20. Januar 2020 Redaktion Sozialismus: Die Pläne der Kommission zur Klimaneutralität

Illusionärer Neustart der EU?

In der Klimapolitik gibt es unbestreitbar einen enormen Handlungsdruck. Nationale Regierungen – nicht nur in Europa –, aber auch die EU und die EZB sind herausgefordert, endlich zu einer Politik der systematischen Durchsetzung der Klimaneutralität überzugehen. Dabei spielt die Wirtschaft der Euro-Zone – also letztlich auch die Aufrechterhaltung des erreichten Wohlstands – eine zentrale Rolle.

Die Herausforderung einer umfassenden Ökologisierung der Wirtschaft fällt zusammen mit einer schwächelnden Konjunktur der Globalökonomie und massiven Handelskonflikten. Von den beiden europäischen Spitzenpolitikerinnen Christine Lagarde und Ursula von der Leyen wird mit Blick auf diese Anforderungen ein Neustart in Europa erwartet. Für den Aufschwung in der Ökonomie sollen alle Mitgliedsländer mitgenommen und zugleich in kürzerer Zeit die Klimaneutralität durchgesetzt werden. Mit einer Herkulesstrategie würde so den rechtspopulistischen Kräften der Nährboden entzogen und die Demokratie gestärkt.

Christine Lagarde, die seit dem 1. November 2019 die Europäische Zentralbank, eine der wichtigsten Institutionen Europas, leitet, hat für 2020 eine deutliche Veränderung der Notenbankpolitik zugesagt: »Wir werden jedes Thema besprechen und dabei jeden Stein umdrehen.« Und sie ergänzt: »In Zeiten, in denen der Multilateralismus in der Krise steckt, wird die Zusammenarbeit in einer Union sogar noch wichtiger… Der Beginn dieses neuen Jahrzehnts könnte für Europa der richtige Zeitpunkt sein, ein neues Gesicht zu zeigen.«

Die ebenfalls neu ins Amt gekommene EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor dem Europaparlament für eine »Green Deal«-Initiative zum Klimaschutz geworben. Sie soll das wichtigste Projekt ihrer Amtszeit werden. Beide PolitikerInnen haben sich verpflichtet, diesen Wandel einzuleiten. Zugleich gibt es große Skepsis, ob dieser Neustart von EU und EZB gelingen kann. Denn die EU-Kommission und die EZB müssen sich aus den Sackgassen herausmanövrieren, in die sie in den vergangenen Jahren geraten sind.

In einem offenen Brief fordern Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen aus diversen Ländern die europäischen Institutionen auf, die soziale und ökologische Krise endlich richtig anzugehen. Die bisherigen Ankündigungen seien viel zu zaghaft und zu langsam. »Klimaneutralität bis 2050 ist ein Todesurteil für Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Angesichts ihres hohen technologischen Fortschritts und ihrer historischen Rolle im Ausstoß von CO2-Emissionen kann und muss die Europäische Union eine Führungsrolle übernehmen.

Der Green Deal ist zu eng bemessen: 110 Milliarden Euro jährlicher Investitionen sind nur ein Bruchteil der Mittel, die erforderlich sind, um die europäische Industrie, Infrastruktur und Landwirtschaft aus ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen herauszuführen. Angesichts ihrer enormen wirtschaftlichen Ressourcen und institutionellen Kapazitäten kann und muss die Europäische Investitionsbank viel mehr tun.

Und der Green Deal ist zu sehr an ein Wirtschaftsmodell gebunden, das die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen ›Champions‹ über die Sicherheit ihrer Bürger stellt. Angesichts des Ausmaßes der sozialen Krise in Europa und des Leidens seiner Bevölkerung, kann und muss sich die Europäische Kommission dem Dogma des endlosen BIP-Wachstums widersetzen und die Probleme der auf dem gesamten Kontinent zunehmenden Armut und Unsicherheit unmittelbar angehen.«

Der Hintergrund der Intervention: Europa soll bis zum Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Deutschland und die anderen europäischen Mitgliedstaaten aufgefordert, die Finanzmittel für ihre Pläne zum Klimaschutz bereitzustellen. Die Vorhaben ihrer »Green Deal«-Initiative seien »zum großen Vorteil all unserer Mitgliedstaaten«. Denn die Kosten des Nichthandelns seien »so viel höher und die Folgen so viel schwerer, dass man diese kluge Investition in unsere Zukunft leisten sollte«.

»Die ganze Welt wird sich an der Green-Deal-Philosophie orientieren« prognostiziert von der Leyen und schließt daran die Hoffnung, dass das billionenschwere Programm der EU-Kommission Bürgerinitiativen, Politik und die transformationswillige Wirtschaft in einer großen, gemeinsamen Anstrengung vereinen könne. Die Kommission will die »Netto-Null« bis 2050 in Gesetzesform gießen. Bisher scheiterte das Vorhaben am Veto einiger weniger Mitgliedsstaaten. Das Emissionsreduktionsziel bis 2030 soll zudem von 40% auf 50-55% angehoben werden. Außerdem plant die Kommission eine deutliche Emissionsreduktion im Verkehrsbereich und Neuerungen im Agrarsektor.

Dieser Tage hat die EU-Kommissionspräsidentin Konturen für die mögliche Umsetzung präsentiert, Kritiker sprachen eher von einem »Zahlenvodoo«. Schauen wir uns die Konzeption des Green Deal genauer an und versuchen uns durch die Angaben zu arbeiten. Die von Ursula von der Leyern präsentierte »Konkretion« ist in der Tat vielfach nicht belastbar, basiert zum Teil auf bloßer Umfirmierung vorhandener Finanzressourcen und unterstellt die Ko-Finanzierung von Mitgliedsstaaten, die erst noch in Verhandlungen von diesen Projekten überzeugt werden müssen. Eine Billion Euro, Jahr für Jahr 100 Milliarden Euro, soll die Europäische Union bis 2030 zusätzlich investieren, um auf dem Weg zum klimaneutralen Europa 2050 voranzukommen.

Insgesamt sind allerding – so hat die Kommission schon früher geschätzt – mindestens 2.600 Mrd. € nötig, um die Ziele bis 2030 zu erreichen. Um die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 40% zu senken, den Anteil erneuerbarer Energien auf 32% zu erhöhen und die Energie-Effizienz (etwa von Häusern) auf 32,5% zu steigern, wären also jährlich nicht nur 100 Millionen Euro erforderlich, sondern jedes Jahr 260 Milliarden Euro an Investitionen. Dieser Widerspruch hüllt den europäischen Green Deal schon in ein wenig überzeugendes Licht.


Ein »Mechanismus für den gerechten Übergang«?

Basis des geplanten Vorhabens ist das von der EU-Kommission beschlossene Klimapaket und der »Just-Transition-Fonds« (JTF) für einen sozial gerechten Strukturwandel. Dafür nannte von der Leyen als Ziel, »100 Milliarden Euro an Investitionen für die am stärksten gefährdeten Sektoren und Regionen zu mobilisieren«. Ein eigener »Mechanismus für einen gerechten Übergang« soll Regionen helfen, aus der Kohle auszusteigen. Die Kommission zählt dabei 108 europäische Gebiete mit 237.000 Beschäftigten, die Mittel beantragen könnten. Gefördert würden etwa die Umschulung von Arbeitnehmern, Investitionen in die Ansiedlung neuer Firmen oder die Dekontaminierung bisheriger Kohle-Produktionsstätten.

Über die zehn Jahre bis 2030 sollen dabei 143 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Der Umfang der EU-Hilfe innerhalb des Übergangsfonds hängt aber vom Reichtum der jeweiligen Mitgliedstaaten ab: Je ärmer sie sind, desto weniger müssen die nationalen Regierungen selbst über die Ko-Finanzierung beisteuern. Bei Regionen in Deutschland wie der Lausitz oder dem rheinischen Braunkohlerevier wären die nationalen Anteile deshalb grundsätzlich höher als bei solchen Gebieten etwa in Rumänien.

Der JTF soll vor allem den ärmeren Regionen und Ländern zugutekommen, Kohleregionen beispielsweise in Deutschland würden zwar auch bedacht, aber mit geringeren Mitteln. Eine arme griechische oder polnische Region, die stark auf Kohle bei der Stromerzeugung angewiesen ist, würde tendenziell mehr Geld erhalten als eine vergleichbare Region in Deutschland. Polen soll insgesamt aus dem Fonds am meisten Geld für den Übergang zur Klimaneutralität erhalten. Der Fonds soll rund 100 Mrd. Euro mobilisieren und bis 2027 bereitstehen.

Es soll drei Tranchen geben, die größte davon beläuft sich auf 45 Mrd. Euro und kommt aus dem Invest-EU-Programm. Sie soll erreicht werden, indem 1,8 Mrd. Euro, die bereits im EU-Budgetvorschlag für 2021 bis 2027 der Kommission enthalten sind, gehebelt werden. Die EU gibt hier also in erster Linie Garantien, dass sie einen Teil der Verluste der anderen Investoren übernehmen wird, sollten die Projekte scheitern.

Die zweite Tranche soll mindestens 30 Mrd. Euro betragen. Diese sollen die EU-Mitgliedstaaten zusätzlich zum Kommissionsvorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen von 2021 bis 2027 einzahlen. Diese Mittel erhalten sie, wenn sie pro 1 Euro des frischen Geldes 1,5 bis 3 Euro aus den ihnen zustehenden Kohäsionsgeldern ergänzen und diese Summe Regeln noch weiter mit nationalen Beiträgen aufstocken. Es werden somit rund 11 Mrd. Euro aus den auf insgesamt 374 Mrd. Euro veranschlagten Töpfen für ärmere Regionen und Länder abgezwackt, der Rest kommt von den Mitgliedstaaten.

Die dritte Tranche, mindestens 25 Mrd. Euro, soll erreicht werden, indem öffentliche Gelder gehebelt werden. Grundlage dafür sind 1,5 Mrd. Euro aus dem EU-Budget sowie weitere 10 Mrd. Euro an Darlehen der Europäischen Investitionsbank, die diese auf eigenes Risiko ausgibt. Bereits beim Juncker-Plan spielte diese eine Schlüsselrolle.

Im Zentrum des europäischen Green Deal steht also der EU-Haushalt, aus dem Budget sollen 503 Mrd. Euro entnommen werden. Die Kommission will mindestens einen Viertel der Ausgaben der nächsten beiden Budget-Perioden, die jeweils sieben Jahre umfassen, »grünen« Projekten zukommen lassen, z.B. 40% für Bauern, die künftig »grüne« Aspekte berücksichtigen. Gehen die Mittel nicht an völlig neue nachhaltige Projekte, so darf vermutet werden, dass bereits bestehenden Förderungen eine neue »grüne« Etikette aufgeklebt wird.

Die EU-Kommission hat im Mai 2018 ein Gesamtbudget für 2021 bis 2027 von insgesamt 1.279 Mrd. Eure vorgeschlagen. Das Bruttoinlandprodukt der 28 Mitgliedstaaten zu laufenden Preisen betrug 2017 rund 15.300 Mrd. Euro. Damit ist aber bei genauerem Hinsehen klar, dass die vorgesehenen 1.000 Mrd. Euro für das Klima wohl vor allem eine Zielvorgabe darstellt und dahinter weit weniger Finanzmittel stecken, als man vermuten könnte.

Den zweitgrößten Betrag soll Invest-EU beisteuern. Die Mitgliedstaaten sollen sich durch Ko-Finanzierung mit rund 115 Milliarden Euro beteiligen. Die Europäische Investitionsbank soll »Europas Klimabank« werden und ihre Kredite in diesem Bereich verdoppeln. Dieses Programm ist der Nachfolger des sogenannten Juncker-Fonds, mit dem die Kommission die Investitionen in Europa nach der Finanz- und Staatsverschuldungskrise wieder angekurbelt hat. Dieser wurde Ende 2017 verlängert und soll bis Ende des Jahres 500 Mrd. Euro zusätzliche Investitionen in der EU auslösen. Danach sollen nach gleicher Methode bis 2027 gar weitere 650 Mrd. Euro gesammelt und investiert werden, rund 280 Mrd. Euro in »grüne« Projekte. Die Grundidee ist die gleiche wie beim Juncker-Fonds: Die EU stellt wenig direkte Finanzmittel bereit, übernimmt allerdings zahlreiche Garantien. So sollen private Investoren gewonnen werden, die die Finanzierung aber nicht das Risikos tragen.

Das geht – vereinfacht dargestellt – so: Die Europäische Investitionsbank ermöglicht es, mehr risikoreichere Kredite etwa an kleinere Firmen zu vergeben und stattet die Finanzierung mit einer Garantie aus dem EU-Haushalt aus. Kann z.B. ein mittelständisches Unternehmen sein Darlehen nicht mehr an die Bank zurückzahlen kann, springt die EU ein und übernimmt zumindest einen Teil des Ausfalls. Dadurch sind Privatbanken williger, solche Kredite zu günstigen Konditionen zu gewähren.

Ursprünglich sollten mit dem Juncker-Plan 315 Mrd. Euro zusätzliche Investitionen angestoßen werden, das erreichte man 2018. Dann wurde der Plan verlängert bis Ende 2020 und das Ziel auf 500 Mrd. Euro hochgeschraubt. Mit dem Haushalt 2021 bis 2027 wird nun noch mehr geplant: Die Kommission will allein Garantien über 38 Mrd. Euro bereitstellen, Partner sollen weitere 9,5 Mrd. Euro beisteuern, mit diesen 47,5 Mrd. Euro will man insgesamt 650 Mrd. Euro an Investitionen auslösen. Die EU-Kommission stellt im Budget gut 15 Mrd. Euro für Verluste bei Inanspruchnahme der Garantie zurück, der Rest ist nicht gedeckt (d.h. es wird davon ausgegangen, dass über die Laufzeit 40% der Garantien genutzt werden).

Was bedeutet das nun für die Finanzierung des Green Deal in Höhe von 1.000 Mrd. Euro? Bei einem Volumen von rund 350 Mrd. Euro setzen die Politiker ebenfalls stark auf Garantien. Im Klartext: Wird das Geld schlecht investiert, müssen künftige Generationen für den Klimarettungsplan geradestehen und man belastet diejenigen, die durch den Green Deal entlastet werden sollen.

Die EU-Kommission setzt grundsätzlich eine Einigung über den kommenden Finanzrahmen voraus, was bis heute allerdings eine kühne Hypothese ist. Denn bereits das nächste Sieben-Jahres-Budget hängt von schwierigen Verhandlungen ab. Noch ist nicht geklärt, wie die Lücke geschlossen werden kann, die durch das Ausscheiden von Großbritannien entsteht. Nettozahlerländer wie Deutschland und Österreich verlangen, dass das Budget wie bisher bei 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung bleibt. Die Kommission fordert wegen ihrer Klimapläne mindestens 1,11 Prozent. Für den grünen Finanzexperten Sven Giegold steht von der Leyens Green-Deal-Finanzierungsplan deshalb vorerst »auf wackligen Beinen«.

Als nächstes stolpern wir über eine wichtige Einschränkung: Nur knapp die Hälfte der für den Klimaschutz angestrebten einen Billion Euro soll aus dem EU-Haushalt stammen. Die Summe von insgesamt 485 Milliarden Euro entspricht dabei dem schon von der alten Juncker-Kommission vorgeschlagenen Ziel, 25% des Haushalts auf den Schutz des Klimas auszurichten, bisher sind es 20%. Hinzu zählt die Kommission 115 Milliarden Euro, die die Mitgliedstaaten zusätzlich zur Realisierung in Investitionsprojekten beisteuern müssen. Nochmals 114 Mrd. Euro sollen von den Mitgliedstaaten als Ko-Finanzierung konkreter Projekte beigesteuert werden und 25 Mrd. Euro aus dem Emissionshandelssystem.

Ausdrücklich ausgeschlossen hat die EU-Kommission Hilfen für den Bau oder die Stilllegung von Atomkraftwerken. Wegen der notwendigen Zustimmung der Mitgliedstaaten ist diese Frage aber offen. Denn diese haben sich noch nicht abschließend auf eine Definition für nachhaltige Geldanlagen geeinigt. Auf Druck osteuropäischer Länder und Frankreichs nannte der EU-Gipfel im Dezember 2019 Atomkraft als mögliche Energiequelle auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Auch das Vergabeverfahren lässt Zweifel darüber aufkommen, dass die intendierten Ziele rasch und in vollem Umfang erreicht werden. Um die Mittel zu erhalten, müssen Mitgliedstaaten zunächst die Gebiete definieren, die vom Klimawandel negativ betroffen sind und danach Investitionspläne einreichen. Diese werden aufgrund verschiedener Kriterien in Brüssel bewertet, anschließend geht der Daumen nach oben oder unten. Dabei werden extrem komplexe Faktoren mit gewichtet – wie der Treibhausgas-Ausstoß, die Anzahl Angestellter in CO2-intensiven Industrien, Angestellte in der Kohleförderung, Abbau von Torf, von Erdölschiefer sowie verschiedene Korrekturfaktoren für den Reichtum der Mitgliedstaaten sowie Minimalniveaus von Hilfezahlungen. Herauskommen wird mit Sicherheit eine neue Blüte der Bürokratie.


Klimapaket und Wachstumsmodell

Europa soll nicht nur klimaneutral werden, sondern letztlich ein neues »Wachstumsmodell« entwickeln, das dem Kontinent eine globale politische und wirtschaftliche Führungsrolle verschaffen soll. Ursula von der Leyen nennt dies »wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit« und diese soll aus folgenden Dimensionen bestehen: ökologische Nachhaltigkeit, Produktivitätszuwächse, Fairness und makroökonomische Stabilität. Die Behörden in den Mitgliedstaaten sollen wirtschafts-, sozial- und fiskalpolitische Maßnahmen auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele ausrichten.

Für die EU-Kommission gehört der Green Deal zur Wachstumsstrategie. Insofern ist die Verschiebung der Schwerpunkte grundsätzlich konsequent. Mehr grün ergebe mehr Wachstum, lautet die Strategie, also werden die Mitgliedstaaten gedrängt, grüner zu werden. Diesen Visionen zum Trotz sind die Prognosen der Kommission für die nächsten Jahre wenig optimistisch. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Euro-Länder soll 2019 nur noch um 1,1% wachsen. Für die zwei folgenden Jahre wird ein Plus von je 1,2% in Aussicht gestellt. Man erwartet keine starke Beschleunigung des Wachstums mehr. Im Herbst 2018 hoffte die EU-Kommission für 2020 noch auf eine Expansion in der Euro-Zone von 1,7%. Für die EU rechnet man für 2019, 2020 und 2021 mit einem Wachstum von je 1,4%.

Viele Beobachter fragen zu Recht, wie ein Green Deal vor diesem Hintergrund funktionieren soll. Einerseits fordert die neue Kommission von den Mitgliedstaaten Anstrengungen, um ihre Wirtschaften grüner zu machen. Andererseits will man die fiskalpolitische Stabilität doch nicht ganz aufgeben, deshalb müsse man auch bei Einnahmen und Ausgaben große Anstrengungen unternehmen. Nur dürften Kürzungen politisch schwer um- und durchzusetzen sein. So zeichnen sich neue Zielkonflikte ab: Was passiert zum Beispiel, wenn Italien mit Verweis auf »Nachhaltigkeit« sein Defizit ausweiten und seinen ohne bereits großen Schuldenberg weiter erhöhen will? Würde die Kommission das akzeptieren?

Die konjunkturellen Aussichten trüben sich ein. Handelspolitische Spannungen belasten die Industrie, geopolitische Unsicherheiten hemmen Investitionsentscheide von Unternehmen. Die Krisenjahre seien zwar vorbei, glaubt die Kommission, doch der europäischen Wirtschaft könnte eine Phase gedämpften Wachstums und geringer Inflation bevorstehen.

Es darf bezweifelt werden, dass die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen strengeren Kurs fahren wird. Sie hat stets betont, dass die vom Stabilitätspakt zugelassene Flexibilität voll ausgenutzt werden soll. Das lässt wenig Gutes erwarten, denn auf den Finanzmärkten wird ein zahlungsunfähiger Schuldner kaum auf Nachsicht hoffen dürfen, nur weil er sein Geld für »grüne« Zwecke ausgegeben hat.

Außerdem ist nicht absehbar, ob die neuen Nachhaltigkeitsziele außer dem Anwachsen der Bürokratie viel bewirken werden. In der Vergangenheit stellten sich die Mitgliedstaaten bei wirtschaftspolitischen Empfehlungen häufig taub, und Brüssel konnte wenig dagegen ausrichten. Auch wenn richtig ist, dass die Kosten von Nichthandeln immens sein werden: Die bisher vorgestellten Überlegungen und ihre absehbaren Effekte zum europäischen Green Deal sind nicht überzeugend.

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