9. März 2024 Joachim Bischoff: Biden eröffnet mit »State of the Union« den Wahlkampf

»Let’s finish this job!«

Teile der amerikanischen Öffentlichkeit sehen den amtierenden Präsidenten Joe Biden als schwachen und zu alten Präsidenten, auch wenn die Lage der Nation ökonomisch keineswegs so düster ist, wie sie seine politischen Gegner von der republikanischen Partei immer wieder ausmalen.

Biden selbst stellte in seiner Rede zur Lage der Nation den grundlegenden Unterschied zwischen dem früheren Präsidenten und den von ihm geführten Demokraten ins Zentrum: »Mein Vorgänger und einige von Ihnen hier versuchen, die Wahrheit über den 6. Januar zu begraben«, sagte er mit Blick auf Donald Trump und den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021, als dessen Anhänger den Parlamentssitz in der Hauptstadt Washington stürmten.

Die Verschwörung, das Wahlergebnis nachträglich zu kippen, eine friedliche Machtübergabe zu stoppen und den Willen des Volkes umzukehren, sei keine Tat von Patrioten gewesen, sondern »die größte Bedrohung für die Demokratie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg«. Doch Amerika sei stark gewesen, und die Demokratie habe sich durchgesetzt.

Auch an anderer Stelle nahm er Bezug auf Trump: »Mein Leben hat mich gelehrt, Freiheit und Demokratie zu umarmen«. Er setze sich für eine Zukunft ein, »die auf den Grundwerten basiert, die Amerika definiert haben: Ehrlichkeit, Anstand, Würde, Gleichheit. Jeden zu respektieren. Jedem eine faire Chance geben. Dem Hass keinen sicheren Hafen geben. Einige Menschen in meinem Alter sehen eine andere Geschichte: eine amerikanische Geschichte von Ressentiments, Rache und Vergeltung. Das bin ich nicht.«

Biden zitierte Franklin D. Roosevelt und dessen berühmt gewordene »State of the Union«-Rede im Januar 1941, als Hitlers Truppen in Europa auf dem Vormarsch waren und Roosevelt die Amerikaner*innen zu überzeugen suchte, dass die vier essenziellen Freiheiten – Redefreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht – unbedingt und überall verteidigt werden müssen. »Ich wende mich an euch in einem noch nie da gewesenen Moment unserer Union«, hatte sich Roosevelt damals an die Abgeordneten gerichtet. Der Roosevelts Worte zitierende Biden sieht die Welt heute erneut an einer weltgeschichtlichen Passhöhe.

Der aktuelle US-Präsident skizzierte eine Verbindung von Putin, dessen Krieg gegen die Ukraine und der im Kongress feststeckenden Ukrainehilfe zu Trump und dessen jüngsten Bemerkung, wonach er diesen »ermutigen würde, zu tun was auch immer er wolle«. »Meine Botschaft an Präsident Putin, den ich seit langem kenne, ist einfach: Wir werden nicht weglaufen«, sagte er. »Wenn irgendjemand in diesem Raum meint, Putin würde nach der Ukraine haltmachen, dann ist das falsch. Ich versichere Ihnen, das wird er nicht«, warnte der Demokrat. Biden fordert den Kongress erneut auf, weitere US-Hilfen für das von Russland angegriffene Land freizugeben. »Die Ukraine kann Putin aufhalten. Wenn wir der Ukraine zur Seite stehen und die Waffen liefern.« Da die Ukraine nicht um US-Soldaten bitte, werde er auch keine schicken.

Biden verurteilte auch Aussagen Trumps zur NATO. Diese seien »unerhört, gefährlich und inakzeptabel«, warnte er mit Blick auf die Ankündigung des Ex-Präsidenten, dass er NATO-Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde.


Die Situation in Gaza sei »herzzerreißend«

Die Außenpolitik nahm eher weniger Raum ein. Der Präsident setzte jedoch einen besonderen Akzent zum Nahost-Konflikt, da er auch hier bei vielen Wähler*innen zuletzt an Unterstützung eingebüßt hat. Muslime, Amerikaner*innen mit arabischer Herkunft und viele Jüngere im Land beklagen, dass die USA zu einseitig an der Seite Israels stehen und zu wenig tun, um das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung zu lindern.

Er prangerte auch die dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen an, versprach den Menschen im Gazastreifen weitere Hilfe und rief Israels Führung zu einem besseren Schutz von Zivilisten auf. »Mehr als 30.000 Palästinenser wurden getötet, von denen die meisten nicht der Hamas angehören […] Israel muss mehr Hilfslieferungen nach Gaza zulassen und sicherstellen, dass die humanitären Helfer nicht ins Kreuzfeuer geraten […] Humanitäre Hilfe darf nicht zweitrangig sein oder als Verhandlungsmasse dienen. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Menschen muss Vorrang haben.«


Die wirtschaftliche Erholung werde bei einem Großteil nicht gesehen

Joe Biden strich in seiner Rede die Erfolge seiner Präsidentschaft heraus, eine lange Liste, beginnend mit den zwölf Millionen Jobs, die bisher geschaffen wurden. Zu ihnen zählt er die tiefste Arbeitslosenquote seit 50 Jahren und die Rückkehr weitgehender Normalität nach langen Covid-Jahren und einer fast gescheiterten Machtübergabe nach den letzten Präsidentschaftswahlen. Er konzentrierte sich in weiten Teilen der Rede auf innenpolitische Themen, die viele Amerikaner*innen im Alltag umtreiben: Inflation, Jobs, Medikamentenpreise, Mieten, Steuern, Kriminalität – aber auch die Kosten für Chips und Schokoriegel wie Snickers.

Viel Zeit widmete Biden der Wirtschaftslage, denn die ökonomische Zufriedenheit der Amerikaner*innen könnte die Wahl mitentscheiden. Und genau da hakt es. Die US-Wirtschaft steht eigentlich nicht schlecht da. Die Inflation ist deutlich zurückgegangen. Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Doch bei einem Großteil Bevölkerung in den USA scheint das nicht anzukommen. Umfragen zufolge sind viele frustriert über hohe Preise im Supermarkt. Biden pries die wirtschaftspolitischen Impulse, die er gesetzt habe, und argumentierte, diese machten sich nicht sofort bemerkbar. »Das braucht Zeit, aber das amerikanische Volk beginnt, es zu fühlen.«

Die rekordhohe Zuwanderung über die Südgrenze ist ein wichtiger Grund, warum die Amerikaner*innen mit Biden unzufrieden sind. Ein zweiter Grund sind die gestiegenen Lebenskosten und Hypothekarzinsen. Biden versuchte, diese Sorgen anzusprechen. So versprach er etwa Steuerabzüge für Personen, die erstmals ein Haus kaufen. Gleichzeitig unterstrich er auch die Erfolge seiner großen Investitionsprogramme. Unter anderem seien in seiner Amtszeit 800.000 neue Stellen in der verarbeitenden Industrie entstanden. Die Arbeitslosigkeit ist in den USA tatsächlich tief (unter 4%), und die Löhne steigen wieder schneller als die Inflation. Biden forderte zudem höhere Steuern für Milliardäre und große Konzerne sowie höhere Löhne für Lehrer*innen.

Hoch her ging es beim Thema Migration, um das im Wahlkampf besonders hart gekämpft wird. Mehrfach unterbrachen Republikaner den Präsidenten mit Zwischenrufen, die Biden jedoch konterte. Der Präsident distanzierte sich klar von Trumps migrationspolitischem Kurs: »Ich werde keine Familien trennen«, nicht die Einreise von Menschen aufgrund ihres Glaubens verbieten.

Trump hatte nur eine Woche nach seinem Amtsantritt Einreiseverbot für Menschen aus mehreren überwiegend muslimisch geprägten Ländern verhängt und damit weltweit Entsetzen ausgelöst. Der Republikaner hatte außerdem illegal in die USA gelangte Familien für die gesamte Dauer ihres Asyl- oder Einwanderungsverfahrens in Gewahrsam nehmen lassen. Mit Blick auf eine aktuelle Äußerung Trumps sagte Biden weiter: »Ich werde Einwanderer nicht verteufeln und sagen, sie seien Gift im Blut unseres Landes.«

Stattdessen rief Biden erneut die Republikaner zur Zusammenarbeit auf. Zuletzt hatten diese im Kongress auf Geheiß Trumps ein überparteilich ausgehandeltes Gesetz blockiert, das mehr Ressourcen zur Grenzsicherung und strengere Regeln vorsah.


Angriffe auf Trump, ohne dessen Namen zu erwähnen

Biden sprach immer nur von seinem »Vorgänger«. Der wiederholte Tenor: »Man kann Amerika nicht mit uralten Ideen führen«, d.h. mit Hass, Rache und Appelle ans Ressentiment. »Die Bedrohung der Demokratie muss abgewehrt werden«, sagte der 81-Jährige. So begrüßte er etwa auch Kate Cox im Publikum. Die Texanerin war mit einem Fötus schwanger, der aufgrund einer genetischen Fehlbildung keine Überlebenschance hatte. Weil ihr Heimatstaat aber keine Abtreibungen erlaubt, musste sie dafür in einen liberalen Staat reisen, auch um ihre eigene Gesundheit zu schützen. Trump hatte drei konservative Richter an den Supreme Court berufen und schuf damit eine Mehrheit an dem Gericht, welche das Recht auf Abtreibung 2022 kippte. Wer sich damit brüste, das landesweite Recht auf Abtreibung beendet zu haben, verstehe die Macht der Frauen nicht, kritisierte Biden. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Frauen für ihn und die Demokraten stimmen werden, um dieses Recht per Gesetz wieder zu etablieren.

Biden hat in der Rede zur Lage der Nation auch sein Alter thematisiert. »In meiner Laufbahn hat man mir immer wieder gesagt, ich sei zu jung und zu alt. Ob jung oder alt, ich habe immer gewusst, was Bestand hat.« Es sei die Idee Amerikas, dass alle gleich geschaffen seien und es verdienten, das ganze Leben lang gleich behandelt zu werden. »Wir sind dieser Idee nie ganz gerecht geworden, aber wir haben uns auch nie von ihr entfernt. Und ich werde mich auch jetzt nicht von ihr entfernen.«

Sein Alter gilt als die größte Bürde im aktuellen Wahlkampf. Der Demokrat war 2021 bereits als ältester Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus eingezogen. Sollte er erneut gewählt werden, wäre er am Ende seiner zweiten Amtszeit 86 Jahre alt. Und die wahrscheinlichen Wähler*innen sorgen sich laut der neusten Umfrage der »New York Times« mehr um den 81-jährigen Biden als um den 77-jährigen Trump. Demnach sind 46% entschieden der Meinung, dass Biden zu alt sei, um ein effektiver Präsident zu sein. Bei Trump finden dies nur 21%. Fänden die Präsidentschaftswahlen jetzt statt, würden 48% für Trump und 44% für Biden stimmen.


Fast alle Umfragen sind schlecht

Bidens Alter ist jedoch nur eines der Probleme. Unter ihm erlebten die Amerikaner*innen eine Inflation wie seit Jahrzehnten nicht mehr, zugleich nahm auch die illegale Zuwanderung über die Südgrenze rasant zu. Bidens Politik habe ihnen persönlich geschadet, sagen deshalb 44%, über Trump sagen dies lediglich 27%.

Viele seiner ehemaligen Wähler*innen sind enttäuscht von Biden. Vor vier Jahren gewann der Präsident etwa unter Frauen, jungen Wähler*innen, Afroamerikaner*innen oder Latinos deutlich mehr Stimmen als Trump. Doch gemäß der Umfrage hat Biden in diesen Wählergruppen viel Rückhalt verloren. Die Frauen etwa stimmten 2020 mit 55% zu 44% für Biden. In der Erhebung der »New York Times« liegen die beiden Kontrahenten nun gleichauf. Unter den Wähler*innen mit lateinamerikanischen Wurzeln liegt Trump gar knapp in Führung.

Besonders groß scheint der Vertrauensverlust unter den nichtweißen Wähler*innen der Arbeiterklasse zu sein. Vor vier Jahren gewann Biden ihre Stimmen mit einem Vorsprung von fast 50 Prozentpunkten. In der aktuellen Umfrage ist dieser auf nur noch 6% geschmolzen. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass die Schichten mit tieferen Einkommen stärker unter der Teuerung der letzten drei Jahre von bis zu 9% leiden, auch wenn sie wieder auf rund 3% gesunken ist.

Bidens Wahlkampfmanager Michael Tyler will die düsteren Prognosen indes nicht wahrhaben. Die Umfragen stünden im Widerspruch dazu, wie die Amerikaner*innen tatsächlich abstimmten, erklärte er am Wochenende. Die Erhebungen würden Trump »ständig überschätzen und Biden unterschätzen«.

Tatsächlich hatte die »New York Times« etwa 2022 vor den Zwischenwahlen zum Kongress einen deutlichen Sieg der Republikaner vorausgesagt. Danach aber schnitten die Demokraten besser als erwartet ab. Aktuell zeichnen fast alle Umfragen das gleiche Bild: Trump liegt gegenüber Biden in Führung. Der Rückstand von ein paar Prozentpunkten wiegt dabei auf den zweiten Blick noch schwerer als zunächst gedacht.

Denn bei der Wahl zum US-Präsidenten stimmen die Wähler*innen nicht direkt über ihr künftiges Staatsoberhaupt und seinen Stellvertreter ab. Vielmehr wählen sie ein Kollegium aus Wahlmännern und -frauen (»Electoral College«), das dann den Präsidenten und seinen Vize kürt. Dieses System bevorteilte in der jüngeren Vergangenheit die republikanischen Kandidaten. Indem sie die entscheidenden Swing States für sich entschieden, konnten George W. Bush 2000 und Trump 2016 die Wahl gewinnen, auch wenn sie nicht die absolute Mehrheit der Wähler*innenstimmen erreichten. Auch in diesen Swing States liegt Trump derzeit in den Umfragen in Führung.


Gegen den sozialpolitischen Kurs der Republikaner & Bekämpfung der Klimakrise

Biden betont in seiner diesjährigen »State of the Union« immer wieder, dass er noch lange nicht am Ziel sei. »Let’s finish this job«, rief er mehrmals in den Saal, vor dem er eine Vision für ein Amerika wie vor den Zeiten eines Ronald Reagans ausmalte. Und er ließ keinen Zweifel daran, wer die Arbeit erledigen soll. Es war seine erste, energische Bewerbungsrede für die erneute Präsidentschaftskandidatur.

Anstatt die Reichen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen zu lassen, wollten einige Republikaner*innen die Krankenversicherungs- und Sozialversicherungsbezüge alle paar Jahre auf den Prüfstand stellen, warf Biden der konservativen Partei vor. Er werde aber nicht zulassen, dass bei der Sozialversicherung gekürzt werde. Gegen mögliche Vorstöße in diese Richtung werde er sein Veto einlegen. »Diese Leistungen gehören dem amerikanischen Volk« […] Sie haben sie verdient.«

Teil seiner Rede war auch der Kampf gegen die Klimakrise. Biden unterstrich: »Sie ist eine existenzielle Bedrohung. Wir sind unseren Kindern und Enkelkindern gegenüber verpflichtet, uns ihr zu stellen.« Es gebe noch viel mehr Arbeit zu tun.

Trump hat die Rede Bidens auf seiner Online-Plattform Truth Social live kommentiert und bereits während der Ansprache warf er ihm Führungsschwäche vor. Er lobte seine eigene Politik als Präsident und warf Biden vor, politische Erfolge zu verbuchen, die er errungen habe. Noch vor der Rede hatte Trump ein Video veröffentlicht, in dem er der Biden-Regierung die »Zerstörung des Landes« vorwarf. Die gute Nachricht aber sei, »dass wir jede einzelne Krise, jedes Unglück und jede Katastrophe, die Joe Biden verursacht hat, rückgängig machen werden«, sagte der wohl bereits jetzt feststehende republikanische Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November 2024.

Zurück