10. Juli 2018 Otto König/Richard Detje: Endet der NATO-Gipfel in Brüssel mit einem Eklat?

Konflikt um das 2%-Ziel

Im Vorfeld des Nato-Gipfeltreffens am 11. und 12. Juli in Brüssel breitete sich im militärisch-politischen Establishment in Europa Unsicherheit aus. In der Vergangenheit wurde auf diesen hochgradig choreographierten Veranstaltungen von den Staats- und Regierungschefs Einigkeit demonstriert, um die »Glaubwürdigkeit der NATO als Abschreckungs- und Verteidigungsbündnis« zu bekräftigen.

Diesmal könnte es anders werden – wenn der US-Präsidenten Donald Trump die Konflikte unter den Alliierten zuspitzt und die bisher demonstrativ zur Schau gestellte Harmonie wie beim G7-Gipfel durchbricht. Sollte eine Mehrheit der Europäer den US-Prioritäten (wie Lastenteilung) nicht hinreichend nachkommen, ist vorstellbar, dass sich Washington wie im kanadischen La Malbaie erneut dem Schlusskommuniqué verweigert.

Vor allem die unter Trump veränderte Außenpolitik der USA hat zu einem grundsätzlichen Dissens mit Europa geführt. Dennoch besteht bei den Maßnahmen der Verteidigung und Abschreckung, die seit Russlands Übernahme der Krim 2014 im NATO-Bündnis getroffen wurden, weitgehend Einigkeit: So soll beispielsweise die »Enhanced Forward Presence« an der Ostflanke gestärkt, die Einsatzbereitschaft (»readiness«) und Reaktionsfähigkeit der Truppen gesteigert werden. Bis 2020 sollen die Alliierten im Rahmen der »NATO Readniss Initiative« 30 Kampftruppenbataillone, 30 Staffeln Kampfflugzeuge und 30 Kampfschiffe binnen 30 Tagen einsatzbereit haben.

Der Dissens unter den NATO-Mitgliedsstaaten besteht in der Frage der Erhöhung des Verteidigungsetats. Seit Trumps Amtsantritt setzt die Washingtoner-Administration die europäischen NATO-Mitglieder unter Druck: Sie sollen die in Wales abgesegnete, jedoch rechtlich nicht bindende Selbstverpflichtung, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben, endlich erfüllen. Es wird deshalb erwartet, dass sich der US-Präsident in Brüssel diejenigen Verbündeten vorknöpfen wird, die das angestrebte Ziel bis 2024 nicht erfüllen werden.[1]

Dafür sprechen die »harschen Mahnbriefe« aus dem Weißen Haus an »unbotmäßige« Partnerstaaten wie Deutschland, Belgien, Norwegen und Kanada, in denen diese getadelt werden, zu wenig für die eigene Verteidigung auszugeben. Trump schreib laut New York Times in seinem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): »Die fortgesetzte deutsche Etat-Unterschreitung bei der Verteidigung schwächt die Sicherheit des Bündnisses und bietet anderen Verbündeten die Rechtfertigung, auch ihre Verpflichtungen bei den Militärausgaben nicht erfüllen zu müssen, weil andere Sie als Vorbild ansehen.« Das sei nicht mehr tragbar. Nicht nur seine Regierung, auch der Kongress sei besorgt.[2]

Als Reaktion drohte der US-Präsident ein Überdenken der militärischen US-Präsenz in Europa an. Es dürfte deshalb kein Zufall gewesen sein, dass die Washington Post von Planspielen über den Abzug von US-Soldaten aus Deutschland berichtete. Schließlich ist Deutschland nach wie vor der größte und wichtigste Standort der US-amerikanischen Truppen in Europa. In Deutschlands Süden sind mehr als 35.000 Soldaten stationiert, dort befinden sich auch einige Hauptquartiere wie das des EUCOM und der Sondereinsatzkräfte des EUCOM (SOCEUR), das Hauptquartier von AFRICOM, der Armee und der Luftwaffe.

Aus Furcht davor, dass die USA Konsequenzen ziehen und ihre Unterstützung für Europa zurückfahren, ja sogar die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrags relativieren könnten, hatte die deutsche Oberbefehlshaberin Ursula von der Leyen schon im Juni in Washington bei ihrem Rapport bei Trumps Sicherheitsberater John Bolton auf die aktuelle Aufstockung des Wehrhaushalts verwiesen und neue Leistungen in Aussicht gestellt.

Im inzwischen vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedeten Bundeshaushalt 2018 in Höhe von 343,6 Milliarden Euro wurde der »Verteidigungshaushalt«, zweitgrößter Einzeletat nach dem des Ministeriums für Arbeit und Soziales, auf 38,52 Milliarden Euro aufgestockt, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent. 2019 soll der Rüstungsetat auf 42,9 Milliarden Euro erhöht werden, deutlich mehr als ursprünglich geplant. Der Wehretat wird damit auf eine Quote von 1,31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anwachsen. In Kreisen der GroKo wird von einer »Trendwende bei der Finanzierung der Bundeswehr« gesprochen.

Kanzlerin Merkel (CDU) hat sich in ihrer wöchentlichen Videobotschaft vor dem Brüsseler Gipfel zu deutlich steigenden Verteidigungsausgaben bekannt und bekräftigt, dass die 29 Mitgliedstaaten bis 2024 die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP hochfahren wollen. Mantrahaft fügte sie hinzu: Es gehe »jetzt um Ausrüstung und nicht etwa um Aufrüstung«.

Nach neuesten Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Stiftung Wissenschaft und Politik würde die Umsetzung dieses NATO-Beschlusses für Deutschland bedeuten, jährlich seine Ausgaben um 6,8 Milliarden Euro zu steigern, um im Jahr 2024 ca. 85 Milliarden Euro für Verteidigung auszugeben – was einer Steigerung von rund 129% zwischen 2017 und 2024 entspräche. Deutschland würde im Jahr 2024 damit 27 Milliarden Euro mehr ausgeben als Frankreich und 30 Milliarden mehr als Großbritannien. Es hätte innerhalb der NATO den zweitgrößten Rüstungsetat nach den USA.[3]

Der politisch-militärische Komplex in Deutschland wird in den kommenden Jahren alles daransetzen, diesen Betrag zu realisieren. Allein bei den geplanten deutsch-französischen Rüstungsprojekten – wie dem Leopard 2-Nachfolger und dem neuen Kampfjet mit Killerdrohnen und Drohnenschwärmen – sind empfindliche Ausgabensteigerungen geplant.[4] Deshalb empfiehlt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)[5] den Repräsentanten der GroKo, auf innenpolitischer Ebene Deutschlands Funktionen in der NATO klarer zu erläutern und dabei auf die bisher unzureichende Finanzierung hinzuweisen. Es gehe nicht so sehr um das plakative 2%-Ziel, sondern um das klare finanzielle Bekenntnis, dass Deutschland ein verlässlicher Verbündeter in der NATO ist.


[1] Im vergangenen Jahr schafften es nur vier von 29 Mitgliedstaaten, das Ziel zu erreichen: USA, Griechenland, Estland und Großbritannien.
[2] »Deutschland hat sich wie alle NATO-Mitglieder 2014 zu dem Zwei-Prozent-Ziel verpflichtet. Ich gehe davon aus, dass es dies auch weiter anstrebt«, sekundierte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (Deutsche Welle 8.7.2018).
[3] Claudia Major/Christian Mölling/Torben Schütz/Alicia von Voss: Hintergrundpapier: Was das 2% Ziel der NATO für die europäischen Verteidigungshaushalte bedeutet.
[4] Otto König/Richard Detje: Rüstungskooperation Berlin-Paris wird vorangetrieben. Größtes Rüstungsprojekt Europas, SozialismusAktuell, 7.5.2018.
[5] Claudia Major: Ein schwieriger Gipfel für die Nato, SWP-Aktuell 33, Juni 2018.

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