7. Mai 2022 Redaktion Sozialismus.de: Das französische Parlament wird neu gewählt

Linksbündnis gegen Macrons »Renaissance«

Sozialisten, Grüne und Kommunisten haben mit der linken Bewegung »La France Insoumise« (LFI) unter Führung von Jean-Luc Mélenchon ein Wahlbündnis für die Parlamentswahlen geschlossen. Als »Neue ökologische und soziale Volksunion« machen sie dem für eine zweite Amtszeit bestätigten Präsidenten Emmanuel Macron die politische Handlungsfähigkeit streitig.

In den Wahlen zur Nationalversammlung am 12. und 19. Juni wollen sie alle Fraktionsstatus erreichen, und eine Mehrheit gegen die bürgerlichen und rechtspopulistischen Parteien erkämpfen. Die französische Nationalversammlung zählt 577 direkt gewählte Abgeordnete. In jedem Wahlkreis wird ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl in zwei Runden und per Mehrheitswahlrecht entschieden. Je mehr linke Kandidat*innen gegeneinander antreten, desto geringer sind ihre Chancen. Deshalb hat Mélenchons Bewegung »Unbeugsames Frankreich« einen Pakt mit Grünen, Sozialisten und Kommunisten geschlossen.

Macron seinerseits kündigt für die Parlamentswahlen ein Bündnis mit Mitte-Parteien an und plant eine Neufirmierung seiner Bewegung »La République en Marche« (LREM) in »Renaissance«. Es gehe darum, die Partei zu erneuern und zu erweitern. Als »Wiedergeburt« trat die die Partei bereits bei der Europawahl 2019 an. Macron hatte LREM 2016 gegründet, bei den Parlamentswahlen im Juni soll sie nun mit weiteren Mitte-Parteien wie MoDem und Horizons als Bündnis »Ensemble« antreten. Der frisch wiedergewählte Staatschef braucht in der Nationalversammlung eine Mehrheit, um seine Vorhaben umzusetzen. Es zeichnet sich eine Dreier-Konstellation ab: Renaissance (Ensemble), neue Volksunion und das Rassemblement nationale von Marine Le Pen.

Der Zusammenschluss des zersplitterten linken Lagers in Frankreich ist historisch und könnte Macron gefährlich werden. Auch wenn dieser derzeit gemeinsam mit anderen Mitte-Parteien über eine solide Mehrheit verfügt und der gewählte Präsident seit 2002 immer auch die Mehrheit im Parlament holte, dürften Macron Frust und Enttäuschung über seine erste Amtszeit Stimmen kosten.

Das linke Lager hofft, mit dem Bündnis »Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale« (NUPES) selbst eine Mehrheit zu holen. Der Zusammenschluss ist wichtig, da kleine Parteien wegen des Mehrheitswahlrechts nur geringe Chancen haben, Stimmkreise zu gewinnen. Sollte das Bündnis eine Parlamentsmehrheit erreichen, wäre Macron faktisch gezwungen, eine Premierminister*in aus ihren Reihen zu ernennen. Laut den getroffenen Vereinbarungen zwischen den linken Parteien sollte dies dann Mélenchon sein.

Bei der Präsidentschaftswahl fuhren die Sozialist*innen ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Anders als bei früheren Allianzen linker Parteien spielen sie nun nicht die führende Rolle. Sie mussten der deutlich weiter links stehenden LFI Zugeständnisse machen. In der Abmachung heißt es etwa, dass das Bündnis gegen gewisse Regeln der Europäischen Union verstoßen könne, um die Politik der neuen Volksunion umzusetzen.

Die politische Rechte war im Kampf um die Präsidentschaft zersplittert. Das Rassemblement nationale hatte mit dem Kandidaten Éric Zemmour einen radikaleren Kritiker von rechts als Konkurrenz. Marine Le Pen war in diesem Wahlkampf zwar vor allem als Kaufkraft-Kandidatin aufgetreten, doch am Kern ihres nationalistischen Programms hatte sie nichts geändert. Sie wollte Migrant*innen beim Zugang zu Sozialwohnungen und der Vergabe von Jobs systematisch diskriminieren. Grundsätze des Rechtsstaats zog sie in Zweifel, das Parlament wollte sie bei der Umsetzung umstrittener Vorhaben einfach umgehen. Wie sie den großzügigen Sozialstaat, den sie versprach, hätte finanzieren können, blieb schleierhaft; die bereits hohe Staatsverschuldung wäre wohl weiter gestiegen.

Le Pens Vorhaben, die EU von innen auszuhöhlen, hätte nicht nur Frankreichs Rolle auf der internationalen Bühne geschadet. Es hätte den europäischen Staatenbund erheblich geschwächt. Da feststeht, dass nicht sie, sondern der überzeugte Europäer Macron Frankreich während der nächsten fünf Jahre führen wird, dürften in Europa Viele aufgeatmet haben.

Viele Wähler*innen auf der Linken waren frustriert über die Wiederholung des Stichwahl-Duells Macron gegen Le Pen. Eine xenophobe und europafeindliche Präsidentin vom rechten Rand mag für sie zwar ein Grauen sein, ein weiteres Mandat für den in ihren Augen »ultraliberalen« und arroganten Macron sei aber nur wenig besser. Dass es den ehemaligen Großparteien Sozialisten und Konservativen nicht gelungen ist, sich gegenüber dem selbsterklärten Mitte-Präsidenten neu zu positionieren und mit starken Kandidat*innen anzutreten, liegt in erster Linie an ihrer eigenen Schwäche.

Macron hatte den gemäßigten Lagern links und rechts mit seiner Politik bewusst das Wasser abgegraben, mit dem Ziel, sich als einzige Alternative zu Le Pen zu positionieren. Sein vor fünf Jahren gegebenes Versprechen, alles zu tun, damit es 2022 keinen Grund mehr geben werde, für extreme Kandidat*innen zu stimmen, hat er nicht eingelöst.

Die erste Amtszeit des Präsidenten war zwar alles andere als ein Fiasko: Die Dynamik der Wirtschaft ist gestärkt worden, die Arbeitslosenquote konnte gesenkt werden und Frankreich ist erfolgreich durch die Pandemie-Krise gekommen. Aber er hat versäumt, große Teile der Bevölkerung mitzunehmen und damit die enorme Politikverdrossenheit der französischen Bürger*innen weiter geschürt. Besonders in der Peripherie und den ärmeren Gegenden des Landes fühlen sich viele schlicht vergessen von der Staatsführung in Paris. Le Pen findet dort seit Jahren ihren Nährboden.

Bei den Nationalwahlen treffen jetzt drei Formationen aufeinander: die Zentristen und Liberalen um Macron, der reaktionär-populistisch-identitäre Block um Marine Le Pen und der links-grüne um Jean-Luc Mélenchon. »Renaissance«/»Ensemble« von Macron versammeln alle bürgerlichen Kräfte. Der reaktionär-nationalistische Block um Marine Le Pen, die es geschafft hat, Teile der konservativen und einen Teil der extremen Rechten, die in der ersten Runde Zemmour gewählt haben, auf ihre Seite zu ziehen, macht etwa 30% aus. Der dritte Block sammelt sich um die linken Strömungen: Mélenchon spricht von einer »Union populaire«, die sozial und ökologisch ist. Dieser Block könnte gegebenenfalls zwischen 35 und 40% mobilisieren.

Das Parteiensystem in Frankreich ist im Umbruch. Es existiert eine paradoxe Situation: drei charismatische Politiker*innen, die bei den Präsidentschaftswahlen gut abgeschnitten haben, aber über keine solide politische Struktur der Willensbildung in der Fläche verfügen. Falls es zu einer Mehrheit für die »Renaissance« kommt, wird sie sich vermutlich auf eine hohe Wahlenthaltung gründen. Die Wahlbeteiligung dürfte bei rund 50% liegen, die Enthaltung vor allem bei den Jungen und beim sogenannten einfachen Volk hoch sein. Es könnte sich also wiederholen, was man bei der Präsidentschaftswahl gesehen hat: Die älteren und eher gutsituierten Leute könnten Macron eine Mehrheit bescheren, die anderen werden Le Pen und Mélenchon wählen, aber die meisten werden sich enthalten.

Der von Mélenchon gezimmerte Linksblock ist angesichts der heterogenen politischen Strömungen sehr fragil. 40% der Wähler*innen, die ihm zu einem dritten Platz in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen verholfen haben, wollten ihn eigentlich nicht wählen. Viele Aktive und Politiker*innen in dem jetzt vereinbarten links-grünen Block sind nicht einig mit den von ihm vertretenen Positionen. Sie agieren aus der Verachtung für den Präsidenten und der von ihm verfolgten Renaissance oder Modernisierung des Kapitalismus und aus der Ablehnung der nationalistisch-reaktionären Stimmungen.

Wie auch immer: Auf jeden Fall dürfte Macron eine unbequeme Nationalversammlung erhalten. Die zu erwartenden Erosionen im Bündnis »Ensemble«, Initiativen der Fraktionen der neuen »Volksunion« und auch die gewählten Vertreter*innen der Rechten werden neben den internationalen ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen seine zweite Präsidentschaft prägen.

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