12. Januar 2020 Redaktion Sozialismus: Vor der Bürgerschaftswahl im Februar

Kopf-an Kopf Rennen in Hamburg

Katharina Fegebank (Grüne), Peter Tschentscher (SPD) und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) beim Neujahrsempfang im Hamburger Rathaus (Foto: dpa)

Im Stadtstaat Hamburg wird am 23. Februar das neue Landesparlament, die Hamburgische Bürgerschaft, gewählt. Folgt man den aktuellen Meinungsumfragen, wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der SPD und den Grünen geben. Derzeit regiert in der Hansestadt eine rot-grüne Koalition unter dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der das Amt im März 2018 von Olaf Scholz nach dessen Wechsel in die Bundespolitik übernommen hat.

Der politische Niedergang der Sozialdemokraten in der Hansestadt fällt drastisch aus: Noch vor fünf Jahren erreichte die SPD unter der autoritären Parteiführung von Olaf Scholz knapp 46%. Aber selbst »König Olaf« könnte diese Zielmarke knapp unter der absoluten Stimmenmehrheit heute nicht mehr realisieren. Gut sechs Wochen vor der Bürgerschaftswahl liegt die SPD nurmehr bei 29%, was gegenüber dem Hamburg-Trend im Dezember ein Plus von 1% bedeutet.

Im Vergleich zum Dezember legen die Grünen um 3 Punkte zu und kommen ebenfalls jetzt auf 29% Prozent. Nur zwei Parteien verlieren im Vergleich zum Vormonat: die CDU zwei Punkte auf nur noch 15%, die Linke verliert ebenfalls zwei Punkte und wird mit 9% notiert. Die FDP verbessert sich leicht auf 7% und die AfD liegt unverändert bei 7%. Alle anderen Parteien kämen zusammen auf 4%.

Tschentscher kündigte an, nur als Bürgermeister zur Wahl zu stehen. Sollten die Grünen besser als die SPD abschneiden, wäre er nicht mehr Senats-Mitglied: »Ich kandidiere als Erster Bürgermeister. In dieser Funktion möchte ich auch die nächsten fünf Jahre für unsere Stadt arbeiten. Etwas anderes kommt für mich nicht infrage«. Der Erste Bürgermeister findet, »man soll sich in solchen Fragen deutlich erklären und dann auch dabei bleiben«.

Eine weitere Zusammenarbeit mit den Grünen über die Wahl am 23. Februar hinaus sei angesichts der erfolgreichen Zusammenarbeit im derzeitigen Senat zwar »eine naheliegende Option …, Voraussetzung ist aber, dass die SPD als stärkste Kraft aus der Bürgerschaftswahl hervorgeht.« Ein möglicher grün geführter Senat sei für seine Partei derzeit kein Thema.

Tschentscher und die hanseatische SPD wollen auch künftig die Koalitionsregierung anführen. Die anderen Parteien – CDU, FDP, Linkspartei und selbstverständlich die AfD – können oder wollen bei der Gestaltung der Zukunft der Metropole nicht mitmischen. Die SPD setzt darauf, dass die Mehrheit der Stimmbürger*innen wegen der konservativen Grundstimmung in Hamburg den Ausschlag für eine dünne SPD-Mehrheit gibt und hält einen Wähler*innenwechsel zur grünen Spitzenkandidatin Katharina Fegebank für »eher unwahrscheinlich«.

42% der Hamburger*innen wünschen sich laut einer Umfrage eine Führung des Senats durch die SPD, 27% durch die Grünen, 20% durch die CDU. Auch die Frage nach der Zufriedenheit mit der Arbeit von Politiker*innen sieht den SPD-Mann Tschentscher vorn, er kommt auf 56% Zustimmung und kann im Vergleich zu einer Erhebung im Februar 2019 2% zulegen, während die zweite Bürgermeisterin Fegebank 4% einbüßt und 39% Zustimmung erreicht. Zwar würde die Hamburger SPD auch in eine Koalition unter grüner Führung gehen, aber für den Spitzenpolitiker Tschentscher wäre dies eine zu große politische Kröte.


Die Hamburger Sozialdemokraten

Die hanseatische SPD legt Wert auf eine deutliche Distanz zur leichten Linksverschiebung der Bundes-SPD. Nach dem Wechsel in der Führung der Bundespartei betonen die Hamburger Sozialdemokraten vor der Bürgerschaftswahl ihre Eigenständigkeit. »Das ist eine wichtige Botschaft für alle, die in den letzten Jahren auf uns gesetzt haben: Unser Kurs bleibt bestehen, unabhängig davon, wie sich die SPD bundesweit entwickelt«, betonte Peter Tschentscher. »Was auch immer in Berlin passiert, wir sind als Hamburger SPD ein eigenständiger Landesverband.«

Knapp 46% wie bei der letzten Bürgerschaftswahl 2015 sei für die SPD am 23. Februar kaum zu schaffen, räumte der Bürgermeister ein. »Seit der letzten Wahl haben sich die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland grundlegend geändert. Wir sind in unserem Wahlziel ambitioniert, aber realistisch … Bei keiner Landtagswahl gab es zuletzt auch nur annähernd absolute Mehrheiten für einzelne Parteien. Trotz des schlechten bundesweiten SPD-Trends setzen wir in Hamburg auf ein starkes Ergebnis.«

Mit Blick auf die Bürgerschaftswahl hatte Tschentscher beim Rennen um den SPD-Bundesvorsitz auf Ex-Bürgermeister und Bundesfinanzminister Olaf Scholz als Zugpferd gesetzt. Nachdem die Mitglieder anders votiert haben, bleibt das Prinzip Hoffnung, dass die letzten Zustimmungswerte im Bund von 13% wieder nach oben korrigiert werden können. »Ich bin aber auch dort zuversichtlich, dass es eine neue Geschlossenheit gibt und die Umfragewerte für die SPD im Bund wieder besser werden«, sagte Tschentscher.

Und er »begründet«, warum ein Einsatz des neu gewählten SPD-Führungsduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Hamburger Wahlkampf nicht geplant ist: »Wir konnten sie schon deshalb gar nicht einplanen, weil ja nicht klar war, welches Duo den Bundesvorsitz übernimmt. Wir haben unsere Wahlkämpfe aber auch 2011 und 2015 ohne Bundespolitiker und sehr eigenständig geführt.« Bei der Bürgerschaftswahl gehe es um Hamburg. »Da wünschen wir uns, dass die Hamburger Themen im Vordergrund stehen.«

Die Hamburger SPD bleibt also im Wahlkampf ihrem Mitte-Rechts-Kurs treu und will mit dieser Ausrichtung wieder stärkste Kraft werden. Als wichtigstes Argument wird angeführt: Die pragmatische Regierungspolitik wird von den Hamburger*innen auch deshalb geschätzt, weil »wir eine sehr gute Leistungsbilanz« haben, die der SPD in der Hansestadt bei den Themen Wohnungsbau, Verkehr, Klimaschutz und Digitalisierung bei der Bürgerschaftswahl zugutekäme. Dieser Logik entspricht auch das Regierungsprogramm der Sozialdemokraten.

Hamburg stehe gut da, so lautet dessen Grundtenor, ordentliches Regieren sei zum Markenzeichen des Senats geworden. Es würden weiterhin 10.000 Wohnungen pro Jahr gebaut. Der Anteil an Sozialwohnungen soll von bislang 3.000 auf 4.000 Einheiten gesteigert werden, außerdem sollen sie mit einer künftigen Mietpreisbindung von 30 Jahren gebaut werden.

Eine Stadtbahn – ein Lieblingsprojekt der Grünen – ist für die SPD kein Thema. Stattdessen soll der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs im gegebenen Rahmen helfen, die Engpässe zu überwinden. Um den Unmut gegen die hohen Fahrpreise zu dämpfen, soll ein 365-Euro-Ticket für Auszubildende und ein kostenloses Schülerticket eingeführt werden. Der Radverkehr soll in ähnlichem Umfang wie bislang ausgebaut, eine innerstädtische Autobahnverbindung (A26-Ost) zügig umgesetzt und die marode Köhlbrandbrücke ersetzt werden.

In Sachen Nachhaltigkeit und Klima will die SPD, dass Hamburg bis 2050 klimaneutral wird – durch ein Klimaschutzgesetz, einen Klimabeirat und eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie. Und der Stadtstaat soll nach dem Wunsch der Sozialdemokraten Vorreiter im Bereich Digitalisierung werden. Geplant ist ein »Haus der digitalen Welt« mit der Zentralbibliothek, der Volkshochschule und anderen Institutionen.

Außerdem setzt die SPD auf das Thema Bildung. 40 weitere Schulen will die SPD bauen. Außerdem sollen auf Schulgeländen in den nächsten fünf Jahren neue Kindertagesstätten entstehen mit mehr als 5.000 neuen Plätzen. Keine Frage also: die Schwerpunkte des SPD-Programms reflektieren wichtige Problemfelder der Wähler*innen in der Hansestadt.


Die Wohnungsfrage als umkämpftes Schwerpunktthema

Bürgermeister Tschentscher hat zugleich im Wahlkampf seine Distanz zu wohnungsbaupolitischen Vorschlägen aus seiner Partei im Bund und an anderen Orten betont. In Hamburg seien dank des »Bündnisses für Wohnen« seit 2011 mehr als 55.000 Wohnungen gebaut worden, sagte er bei einer Veranstaltung des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Und die Mieten in Hamburg seien in den vergangenen beiden Jahren nur noch um jeweils 1,3% gestiegen und »damit langsamer als die Löhne und Gehälter.« Das ist ihm Anlass, Noten zu verteilen: Andere würden erst jetzt aufwachen und unterbreiteten zum Teil »abenteuerliche Vorschläge« wie Enteignungen. »Auch in Berlin ist vieles nicht passiert, was wir in Hamburg hinbekommen haben«, klopfte sich der Bürgermeister selbst auf die Schulter.

Die beständige Wiederholung, dass es in Hamburg keinen drückenden Anstieg der Wohnungsmieten und auch keinen relevanten Mangel an Wohnungen gäbe, zeigt in den Medien und dem Großteil der Politik zwar Wirkung, erhält dadurch aber keinen höheren Wahrheitsgehalt. Der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg, Siegmund Chychla, prophezeit, dass sich »in den kommenden Jahren 30% der Hamburger ihre Mieten nicht mehr leisten können … Ich habe den Eindruck, was sich da an Unzufriedenheit in den Ballungszentren zusammenbraut, wird von der Politik völlig unterschätzt.«

Richtig ist zwar, dass die SPD in Hamburg frühzeitig auf eine expansive Wohnungsbaupolitik umgestiegen ist, der verstärkte Neubau wird auch vom Mieterverein, anderen Interessenvertretungen der Mieter und der Linkspartei nicht bestritten. Der entscheidende Vorbehalt und Einwand lautet jedoch: Es werden zu wenig bezahlbare Wohnungen gebaut und die massive Vernichtung des Bestandes von Sozialwohnungen hält an.

1985 hat es laut Chychla in Hamburg noch 350.000 Sozialwohnungen gegeben, heute seien es nur noch knapp 80.000 und das, obwohl seither die Einwohnerzahl um 200.000 zugenommen habe. Es sei klar, dass das in einer Katastrophe enden müsse. Gut 2.000 Sozialwohnungen habe Hamburg 2017 gebaut, zwar mehr als anderswo, aber trotzdem »nur ein Tropfen auf den heißen Stein«.

Die Politik müsse dafür Sorge tragen, dass auch die Mieten nicht weiter so dramatisch steigen. Dafür sei die bisherige Mietpreisbremse halbherzig. Die geltende Regelung, wonach Mieten in drei Jahren um bis zu 15% erhöht werden dürfen, müsse zurückgenommen werden. Die These, in Hamburg seien die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft SAGA und die Genossenschaftswohnungen ein wirksames Gegengewicht gegen die Mietpreissteigerungen, entspricht nicht der Realität.

Auch für Hamburg gilt: Bezahlbares Wohnen ist die ungelöste soziale Frage unserer Zeit und drastisch steigende Mieten sind einer der Gründe für die wachsende Politikverdrossenheit. Deshalb müssen Mieterhöhungen – so die Forderung von nahezu allen Mieterorganisationen – in Ballungszentren auf maximal 6% in drei Jahren begrenzt werden. Zudem haben dringende Wohnungssanierungen oft für Mieter unzumutbare Mietsteigerungen zur Folge, weshalb in Zukunft maximal 4% davon auf die Miete umgelegt werden dürften anstelle bislang 11%. »Angesichts der aktuellen Wohnungsnöte helfen reine Absichtserklärungen, eine verfehlte Schwerpunktsetzung und halbherzige Gesetzentwürfe nicht.« (Siegmund Chychla)


Auch die Grünen wollen es diesmal wissen

Klare Unterstützung erhält die zweite Bürgermeisterin und grüne Spitzenkandidatin Katharina Fegebank von der Bundespartei. Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck haben die Klausur des Bundesvorstands zum Jahresanfang kurzerhand nach Hamburg verlegt. Fegebank habe eine »gute Chance« zu gewinnen, sagte Parteichef Habeck. Ein grüner Erfolg in Hamburg würde auch die Bundespartei weiter beflügeln.

Auch deshalb sucht die grüne Partei in Hamburg die Konfrontation: verdoppeltes Wahlkampfbudget und doppelt so viele Plakate wie vor fünf Jahren: Zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar treten die Grünen mit einer komplett personalisierten, auf die Spitzenkandidatin ausgerichteten Kampagne an.

Laut Fegebank werde es »eine richtig harte Auseinandersetzung« in den nächsten Wochen geben. Nicht nur der Klimaschutz soll zur »echten Chefinnensache werde«, sondern es gehe auch um die Verkehrswende, um bezahlbaren Wohnraum, um Strukturwandel und Innovationen. Während Wilfried Kretschmann in Baden-Württemberg eine »neue Idee des Konservativen« beschwört und damit der CDU das Leben schwer macht, setzt Katharina Fegebank in Hamburg auf ein liberales Publikum, das früher vielleicht auch FDP gewählt hat: »Klimaschutz kann nur mit einer starken Wirtschaft gelingen.«

Es ist ein für Grüne ungewohnter Sound, den die Spitzenkandidatin in den Wahlkampf bringt: Wirtschaft, Gründungen, Innovationen. Man will auch dorthin gehen, wo nicht nur grünes Milieu ist. Bereits seit Jahren hat Fegebank versucht, keinen Unternehmerempfang und kein Volksfest zu versäumen.


Und DIE LINKE?

Die Hamburger Linksfraktion will sich im Bürgerschaftswahlkampf ebenfalls vor allem auf die Themen Wohnungsbau und Klimapolitik konzentrieren. Das geht aus ihrem Wahlprogramm »Wem gehört die Stadt? Das solidarische Hamburg von morgen erkämpfen« hervor. Darin finden sich vor allem radikale Forderungen: Nach dem Willen der LINKEN soll in Hamburg kein öffentlicher Grund und Boden mehr verkauft werden. Jede zweite Wohnung, die neu gebaut werde, müsse eine Sozialwohnung sein. Außerdem brauche Hamburg nicht nur eine Mietenbremse, sondern einen Mietendeckel, damit Wohnen wieder bezahlbar werde.

Der neuralgische Punkt der SPD ist damit zwar getroffen, aber DIE LINKE entwickelt zu wenig Kampagnengeschick, um mit dieser Forderung in der Öffentlichkeit durchzudringen. Außerdem blockiert das vor sich Hertragen des Mantras einer sozialistischen Zukunft die pragmatische Auseinandersetzung mit den Themen und Kräften in der politischen Arena. Zentraler Gedanke im Wahlprogramm ist denn auch die Forderung nach einem Systemwechsel. Dort heißt es: »Wir sehen die Zukunft nicht als bloße Fortführung der Gegenwart, sondern setzen uns für einen Bruch mit dem neoliberalen Kapitalismus ein«. Wie der konkret erfolgen soll und mit wem und mit welchen Zwischenschritten DIE LINKE ihren Anspruch, die einzige Partei in der Bürgerschaft zu sein, die eine soziale Alternative biete, umsetzen will, bleibt eher unbestimmt.

Dieser Verzicht auf den politischen Nahkampf führt dazu, dass nicht – wie z.B. in Berlin, Thüringen oder in Bremen – wirksam in die Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in der Hansestadt eingegriffen wird. Dabei gäbe es durchaus Chancen, sowohl den Rechtskurs der Hamburger SPD als auch das Flirten der Grünen mit dem liberalen Großstadtmilieu anzugreifen und den Druck von links zu konkreten Reformschritten im Interesse der Vielen in der Stadt zu erhöhen.

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