25. März 2023 Redaktion Sozialismus.de: Xi Jipings Besuch in Moskau

Konturen einer neuen Weltordnung?

Der chinesische Partei- und Staatspräsident Xi Jinping lobte bei seinem Staatsbesuch in Moskau die »konstruktiven Gespräche« mit Wladimir Putin. Er sprach von einem Ausbau des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland.

So wolle China etwa mehr Elektrotechnik liefern. Vereinbart worden seien laut Putin auch zusätzliche russische Gaslieferungen an China. Russische Unternehmen seien in der Lage, die wachsende Nachfrage der chinesischen Wirtschaft nach Energie zu befriedigen. Bis 2030 solle die Gaslieferung auf fast 100 Mrd. Kubikmeter pro Jahr steigen. Zudem würden 100 Mio. Tonnen Flüssiggas geliefert, aber auch Kohle und atomarer Brennstoff.

Die Rohstoffgroßmacht Russland orientiert sich nach den Sanktionen des Westens und dem Abschneiden vom europäischen Energiemarkt nach Asien. China profitiert von dem wirtschaftlichen Vakuum, das durch das Sanktionsregime entstanden ist. Der florierende Handel federt auch die Wirkung westlicher Sanktionen deutlich ab. China erhält die Energie mit Preisabschlägen. Nach Putin Angaben sei im vergangenen Jahr das russisch-chinesische Handelsvolumen um 30% auf umgerechnet rund 172 Mrd. Euro gestiegen, in diesem Jahr erwarte man rund 187 Mrd.

China hat im Jahr 2022 dreimal mehr Stahl und Stahlprodukte aus Russland importiert als im Vorjahr, insgesamt 2,3 Mio. Tonnen im Wert von 1,34 Mrd. US-Dollar. Dieser Anstieg ist eine Reaktion auf das Embargo der EU gegen Stahlimporte aus Russland. China wiederum versorgt Russland seit Beginn der westlichen Sanktionen mit Smartphones, Laptops, Haushaltsgeräten, Computerchips und Autos. Chinesische Pkw haben ihren Marktanteil in Russland innerhalb eines Jahrs von 10% auf 38% steigern können.

Insgesamt wuchsen die chinesischen Investitionen in Russland im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 200 Mio. US-Dollar. Erheblichen Anteil haben Investoren auch am größten russischen Investitionsprojekt der letzten fünf Jahre, dem Gasversorgungsbetrieb Jamal LNG auf der Halbinsel Jamal nördlich des Polarkreises. Dort sollen jährlich 16,5 Mio. Tonnen Flüssiggas hergestellt werden.

Durch die Fortführung der US-Sanktionen gegen China zusammen mit dem Sanktionsregime des Westens gegen Russland haben die USA und die westliche Staatengemeinschaft erheblich zur Formierung einer neuen Weltordnung beigetragen und faktisch auch dazu, dass die russische Kriegsmaschinerie dank der gewachsenen wirtschaftlichen Kooperation mit der Volksrepublik weiterlaufen kann.

Es handelt sich um den Ausbau einer Kooperation zwischen ungleichen Partnern: Chinas Bruttoinlandprodukt ist zehnmal so groß wie das russische. Hinzu kommt, dass für Moskau die Abhängigkeit von der Volksrepublik gewachsen ist. Bereits jetzt entfällt nahezu ein Drittel der russischen Exporte auf China, bei den Importen sind es rund 40%. Ein steigender Anteil davon wird zudem in chinesischen Yuan abgewickelt. Russland werde sich laut Putin der Entdollarisierung des Welthandels unter der Führung von China anschließen, und in Drittstaaten zukünftig mit Yuan bezahlen.

Vereinbart wurden in Moskau Abkommen für den Ausbau ihrer strategischen Partnerschaft bis 2030. Bis 2030 solle die Gaslieferung auf fast 100 Mrd. Kubikmeter pro Jahr steigen. Zudem würden 100 Mio. Tonnen Flüssiggas geliefert, aber auch Kohle und atomarer Brennstoff. Beide Staaten wollen ihre Verkehrsverbindungen erweitern, darunter Straßen und Brücken. Über den schon seit längerem in Verhandlungen steckende Bau einer Pipeline gab es keine öffentlichen Signale. Einen Fortschritt bei der Erdgas-Pipeline Power of Siberia 2 hat Putin nicht erreicht.

Der russische Präsident räumt gegenüber der Presse ein, dass sein Lan mit der Dynamik der chinesischen Ökonomie nicht mithalten kann. China habe einen kolossalen Entwicklungssprung vollbracht, der das Interesse der ganzen Welt auf sich gezogen habe. In der Tat ist die chinesische Modernisierung gerade auch bei der modernen Technologie von Russland nicht zu kopieren. Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine und den umfassenden Sanktionen ist die Entwicklung der russischen Wirtschaft massiv eingeschränkt, und dürfte über Jahre stark auf die Unterstützung durch die Volksrepublik angewiesen sein.


Der Ukraine-Krieg war präsent, aber im Hintergrund

Um den Krieg in der Ukraine selbst ging es bei dem Treffen nur am Rande. Russlands Präsident Putin betrachtet Chinas international skeptisch aufgenommenes Ukraine-Papier als Basis »für eine friedliche Lösung«. Zugleich kritisierte er den Westen und schob die Verantwortung dafür diesem und der ukrainischen Regierung zu – und warnte nach dem Treffen mit Xi Großbritannien davor, Munition für Kampfpanzer mit abgereichertem Uran an die Ukraine zu liefern. Damit würde die NATO Waffen mit nuklearen Komponenten für Kiew bereitstellen, worauf Russland entsprechend reagieren werde, sagte Putin, ohne ins Detail zu gehen.

Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, Putin und Xi hätten mehrere Stunden über die Ukraine gesprochen. »Es gab die Möglichkeit, alles zu klären […] Sie haben sich gegenseitig angehört, das ist das Wichtigste.« Die von der Volksrepublik im Februar vorgelegte »Friedensinitiative« ruft zu einem Waffenstillstand und Gesprächen auf. Die USA lehnten das Papier ab, es bestätige die russischen Annektionen und verschaffe Moskau Zeit, sich neu auszurüsten und eine neue Offensive zu planen.

Xi betonte in Moskau, dass China sich an »die Ziele und Prinzipien der UN-Charta« halte und machte mit Blick auf den Krieg in der Ukraine deutlich, sein Land nehme eine »objektive und unparteiische Position« ein. Über die insbesondere in westlichen Medien im Vorfeld des Treffens spekulierte mögliche Waffen- und Munitionslieferungen Chinas an Russland wurde nichts bekannt.

Zugleich riefen China und Russland die USA zum Verzicht auf ein globales Raketenabwehrsystem auf. Unterlassen solle Washington demnach auch Schritte für eine Destabilisierung der strategischen Sicherheit in der Welt, hieß es weiter. So sollten Atommächte auch ihre Nuklearwaffen nicht in Drittstaaten stationieren. Russland hatte immer wieder den Abzug von US-Atomwaffen aus Deutschland gefordert.


Strategische Überlegungen der chinesischen Führung

Für Russland ist China der einzige verbliebene, dafür umso potentere Partner. Politisch gilt das gegen den Westen und beim Anspruch, zusammen mit dem globalen Süden ein Gegengewicht zum Westen zu bilden und eine »multipolare Weltordnung« zu bauen. Am Ende des Treffens in Moskau fielen gewichtige Abschiedsworte. »Gerade jetzt gibt es Veränderungen, wie wir sie seit hundert Jahren nicht gesehen haben«, sagte Xi Jinping zu Putin. »Und wir sind diejenigen, die diese Veränderungen zusammen vorantreiben.«

Wirtschaftlich ist China Abnehmer russischer Rohstoffe, Investor und Lieferant unabdingbarer Technologie, Elektronik und moderner Konsumgüter. Putin fasste diese Sicht bei der Begrüßung an Xi in die Worte, die Chinesen hätten »ein sehr effektives System der Entwicklung der Wirtschaft und der Stärkung des Staats geschaffen«. Xi Jinping hatte schon früh darauf gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu entwickeln. Bereits bei seinem ersten Staatsbesuch in Moskau 2013 hatte der chinesische KP-Chef in einer Vorlesung an der Diplomatenhochschule MGIMO davon gesprochen, das »strategische Zusammenwirken« Chinas mit Russland habe eine »langfristige Perspektive«.

Die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland sind im Verständnis des chinesischen Staatschefs eingebettet in eine geopolitische Strategie. China ist nicht daran interessiert, dass Russland dauerhaft geschwächt wird, denn dadurch gewännen die USA als größter geopolitischer Konkurrent Chinas international an Gewicht. Auch wäre eine Instabilität oder ein Zerbrechen Russlands für China ein Sicherheitsrisiko. Daher will die Führung der Volksrepublik Putin dazu bewegen, den Krieg in der Ukraine zu beenden, ohne dass dies als russische Niederlage wahrgenommen werden müsste.

Chinas Strategie im Krieg zwischen Russland und der Ukraine zielt darauf ab, einen »vorsichtigen Balance-Akt« einzuhalten. China sei »nicht interessiert an einem langfristigen, hoch intensiven Konflikt« in der Ukraine. Zugleich aber wolle Beijing »nicht Russlands totale Niederlage«. Denn diese könne zur Errichtung eines pro-westlichen Regimes führen, was für China ein »Worst-Case-Szenario« darstellt.

Zu dieser chinesischen Sicht auf Russland passt, dass Xi sich auch für die Ausweitung des beiderseitigen Tourismus aussprach. Seit dem Ende der Covid-Beschränkungen in der Volksrepublik besuchen wieder zahlreiche Chines*innen das nördliche Nachbarland, vor der Pandemie besuchten es im Jahr 2018 auf 803.600 Tourist*innen, in Moskau vor allem das Lenin-Mausoleum am Roten Platz, die Universität, die Metro und den Zirkus am Zwetnoi Boulevard.

Für die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA macht die Präsenz chinesischer Besucher*innen deutlich, dass Russland nicht isoliert ist, und es lässt einen chinesischen Touristen zu Wort kommen, der »reiche Kultur und schöne Architektur« Moskaus lobt. Im Frühjahr 2023 ist auf Moskauer Straßen und Plätzen Chinesisch häufiger zu hören, als Englisch oder Deutsch. Mit wachsendem Interesse drängen Chines*innen jetzt an Orte und auf Plätze, die westliche Touristen nicht mehr aufsuchen.

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