26. Juni 2022 Redaktion Sozialismus.de: DIE LINKE vor einem Neuanfang

Links von der »Ampel«

In Erfurt haben Ende Juni ca. 570 Delegierte der Partei DIE LINKE sich der Herausforderung gestellt, Wege aus der tiefen Krise einzuschlagen. Die existentielle Bedrohung war unstrittig. Auch der langjährige Repräsentant Gregor Gysi redete nicht um den heißen Brei herum: Entweder die Linke werde jetzt gerettet, »oder wir sinken in die Bedeutungslosigkeit«.

Gysi unterstrich in seiner Rede, dass die Partei in der Gesellschaft einen Platz einnehme, der von keiner anderen Partei ersetzt werden könne. »Das Land braucht demokratische Sozialistinnen und Sozialisten.« Das Motto des Parteitages – »es kommt darauf an, sie zu verändern« – sollte in eine konsensfähige Positionsbestimmung und eine handlungsfähige Parteiführung umgesetzt werden.

Der Ausgangspunkt ist eher deprimierend: Nach desaströsen Wahlniederlagen bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, massiven Mitgliederverlusten, dem Rücktritt einer der beiden Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, für den der Skandal um Sexismus und Übergriffe gegen Frauen in den eigenen Reihen eine weitere Begründung war, sollte der Parteitag die Wende und einen Aufbruch bringen.

Im Vorfeld zirkulierten diverse Aufrufe und Unterstützungslisten, so dass z.B. der thüringische Ministerpräsident und aktuelle Bundesratspräsident Bodo Ramelow in einen Spiegel-Interview mahnte: »Die reale und dynamische Armutsentwicklung wäre ein Ausgangspunkt für konkrete Politik, da wäre eine starke und laute Linke sehr gefragt. Da könnte unser Erfolg für Menschen liegen, wenn sich die Linke nicht ständig mit sich selbst beschäftigen und Personaldebatten führen würde.« Auf dem Parteitag ergänzte er: »Diese Linke hat nicht das Recht, sich mit sich selber zu beschäftigen und nur den ganzen Tag zu schauen, wie kann man dem anderen unter den Linken ein Bein stellen.«

Die Mahnungen zeigten erkennbar wenig Wirkungen. Sahra Wagenknecht, Protagonistin einer einflussreichen Strömung, die seit Jahren einen politischen Kurswechsel der Partei einfordert, bestand auf einer Rückkehr zu einem klassenkämpferischen Profil – und mehr Verständnis für Russland. Der Parteispitze wirft sie vor, »mit der bisherigen friedenspolitischen Tradition der Linken« zu brechen. Es gäbe in Deutschland viele Menschen, »die sich mehr soziale Gerechtigkeit und das Bemühen um die diplomatische Lösung von Konflikten anstelle von Aufrüstung und Kriegsrhetorik wünschen. Das Potenzial ist da. Wir müssen unsere Fehler korrigieren, dann können wir auch wieder erfolgreicher werden.«

Zum wiederholten Mal appellierte sie an die Partei über die Medien, um eine Zustimmung zu einem alternativen Leitantrag zu erreichen, in dem zu einer Veränderung der Sprache und der Themensetzung aufgefordert wurde. Es gäbe in der Partei eine Konzentration auf kleine Zirkel von Politaktivisten und auf die grün-liberalen akademischen Großstadtmilieus. Eine Erneuerung der Führung könne den Kurswechsel bringen. »Wir können nicht auf dem Weg der letzten Jahre weitergehen, denn er hat dazu geführt, dass wir uns immer mehr von den Menschen entfernt haben, für die wir eigentlich da sein sollten: Menschen mit niedrigen Einkommen, mit kleinen Renten, Menschen, die aus ärmeren Verhältnissen kommen und oft nie die Chance hatten, tolle akademische Abschlüsse zu erlangen. Früher haben wir diese Menschen erreicht. Umfragen und Wahlen zeigen, dass uns das heute nicht mehr gelingt. Viele äußern das Gefühl, dass die Linke nicht mehr für sie da ist.«

Diese Rhetorik zurück zum klassenkämpferischen Kurs hat die erkennbare Schwäche, dass die veränderten ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen und die Verwerfungen auf dem politischen Feld mit diesen Formeln nicht einfangen werden. Die Notwendigkeit, sich den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu stellen und für sie verständliche politische Antworten zu entwickeln, unterstrich dagegen Bodo Ramelow in der Generaldebatte: Die im wahrsten Sinne »ver-rückte Welt«, mit der wir es gegenwärtig zu tun haben, muss analysiert, verstanden und in strategische Überlegungen umgesetzt werden, bei denen dann auch, wie er schon in dem bereits erwähnten Spiegel-Interview deutlich machte, »die Linke [...] sich fragen lassen [muss], ob sie ein Teil der Modernisierung sein will, eine treibende Kraft«.

Dass die Partei bis dahin noch einen weiten Weg vor sich hat und die Herausforderungen längst noch nicht überall angekommen sind, machte dann die eher enttäuschende Generaldebatte deutlich, in der diese Punkte kaum aufgegriffen wurden.

Die amtierende Parteichefin Janine Wissler stellte sich der Kritik und verteidigte in einer kämpferischen Rede den bisherigen Kurs. DIE LINKE dürfe keine widersprüchlichen Signale senden. »Linke Politik muss provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von ›oben‹ und ›unten‹ und niemals von ›unten‹ nach ›noch weiter unten‹.« Und sie grenzte die Linke eindeutig vom früher Russland-freundlichen Kurs ab – eine Breitseite gegen die ehemalige Fraktionschefin Wagenknecht: »Die russische Führung trägt die Verantwortung für diese Eskalation. Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen.«

Und Wissler präzisierte ihre politische Schwerpunktsetzung: Ein »Zurück« zur politischen Konstellation der 2000er-Jahre und der Gründungszeit könne es nicht geben, stattdessen müsse das Profil in Richtung »sozialistische Gerechtigkeitspartei« geschärft werden. »Wir müssen uns auf die harten Verteilungskämpfe im Herbst vorbereiten und linke Antworten darauf finden.« Die Vorsitzende benannte in diesem Zusammenhang die Stichworte Umverteilung, Vermögensabgabe, Vermögenssteuer, Besteuerung von Übergewinnen und die Wiedereinführung der staatlichen Strompreisaufsicht.

Links der »Ampel« sei noch »viel Platz für linke Politik. Und die Themen liegen auf der Hand: steigende Preise und Mieten, wachsende Ungleichheit, Armut und prekäre Arbeit, unzureichende Klimapolitik, Aufrüstung. Unsicherheit ist für viele Menschen zum Lebensgefühl geworden. Die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen Weniger bedroht die Grundlagen der Demokratie. In dieser Situation müssen wir linke Alternativen aufzeigen und unser Profil schärfen. Das heißt, die Interessen der Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentnerinnen und Rentner in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen.«

Janine Wissler bleibt Parteichefin, die Delegierten wählten sie – sie hatte zwei Gegenkandidatinnen – mit 57,5% erneut zur Vorsitzenden. Als Ko-Vorsitzender erhielt der aus Thüringen stammende Europa-Abgeordnete Martin Schirdewan 61,3%. Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert (65,9%) und die ver.di-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt (62%) sowie nach einer Stichwahl Ates Gürpinar aus Bayern (47,4%) und Lorenz Gösta Beutin aus Schleswig-Holstein (47,3%) gewählt. Wiedergewählt wurde Harald Wolf als Bundesschatzmeister (mit 59,7%), Nachfolger für Jörg Schindler, der nicht mehr antrat, im Amt des Bundesgeschäftsführers ist Tobias Bank aus Brandenburg (54,2%).

Der »große Krawall blieb aus«, wie die taz ihren Bericht des ersten Kongresstages betitelte. Deutlich wurde aber bereits in den Kontroversen zur Bewertung der Rolle Russlands im Ukraine-Krieg, dass die neue Parteiführung auch einen Weg finden muss, wie die auseinanderstrebenden Teile wieder zusammengeführt werden können. Der von Wagenknecht und anderen eingebrachte Anti-NATO-Antrag wurde zwar mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, ein Ersetzungsantrag des »linken« Parteiflügels, zu dem Janine Wissler die Gegen-Rede hielt, wurde aber immerhin noch von 226 Delegierten unterstützt. Und auch die insgesamt eher schwachen Wahlergebnisse der neuen Parteiführung machen deutlich, dass da noch einiges zu tun ist.

Zum Problem, wie die im Vorfeld des Parteitags benannte »strategische Lücke« mit einer Veränderung der Strukturen gefüllt, und wie die Partei insgesamt wieder zu einer lernenden Organisation werden kann, wurde wenig argumentiert. Und wie der allenthalben bekräftigte Wunsch vieler Delegierter des Parteitags, dass sich die Partei nicht endgültig ins politische Abseits manövrieren möge, Realität werden kann, dafür muss das neugewählte Spitzenpersonal und der deutlich verkleinerte Parteivorstand den Auftrag zum Neuanfang konkretisieren. Dabei wird es auch darum gehen, die innerparteiliche Kommunikation zu verbessern.

Martin Schirdewan hat nach seiner Wahl zu Recht unterstrichen, stärker als bisher werde sich DIE LINKE um die »Brot-und-Butter-Themen« kümmern. Das kann gelingen, wenn die regionalen Organisationen mit entsprechenden Diskussions- und Bildungsangeboten durch das Karl-Liebknecht-Haus versorgt werden. Die Neuausrichtung der Partei und das Zusammenführen der unterschiedlichen Strömungen ist auch eine organisatorische Herausforderung.

Zurück