2. Juni 2025 Holger Politt: Nawrockis Sieg wirft das Regierungslager deutlich zurück
Kaczyński feiert sich
Das Ergebnis steht fest, Karol Nawrocki wird Polens neuer Staatspräsident. Für den 42-jährigen Kandidaten der nationalkonservativen Opposition wurden 50,9% der abgegebenen Stimmen gezählt, für Rafał Trzaskowski, den Kandidaten des liberal geführten Regierungslagers, stehen 49,1% zu Buche.
Ein äußerst knapper Ausgang, wieder einmal manifestiert sich die traditionelle politische Spaltung im Land. Im Prinzip gleichstarke Hälften, doch die Wahlen in Polen kennen kein Unentschieden, keine Punkteteilung, eine der beiden verfeindeten Seiten muss gewinnen. Jetzt haben die Nationalkonservativen wieder die Nase vorne, sie wittern Morgenluft, sind zudem davon überzeugt, die Wahlniederlage bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023 bald wettmachen zu können.
Im Unterschied zu früheren Jahren reichte der enge Schulterschluss zwischen den Nationalkonservativen und der katholischen Kirche nicht mehr aus, um sich gegen die andere Hälfte durchzusetzen, es brauchte auch das deutliche Bekenntnis zu rechtsnationalistischen Positionen, denn die hatten zusammengerechnet im ersten Wahlgang über 20% der abgegebenen Stimmen geholt. Für diesen politischen Bund war Nawrocki der richtige Mann, Jarosław Kaczyński hatte ohne Zweifel frühzeitig den richtigen Riecher.
Während aus dem Regierungslager in den zurückliegenden Wochen immer auf die Umfrageergebnisse der Nationalkonservativen geschaut wurde, denn die blieben erwartungsgemäß hinter den eigenen Werten zurück, wurde unterschätzt, dass die ganz rechts stärker werdenden nationalistischen Positionen nicht nur salonfähig wurden, sondern sich prononciert – und anders als in früheren Jahren – um eine Koalitionsmöglichkeit mit den Nationalkonservativen bemühten.
Nawrockis Wahlsieg kann als Vorbote gesehen werden für künftige regierungsfähige Mehrheiten zwischen den Nationalkonservativen und den Nationalisten am rechten Rand. Zwei wichtige Unterschiede seien hier genannt, die bis jetzt ein Zusammengehen verhindert haben: Zum einen sind Polens Nationalisten feindlich gegen die EU eingestellt, halten diese für eine Konstruktion, mit der die deutsche Einflussnahme auf Polen bemäntelt werde, mit der die polnischen Interessen verraten würden.
Die Nationalkonservativen halten zur EU und zur EU-Mitgliedschaft des Landes, auch wenn sie – hier Viktor Orbán beispringend – einen Rück- oder Umbau der politischen Union fordern. Und Polens Nationalisten sind gegen die Unterstützung der Ukraine, auch hier haben die Nationalkonservativen bislang eine doch entschieden andere Position.
Für die Regierungsseite ist Trzaskowskis Wahlniederlage ein herber Rückschlag. Statt nun mit einem eigenen Präsidenten die vor den Parlamentswahlen vom Herbst 2023 versprochenen Änderungen schrittweise umzusetzen, gerät das Regierungslager in die strategische Defensive. Der Präsident wird das Präsidentenveto einsetzen, sobald Gesetzesvorhaben der Regierung, die im Parlament mit Regierungsmehrheit verabschiedet werden, nicht den Zuspruch der Nationalkonservativen finden.
Von der dann nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament, mit der die Präsidentenentscheidung aufgehoben werden könnte, ist das Regierungslager weit entfernt. Und in der Öffentlichkeit darf Kaczyński jetzt verkünden, dass das Regierungslager seine Mehrheit längst verloren habe. Turnusgemäß folgen die nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2027, doch das breite und inhaltlich zerstrittene Regierungsbündnis könnte – so jedenfalls das Kalkül bei den Nationalkonservativen – vorher auseinanderfallen.
Ein Rückschlag ist das Wahlergebnis auch für die alternativ-emanzipatorischen Kräfte in der Gesellschaft. Vom großen Frauenprotest im Herbst 2020 ist nur noch die Erinnerung geblieben, der enorme Rückhalt für die gegen das Kaczyński-Lager gerichteten politischen Angebote ist verflogen. Bei den Wählerinnen und Wählern unter 39 Jahren hat Nawrocki gewonnen!
Dass bei vielen jungen Menschen, die vor fünf Jahren die Massenproteste gegen das faktische Verbot von Abtreibung in Polen im ganzen Land mitgetragen haben, der Geduldsfaden gerissen ist, hat etwas zu tun mit der Praxis der Regierungspolitik seit dem Herbst 2023. Statt in die Offensive zu gehen und jedesmalig das Präsidentenveto zu riskieren und zu provozieren, wurde abgewartet – man rechnete fest mit einem eigenen Präsidenten ab Sommer 2025!
Holger Politt arbeitet als Publizist in Warschau, bis Sommer 2024 war er Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, leitete mehrere Jahre das Büro der Stiftung in Warschau. Von ihm erscheint Ende Juni im VSA: Verlag der Band »Westwind in östlichem Gelände. Kritische Einwürfe zur osteuropäischen Friedensfrage«.