet wurde, mit 5,6 Millionen Einwohnern wurde letzte Woche der tausendsten Covid-19-Toten registriert. Von den bestätigten Ansteckungen gehen fast ein Drittel und von den Covid-19-bedingten Krankenhauseinlieferungen ein Viertel auf Schwarze zurück – obwohl Schwarze nicht einmal 7% der Gesamtbevölkerung des Bundesstaats ausmachen.

Der Rassismus hat also einen Hintergrund: rassistische Polizeigewalt gegen Schwarze, die Anfälligkeit der Schwarzen für Covid-19 und eine Wirtschaftskrise, welche die Minderheiten am stärksten trifft. Wirtschaftliche Benachteiligung führt zu einem ungleichen Zugang zum Gesundheitswesen, was Gesundheitsprobleme chronisch werden lässt und die Anfälligkeit für die Lungenkrankheit erhöht.

Auch Musiker, Sportler und Hollywoodstars forderten ein Ende von Rassismus und Polizeigewalt. »Das muss aufhören«, schrieb die Sängerin Madonna auf Instagram. Beyonce wandte sich in einer Videobotschaft an ihre Fans und forderte »Gerechtigkeit für George Floyd«. Lady Gaga schrieb in einem langen Post auf Twitter, sie sei von Floyds Tod »schockiert«. Wie viele andere Stars auch kritisierte sie Präsident Trump.

Selbst hierzulande bringen Profis der Fußballbundesliga – sonst in der Vergangenheit eher selten für solche Aktionen zu haben – bei den Geisterspielen ihren Protest zum Ausdruck, was zumindest in den Medien und in der Fernsehberichterstattung Aufmerksamkeit erregt: Weston McKennie von Schalke 04 zeigte Empörung und Anteilnahme auf einer Armbinde, Borussia Mönchengladbachs Marcus Thuram ging symbolisch in die Knie, die Dortmunder Borussen Jadon Sancho und Achraf Hakimi forderten auf T-Shirts »Justice for George Floyd«.

Wegen Ausschreitungen in vielen amerikanischen Städten hat der US-Präsident örtlichen Behörden mit dem Einsatz der »unbegrenzten Macht des Militärs« gedroht. Gouverneure und Bürgermeister müssten »viel härter« vorgehen, sonst werde die Regierung einschreiten, drohte er am Samstag über Twitter. Die Regierung sei bereit, das nötige zu tun, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen.

Dann werde es auch »viele Festnahmen« geben, drohte er über Twitter während eines Flugs nach Florida. Zuvor hatte er Minnesota wegen der gewaltsamen Proteste die Hilfe der Streitkräfte angeboten. Soldaten stünden bereit und könnten »sehr schnell« vor Ort sein, sagte Trump am Samstag im Garten des Weißen Hauses.

Der Präsident wirft den Demokraten erneut vor, nicht hart genug gegen Kriminalität vorzugehen. Für die Ausschreitungen macht der »Linksradikale und die Antifa« verantwortlich. Belege dafür hat er nicht präsentiert, aber die Antifa als Terrororganisation einstufen lassen.

Das Außergewöhnliche am 45. US-Präsidenten sind nicht die Kriegsrhetorik, die Unfähigkeit der Krisenbewältigung und die Skandale, durch die er stolpert, sondern dass sie ihm offenkundig nur wenig anhaben können. Wohl jedem anderen Amtsinhaber wäre die Unterstützung der Wähler*innen weggebrochen. Seit seiner Amtseinführung im Januar 2017 genießt Trump eine Zustimmungsrate von 36% bis 46%.

Von Einbußen wegen des Amtsenthebungsverfahrens zuvor oder wegen Corona keine Spur. Wie kein anderer Präsident der Republikaner hat Trump es geschafft, seine Partei zu beherrschen. Gegenstimmen oder Widerspruch werden konsequent und rabiat ausgeschaltet – auch dank der symbiotischen Beziehung Trumps mit dem Nachrichtensender Fox News und den rechtskonservativen Radiostationen. Neun von zehn republikanischen Wähler*innen stehen weiterhin hinter dem Commander in Chief. Das wird sich auch nach dem Mord an George Floyd vermutlich nicht so schnell ändern.

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