7. Oktober 2019 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke: Die Parlamentswahlen in Portugal

Linke Reformpolitik wiedergewählt

In Portugal haben die Parlamentswahlen das erwartete politische Kräfteverhältnis im Wesentlichen bestätigt. Der bisherige Premierminister António Costa hat mit erzielten 36,7% die Position seiner Sozialistischen Partei als stärkste Kraft ausgebaut, gegenüber der Wahl von 2015 4,4% hinzugewonnen und bislang 106 der insgesamt 230 Sitze (von denen 4 noch nicht ausgezählt sind) in der Assembleia da República erreicht.

Die konservativ-liberale Oppositionspartei Partido Social Democrata (PSD) unter Parteichef Rui Rio ist mit 27,9% der Wahlverlierer und künftig nur noch zweitstärkste Kraft. Der Linksblock unter Führung Catarina Martins (Bloco de Esquerda – BE) verlor leicht und kam auf 9,7% (-0,6%), die Listenverbindung Coligação Democrática Unitária (CDU) aus Partido Comunista Português (PCP) und Partido Ecologista Os Verdes (PEV) verlor deutlicher und erreichte 6,5%.

Das rechtskonservative Centro Democrático e Social – Partido Popular (CDS-PP), bei der Wahl 2015 noch gemeinsam im Wahlbündnis mit dem PSD als Portugal à Frente (PaF – Vorwärts Portugal) angetreten, kommt auf 4,3% und die Natur- und Tierschutzpartei Pessoas – Animais – Natureza (PAN – Menschen – Tiere – Natur) legte um 1,8% zu und erreichte 3,2%. Da es im portugiesischen Wahlsystem keine Prozenthürde gibt, zogen diesmal zudem drei weitere kleine Parteien ins Parlament ein, darunter die rechtspopulistische CHEGA, die 1,3% erreichte.

Dies signalisiert ähnlich wie die sehr niedrige Wahlbeteiligung, die von 57% im Jahr 2015 erneut auf diesmal 54% sank, und der Anteil von ungültigen Stimmen (4,3%), dass trotz der Verbesserungen, die die Politik der Sozialisten für viele Bürgerinnen erreichte, auch politisch ein eher gewachsenes Protestpotenzial existiert.

Gleichwohl wird die Linksregierung ihren Reformweg fortsetzen können. Die Sozialisten benötigen für eine Regierungsbildung nurmehr die Unterstützung einer Partei und können weiterregieren, sofern sowohl der Bloco de Esquerda als auch die in der Wahlverbindung CDU zusammengeschlossenen Kommunisten und Grünen daran festhalten, den Linkskurs weiterhin mitzutragen.

Bei der Parlamentswahl 2015 war das bürgerliche Wahlbündnis aus PSD und CDS-PP zwar noch stärkste Kraft geworden, verlor jedoch die absolute Mehrheit. Die Sozialisten, die 86 Sitze erobert hatten, bildeten überraschend eine linke Minderheitsregierung. Seither wird das Land von dem Sozialisten António Costa erfolgreich regiert. Die Sozialistische Partei, der Linksblock und die beiden Mitgliedsparteien des Bündnisses CDU (Kommunisten und Grüne) hatten zusammen im Parlament die absolute Mehrheit, Linksblock und CDU tolerierten bisher Costas Linksregierung.

Die gravierenden Folgen der Eurokrise und die erzwungene Politik der Troika-Kreditgeber hatten die Sozialisten nach links geschoben, mit leichten Vorbehalten gegenüber der Politik der EU-Gremien. Premierminister versprach, das Kapitel Austerität zu beenden. Rückblickend ist dem anfangs kritisierten Linksbündnis eine erstaunlich stabile Regierungszeit gelungen. Die tolerierte Minderheitsregierung war wirtschaftlich und sozial recht erfolgreich, was das in Europa außergewöhnliche erneute gute Wahlergebnis erklärt.

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern sind in Portugal rechtspopulistische Parteien bedeutungslos. Die Unzufriedenheit ist deutlich geringer, es werden keine emotionalen Zuwanderungsdebatten geführt und die Erinnerung an die mehr als 40 Jahre währende Diktatur von António Oliveira de Salazar und seines Nachfolgers Marcelo Caetano, die 1974 von der Nelkenrevolution beendet wurde, ist vielfach präsent.

Grundlage der erfolgreichen Minderheitsregierung war die Sanierung der Wirtschaft. David Lipton, geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), bestätigte, dass die wirtschaftliche Erholung Portugals »eine Lektion für den Rest Europas, wenn nicht der Welt« sei.

Costa, der frühere Bürgermeister von Lissabon, war der Koordinator und Spiritus Rektor einer radialen Politikwende. In den vier Jahren seiner Regierungszeit hat »Portugal Würde, Selbstbewusstsein und internationales Ansehen zurückgewonnen« – so seine Bewertung in der letzten Parlamentsdebatte vor den Wahlen im Juli 2019. Seine besondere Regierungsformel habe sich nicht nur als stabil erwiesen, sie habe auch noch »das Blatt der Austerität gewendet«.

Portugal wurde vom IWF und seinen europäischen Partnern mit einem Milliardenkredit vor dem Staatsbankrott bewahrt. Nach einer dreijährigen Rosskur begann die Wirtschaft 2014 wieder zaghaft zu wachsen, aber die Stimmung blieb schlecht und wurde der Costas Vorgängerregierung zugrechnet. Costa versprach, das Blatt zu wenden und hat es geschafft, die schlimmsten Kürzungsmaßnahmen rückgängig zu machen und den Portugiesen Zuversicht in die Maßnahmen seiner Politik zu vermitteln.

Die portugiesische Regierung hat ohne Zweifel von der guten Konjunktur profitiert, dem touristischen Boom, tiefen Zinsen und einer moderaten Haushaltspolitik, bei der trotz hoher Verschuldung die Defizite langsam zurückgeführt wurden. Auch wenn noch immer die Schattenseiten der Austeritätspolitik unter anderem durch Personalmangel und Wartezeiten im staatlichen Gesundheitswesen im Alltag bemerkbar sind, hat vor allem der Tourismus-Boom geholfen, die Situation für die Menschen zu verbessern. Währens im Jahr elf Millionen ausländische Gäste Portugal besuchten, waren es im vergangenen Jahr bereits 15,2 Millionen. Sie ließen 16,6 Milliarden Euro im Land, viel Geld für das kleine und vergleichsweise armes Land.

Für die Jahre 2019 und 2020 wird ein Wirtschaftswachstum von jeweils 1,7% vorausgesagt. Die Arbeitslosigkeit ist wieder stark gesunken und liegt derzeit bei 6%. Allerdings beträgt die Staatsverschuldung noch immer 120% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – ein Erbe der Krise, das Portugal noch eine Weile mit sich tragen wird. Die Tendenz ist aber immerhin rückläufig.

Die portugiesische Wirtschaft hat derzeit viele Wachstumsmotoren. So wird die Bauwirtschaft vom Wohnungsbau, Sanierungen und Infrastrukturprojekten vorangetrieben. Das Land zieht zudem seit einigen Jahren erfolgreich Hightech-Investitionen an. Einen Schwerpunkt bilden die Vernetzung von Fahrzeugen und autonomes Fahren. BMW, Bosch, die LKW-Maren Daimler Trucks & Buses und Volkswagen haben neue Zentren für Forschung und Entwicklung gebaut. Die portugiesischen Importe aus Deutschland stiegen im 1. Halbjahr 2019 um 7,6% auf 5,6 Milliarden Euro, während die portugiesischen Exporte in die Bundesrepublik auf 3,7 Milliarden Euro (+6,4%) zulegten. Im Gesundheitssektor stehen neue Krankenhäuser und modernere Ausrüstung im Fokus. Damit sind zugleich die zentralen Politikfelder für die nächsten Regierungsperiode benannt.

Die wichtigste Stütze der Konjunkturentwicklung war zweifellos die Stärkung des Binnenmarktes. In Portugal fiel die Arbeitslosenrate 2018 unter den Durchschnitt des Euroraums; Löhne und Gehälter bewegen sich nach oben – auch wenn sie weiterhin die niedrigsten in Westeuropa sind (die Brutto-Löhne liegen im Schnitt unter 950 Euro im Monat). Befördert wurde die Steigerung durch die Erhöhung des Mindestlohns, der ausgehend von den vorgeschriebenen 14 Monatszahlungen am 1. Januar 2018 von 557 auf 580 Euro angehoben (auf zwölf Monate umgerechnet sind das rund 677 Euro). Eine weitere Erhöhung auf 600 Euro erfolgt 2019 am Ende der Legislaturperiode.

Auch wenn die von den Sozialisten getragene Regierung Portugals die Arbeitslosigkeit massiv senken konnte, geschah dies meist auf Grundlage »prekärer Verträge«. Von den 125.000 Beschäftigten, die im zurückliegenden Jahr im Privatsektor eingestellt wurden, unterschrieben allein 90.000 solche kurzfristigen prekären Verträge. Damit liegt die Zahl erwerbstätiger Personen, die im Wesentlichen »ungeschützt« sind, bei 950.000.

Die Partner der Minderheitsregierung, der Linksblock und die Kommunistische Partei, verweisen darauf, dass sie die Verbesserungen der sozialen Verhältnisse mit durchgesetzt haben – ein höherer Mindestlohn, höhere Pensionen, Fortschritte bei der Reduzierung der Arbeitszeit und andere Maßnahmen wie die Gratisausgabe von Schulbüchern. Bei anderen Themen allerdings haben sie die sozialistische Regierung von Costa heftig kritisiert. So hätten die Sozialisten zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert, die öffentliche Dienstleistungen nur schleppend ausgebaut und die die Lehrergehälter nicht erhöht.

Der Regierungs- und Sozialistenchef verweist im Gegenzug auf den katastrophalen Zustand, in dem sich die öffentlichen Verkehrsbetriebe nach den Krisenjahren und dem von der EU auferlegten Sparzwang befunden hätten. Die Minderheitsregierung habe erst drei Jahre nach Amtsantritt z.B. die Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs verstärkt auf die Agenda setzen können. Und auch bei den öffentlichen Investitionen sowie den höchst umstrittenen Lehrergehälter habe es nicht so rasch vorangehen können, um die Staatsfinanzen in ein Gleichgewicht zu bringen.

Erst in letzter Zeit erfolgte hier ein Kurswechsel: Inzwischen fließen über 100 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt in den öffentlichen Nahverkehr. Dessen tiefgreifende Reform wurde eingeleitet, die Zuständigkeit für die Verkehrsbetriebe wurde von der Zentralregierung in die Verwaltung der Städte und Metropolenregionen übertragen. Zudem wurden die Tarife deutlich gesenkt, was zu einer spürbaren Erhöhung der Fahrgäste führte – um 29% in Porto, und um 30% in Lissabon. Und schließlich wird nun in den Ausbau und die Verbesserung der Verkehrssysteme selbst investiert. Alle diese Maßnahme gehören zu den weitreichendsten, die die Minderheitsregierung während ihrer vierjährigen Amtszeit umgesetzt hat, denn sie betrifft jede und jeden.

Eine offene politische Baustelle ist allerdings der Immobiliensektor. Seit 1981 hatte zum Beispiel Lissabon fast ein Drittel der Einwohner verloren, die Bevölkerung war von 800.000 auf 550.000 Menschen geschrumpft. In der Altstadt standen 1991 etwa 10% der Wohnungen leer, 2011 waren es bereits 30%, die Stadt begann zu verfallen. Schuld war eine Gesetzgebung aus den Zeiten der Salazar-Diktatur, die keine Mieterhöhungen erlaubte. Am Ende zahlte man für eine Wohnung weniger als für ein Kilo Fleisch.

In mehreren Schritten wurde eine Gesetzesreform auf den Weg gebracht, aber die Aufhebung der Regulierungen sind ins andere Extrem gekippt. Statt weniger als ein Kilo Fleisch kosten neue Wohnungen heute so viel wie ein Durchschnittslohn. Lissabon wurde z einer »touristischen Blüte«, beschleunigt von Investorengeld aus aller Welt auf der Suche nach den besten Anlagemöglichkeiten.

Tatsächlich hat sich im einstigen Krisenland unter der linker Regierung vieles verbessert, die Situation auf dem Wohnungs- und Immobiliensektor gehört noch nicht dazu. In vielen Fällen können sich die Bewohner die Mieten nicht mehr leisten. In manchen Fällen verraten Schilder mit dem Kürzel »AL« (für »alojamento local«) an den Haustüren, dass sich hier nun Touristen über Plattformen wie Airbnb einmieten. Es sind nicht nur die Spekulanten, die die Preise in die Höhe treiben, sondern auch ganz normale Wohnungseigentümer wollen bzw. müssen ihre oft mageren Einkünfte aufbessern.

Dass die Immobilienpreise in Portugal inzwischen in früher undenkbare Höhen geklettert sind, hat auch mit dem Touristen-Boom zu tun. Das Land empfiehlt sich zudem als sonnige Bleibe für ausländische Rentner, die ihre Altersbezüge zehn Jahre lang nicht versteuern müssen. Zudem studieren immer mehr junge Leute aus anderen Ländern an portugiesischen Hochschulen. Und in Lissabon und Porto wachsen umtriebige Startup-Szenen.

Für viele ist der dramatische Anstieg der Wohnungspreise der größte Makel des Aufschwungs, den Portugal seit 2015 unter einer sozialistischen Regierung erlebt hat. Seit Jahrzehnten passiere z.B. in Lissabon dasselbe, wie in anderen europäischen Städten: Immer weniger Einwohner können es sich noch leisten, innerhalb der Stadtgrenzen zu leben. Im Gegenzug wachsen die umliegenden Gemeinden, was für viele Menschen nicht zuletzt auch längere und teurere Arbeitswege bedeutet.

António Costa hat mit den portugiesischen Sozialisten mit Sicherheit noch keine Zauberformel gefunden, mit der die Folgen der von den Vorgängerregierungen praktizierten Austeritätspolitik rasch beseitigt werden können. Aber die portugiesischen Sozialisten haben sich – nicht zuletzt durch den Druck der anderen tolerierenden Linkskräfte – in ihrer Regierungspolitik an grundlegenden sozialistischen Prinzipien orientiert und die unvermeidliche Erneuerung der Gesellschaft auf den Weg gebracht – in nachvollziehbaren und für die Bevölkerung spürbaren Reformschritten praktiziert, nicht in einem großen Sprung.

Dies ist zudem beständig – wenn auch verbesserungsfähig – kommuniziert worden. Schon bisher könnte man von der portugiesischen Praxis lernen. Wenn es den Linkskräften gelingt, das Wahlergebnis ebenfalls in neue kräftige Reformschritte umzusetzen, könnte nach der vielbewunderten Nelkenrevolution des Jahres 1974 hierzulande der Lernprozess befördert und mit gelebter Solidarität verbunden werden.

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