22. Februar 2023 Joachim Bischoff: US-Präsident Biden und Russlands Präsident Putin im Wettstreit

Kriegs-Rhetorik

Durch eine überraschende Reise ins Kriegsgebiet nach Kiew unterstreicht US-Präsident Joe Biden den wichtigsten Punkt der aktuellen politischen Agenda – auch gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit: Auf die geopolitische Herausforderung durch den Angriff Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr hat seine Administration entschlossen reagiert.

Ohne seine Führung gäbe es weder eine enorme militärische und finanzielle Unterstützung der Kiewer Regierung, noch ein entsprechendes Engagement der NATO-Staaten. Allein die USA haben Rüstungsmaterial im Wert von über 30 Mrd. US-Dollar auch gegenüber einer teils zögerlichen Bevölkerung zur Verstärkung des Abwehrkampfes gegenüber der russischen Armee bereitgestellt.

Der persönliche Besuch von Biden in der Ukraine und Polen ist ein herausragendes Symbol in der Systemauseinandersetzung. Trotz allen Solidaritätsbekundungen der politischen Eliten nicht nur der USA, sondern auch Europas ist allerdings ungewiss, ob die Ukraine auch künftig mit einer materiellen Unterstützung im langwierigen Stellungs- und Abnützungskrieg rechnen kann.

»Wir sehen heute, was die Polen und ganz Europa vor Jahrzehnten gesehen haben: Den Appetit von Autokraten kann man nicht stillen, man muss sich ihm entgegenstellen. Der Autokrat versteht nur ein Wort: Nein!«, sagte Biden unter großem Beifall und spielte dabei auf den Anschluss Böhmens und Mährens an das Dritte Reich 1938 an, der Hitlers und Stalins Überfall auf Polen im September 1939 nicht hatte verhindern können. »Vor einem Jahr fürchtete die Welt den Fall von Kiew. Ich habe es gerade besucht, und ich kann mitteilen: Kiew hält sich gut. Kiew steht aufrecht und hoch«, so der amerikanische Präsident in Warschau in einer Rede, mit der er auch auf Putins Ansprache an die Nation vom Vormittag in Moskau antwortete.

In dieser Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die föderale Versammlung – die erste seit fast zwei Jahren – sollte die Nation auf weitere Kriegsanstrengungen eingestimmt werden. In dieser Ansprache ließ Putin keinen Zweifel daran, dass Russland in einem langen Krieg stecke, in dem es darum geht, alles »zur Stärkung des Vaterlands« zu mobilisieren. Auch die Wirtschaft müsse sich dieser Herausforderung unterordnen. Ein Hinweis auf Bemühungen um einen Frieden fehlte in der Rede vollkommen.

Verantwortlich für die militärische Auseinandersetzung sei die Überheblichkeit des Westens: Die USA wollten ihre globale Vorherrschaft ausbauen und absichern, daher die Absicht, Russland kleinzuhalten, ja zu zerstören. »Sie haben den Krieg angezettelt. Wir nutzen nur unsere Kräfte, um sie aufzuhalten.« Die westlichen Staaten hätten jahrelang auf diesen Krieg hingearbeitet und seien bereit, über den »Nazismus« in der Ukraine hinwegzusehen, nur um ihr revanchistisches Ziel, die Zerstörung der Friedensordnung von Jalta und Potsdam nach dem Zweiten Weltkrieg, zu erreichen. Russland führe keinen Krieg gegen das ukrainische Volk. Dieses werde vom »Kiewer Regime« und dessen ausländischen Hintermännern missbraucht.

Putin ließ selbst keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Systemkonfrontation handele. Der Westen – die Nato, die USA – fordere offen die »strategische Niederlage« Russlands. Sie seien involviert gewesen in die kürzlichen ukrainischen Angriffe auf strategische Bomber der russischen Luftwaffe auf russischem Territorium (Engels und Rjasan). Jetzt mit Verweis auf den Vertrag über strategische Angriffswaffen (New Start) die Durchsetzung der Inspektion militärischer Objekte zu verlangen, klinge wie Unsinn. Sie selbst lehnten auch alle Gesuche von russischer Seite ab. Deshalb sistiere Russland die Teilnahme am New-Start-Vertrag von 2010, der kurz vor Ablauf 2021 um fünf Jahre verlängert worden war.


Sistierung des letzten Rüstungskontrollvertrages

New Start ist der letzte in einer Reihe von einst amerikanisch-sowjetischen, später amerikanisch-russischen Verträgen zur Rüstungskontrolle, der überhaupt noch in Kraft ist. In dem 2011 unterzeichneten Abkommen verpflichteten sich die USA und Russland, die Zahl ihrer gefechtsbereiten Atomsprengköpfe auf 1.550 zu reduzieren und auch die entsprechenden interkontinentalen Trägersysteme an Land, zu Wasser und in der Luft zu limitieren. Auch wenn ihn der Kreml nicht formell kündigt, ist die Aussetzung der daraus erwachsenden Verpflichtungen ein schwerer Schlag für die strategische Sicherheit. Es ist faktisch ein sich abzeichnendes Ende der internationalen und europäischen Sicherheitsarchitektur.

Eine Rückkehr in den Vertrag verknüpfte Putin mit der Berücksichtigung des französischen und des britischen Atomwaffenpotenzials. Wenn sich die Nato schon um diesen Vertrag kümmern wolle, dann richtig. Putin gab darüber hinaus den Streitkräften und der Atombehörde Rosatom die Anweisung, auf Atomtests vorbereitet zu sein. Die USA entwickelten neue nukleare Sprengköpfe und spielten mit dem Gedanken, diese zu testen. Sollten sie das tun, werde Russland es ihnen nachmachen – um die strategische Abschreckung zu bewahren.

Es zeichnet sich ein ähnliches Vorgehen wie beim INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen ab. Weil Moskau das Abkommen aus amerikanischer Sicht seit 2014 verletzte, kündigte Washington unter Donald Trump den Vertrag 2019 auf. Russland streitet die Vorwürfe ab und macht nun die USA für das Ende des Abkommens verantwortlich. Womöglich möchte Putin die USA nun auch dazu bringen, New Start vorzeitig aufzugeben.

In Putins Grundsatzrede fehlte jede Andeutung auf die aktuelle Kriegslage, darauf, wie es mit dem Ukraine-Krieg weitergeht, unter welchen Umständen Russland zur Beendigung der Kampfhandlungen bereit ist und wie eine künftige Verständigung, inklusive europäischer Sicherheitsordnung, aussehen könnte. Der Präsident appellierte an die und patriotische Gesinnung und die Geschlossenheit der Bevölkerung.

Die aus den westlichen Wirtschaftssanktionen entstandenen Schwierigkeiten seien bereits über- und ausgestanden. Russland stehe am Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs und könne mit Unterstützung der befreundeten Nationen seinen Strukturwandel gestalten, während der Westen weiterhin im selbst gewählten Niedergang feststecke. Putin versprach die Einrichtung einer Stiftung, die sich um Kriegsversehrte und Hinterbliebene kümmern soll. Außerdem soll es weitere Sozial- und Investitionsprogramme geben, u.a. für die annektierten Gebiete in der Ostukraine.


Chinas Position zum Ukraine-Krieg

Auch die Weltmacht China verhält sich zu der aktuellen Eskalation. Schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat China einen Friedensplan angekündigt. Wang Yi, der früher Außenminister Chinas und heutige Leiter der Außenpolitik in der Kommunistischen Partei, stellt eine Friedensinitiative für die Ukraine in Aussicht.

US-Außenminister Antony Blinken sieht nach seinem Treffen mit Wang Yi in München allerdings keine Entspannung: »Bislang hat China Russland hauptsächlich rhetorische, politische und diplomatische Unterstützung geleistet. Aber wir haben beunruhigende Informationen, wonach China erwägt, Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Und es war mir wichtig, Wang Yi ganz klar zu sagen, dass dies ein ernsthaftes Problem sein würde.« Den amerikanischen Vorwurf, China könnte bald Waffen an Russland liefern, findet Peking wenig überzeugend: Es sei die amerikanische Seite, nicht die chinesische, die ständig Waffen ins Kriegsgebiet liefere, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. China werde nie akzeptieren, dass die USA die chinesisch-russischen Beziehungen diktieren.

China ist nach den Worten von Außenminister Qin Gang »zutiefst besorgt« über eine mögliche Eskalation des Konflikts in der Ukraine. Er warnte seinerseits indirekt vor weiteren Waffenlieferungen. Qin Gang forderte bestimmte Länder auf, kein Öl mehr ins Feuer zu gießen. Damit bezog sich der chinesische Außenminister in Peking bei der Vorlage eines Konzeptpapiers zur sogenannten Globalen Sicherheitsinitiative (GSI) auf Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine. Die Globale Sicherheitsinitiative basiert auf folgenden Grundsätzen: Die Souveränität und die territoriale Integrität aller Länder müssen respektiert, die Prinzipien der Uno-Charta eingehalten und die legitimen Sicherheitsbedürfnisse aller Länder ernst genommen werden. Offen bleibt, wie diese GSI durchgesetzt werden kann.

Qin Gang unterstrich, China werde weiterhin Friedensgespräche fördern. Die Staats- und Parteiführung hatte einen Vorschlag für eine politische Lösung angekündigt. Ausländischen Medienberichten zufolge will Staats- und Parteichef Xi Jinping dies demnächst vorstellen.

Westliche Beobachter räumen dem chinesischen Vorstoß allerdings keine Chancen ein. China stellt sich zwar als neutraler Akteur dar, pflegt mit Russland aber eine strategische Partnerschaft und verurteilt den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine nicht. China will seinerseits an dem Ausbau einer für beide Seiten – China und Russland – förderlichen Zusammenarbeit festhalten. Die westlichen Erwartungen, es könne zu einer Distanzierung gegenüber Russland kommen, sind offenkundig illusionär. China will in Absetzung zur Sicherheitsstrategie des NATO-Bündnisses eine globale Sicherheitskonzeption entwickeln und kann dafür in den südlichen Ländern (Brasilien, Indien etc.) ein Interesse erwarten.


Internationale Studie: Welt ist beim Krieg in der Ukraine gespalten

Trotz Höchstleistungen in geopolitischer Rhetorik ist festzuhalten: Die Mehrheit der Menschen vieler europäischer Staaten sind der Ansicht, die Ukraine müsse alle Gebiete zurückerobern. In Indien, der Türkei und in Russland dagegen ist man für ein schnelles Ende des Konflikts, auch wenn die Ukraine dabei Gebiete verlieren sollte. Das geht aus einer Studie hervor, zu der knapp 20 000 Menschen in 15 Ländern befragt wurden, auch in Russland.

Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) hat die Analyse erstellt und hält fest: »Sie deutet darauf hin, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine ihre Entschlossenheit zurückgewonnen haben – aber die Kluft zwischen ihrer Perspektive und der im ›Rest‹ (der Welt) größer geworden ist.«

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