17. Juli 2019 Otto König/Richard Detje: Morde an Ex-Farc-Guerilleros und Menschenrechtsaktivist*innen

Kolumbien – Kein Ende der Gewalt

Iván Duque, Kolumbianischer Präsident. Foto: OEA - OAS/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Mit der fadenscheinigen Begründung, »Verbündete für Menschenrechte« treffen zu wollen, machte Außenminister Heiko Maas (SPD) auf seiner Lateinamerika-Rundreise Anfang Mai dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, einem erklärten Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur, und Iván Duque, dem ultra-rechten Präsidenten Kolumbiens, seine Aufwartung.

Duque ist als getreuer Gefolgsmann Washingtons aktiv in die Umsturzpläne der Trump-Administration im Nachbarland Venezuela eingebunden. Bei der Unterredung von Heiko Maas mit der kolumbianischen Staatsspitze hat die Menschenrechtslage in Venezuela und die »unverbrüchliche Solidarität« mit dem venezolanischen Putschisten Juan Guaidó oben auf der Themenliste gestanden.

Es ist wohl kein Zufall, dass das Berliner Auswärtige Amt zur katastrophalen sozialen und Menschenrechtslage[1] schweigt. Hatte es nach dem Friedensabkommen des Jahres 2016 zwischen der damaligen Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Guerillaorganisation FARC-EP zunächst danach ausgesehen, dass die Wiedereingliederung der ehemaligen Guerilleros in das zivile Leben eine Erneuerung der Politik in dem Land einleiten könnte, muss unter der neuen Regierung konstatiert werden, dass die Gewalt gegen Linke, indigene Aktivist*innen, Anführer*innen von Kleinbauernverbänden, Umweltschützer*innen und Gewerkschafter*innen in Kolumbien nicht mehr abreißt. Sowohl ehemalige Kämpfer*innen der Guerilla als auch soziale und Menschenrechtsaktivist*innen werden regelmäßig Opfer von Mordanschlägen. Inzwischen wurde der 140. ehemalige Farc-Kämpfer ermordet.

Der Nationale Entwicklungsplan der ultra-rechten Regierungspartei »Demokratisches Zentrum«, der »Pakt für Kolumbien, Pakt für Gerechtigkeit«, sät große Zweifel an der Bereitschaft der Regierung, das Friedensabkommen mit den entwaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) umzusetzen. Forderungen nach Änderungen an der Sonderjustiz (Jurisdicción Especial para la Paz) polarisieren zusätzlich das Land. Auch der Abbruch der Friedensverhandlungen mit der ELN-Guerilla (Nationale Befreiungsarmee) lassen den Frieden mittlerweile in weite Ferne rücken.

Den veröffentlichten Zahlen des landesweiten Bündnisses sozialer Bewegungen »Marcha Patriótica« und des Instituts für Entwicklung und Frieden (Indepaz) zufolge sind von den 837 politischen Morden seit dem Ende der Friedensverhandlungen 236 während der bisher zehnmonatigen Amtszeit von Iván Duque verübt worden. Die Verfasser des Berichtes sprechen von »systematischer Verfolgung und Ermordung« sozialer Aktivist*innen und FARC-Mitglieder. Es gebe bisher keinen »effektiven und organisierten Umgang mit dieser systematischen Gewalt«, beklagen sie. Laut UN-Angaben bleiben 87 Prozent der politisch motivierten Morde straflos.

Gegen die anhaltende Gewalt und die Kriminalisierung von Linken und Oppositionellen hatten im April dieses Jahres bei einem landesweiten Generalstreik, zu dem 180 Organisationen aufgerufen hatten, Linke, Gewerkschafter*innen, indigene, kleinbäuerliche und afro-kolumbianische Aktivist*innen und Studierende Straßen, Plätze und Universitäten besetzt, um ihren Forderungen nach Einhaltung des Friedensvertrages und der Verabschiedung wirksamer Maßnahmen zum Schutz sozialer Aktivist*innen und Oppositioneller Nachdruck zu verleihen. Es war die erste große Streikbewegung in Kolumbien seit drei Jahren.

Rückblick: Die New York Times (NYT) berichtete im April 1990: In Kolumbien werde eine ganze Partei durch Attentäter »ausgelöscht«. Zuvor war der linke Präsidentschaftskandidat der Patriotischen Union (UP), Bernardo Jaramillo Ossa, während des Wahlkampfes erschossen worden. Kurz darauf wurde Carlos Pizzarro Leongómez, ehemaliger Guerillero der Bewegung M-19, ermordet, einer von denen, die den bewaffneten Kampf in eine gewaltlose politische Auseinandersetzung transformieren wollten. Tausende von linken Aktivist*innen, die innerhalb des politisch-parlamentarischen Systems für soziale Verbesserungen kämpfen wollten, wurden damals von der kolumbianischen Rechten ermordet. Durch die mörderischen Anschläge rechtsextremer Todesschwadronen und von Drogenkartellen finanzierte Paramilitärs wurde die UP fast ausgelöscht. Seit Mitglieder der FARC den bewaffneten Kampf aufgegeben hätten und in die Patriotische Union integriert wurden, habe sich »die politische Partizipation als gefährlicher erwiesen als der bewaffnete Kampf«, hieß es in einem Menschenrechtsreport, den die New York Times 1990 zitierte.[2] Schließlich diente der Rechten die Existenz der bewaffneten Aufständischen als Argument, um Kämpfe für Veränderungen, für Gleichheit, Gleichberechtigung, für soziale und Gerechtigkeit zu diskreditieren.

Wiederholt sich nun die Geschichte? Am 22. April 2019 wurde der Kleinbauer Dimar Torres Arévalo von dem Unteroffizier Daniel Gómez, einem Mitglied der Militäreinheit »Tarea Vulcano«, nahe der Gemeinde Convención im kolumbianischen Department Catatumbo ermordet. Das ehemalige FARC-Mitglied war, vom Büro des Hohen Kommissars für den Frieden als demobilisierter und wiedereingegliederter Ex-Kämpfer anerkannt, ins zivile Leben zurückgekehrt.[3] Er war der 130. getötete ehemalige Farc-Kämpfer.

Die FARC, die nun als politische Partei für ihre Ziele eintritt, wirft der Duque-Regierung vor, die ehemaligen Kämpfer*innen nicht ausreichend zu schützen und zu wenig Unterstützung bei der Rückkehr ins Zivilleben zu leisten. »Die jüngsten Verbrechen gegen Aktivisten unserer Partei sind Teil der langen Liste der Straflosigkeit und nicht erfüllten Zusagen, die der Staat im Friedensvertrag versprochen hat«, so Rodrigo Londoño, Vorsitzender der Guerilla-Nachfolgepartei »Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes« (FARC).[4] Auch der Chef der UNO-Mission zur Beobachtung des Friedensprozesses in Kolumbien, Raúl Rosende, stellte fest, dass vonseiten des Staates mehr zum Schutz der ehemaligen Kämpfer*innen getan werden müsse.

Die historische Ursache des Konflikts in Kolumbien liegt in der Landfrage. Seitdem die größte Guerilla des Landes die Waffen niedergelegt hat, sind es die sozialen Bewegungen, die Widerstand leisten und die Territorien verteidigen. Deshalb richten sich die gezielten Morde auch gegen die Gemeindeführer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen. Es sind systematische Tötungen mit dem Ziel, die ländlichen Gemeinschaften von jeglicher Form von Selbstorganisation abzuhalten, so die Washington Post unter Verweis auf eine entsprechende Studie kolumbianischer Juristen. Die sozialen Bewegungen und die Gemeinden sind ein Stein im Schuh von nationalen wie internationalen Unternehmern, da sie die Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch Megabauprojekte und riesige Monokulturen verhindern.

Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 wurden 51 Morde an Menschenrechtsaktivist*innen registriert, stellte Rupert Colville, Sprecher der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, fest. In dem von ihm vorgelegten »Bericht zur Lage in Kolumbien« wird kritisiert, dass die systematische Verfolgung Andersdenkender zunimmt. Vor allem Basisaktivisten in den Gemeinden seien betroffen, aber auch indigene und afrokolumbianische Gruppen, Umweltschützer*innen, Bauern, Journalist*innen, Aktivist*innen der LGBTI-Bewegung, Mitglieder von Menschenrechtsgruppen und Frauenorganisationen. Sie würden verfolgt, weil sie sich für die Umsetzung wichtiger Bestandteile des Friedensabkommens – zum Beispiel der Rückgabe von Grund und Boden an vertriebene Bauern oder die Rechte der Opfer des Krieges – einsetzen.

Um von der erneuten Beteiligung der Armee an der Verfolgung und Ermordung der ehemaligen FARC-Kämpfer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen abzulenken, machen die staatlichen Behörden reanimierte FARC-Splittergruppen und Verbrechersyndikate aus ehemaligen Kämpfer*innen der rechten Paramilitärs für den Großteil der Morde verantwortlich. Die New York Times enthüllte jedoch Mitte Mai, dass der Oberbefehlshaber der Armee in Kolumbien, General Nicacio Martínez, seine Einheiten angewiesen habe, die Anzahl von getöteten oder festgenommenen Kriminellen und Rebellen möglichst zu verdoppeln. Die Armee müsse »alles tun«, um »Ergebnisse zu erzielen«, zitiert der Journalist Nicholas Casey[5] Aussagen während eines Militärtreffens. Soldaten, die eine höhere Zahl von gefallenen Gegnern vorweisen können, erhalten »mehr Urlaubstage angeboten«.

Diese Enthüllungen der NYT deuten auf das Wiederaufleben von Praktiken hin, die das kolumbianische Militär schon unter der Rechts-Regierung von Álvaro Uribe (2002-2010) angewandt hatte. Die als »Falsos Positivos« (Falschmeldungen) bezeichnete Praxis forderte schätzungsweise hunderttausende Opfer. Das Militär verschleppte Zivilist*innen unter falschem Vorwand, ermordete sie und präsentierte sie anschließend der Öffentlichkeit als gefallene Guerilla-Soldaten, um Prämien in Form von Urlaub und Beförderungen zu erhalten.

»Das nationale Zentrum für historisches Gedenken hat ausgerechnet, dass man fast 83.000 Personen in Kolumbien zwischen 1958 und 2016 gewaltsam hat verschwinden lassen. 30.000 davon sind entführt worden und 17.000 wurden zwangsrekrutiert. Im Grunde können wir von rund 100.000 Verschwundenen sprechen, ohne die im bewaffneten Kampf Verschollenen zu zählen«, so Luz Marina Monzón, Direktorin der »Unidad de búsqueda de personas desaparecidas«, einer im Rahmen des Friedensvertrages mit den FARC geschaffenen Institution. (DLF, 29.6.2019)

Schon im August 2018 berichtete The Guardian: Es gebe unzählige paramilitärische Gruppen und kriminelle Gangs, die in die von den FARC verlassenen Gebiete vorgedrungen seien. Ein Aktivist, der von diesen rechtsextremen Killerkommandos bedroht wurde, schilderte, dass es sich um dieselben, aus den berüchtigten Paramilitärs, den »Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens« (AUC) handele, die vom Militär, von Großgrundbesitzern und Drogenkartellen während des Bürgerkriegs aufgebaut wurden, und die mörderische »Drecksarbeit« des kolumbianischen Regimes besorgt haben. Human Rights Watch spricht von einer »fehlerhaften Demobilisierung«, d.h. nur Scheinauflösung der paramilitärischen AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) zwischen 2006 und 2008.

Solange es keine wirklichen Bemühungen des kolumbianischen Staates gibt, zum einen die demobilisierten FARC-Kämpfer wirklich zu schützen und zum anderen die Paramilitärs effektiv zu bekämpfen, wird es in diesem südamerikanischen Land keinen Frieden geben. Das dürfte dem Außenministerium in Berlin eigentlich bekannt sein. Es sollte auch danach handeln.


[1] Am 22. und 23. Februar 2019 führte der Versuch des Putschisten Juan Guaidó und der US-Regierung, die Einfuhr »humanitärer Hilfe« nach Venezuela zu erzwingen, zu Zusammenstößen an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze. Der Bürgermeister der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta, César Rojas, hat Präsident Iván Duque aufgefordert, die aus den USA gelieferten, für Venezuela vorgesehen Hilfsgüter ‒ darunter Lebensmittel und Medikamente ‒ unter den »Cucuteños", die unter Armut, Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen leiden, zu verteilen. Die Armuts- und Arbeitslosenquote Cúcutas ist mit die höchste des Landes, ebenso der Grad der Informalität. (Portal Amerika 21, 19.3.2019)
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Kolumbien – Guerilla und Regierung schließen Waffenstillstand. Ende des längsten Bürgerkrieges in Lateinamerika, Sozialismus 3.7.2016.
[3] Vgl. Der Fall Dimar Torres: Zahl ermordeter ehemaliger FARC-Kämpfer steigt auf 130, npla 5.5.2019.
[4] Vgl. Otto König/Richard Detje: FARC-Guerilla wird zur »Bewegungs«-Partei. Neue Seite in der Geschichte Kolumbiens, Sozialismus Aktuell 9.10.2017.
[5] Nicholas Casey hat aus Sicherheitsgründen Kolumbien verlassen. Der Beitrag in der NYT über die erneute Förderung illegaler Hinrichtungen durch die Armee hat eine »Jagd« auf die anonymen Quellen innerhalb der Streitkräfte ausgelöst. Laut der Wochenzeitung Semana werden auch Offiziere, die vor der Sonderjustiz für den Frieden (Jurisdicción Especial de la Paz, JEP) wegen früherer illegaler Tötungen von Zivilisten aussagen, abgehört, beschattet und bekommen Morddrohungen gegen sich und ihre Familien. (Portal Amerika 21, 27.6.2019)

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