16. März 2022 Bernhard Sander: Vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Jupiter stellt sich zur Wiederwahl

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Die Chancen für Emanuel Macron, als Staatspräsident wiedergewählt zu werden, sind mit der Russlandkrise gestiegen. Zwischen den Telefonaten mit Wladimir Putin fand Macron jetzt Zeit, seine Kandidatur auch offiziell zu erklären.

Natürlich beeinflusst der Krieg in der Ukraine die finale Phase des Wahlkampfes, freilich viel weniger, als man angesichts der Dimension des Ereignisses annehmen sollte, wenn man von eindrucksvollen Demonstrationen in mehreren Städten einmal absieht. Eric Zemmour und Marine Le Pen kritisierten Macron, ein Telegrammbote Amerikas zu sein, dessen Wort kein Gewicht habe. Alle drei Kandidat*innen propagierten zudem, Frankreich solle die NATO verlassen.

Doch inzwischen sind die französischen Putinversteher kleinlaut geworden. Marine Le Pen verlangt eine diplomatische Initiative Frankreichs. Zemmour sagte, Frankreich müsse Emissäre (etwa den früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy) nach Moskau und Kiew schicken, die sich für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen. Jean-Luc Mélenchon gestand zwar seine Fehleinschätzung ein, beharrt aber auf seiner Position, dass der Westen die Schuld an der Eskalation trage.

Macrons wirtschaftspolitische Bilanz kann sich sehen lassen. Die apokalyptischen Plagen (Terrorismus, Pandemie, Krieg) sind durchaus menschengemacht. Mit einer Repressionswelle, einem rigidem Hygiene- und Impfregime, und als Vermittler hat Macron sich als der Souverän, der über den Ausnahmezustand verfügt, profiliert. Dafür hat er sowohl im nationalen Budget als auch im EU-Recovery-Programm mit dem Austeritätsdiktat der »goldenen Regel« des Haushaltsausgleichs gebrochen.

Die Staatsverschuldung liegt auf dem Rekordniveau von 116% des BIP, aber die Arbeitslosigkeit sinkt und das Wirtschaftswachstum steigt moderat. Tatsächlich bewegt sich das Land heute bereits wieder auf Vorkrisenniveau. Die befürchtete Welle an Firmenpleiten blieb aus, ist allenfalls regional ein Problem. Macron schreibt das mit gewissem Recht seiner Politik zu – besonders der Einführung des Kurzarbeitergeldes, dem Konjunkturprogramm in der Pandemie und den Kaufkraftprämien gegen die Preissteigerungen insbesondere bei den Treibstoffkosten.

Nach allen aktuellen Umfragen wird Macron die Stichwahl gewinnen – gleich wer die Gegenkandidatur bestreitet. Viel aufregender ist allerdings die Frage, ob sich auf dem rechtsextremen bis rechtsbürgerlichen Teil des Spektrums eine stabilere Allianz zusammenschiebt. Das könnte bereits Auswirkungen auf die im Juni nachfolgende Parlamentswahl haben.

Die Kandidatur des offen rechtsradikalen Zemmour (letzter Umfragewert 11%), ist nur so lange nicht mehrheitsfähig, wie er mit der Nationalistin Marine Le Pen (etwa 19,5%) vom Rassemblement National (RN) konkurriert statt kooperiert, somit die Stimmen der nationalen Rechten spaltet. »Opfer« dieses Zweikampfes ist die rechtsbürgerliche Kandidatin Valérie Pécresse, die sich rhetorisch soweit auf das Gebiet ihrer rechten Mitbewerber begeben hat, dass sie kaum noch zu unterscheiden ist und die alte Garde um den vorbestraften Nicolas Sarkozy offen ihre Unterstützung verweigern.

Eric Woerth, Emmanuelle Mignon und Christian Estrosi haben erklärt, für Macron statt Pécresse stimmen zu wollen, die sich mit ihren Aussagen zu Flüchtlingen, zum Islam und zum Kopftuch Zemmours Wahlkampfslogan vom »großen Bevölkerungsaustausch« zu sehr angenähert habe. Die Konservativen steuern damit als letzte große politische Formation dem Zerfall entgegen, der 2017 ein politisches Erdbeben auslöste. Eine geschlossene Front von Nationalisten, Rechtsradikalen und Konservativen wäre bei den Wahlen 2022 mit großer Wahrscheinlichkeit der sichere Wahlsieger über die politische Mitte und eine heillos zerstrittene Linke.

Emmanuel Macron wäre mit Blindheit geschlagen, wenn er unter diesen Umständen einen Wahlsieg als Triumph feiern und ignorieren würde, dass namhafte rechtsbürgerliche Politiker mittlerweile zu Apologeten eines rechtsradikalen Gesinnungstäters wie Zemmour wurden.

Macrons Mitbewerber auf der Rechten wie auf der Linken leiden unter dem russischen Überfall auf die Ukraine. Marine Le Pen hatte als Vorsitzende des Front National von einer russischen Bank eine Kreditlinie von 40 Mio. Euro gezogen, von der real im Wahlkampf 2017 um die neun Mio. Euro geflossen sein sollen. Ihr Konkurrent Zemmour, aber auch der links-nationalistische Mélenchon hatten bis zum Beginn der Kriegshandlungen für den Friedenswillen Putins geworben.

Für Mélenchons Bewegung La France Insoumise (LFI) sortiert sich die Weltpolitik immer noch in den Paradigmen der US-gesteuerten NATO als imperialistischem Weltbeherrscher. Doch inzwischen sind die französischen Putinversteher kleinlaut geworden. Die französischen Kommunisten, deren Kandidat Fabien Roussel einen erstaunlichen Aufstieg in den Umfragen erlebte (3,5%), haben den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilt. »Die kollektive Verantwortung tragen diejenigen, die – angefangen bei der NATO – das Feuer der Konfrontation angefacht haben und sich weigerten, den Wunsch der Ukraine auf Beitritt zur NATO beiseitezulassen.« (Erklärung vom 24.2.2022)

Roussel und die Kommunisten haben ihren Wahlkampf mit einer Rückbesinnung auf die vermeintliche Nationalkultur belebt, über deren Verlust seit Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« wahlweise gerätselt, gegreint oder gejubelt wird. Mit seinem Spruch, zu einer guten französischen Mahlzeit gehörten »Fleisch, Käse und Wein«, hat Roussel nicht nur die Linke durcheinandergewirbelt. Polemik gegen Systemgastronomie (vorwiegend US-amerikanisch) und »mal-bouffe« gehörten bisher zum Repertoire von Marine Le Pen. Der Kommunist ist in der Umfragegunst inzwischen an der Sozialistin Anne Hidalgo (1,5%) vorbeigezogen. Der 52 Jahre alte Präsidentschaftskandidat aus dem Norden wettert, dass er genug von der Linken habe, »die uns ein schlechtes Gewissen einredet, weil wir Auto fahren, Fleisch essen und uns beleidigt, weil wir für die Atomenergie sind«.

Sein Wahlprogramm findet große Zustimmung, transzendiert aber das übliche Umverteilungs-Paradigma nicht, so dass auch kaum mehr als die traditionelle Linke mobilisiert werden kann.

»Bitte sagen Sie uns bei jeder Maßnahme, ob Sie völlig oder eher zustimmen, völlig oder eher ablehnen, wenn sie nach der Präsidentschaftswahl umgesetzt wird.«[1]


 

Bei den unter 35-Jährigen, den Arbeitslosen und den Bewohner*innen der mittleren Städte (bis 100 Tsd. Einwohner) finden sich die meisten Ablehner einer Rentenerhöhung und eines staatlichen Pflegedienstes. Ein höheres SMIC lehnen dagegen besonders die Besserverdienenden ab. Die Abwrackprämie finden insbesondere junge Leute unter 25 Jahren und Kleingewerbetreibende nicht attraktiv. Bei den Frauen, den Jungwähler*innen und den Ungebildeteren stößt die Forderung nach neuen AKW noch auf die meiste Skepsis, bleibt aber auch dort mehrheitlich akzeptiert. Ansonsten sind in den sozialstatistischen Kategorien wenige Unterschiede zu erkennen.

Zu Beginn des Wahlkampfes gab es in den Metropolen auch wieder große Demonstrationen für eine andere Umweltpolitik. Oxfam, die Stiftung Natur und Mensch und Greenpeace France organisierten eine von den klassischen Polit-Medien ignorierte »Debatte des Jahrhunderts«, an der nicht nur die Kandidat*innen der Linken, sondern auch Valérie Pécresse und Marine Le Pen teilnahmen, die sich geweigert hatte, nochmal mit Macron oder seinem Ministerpräsidenten zu debattieren. Mélenchon sagte kurz vor Beginn ab.

Die ökologische Transformation müsse gerecht sein, meinte Fabien Roussel, Pécresse setzt dabei auf Anreize, die Sozialdemokratin Hidalgo auf eine Klimasteuer auf Vermögen. Der Grüne Yannick Jadot fordert »Taten statt Worte« und zeigte auch Verständnis, wenn angesichts des Energie-Schocks, den der Ukrainekrieg ausgelöst habe, der Atomausstieg um einige Zeit ausgesetzt werde. Der Ausbau der Erneuerbaren gehe dem schrittweisen Ausstieg aus der Atomkraft voraus; das könne gut 20-25 Jahre benötigen. Mit Hidalgo sei man sich einig, dass es einen Straftatbestand des Verbrechens gegen die Umwelt geben müsse (ähnlich den Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Ob es aber gelungen ist, die Klima-Fragen im Wahlkampf als entscheidendes Thema zu setzen, ist durchaus unsicher.

In den Umfragen[2] sinkt der Stern Mélenchons, obwohl seine Zustimmungswerte als Kandidat gestiegen sind. In einer Reihe von Stichproben seit dem letzten Wahlkampf 2017 wirkt er für eine immer größere Zahl bedrohlich (von 38% auf 52%) und für immer weniger »nahe bei den Sorgen der Menschen« (von 76% auf 45%). Nur noch bei den Arbeitslosen, Leuten mit einem pro Kopf-Einkommen unterhalb des SMIC und den Jungwähler*innen findet diese Einschätzung eine knappe Mehrheit.

Zwischenstand der Wahlabsichten Anfang März 2022

 

Für den Grünen Jadot findet sich ein noch erbärmlicheres Bild: Noch nicht einmal ein Drittel sieht ihn nahe bei den Sorgen der Menschen, er habe keine Vision und keine Fähigkeit, das Land zu reformieren. Auch Jadot ist ein Kandidat, der sich bei einer Vorwahl innerhalb der engeren Anhängerschaft unter anderen Funktionären durchgesetzt hat. Ihm fehlt wie den meisten Kandidaten etwas Charismatisches, aber auch ein richtungsweisendes Programm.

Die Wahlbeteiligung wird wahrscheinlich sinken – noch unter das bisher schlechteste Ergebnis –, und wieder wird die Enthaltung bei den Arbeitern, den ärmsten Haushalten, aber auch bei den Jungwähler*innen unter 35 Jahre am höchsten sein (etwa ein Drittel haben sich von diesem demokratischen Verfahren abgewandt).

Anmerkungen

[1] Test de l’offre programmatique de Fabien Roussel (ifop.com)
[2] Les traits d’image de Jean-Luc Mélenchon et Yannick Jadot. - IFOP

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