4. Mai 2019 Joachim Bischoff: Die Wirtschaft in den USA und der VR China legt zu

Konjunkturfrühling und Boom an den Börsen

Die amerikanische Wirtschaft hat im ersten Quartal dieses Jahres stark zugelegt. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) ist (auf Jahreswerte hochgerechnet) um 3,2% gewachsen, nach einem Jahreswachstum von 2,9% im Jahr 2018 und 2,2% im Jahr 2017.

Mehr als die Hälfte des Gesamtzuwachses von 3,2% des BIP stammt aus einem Anstieg der Nettoexporte und einem Aufbau der Lagerbestände, der sich voraussichtlich nicht in nächster Zeit wiederholen wird. Aber auch ein Anstieg der Konsumausgaben um 1,2 % erscheint angesichts steigender Löhne und anhaltend starker Wachstumstrends bei der Beschäftigung wichtig.

Auch in der EU ist das BIP im ersten Quartal 2019 gegenüber den Vorquartalen wieder etwas stärker gewachsen. Insgesamt ergab sich ein Wachstum von 0,5%, nach +0,3% im vorhergehenden Quartal. Damit scheinen sich die Prognosen von einem anhaltenden Abflauen der Wirtschaft in der EU nicht zu bestätigen. Allerdings bleiben die Risiken (Handelsstreit mit den USA und ungeordneter Brexit) weiterhin aktuell.

Diese Entwicklung ist überraschend, da die meisten Beobachter mit einer zyklisch bedingten Abschwächung der Weltkonjunktur gerechnet hatten, die zudem durch weitere Faktoren wie die anhaltenden handelspolitischen Spannungen, Übergang zu protektionistischen Belastungen und eine Finanzmarktvolatilität im vierten Quartal 2018 verstärkt wurde.

Auf ihrer Zinssitzung hat die US-Notenbank auf die Befürchtung eines Endes des zehnjährigen Wachstumszyklus reagiert und nicht nur den Leitzins unangetastet gelassen, sondern auch eine Zinspause in Aussicht gestellt. Man wolle Geduld walten lassen, bis sich das Konjunkturbild geklärt habe, hieß es zur Begründung. Konkret bedeutet dies: Im aktuellen Jahr wird es keine Leitzinserhöhung mehr geben, ursprünglich waren zwei Zinsanhebungen geplant.

US-Präsident Donald Trump fordert dagegen weiterhin einen Politikwechsel der US-Notenbank: Mit einer Senkung der Leitzinsen um einen Prozentpunkt und mehr Anleihen-Aufkäufe durch die Fed würde die US-Wirtschaft »abgehen wie eine Rakete«. Der amerikanischen Wirtschaft gehe es derzeit gut. »Mit unserer wundervoll niedrigen Inflation könnten wir Rekorde brechen und unsere Staatsschulden niedrig aussehen lassen.« Auch China stimuliere seine Wirtschaft und lasse die Zinsen niedrig. Die Federal Reserve habe unaufhörlich die Zinssätze angehoben, obwohl die Inflation sehr niedrig sei, und Anleiheverkäufe veranlasst.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) begrüßte die geldpolitische Kehrtwende der Fed und geht ab Jahresmitte bereits wieder von einer leichten Beschleunigung aus. Positiv hat sich ebenfalls der Konjunkturimpuls ausgewirkt, den Chinas Staatsführung der eigenen Wirtschaft und damit auch der Weltwirtschaft verpasst hat. Chinas Wirtschaft ist im 1. Quartal 2019 um 6,4% gewachsen und erreichte damit denselben Wert wie im Schlussquartal 2018. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt war schon 2018 eine wichtige Stütze der globalen Ökonomie, denn im Vorjahr beschleunigte sich das Wachstum der Importe von Gütern und Dienstleistungen (in Yuan gerechnet und inflationsbereinigt) von 7% auf 8%. Und das trotz der Zölle aus den USA.

Dabei war auch China vom nachlassenden Welthandel betroffen: Das Exportwachstum verringerte sich 2018 real von 9% auf 4%. Auch die die Europäische Zentralbank (EZB) hebt die positive Rolle der Volksrepublik China hervor: Die nachlassende Dynamik des Welthandels sei teilweise durch die Wende im globalen Industriezyklus bedingt, aber die Stabilisierungsimpulse über den staatlich geförderten Strukturwandel hätten auf die Globalökonomie durchgeschlagen.

Es sieht aktuell so aus, dass der US-Wirtschaft nach dem starken, durch die expansive Fiskalpolitik stimulierten Wachstum und nach einer Folge von Zinserhöhungen im vergangenen Jahr 2019 eine sanfte Landung gelingt. Im Mai dürfte damit der gegenwärtige wirtschaftliche Aufschwung in den USA, der im Juni 2009 begann, die Dauer von sagenhaften 120 Monaten erreichen und mit der bisher längsten Expansion der Nachkriegszeit gleichziehen, die von März 1991 bis Februar 2001 dauerte.

Für Bundesbankpräsident Jens Weidmann ist die Sache klar: »Aus heutiger Sicht spricht einiges dafür, dass die Wirtschaft nur eine vorübergehende Schwächephase erlebt und nach dem Durchhänger wieder Fahrt aufnehmen wird.« Allerdings ist noch nicht endgültig klar, wann es einen Periodenwechsel des industriellen Zyklus geben wird. Infolge der Konjunkturstrukturprogramme der VR China als Reaktion auf eine Verlangsamung ihrer Wirtschaft sind vor allem die europäischen Wachstumsraten mit angestiegen, wenn auch nur so weit, dass sie die unmittelbaren Rezessionsrisiken mildern.

Die bessere Entwicklung beim Wirtschaftswachstum befördert auf den Finanzmärkten eine Wachstumseuphorie. Zur starken Expansion im ersten Quartal haben vor allem traditionell volatile Posten wie der Lageraufbau der Unternehmen, höhere Exporte sowie umfangreichere Staatsausgaben auf lokaler und Gliedstaatenebene beigetragen, während die in der Regel tragenden Konsumausgaben und die Anlageinvestition eher verhalten ausfielen. Das lässt erwarten, dass die US-Wirtschaft ihre Expansion zwar fortsetzen, aber über das ganze Jahr hinweg das hohe Tempo nicht halten können wird.

Im letzten Quartal 2018 waren die Finanzmärkte global schwer unter Druck geraten. Die zurückgegangene Bereitschaft zum Risiko spiegelte Sorgen über eine globale Rezession und die chinesisch-amerikanischen Handelsspannungen wider, aber auch über die Signale der US-Notenbank (Fed), die Zinsen weiter anheben und eine quantitative Verknappung verfolgen zu wollen.

Doch seit Januar hat der Optimismus an den Märkten wieder Oberhand, und zwar so stark, dass einige führende Vermögensverwalter nun einen steilen Kursanstieg über das bestehende hohe Niveau hinaus prognostizieren. Die Aktienkurse nicht nur an der Wall Street eilen von Rekord zu Rekord. Kursbarometer wie der Dow Jones Industrial, der S&P 500 sowie der Technologieindex Nasdaq Composite sind in den vergangenen Tagen auf neue Rekordniveaus gestiegen.

Folgt man den optimistischen Zeitgenossen, so wird das noch eine Weile so weitergehen. Die Bewegung der Vermögenspreise hängt an der fragilen Entwicklung der Realökonomie. Momentan sieht es so aus, dass sich für die USA und auch Europa in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Wachstumserholung einstellen könnte. Die von einem »harten Brexit« ausgehende Destabilisierung wurde vermieden, unter anderem, weil die Europäische Union die Frist für den Austritt des Vereinigten Königreichs auf den 31. Oktober 2019 verschoben hat.

Was die Wachstumsaussichten für die Eurozone angeht, so wird viel von Deutschland abhängen, wo die Konjunktur angesichts des nachlassenden globalen Gegenwinds wieder anziehen könnte. Diese Entwicklungen könnten für den Rest des Jahres eine positive Entwicklung gewährleisten.

Während die Märkte die vorgenannten positiven Entwicklungen bereits eingepreist haben, könnten andere Faktoren eine neuerliche Phase von zurückgehender Risikobereitschaft auslösen. Zunächst ist das Kursniveau an vielen Finanzmärkten, insbesondere jedoch bei US-Aktien, sehr hoch, so dass selbst eine bescheidene Erschütterung eine Kurskorrektur auslösen könnte.

Jedes Indiz einer Wachstumsverlangsamung bei Unternehmen, die im starken Maße mit Fremdkapital arbeiten, könnte ein plötzliches Anstieg der Kapitalkosten bewirken, nicht nur in den USA, sondern auch in den Schwellenmärkten wie der Türkei, wo die Schulden zu einem erheblichen Anteil auf US-Dollar lauten.

Die Erholungssymptome in den USA und der VR China haben viele Wirtschaften der Schwellenländer bislang nicht erreicht, beispielsweise Mexiko, Brasilien, Argentinien, die Türkei, der Iran und Venezuela. Sollten die Investoren ihren Risikoappetit ähnlich stark zügeln wie im vierten Quartal des vergangenen Jahres, wären davon wohl die Schwellenländermärkte zuerst und am deutlichsten betroffen.

Dies gälte dann wohl vor allem für jene, die sich in den vergangenen Jahren direkt oder indirekt über Banken oder Unternehmen stark in US-Dollar verschuldet haben. Sie geraten automatisch in Schwierigkeiten, sobald die US-Währung stärker wird. Tatsächlich legt diese erfahrungsgemäß immer dann zu, wenn US-Investoren im Ausland Kasse machen und ihre dort spekulativ investierten Finanzmittel nach Hause holen.

Die aktuelle Nervosität an den Devisenmarkten verweist darauf, dass die globalen Wachstumshoffnungen plötzlich enttäuscht werden könnten. Weltweit haben sich viele Länder und Unternehmen in US-Dollar verschuldet – und sobald er weiter zulegt, droht eine Eigendynamik zu entstehen, und er könnte stärker werden, als viele erwarten. Sollten sich amerikanische Anleger aus dem Ausland und speziell aus den Schwellenländern zurückziehen, ließen sich Verwerfungen zugunsten des US-Dollars kaum vermeiden.

Die Konstellation der Globalökonomie ist trotz positiver Signale fragiler und schwächer, als sich viele Anleger an den Finanzmärkten vorstellen. Nach einer der längsten wirtschaftlichen Expansionsphasen der neueren Kapitalismusentwicklung nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass es früher oder später zur nächsten Rezession kommen wird.

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