10. September 2020 Joachim Bischoff: Trump – eine angeschlagene Führungsfigur

»Ich bin ein Cheerleader für dieses Land … und will nicht, dass die Leute sich ängstigen«

US-Präsident Donald Trump hat zu Beginn des Jahres das Corona-Virus bewusst heruntergespielt, um eine Panik zu verhindern. Das berichten der Sender CNN und die »Washington Post« unter Berufung auf Interviews, die der Starjournalist Bob Woodward im Februar und März mit ihm führte.

Weniger als zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl veröffentlicht dieser ein Buch (»Rage« = »Zorn«) mit höchst brisanten Aussagen: Trump habe schon Ende des Winters im Gespräch mit ihm zugegeben, dass er weiß, wie gefährlich das Coronavirus ist – und dass er der Öffentlichkeit dieses Wissen bewusst vorenthielt.

Den vorab veröffentlichten Äußerungen zufolge waren dem Präsidenten also die Ansteckungsgefahren der Pandemie bewusst. Dieses werde über die Luft übertragen, wird er in einem Interview vom 7. Februar zitiert, »es ist auch tödlicher als sogar eine starke Grippe.« Am 19. März soll er gesagt haben: »Ich wollte es immer herunterspielen. Ich spiele es immer noch lieber herunter, weil ich keine Panik auslösen will.« Öffentlich verwies er in dieser Zeit dagegen auf niedrige Fallzahlen in den USA und behauptete mehrfach, das Virus werde von allein verschwinden.

Trumps Corona-Politik hat scharfe Kritik hervorgerufen. In den USA sind bislang mehr als 190.000 Menschen gestorben, die positiv auf das Corona-Virus getestet wurden. Trumps Herausforderer Joe Biden von den Demokraten wirft dem Präsidenten vor, zu schwach und zu langsam auf die Ausbreitung des Virus reagiert zu haben. Der hingegen verteidigt seinen Kurs: »Wir haben es in jeder Hinsicht gut gemacht«, ließ er auf einer Veranstaltung im Weißen Haus verlauten und fügte hinzu: »Ich bin ein Cheerleader für dieses Land. Ich liebe unser Land, und ich will nicht, dass die Leute sich ängstigen.«

Nur selten werden Enthüllungsbücher zu einer politischen Belastung oder zu einem drastischen Eingriff in die öffentliche Debatte. Bob Woodward, ein Profi des investigativen Journalismus, ist offenkundig gelungen, was viele andere Publikationen zum dubiosen Charakter des Präsidenten  Donald Trumps bislang nicht geschafft haben: Enthüllungen, die schockieren, den Präsidenten erneut in ein zwielichtiges Licht rücken und ihm beträchtlichen politischen Schaden zufügen könnten.

Im Zentrum von Woodwards Bericht steht ein politischer Leader, der seiner gesellschaftlichen Funktion nicht gewachsen ist, ein Präsident, dessen Verteidigungsminister ihn als gefährlich und untauglich für die Präsidentschaft einstuft. Zuletzt hatte sein Vorgänger Barack Obama dessen Zerstörungspotenzial für die demokratische Kultur in den UA hervorgehoben (siehe hierzu den Beitrag »Lasst nicht zu, dass sie euch die Demokratie wegnehmen« auf Sozialismus.deAktuell vom 22.8.2020).

Trumps einziges Ziel ist die Macht und seine Wiederwahl, ihr zu Liebe geht er buchstäblich über Leichen. Obschon ihm die vom Virus ausgehende Gefahr bereits Anfang Februar bekannt ist, spielt er sie herunter, um seine Wiederwahl nicht zu gefährden. Statt zu handeln, polemisiert er gegen Warnungen, obwohl die Zahl der Toten steigt und steigt. Anstatt die amerikanische Bevölkerung trotz unbestreitbarer Unsicherheit in der wissenschaftlichen Forschung aufzuklären und Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu ergreifen, belügt der Präsident die Bürger.

Warum hat Trump diese Serie von insgesamt 18 Interviews zwischen Dezember 2019 und Juli 2020 mit Woodward gegeben? Nicht einmal sein geschockter Wahlkampfstab hat darauf eine Antwort. Aber die Tonbandmitschnitte, auf denen Trump die Pandemie wider besseren Wissens herunterspielt, existieren. Als seine Pressesprecherin Kaylie McEnany von Reportern danach befragt wird, erwidert sie, Trump habe noch nie das amerikanische Volk angelogen, sondern lediglich eine Panik vermeiden wollen. Allerdings widerlegen die Tonbandmitschnitte von Woodward Trumps Standardlüge, er habe niemals gesagt, was hier und dort oder in diesem und jenem Buch behauptet wird.

Wird Woodwards aufklärerischer Report unschlüssigen amerikanischen Wähler die Augen öffnen und sie bewegen, dem Präsidenten im November keine weitere Amtszeit zu ermöglichen? Seine nach wie vor mächtige Anhängerschaft wird sich durch diese Enthüllung kaum in ihrer politischen Haltung erschüttern lassen. Dennoch könnten die Enthüllungen bei einigen anderen in den Vorstädten den Verdacht erhärten, an den Schalthebeln der amerikanischen Regierungsmaschinerie sitze ein inkompetenter Präsident, dem nicht das Wohl der Bürger*innen, sondern vor allem sein eigenes politisches Schicksal am Herzen liege.

Einige Journalisten diskutieren, ob Woodwards Vorgehen moralisch zu verantworten ist. Andere werfen ihm vor, er sei mit Trumps Aussagen erst jetzt an die Öffentlichkeit gegangen, damit sich sein Buch wenige Wochen vor der Wahl besser verkaufe. Der Journalist widerspricht diesen Vorwürfen und sagt, Trump erzähle Dinge, die einer Prüfung nicht standhielten. Deswegen habe er sich dieselbe Frage gestellt wie schon als Reporter der »Washington Post« zu Richard Nixons Watergate-Affäre: »Was wusste er und wann wusste er es?«

Trump habe die jetzt veröffentlichten Aussagen zwar bereits im Winter gemacht, er habe als Reporter aber prüfen müssen, ob das tatsächlich zutreffe. Dafür habe er bis Mai gebraucht. Als er zudem herausgefunden habe, dass sich Trump bei seinen Interview-Aussagen über das Virus auf verlässliche Informationen gestützt habe, sei die Pandemie schon in den gesamten USA verbreitet gewesen: »Wenn ich damals die Geschichte über das gebracht hätte, was er im Februar wusste, hätte uns das nichts gesagt, was wir nicht schon wussten.« Die Angelegenheit sei bereits keine Sache der öffentlichen Gesundheit mehr gewesen, sondern eine politische Frage. Deshalb habe er sich darauf konzentriert, sein Buch vor dem Wahltermin herauszubringen.

Im Februar habe er Trump erstmals auf das Virus angesprochen und dieser hätte erklärt, »das ist tödliches Zeug … Sie atmen einfach die Luft ein und das ist es, wie es sich überträgt. Das ist raffiniert, das ist heikel. Es ist auch tödlicher als selbst unsere heftigen Grippen.« Im März hätte er dann ihm gegenüber Woodward eingeräumt, dass er die Gefahr vorsätzlich kleingeredet habe.

Joe Biden wirft Trump ein »beinahe kriminelles« Verhalten in der Corona-Krise vor. Er sagte dem Sender CNN in einem in Auszügen veröffentlichten Interview, das sei »abscheulich«. Während der Präsident um die wahre Gefahr durch das Virus gewusst habe, habe er selbst keine Maske aufgesetzt. Biden weiter : »Es ging darum sicherzustellen, dass der Aktienmarkt nicht heruntergeht, dass seine reichen Freunde kein Geld verlieren.« Trump habe vor dem Virus kapituliert, »er hat überhaupt nichts getan … das ist der Grund, warum wir kein Vertrauen in seine Führung haben«.

Trump verteidigte sein Verhalten im Sender Fox News erneut, führte dabei an, er habe frühzeitig einen Einreisestopp für Reisende aus China und der EU erlassen, der etliche Menschenleben gerettet hätte, und lobte das Krisenmanagement seiner Regierung: »Wir haben unglaubliche Arbeit geleistet.«

So bedeutend das Enthüllungsbuch des bekannten Starreporters Woodward auch sein mag, die Entscheidung über eine zweite Amtsperiode hängt einerseits von dem weiteren Fortgang der Krise der US-Ökonomie, damit der Arbeitslosigkeit und den deutlich schrumpfenden Einkommen der privaten Haushalte ab. Anderseits dürfte wesentlich sein, ob es Trump wie schon 2016 gelingt, über die sozialen Medien die »Lügenpresse« und andere Medien mit ihren »Fake-News« auszukontern, was auch eine Frage seines Wahlkampfetats ist.

Trump hat seinen bisherigen Wahlkampfchef und »Digital-Guru«, Brad Parscale, vier Monate vor dem Wahltermin ersetzt. An dessen Stelle rückt Bill Stepien, zuvor Vizechef der Wahlkampagne und langjähriger Trump-Vertrauter. Diese Entscheidung hängt auch damit zusammen, dass Umfragen den aktuellen US-Präsidenten erstmals 15 Prozentpunkte hinter Biden sehen – der größte Rückstand im gesamten Jahr.

Vor allem in den am härtesten umkämpften »Swing States« liegt Trump teilweise mit zweistelligen Werten hinter dem demokratischen Herausforderer. Gleichwohl bleibt der Präsident siegesgewiss und stellt auf Twitter die Bedeutung der »Secret Votes« heraus –mögliche Stimmen von Menschen, die sich nicht in Umfragen äußern und ihn am Wahltag dennoch wählen würden.

Ein anderer Hintergrund der Entlassung von Parscale besteht darin, dass gerade zu Beginn der heißen Wahlkampfphase die Finanzierung von Trumps Kampagne »schwächelt«. Von den 1,1 Milliarden Dollar, die Trump und die republikanische Partei im ersten Halbjahr eingesammelt hatten, sind bereits 800 Millionen ausgegeben worden – vor allem für Fernsehwerbung, gut bezahltes Personal für den Kampagnenapparat und den Nominierungsparteitag.

Jetzt muss in Konkurrenz zur Wahlkampfkasse der Demokraten und von Joe Biden mit geringeren Mitteln gewirtschaftet werden. Nachdem über die finanziellen Probleme seiner Kampagne berichtet wurde, erklärte Trump, für seine Wiederwahl würde er notfalls auch Geld aus seinem Privatvermögen einsetzen: »Ich würde das tun, wenn ich müsste, aber wir sind in einer sehr guten Lage.« Sein Team habe aktuell »viel mehr Geld« zur Verfügung als vor vier Jahren.

Und er selbst habe wegen der Corona-Pandemie schon früher als geplant Geld für Werbung ausgeben müssen, »um Falschinformation zu begegnen«. »Was auch immer nötig ist, wir müssen gewinnen … Das ist die wichtigste Wahl in der Geschichte unseres Landes«, sagte er und flog zu Wahlkampfauftritten in die Bundesstaaten Florida und North Carolina.

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