23. Januar 2019 Stephanie Odenwald: Die Berliner Schulbauoffensive

(K)ein Beispiel für Privatisierung?

Die Berliner Schulbauoffensive (BSO) als größtes Investitionsvorhaben der rot-rot-grünen Landesregierung ist mit einer konfliktreichen Auseinandersetzung belastet. Der Vorwurf der Volksinitiative »Unsere Schule«, die BSO sei mit Privatisierung verbunden, wurde in der öffentlichen Anhörung im Oktober 2018 , die durch die Unterschriftensammlung der Volksinitiative durchgesetzt wurde, seitens der rot-rot-grün Regierungskoalition zurückgewiesen.

Der Widerstand ging weiter, indem die Volksinitiative beim Landesverfassungsgerichtshof am 28.11. per Antrag auf eine einstweilige Anordnung den Parlamentsbeschluss für den Rahmenvertrag zum Schulbau durch die Wohnungsgesellschaft HOWOGE zu verhindern suchte. Das Gericht gab der Volksinitiative nicht Recht und das Parlament verabschiedete noch 2018 den umstrittenen Vertrag.

Kontrovers ist die Einbindung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, um das umfangreiche und überfällige Projekt der Schulrenovierung und Neubaus von Schulen zu finanzieren und so die ab 2020 bundesweit geltende Schuldenbremse für öffentliche Investitionen zu umgehen. Letzteres wird übrigens von den Fans der Schuldenbremse CDU und FDP heftig angeprangert. Die Berliner Schulbauoffensive war nur gegen diese neoliberal orientierten Parteien durchsetzbar.

Zur BSO folgende Angaben: Für die BSO sind 5,5 Mrd. Euro vorgesehen, angelegt ist das Programm von 2017 bis 2026, betrifft also auch die nächste fünfjährige Regierungszeit. Die nächstes Jahr bevorstehende Kreditsperre für öffentliche Investitionen gilt nicht für öffentliche Unternehmen wie die HOWOGE, die bei diesem Projekt Kosten im Umfang von einer Mrd. Euro übernimmt. Dafür erhält die HOWOGE vom Land Erbbaurechte, die im Grundbuch eingetragen sind.

Dazu heißt es auf der HOWOGE-Website: »Damit behält das Land Berlin das Grundstück und die HOWOGE im Gegenzug das Recht, darauf zu bauen bzw. die bestehenden Gebäude zu sanieren. Die neu gebauten oder sanierten Schulen vermietet die HOWOGE an die Bezirke in einer Selbstkostenmiete. Das Erbbaurecht endet automatisch nach einer Festlaufzeit und die Schulen fallen zurück an die Bezirke.«

Ein überlegtes Verfahren der Berliner Regierung, so die Befürworter, damit werde die blockierende Schuldenbremse umschifft. Die Gegner jedoch lehnen ab, dass die HOWOGE für den Zeitraum von ca. 30 Jahren die Schulgebäude an das Land Berlin vermietet und so das investierte Kapital zurückerhält. Sie sehen darin eine Privatisierung, denn auch wenn die HOWOGE ein landeseigenes Unternehmen sei, habe sie die juristische Form einer GmbH, sei damit der direkten parlamentarischen Beschlussfassung entzogen, agiere auf dem Markt, sei gewinnorientiert, und ohnehin kein Experte beim Bau von Schulen.

In einem Gutachten wird davor gewarnt, dass bei einer möglichen Insolvenz der HEGEWO die Grundstücke an Banken verkauft werden könnten. Dies hielt der gerichtlichen Überprüfung nicht stand, weil das Land Berlin Eigentümer der Grundstücke bleibt. Weiterhin wird seitens der Volksinitiative argumentiert, dass die Finanzierung der gesamten Investition ohne die HOWOGE kein Problem sei, weil das Land Berlin einen Zuwachs an Steuereinnahmen habe.

Nicht berücksichtigt wird mit dieser Argumentation, dass nicht nur auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung Investitionsstau besteht, sondern dass in Berlin wie anderswo in vielen sozialen Bereichen, z.B. Pflege/Gesundheit, öffentlicher Nahverkehr, öffentliche Verwaltung Notstände eskalieren und Investitionen in großem Umfang erfordern. Wenn die Politik solche Notstände nicht entschlossen angeht, erhält sie erfahrungsgemäß die Quittung. Der Anstieg der Stimmen für die AfD ist als Warnung zu verstehen, die Unzufriedenheit der Bevölkerung ernst zu nehmen.

Marode Schulen sind ein Grund, aber längst nicht der einzige. In vielen kommunalen Bereichen sind ausreichende Investitionen überfällig, ein Ergebnis neoliberaler Sparpolitik in den letzten Jahrzehnten. Wegen der steigenden Bevölkerungszahl werden 60 neue Schulen gebraucht und die alten Schulen sind oft in einem desolaten baulichen Zustand. Höchste Zeit, dass im Interesse der Kinder und Jugendlichen, sowie der Lehrkräfte, die hier arbeiten und der Eltern, die für ihre Kinder gute Schulen haben wollen auf diesen Notstand reagiert wird. Schließlich können gerade Gegner der Privatisierung nicht wollen, dass Eltern ihre Kinder verstärkt in private Schulen unterbringen, weil diese attraktiver sind.

Dieser Trend zur Privatisierung und damit zu vertiefter sozialer Spaltung ist eindeutig auch in Berlin festzustellen. Über 10% der Kinder und Jugendlichen besuchen 2018 private Schulen, mit steigender Tendenz. Dazu Zahlen aus der Berliner Bildungsstatistik vom Schuljahr 2017/2018: 185.118 Schüler*innen besuchen öffentliche Schulen und 19.361 private. Etwa 20% aller Schulen werden als private geführt, nämlich 142, während die Zahl der öffentlichen Berliner Schulen 578 beträgt. Eltern mit ausreichendem Einkommen können sich dieses Privileg leisten, andere nicht.

Hier muss gegengesteuert werden, indem unverzüglich in das Bildungssystem investiert wird und sowohl Kindertagesstätten wie Schulen attraktiv gestaltet werden. Ansonsten wird Privatisierung in Form privater Schulen zunehmen. Damit müssen sich die Gegner der BSO auseinandersetzen.

Verständlich ist die Befürchtung der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Institutionen, denn die hat ihre Vorgeschichte nicht nur im allgemeinen neoliberalen Trend, staatliche Verantwortung zu reduzieren. Im kollektiven Gedächtnis ist unvergessen, dass in Berlin in der Regierungszeit der ehemals rot-roten Regierung der Kardinalfehler begangen wurde, öffentliches Wohnungseigentum zu verkaufen, um die immense Verschuldung des Landes, die die Vorgängerregierung hinterlassen hatte, abzubauen.

Folge war, dass der Anteil der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften bei den Mietwohnungen von 19,9% im Jahr 2002 auf 14,4% im Jahr 2012 gesunken ist, ein Rückgang, der bisher nicht aufgeholt wurde, was auch der äußerst fragwürdige zeitliche Befristung der Sozialbindung geschuldet ist. Aktuell ist ein Rückkauf dieser privatisierten Wohnungen im Gespräch.

Im Konflikt um die BSO soll aber nicht öffentliches Eigentum verkauft werden, sondern ein öffentliches Unternehmen in die Finanzierung von Schulrenovierung und -neubau einbezogen werden. Ein öffentliches Unternehmen, dass nicht eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist, sondern GmbH, aber dennoch Eigentum des Landes Berlin und dem Gemeinwohl verpflichtet, auch wenn es im Kapitalismus natürlich dem kapitalistischen Markt ausgesetzt ist.

Gemeinwohl- und Gewinnorientierung müssen keine Gegensätze sein, solange nicht private Bereicherung und Ausbeutung dahinter stehen. Das Ziel, rentabel zu arbeiten, also Gewinn zu erzielen, statt rote Zahlen zu schreiben, gilt für öffentliche Unternehmen, wie auch für Genossenschaften.

Gefragt werden muss nach den Arbeitsbedingungen in diesen Unternehmen, nach der Qualität der Produkte und Dienstleistungen, nach ihrer sozialen Ausrichtung. Und es muss  gefragt werden, was mit dem Gewinn passiert. Geht das Surplus in private Taschen oder dient dem Gemeinwohl? So äußerte die ehemalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von HOWOGE, Tanja Rottmann, in einem Interview: »Es ist eine Illusion, dass die Wohnungswirtschaft ohne Rendite funktioniert. Der öffentliche Wohnungsbau benötigt Geld für Modernisierung, soziale Maßnahmen und für den Neubau.

Das Geld für Investitionen in den Wohnungsbau muss irgendwo herkommen. Die Miete muss so bemessen sein, dass die Bau- und Unterhaltungskosten gedeckt und für nötige Reparaturen Rücklagen gebildet werden.« (in: Soziale Spaltung in Berlin, 2016, S. 82). Auf einem anderen Blatt steht, dass Menschen mit niedrigem Einkommen Unterstützung brauchen, um ihre Miete aufzubringen, und dass gerade im Öffentlichen Wohnungsbau Mietsteigerungen begrenzt werden müssen. Bezahlbare Wohnungen sind nämlich Mangelware, bezahlbar auch bei niedrigen Einkommen.

Gerechtfertigt ist das Anliegen, dass beim Bau und Renovierung von Schulen pädagogischer Sachverstand und bildungspolitische Reformziele eingehen müssen und nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg Weichenstellungen erfolgen, die für das Ziel einer guten Schule schädlich sind. Das gilt generell, ob das Land Berlin, also der Senat für Stadtentwicklung und Wohnungsbau, die Bezirksämter oder die HOWOGE Auftraggeber sind. Beauftragt werden müssen Firmen mit entsprechendem Knowhow und solider Arbeit.

Generell ist ein Mitspracherecht der Beteiligten vor Ort bei den verschiedenen Aspekten der Stadtentwicklung zu realisieren, so bei der Ausstattung mit Schulen und Kitas. Sollen Schulen der Zukunft gebaut werde, bzw. alte Gebäude erneuert werden, sind neue Raumgestaltungen angesagt. Vorbilder gibt es inzwischen im In- und Ausland genug und das seit vielen Jahren.

Der Konflikt anlässlich der Berliner Schulbauoffensive ist ein Beispiel dafür, dass die Einbeziehung der Stadtbevölkerung in die Fragen der Stadtentwicklung unzulänglich gelöst ist. Vorbild könnte Barcelona sein. Hier gilt laut der Stadtplanerin Francesca Bia: »Politik von oben funktioniert nicht mehr. Das gilt nicht nur fürs Planen, sondern auch für alle anderen Entscheidungen.« (siehe Blätter für internationale Politik 12/2018). Das wurde Ende 2018 auf einer von den »Blättern für internationale Politik« durchgeführten Veranstaltung deutlich. Sie fand in der Akademie der Künste im Haus der Kulturen der Welt in Berlin mit Richard Senett, Andrej Holm und Francesca Bia statt. Richard Sennett stellte sein neues Buch vor: »Die Offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens« (2018).

Als Quintessenz lässt sich zusammenfassen: Aktive kritische Bürger*innen sind keine Störenfriede, sondern eine Bereicherung. Sie sollten auf wirkungsvolle Weise in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Das scheint in Berlin ziemlich schief gelaufen zu sein. Denn warum muss eine öffentliche Anhörung per Volksinitiative erzwungen werden?

Stephanie Odenwald war im GEW Hauptvorstand zuständig für Berufliche Bildung und Weiterbildung, lebt in Berlin.

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