3. Januar 2021 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke: EU-Abkommen mit der VR China

Investitionen im Wettbewerb der Systeme

Die Verhandlungen zu einem umfassenden Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und China, bereits 2013 eröffnet, sind zum Jahresende 2020 überraschend abgeschlossen worden. Mit diesem Comprehensive Agreement on Investment (CAI) werden die bilateralen Investitionsförder- und -schutzabkommen (BITs) zwischen der Volksrepublik und den EU-Mitgliedsstaaten abgelöst.

Zugleich werden die bestehenden internationalen Verpflichtungen, die im Rahmen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) existieren, fortgeschrieben. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lobte die Einigung in höchsten Tönen: »Das Investitionsabkommen … ist ein handelspolitischer Meilenstein.« Denn für europäische, also auch bundesdeutsche Unternehmen bedeutet das Ergebnis mehr Marktzugang und größere Rechtssicherheit sowie ein besseres Wettbewerbsumfeld in China.

Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sehen einen Meilenstein in den Beziehungen zu China und »wertebasierte Handelsagenda«.

Das Volumen des Wirtschaftsverkehrs zwischen beiden Partnern war schon bislang beachtlich: Im Jahr 2019 war die EU Chinas größter Handelspartner, während die Volksrepublik für die 27 europäischen Länder zusammen hinter den USA die Nummer zwei war. Zudem haben EU-Geldgeber in China in den vergangenen 20 Jahren Direktinvestitionen in Höhe von 140 Mrd. € getätigt, in die andere Richtung waren es 120 Mrd. €.

Die Vertragspartner wollen nun diese bisherige Realität vertraglich so ausgestalten, dass eine weitere Expansion ohne weitere Konflikte möglich wird. Das von den EU-Spitzen herausgestellte »wertebasiert« heißt: Bei der Ausgestaltung des Wirtschaftsverkehrs soll der Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Das heißt, China sichert die wirksame Umsetzung des Pariser Abkommens zum Klimaschutz zu und verpflichtet sich, kontinuierliche und nachhaltige Anstrengungen zur Ratifizierung der Standards 29 und 105 der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu unternehmen.

Dieses Arrangement geht Reinhard Bütikofer, ehemaliger Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und seit 2009 grüner Abgeordneter im Europäischen Parlament, gegen den Strich. »Die Erklärungen, mit denen die EU-Kommission ihr Verhandlungsergebnis zum Investitionsabkommen CAI mit China lobt, bieten keinerlei plausible Begründung dafür, dass dieses Abkommen jetzt mit maximaler Jahresendhektik durchgedrückt werden soll… Ernst zu nehmende Bedenken zum Vorgehen und zur Substanz wurden nicht berücksichtigt.« Beim Thema Zwangsarbeit in China habe sich die EU-Kommission mit einem oberflächlichen Lippenbekenntnis zufriedengegeben.

Zudem sei bei dieser Verabredung einer transatlantischen Kooperation mit China missachtet worden, dass keine Konsultationen und Absprachen mit der anderen Weltmacht USA erfolgt sei. Beide Punkte dieser larmoyanten Kritik vom rechten Flügel der grünen Partei machen deutlich, wie stark der Blick auf die Entwicklungen in der Volksrepublik von westlichen Weltbildern geprägt ist (siehe hierzu das Buch von Wolfgang Müller Die Rätsel Chinas – Wiederaufstieg einer Weltmacht [im Erscheinen]).

Bemerkenswert ist, dass das Abkommen zwischen der EU und China zügig nach dem definitiven Ausscheiden von Großbritannien aus der Europäischen Union und vor der Amtsübernahme einer neuen US-Administration unter Dach und Fach gebracht wurde. Was bringen die vereinbarten »wertebasierte Investitionsbeziehungen« konkret?

Im Zentrum stehen zunächst Gegenseitigkeit & fairer Wettbewerb. Europäische Unternehmerverbände haben seit langem darüber geklagt, dass ihre Mitgliedsunternehmen in China etlichen Beschränkungen unterlegen, während dies für chinesische Konzerne in Europa nicht gelte. Dies soll mit dem CAI verändert werden, indem europäische Unternehmen größeren Marktzugang im Land mit 1,4 Mrd. Einwohnern erhalten. Investitionsbeschränkungen sollen aufgehoben werden, insbesondere, dass an EU-Tochterunternehmen in China stets eine chinesische Firma beteiligt sein muss oder die Aktienmehrheit zu halten hat.

Ähnlich wie beim gerade ausgehandelten Handelsvertrag mit Großbritannien soll zukünftig Gleichwertigkeit der Investitionsbedingungen eingehalten werden. Das gilt auch mit Blick auf staatliche Beihilfen und Fördermittel. Dazu werden Bestimmungen zu Subventionen für den Dienstleistungssektor ergänzt. Solche sind im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), deren Mitglied die Volksrepublik China seit 2001 ist, im Gegensatz zum Industriebereich derzeit noch nicht vorgesehen. Ferner wird der erzwungene Transfer von Technologie europäischer zu chinesischen Firmen unterbunden.

Schließlich werden in dem Vertrag Verpflichtungen im Bereich der Nachhaltigkeit vorgeschrieben. China sichert die wirksame Umsetzung des Pariser Abkommens zum Klimaschutz zu. Und mit Blick auf die in China noch immer praktizierte Zwangsarbeit verpflichtet sich die Volksrepublik, sämtlich relevanten Standards internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu übernehmen bereits ratifizierte Bestimmungen wirksam umzusetzen.

Diese Regelungen Verhältnis im Wirtschaftsverkehr zwischen der VR China und der EU garantieren nicht eine konfliktfreie Zukunft. Die Gewährleistung des freien und gleichwertigen Marktzugangs für Unternehmen sowie die Einhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen – so lehrt die Praxis – sind trotz bekundeter Willensverhältnisse mitunter strittig. Daher ist ein Streitschlichtungsmechanismus unverzichtbar. Im Konfliktfall muss die Durchsetzung mit Sanktionen erzwungen werden.

Im Bereich der Nachhaltigkeit ist ein Prozess zur Berichtigung von Abweichungen vorgesehen. Dieser umfasst unter anderem ein unabhängiges Sachverständigengremium und ist laut EU vergleichbar mit den Durchsetzungsmechanismen in Freihandelsabkommen, obwohl das CAI kein solches ist.

Die Einigung der Wirtschaftsverkehrs zwischen Peking und Brüssel ist ohne Frage ein ermutigendes Zeichen, das Unternehmen in den EU-Mitgliedsländern Möglichkeiten weiterer Expansion eröffnet. Zugleich stärkt das Abkommen die Chancen chinesischer Unternehmen auf dem europäischen Binnenmarkt. Es ist ein klarer Fortschritt, dass man sich auf gemeinsame Spielregeln (ähnlich wie beim in letzter Sekunde unterzeichneten Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Großbritannien; siehe hierzu den Beitrag Harter Brexit abgewendet auf Sozialismus.deAktuell vom 24.12.2020) verständigt hat – zumal es im Falle der Volksrepublik China um ganz andere Dimensionen geht. China öffnet seinen riesigen Wachstumsmarkt weiter für das europäische Kapital und hat sich im Gegenzug auf Zugeständnisse zu internationalen multilateralen Regeln und Verpflichtungen eingelassen.

Das zwischen China und der EU erzielte Agreement wird die Auseinandersetzung und Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungstendenzen und Machtstrukturen nicht einschränken. Die sozialistische Warenproduktion chinesischer Provenienz und die kapitalistisch strukturierten europäischen Gesellschaften stehen ohne Zweifel in einem Systemwettbewerb, wie der Ausbruch und die Bekämpfung der aktuellen Pandemie nachdrücklich klar gemacht haben.

Es wäre naiv, davon auszugehen, dass sich die VR China an die kapitalistischen Formen der politischen Machtverhältnisse anpassen wird und die führende kommunistische Partei lässt auch wenig Bereitschaft erkennen, sich an westliche Verfahren und Prozeduren anzunähern, was die Entwicklung in Hongkong deutlich macht. Die Kommunistische Partei beharrt auf ihrem eigenen Verständnis von Herrschaft, Kontrolle (auch der Medien) und Respektierung von individuellen Menschenrechten.

Handel, wechselseitige Investitionen und umfassende Kooperation bleiben wirksame und friedliche Mittel zu einer geordneten Koexistenz, und Investitionsabkommen sind kein Vehikel, um ein Regime-Change zu versuchen oder einem anderen Land die vermeintlich besseren »Werte« aufzuzwingen. In der augenblicklichen Weltordnung, die von erheblichen gesellschaftlich-kulturellen Widersprüchen der bisherigen Weltmacht USA und einer selbstbewussten wieder aufgestiegenen Weltmacht China geprägt sind, bleibt friedliche Koexistenz eine zentrale politische Form von Systemwettbewerb.

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