11. Juni 2024 Bernhard Sander: Frankreich steht vor Neuwahlen

Le Pen siegt

In Frankreich sind die Sozial-Nationalisten vom Rassemblement National (RN) mit Abstand stärkste Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament geworden (31,4%). Es ist der langjährigen Vorsitzenden Marine Le Pen gelungen, die rechtsradikalen Wurzeln ihrer Organisation zu übertünchen.

Dennoch bleibt die »nationale Präferenz«, das heißt, die Bevorzugung französischer Staatsangehöriger bei allen Sozialleistungen, die Ausrichtung auf die »Nationale Souveränität« bei allen Entscheidungen der EU und das von den italienischen Faschisten abgekupferte Parteiwappen (eine Flamme in den Nationalfarben).

Le Pens Hoffnung, zusammen mit den Fratelli d´Italia und rechtspopulistischen Parteien aus anderen Ländern eine neue Fraktion der »Gemäßigten« zu komponieren, um bei der für die Wahl der EU-Kommissionspräsidentin notwendigen Mehrheit im EU-Parlament entscheidend mitbestimmen zu können, erfüllt sich wahrscheinlich nicht. Es sei denn, sie gefährdet ihr Saubermann-Image doch durch eine Fraktionsgemeinschaft mit »russlandfreundlichen« Kräften wie Viktor Orbáns Fidesz (Ungarischer Bürgerbund).

Le Pens Ergebnis ist vor allem als innenpolitisches Alarmzeichen zu werten, denn das Bündnis »Besoin d'Europe - Coalition Besoin d'Europe« um »Renaissance«, die Partei des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, schaffte noch nicht einmal halb so viel Stimmen wie RN (14,6%). Das trägt zwar auch zu einer erheblichen Schwächung der Liberalen Fraktion »Renew« im Europaparlament bei, ist vor allem aber für Frankreich selbst ein Desaster.

Deswegen machte noch am Wahlabend der Staatspräsident von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch, die Nationalversammlung aufzulösen. Durch die Festsetzung der Wahl noch vor den Sommerferien bringt er das instabile französische Parteiensystem weiter durcheinander. Bei der Parlamentswahl gilt wieder das Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen, die für den 30. Juni und den 7. Juli festgelegt wurden. Damit wird ein großer Teil der 38 Listen wieder vom Zettel verschwinden, auch wenn sie mit je 2% für Tierschutzpartei, rechtssozialdemokratische Bauernallianz oder Ökologie der Mitte ein Einflussfaktor bleiben werden.

Neue Forderungen und Diskurse wird es angesichts der Kürze der Zeit nicht geben und daher stehen die Themen und Forderungen des Europa-Wahlkampfes erneut vorne an.


Die Pläne der Rechten

Für Le Pens Rassemblement National heißt das zuallererst, das Thema Migration weiterhin in den Vordergrund zu rücken – mit doppelten Grenzkontrollen auf nationaler Ebene zur systematischen Zurückweisung von Migranten sowie an den Toren der EU und der Streichung staatlicher Zuschüsse für NGOs, die sich für die Rechte von Migranten einsetzen. Die Bearbeitung von Asylanträgen soll in den Botschaften und Konsulaten der Herkunftsländer erfolgen und die Auszahlung von Entwicklungshilfe von der Zusammenarbeit von Drittländern in Bezug auf die Einwanderung abhängig gemacht werden.

Folgerichtig wird eine »Erklärung der Rechte der Völker und Nationen« gefördert, um die »Souveränität der Nationen« zu schützen, gefolgt von der Umwandlung der Europäischen Kommission in ein »Generalsekretariat des Rates« ohne Entscheidungsbefugnis.

Umwelt- und klimapolitisch sollen Investitionen in die neue Generation von Atomkraftwerken erfolgen bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher europäischer Einmischung im Energiebereich, insbesondere bei Windkraftanlagen. Außerdem wird der Ausstieg aus den Regeln des europäischen Strommarktes gefordert und eine Kohlenstoffsteuer, mit der Fertig- und Halbfertigprodukte statt Rohstoffe besteuert werden. Es soll ein Moratorium für die Normen eingeführt werden, die für große Unternehmen im Umweltbereich gelten (Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen usw.). Schließlich will RN das Verkaufsverbot für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2035 aufheben und setzt sich für eine Lockerung der EU-Verpflichtungen zur energetischen Gebäudesanierung ein.

Wirtschafts- und außenwirtschaftliche Akzente setzt die Partei weiterhin mit den Forderungen nach einem »Prinzip der Gegenseitigkeit bei Importen« für Umwelt- und Sozialstandards, einem Moratorium für neue Freihandelsabkommen, die Ablehnung jeglicher von der EU erhobener Steuern, die die Mitgliedstaaten und die Verbraucher »bestrafen« würden. Sämtliche neue Anleihen, die von der Europäischen Kommission gezeichnet werden, sollen gestoppt und die Geldpolitik in den Dienst von Investitionen in die Realwirtschaft, den ökologischen Wandel und Zukunftstechnologien gestellt werden.

Zugleich will man zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch Reindustrialisierung in das Mandat der EZB aufnehmen und die Auszahlung von europäischen Strukturhilfen an den Kauf von nationalen, bestenfalls europäischen Produkten knüpfen lassen. Der Erwerb von europäischer Ausrüstung und Waffen soll gefördert werden und man will im integrierten NATO-Kommando bleiben, solange der Krieg in der Ukraine andauert.

Die Rechtsradikalen von Reconquête um den Chef-Kommentator Eric Zemmour und die Le Pen-Nichte Marion Marechal – die offen rassistisch argumentierende Partei kommt als Partner in einer möglichen weiteren rechtsradikalen Fraktion für die deutsche AfD in Frage – holten im Bündnis mit dem Centre national des indépendants et paysans holten 5,47% und lagen nur knapp hinter den Grünen. Die rechtskonservativen Republikaner (LR), die zur Fraktion der EVP zu zählen sind, bleiben gegenüber ihrem Ergebnis bei der Parlamentswahl stabil bei 7,2%.


Die französische Linke

Die Linksparteien, bisher in einem lockeren parlamentarischen Bündnis der Neuen Ökologischen und sozialen Union (NUPES), vermochten sich zur EU-Wahl nicht auf eine gemeinsame Liste verständigen. Die Grünen, beim letzten Mal noch der Hoffnungsträger, wurden dafür abgestraft (5,5%), während die neuformierte Sozialdemokratie jetzt zur drittstärksten Kraft aufstieg (13,8%). Über die Fraktionszuordnung von Grünen und der Sozialisten besteht im Europaparlament kein Zweifel, anders sieht es jedoch bei La France Insoumise (LFI) aus, die sich mit 9,9% den vierten Platz sicherte.

Es ist nicht auszuschließen, dass sie gemeinsam eine Fraktion mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus Deutschland und den italienischen 5 Sternen (M5S) anstreben könnten. Das BSW erreichte 6 Mandate, M5S 8, zur erforderlichen Fraktionsstärke von 23 aus 7 Ländern fehlen also noch 9 Mandate. Die genau hat das LFI erzielt. Das würde also bereits für eine neue Fraktion reichen, und einzelne MEPs aus vier weiteren Ländern wären schnell gefunden.

Da LFI in der vergangenen Legislaturperiode sich der Fraktion The Left angeschlossen hatte, hätte das erhebliche Auswirkungen auf Letztere (mandatsstärkste Landesparteien neben dem LFI: Syriza 4; Die Linke 3, Podemos 2 + Sumar 1; Vänsterpartit 2). Die französische Kommunistische Partei schaffte die 3%-Sperrklausel nicht, ist also nicht mehr dabei. Aus Belgien könnte aber die bisher unabhängige Partei der Arbeit mit ihren 2 Mandaten zur Europäischen Linksfraktion hinzugewonnen werden. Ob die Linke noch eine eigene Fraktion bilden kann, hängt nicht zuletzt von der Entscheidung des LFI ab und ist bislang offen.

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