16. September 2022 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Rechtsblock als Wahlsieger

Machtwechsel in Schweden

Andersson, Kristersson und Åkesson

Die schwedische sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson hat mit ihrem Rücktritt die Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse akzeptiert und den möglichen Regierungswechsel eingeleitet.

Die Parlamentswahl hat erneut die politische Spaltung zwischen zwei, sich konfrontativ gegenüberstehenden großen Parteienkoalitionen bestätigt, einer links und einer rechts der Mitte. Von einer stabilen Mehrheitsregierung ist das Land weit entfernt.

Das konservativ-rechte Lager aus Schwedendemokraten (SD), Moderaten (M), Christdemokraten (KD) und Liberalen (L) haben im Laufe der Wahlauszählung ihre Position ausbauen können. Der Vorsprung des rechten Vier-Parteien-Blocks gegenüber dem ebenfalls aus vier Parteien (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens [S], Linkspartei [V], Zentrumspartei [C] und Umweltpartei Die Grünen [MP]) bestehenden Lager des bisherigen Regierungsbündnisses von Andersson wuchs dadurch auf 176 zu 173 Mandate, nachdem er bis zuletzt bei 175 zu 174 gelegen hatte. 175 der 349 Sitze sind im Reichstag in Stockholm für eine Mehrheit notwendig.

Das konservativ-rechte Bündnis hat also die Wahl gewonnen, Schweden bekommt eine neue Regierung. Erstmals in der Geschichte des Landes wird eine bürgerliche Regierung vom Wohlwollen der rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängig sein. Das bürgerlich-liberale Lager hatte im Vorfeld der Wahl die einstige Isolierung der Schwedendemokraten durch die anderen Parteien aufgegeben.

Im siegreichen Wahlbündnis haben die Wahlen selbst ein überraschend neues Kräfteverhältnis geschaffen: Die Schwedendemokraten von Parteichef Jimmie Åkesson überholen mit 20,5% die Moderaten von Ulf Kristersson (19,1%). Dennoch gehen die Beobachter davon aus, dass Moderaten-Chef Kristersson die besten Chancen hat, eine Koalition zu schmieden und neuer Ministerpräsident zu werden. Erwartet wird, dass er zunächst den Plan verfolgt, eine Koalition von Moderaten und Christdemokraten auf die Beine zu stellen, die sich dann von den Liberalen und den Schwedendemokraten tolerieren und wählen lässt.

Die entscheidende Rechtsverschiebung resultiert also aus dem Stimmenzuwachs für die Schwedendemokraten und dem vor den Wahlen ausgehandelten Angebot, dass diese Partei in einem neuen Regierungsbündnis der rechten Mitte eine bedeutende Rolle spielen könnte. Die aus dem rechtsextremen Milieu entstandenen Schwedendemokraten sind die zweitgrößte Partei im Reichstag und die stärkste Kraft im bürgerlichen Parteienlager. Als diese 2010 erstmals ins Parlament einzogen, waren sie mit 6% der Stimmen eine unangenehme Randerscheinung. Ihr Aufstieg zu einer führenden Formation im konservativen Wahlbündnis ist Ausdruck gravierender politisch-gesellschaftlichen Defizite im schwedischen Wohlfahrtsstaat.

Ob sie mit ihrer rechtsextremen Vergangenheit und den nationalistischen Bestandteilen in ihrer Programmatik für die schwedische Politik salonfähig sein können, ist unter den übrigen parlamentarischen Parteien ein Streitgegenstand. Die bürgerliche Seite hat ihre Meinung geändert und ist zu »sachpolitischer« Kooperation mit den Rechtsnationalen bereit. Dies aus der Einsicht heraus, dass die Regierungsmacht sonst auf lange Zeit unerreichbar bliebe. Links der Mitte jedoch herrscht nach wie vor die Ansicht, dass ein direkter Einfluss der Schwedendemokraten auf die Entwicklung des Landes um jeden Preis verhindert werden muss. Vor vier Jahren hatten auch die Bürgerlichen noch so gedacht.


Schwierige Regierungsbildung

Eine Regierungsbeteiligung für die Schwedendemokraten liegt erstmals in greifbarer Nähe. Ihr Chef Åkesson rechnet den Sieg bei der Parlamentswahl für das konservativ-rechte Lager seiner Partei zu; jetzt sei es Zeit, Schweden an die erste Stelle zu rücken. Ob sich die vier Parteien des konservativ-rechten Lagers letztlich auf eine Regierungszusammenarbeit einigen können, ist noch offen.

Denn obwohl die Schwedendemokraten bei der Parlamentswahl mehr Stimmen als die Moderaten erhielten, wird wohl deren Chef Kristersson neuer Regierungschef, sollte sich das rechte Lager verständigen können. Die anderen Mitglieder des potenziellen Bündnisses hatten bereits erklärt, Åkesson nicht zum Regierungschef zu wählen. Liberale und Schwedendemokraten vertreten in vielen Bereichen gegensätzliche Standpunkte.

Vor allem bei den Liberalen bestehen große Vorbehalte gegenüber den Schwedendemokraten, die ihre Wurzeln in der extremen Rechten und der Neonazi-Szene haben. Inhaltliche Konfliktpunkte sind die Forderungen der SD in der Migrations- und Ausländerpolitik: Die Partei verlangt, dass in Schweden das restriktivste Asylrecht der Europäischen Union durchgesetzt wird. Und die Schwedendemokraten sind europaskeptisch aufgerichtet und wollen den Einfluss der EU auf die Mitgliedsstaaten stark einschränken.

Åkesson dagegen sieht seine Partei als moderne Rechtspartei. Als »sozialkonservative Partei mit nationalistischer Ausrichtung« sei sie für viele Schwed*innen wählbar, weil sie – neben ihrer Ablehnung von Einwanderung und Multikulturalismus – viele Kernfragen anderer Parteien übernommen habe.

Die Schwedendemokraten setzen sich für einen schlanken Staat ein und befürworten Steuersenkungen, lehnen folgerichtig eine Ausweitung der Staatsverschuldung ab. Im Unterschied zu den Konservativ-Liberalen sollen aber die sozialstaatlichen Regulierungen beibehalten werden. Allerdings sollen diese sozialstaatlichen Transfers nur für Bürger*innen gelten, die in Schweden geboren sind.

Sie lehnen im Unterschied zu den konservativen und gemäßigt bürgerlichen Parteien eine Privatisierung von Schulen, Gesundheitswesen und Pflege ab. Die Finanzierung soll dadurch erfolgen, dass die Ausgaben für Flüchtlinge, Migrant*innen und Integration radikal gekürzt werden. Gefordert werden außerdem härtere Strafen zum Schutz der schwedischen Bürger*innen – so soll vor allem die extreme Bandenkriminalität bekämpft werden. Das wollen auch die konservativen Moderaten, die ihre ablehnende Haltung gegenüber den Rechtspopulisten aufgegeben haben.

Ob sich die vier rechten Parteien letztlich auf eine Regierungszusammenarbeit einigen können, bleibt abzuwarten. Die Chefin der mit den Moderaten verbündeten Christdemokraten, Ebba Busch, stellte allerdings schon den politischen Zwang zur Einigung fest: »Das schwedische Volk hat für einen Machtwechsel gestimmt!«


Links-Grün konnte den Reformstau nicht auflösen

In den letzten beiden Wahlperioden von acht Jahren haben die fragilen links-grünen Regierungen nur minimale Bewegungen in dem Reformstau der Gesellschaft bewirkt. Die Problemfelder waren: Integration von Migrant*innen sowie die Auflösung der Parallelgesellschaften, die sich vor allem in den urbanen Gebieten ausgebildet hatten. Außerdem ging es um das überlastete Gesundheits- und Schulsystem.

Bei der Betrachtung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses sollte nicht übersehen werden, dass die schwedische Sozialdemokratie unter der Führung von Magdalena Andersson einen Wahlsieg errungen hat. Mit 30,3% wurde sie stärkste politische Kraft und sie hat – wenn auch nur minimal –den bisherigen Abwärtstrend gestoppt.

Andersson hat als langjährige Finanzministerin und zuletzt Ministerpräsidentin gute Arbeit geleistet und sich Anerkennung über die Parteigrenzen hinaus erworben. Sie hat eine Erneuerung des Modells des Wohlfahrts-und Sozialstaats eingeleitet, aber keinen Durchbruch erreicht. Ein tragendes Element dieses Modells ist das Arbeitsrecht, das bestehende Arbeitsverhältnisse extensiv schützt und vergleichsweise hohe Basislöhne garantiert.

In den zurückliegenden Wahlperioden waren die Sozialdemokraten in von ihr geführten Minderheitsregierungen auf die Unterstützung durch kleine Parteien der politischen Mitte und der linken Opposition angewiesen. Sie mussten Zugeständnisse bei Themen machen, die ihrer Stammwählerschaft am Herzen liegen, etwa beim Arbeitsrecht.

Nach Jahrzehnten sozialdemokratischer Dominanz können nun die eigenen Vorstellungen des Sozialstaats nurmehr begrenzt in die Gestaltung der Politik einfließen. Der Parteiführung ist es nicht hinreichend gelungen, den eigenen Mitgliedern und auch den Wähler*innen zu vermitteln, dass es in einer zusehends fragmentierten politischen Landschaft ohne Kompromisse nicht mehr geht.

Außerdem hat es die Regierung nicht geschafft, entschieden auf die Welle von Bandenkriminalität zu reagieren, die Schweden seit längerem in Atem hält. Diese Kriminalität geht von einigen Quartieren in Großstadt-Agglomerationen mit hohem Anteil von Immigrant*innen aus und ist ein Indiz für unzureichende Integration. Langjährige Versäumnisse und Fehlentwicklungen, die die Sozialdemokraten zwar nicht verursacht haben, aufgrund ihres Gewichts in der schwedischen Politik aber politische Mitverantwortung tragen, haben die Bandenkriminalität gefördert.

Trotz des deutlichen Wahlerfolgs und nach dem Regierungsverlust bleibt die Herausforderung, Konzeptionen zu entwickeln, wie der Wohlfahrtsstaat fit und tauglich für die gesellschaftlichen Veränderungen im 21. Jahrhundert gemacht werden kann. Das wirtschaftliche Wachstum wird auch künftig niedrig und fragil bleiben.

Vor diesem Problem wird auch die Rechtsregierung stehen. Nicht nur der Gesamtstaat kämpft mit geringen finanziellen Ressourcen um die Schlüsselprobleme der Integration, der Modernisierung des Bildungs- und Gesundheitssystem sowie der Anpassung der Alterssicherung. Auch viele schwedische Gemeinden stehen vor massiven finanziellen Engpässen. Mancherorts ist angesichts der Finanzlage von Reduktionen des Leistungsangebots die Rede, etwa im Schulwesen oder bei der Altersfürsorge. All dies bleiben zentrale Herausforderungen, die mit der Logik »Schweden zuerst« nicht sozialverträglich gelöst werden können.

Zurück