7. Juni 2024 Phil Burton-Cartledge: Abschiedsbrief
Mein Austritt aus der Labour Party
Letzten Donnerstagmorgen habe ich meine Mitgliedschaft in der Labour Party gekündigt. Technisch war das kein Problem. Die Abbuchung des monatlichen Mitgliedsbeitrags wurde storniert, dann das Online-Kündigungsformular ausgefüllt. Und das war's. Eine fast 15-jährige Beziehung endete mit wenigen Klicks.
Mit dieser Entscheidung bin ich nicht allein. Ich bin nicht immun gegen die politischen Prozesse, über die ich schreibe. Schließlich steht niemand außerhalb der Geschichte. Die Erosion der Basis der Labour Party ist real. Und so wie die jüngsten Ereignisse den langfristigen Niedergang der Tories beschleunigt haben, so hat die Unterstützung der Labour-Führung für Israel, das offen Völkermord begeht, den Prozess der anhaltenden Aushöhlung der Partei beschleunigt, den Keir Starmer und seine aggressiven Verbündeten seit einiger Zeit betreiben.
Der letzte Tropfen, der für mich das Fass zum Überlaufen brachte, waren die Angriffe auf Kandidat*innen für die Parlamentswahlen: der Versuch, Diane Abbott an einer erneuten Kandidatur zu hindern; die Ausbootung von Faiza Shaheen und die Blockade der erneuten Kandidatur von Lloyd Russell-Moyle. Die Linke in der Labour Party musste viel schlucken, aber man kann nur so viel Unappetitliches schlucken, wie man verdauen kann, ohne dass einem der Magen platzt.
Das soll nicht heißen, dass sich der Charakter der Labour Party jetzt grundlegend verändert hat. Die Partei ist und bleibt, was sie immer war: eine Verschmelzung von Gegensätzen. Sie ist gleichzeitig eine Partei der selbstlosen Aufopferung und des Karrierismus, des Friedens und der begeisterten Befürwortung des Krieges, der Selbsthilfe der Arbeiterklasse und der Unterwerfung unter die Wirtschaft.
Selbstvertrauen und Unterwürfigkeit durchziehen die Labour-Bewegung wie ein langer roter Faden, so wie in Blackpool und Brighton, den häufigsten Tagungsorten von Parteikonferenzen und Gewerkschaftskongressen, die letzten Buchstaben des jeweiligen Ortsnamens, die auf den dort verkauften Zuckerstangen eingeprägt sind, erst verschwinden, wenn das Bonbon gelutscht ist.
Allerdings ist die Partei in den letzten Jahren, nachdem die interne Konterrevolution gegen die Überreste von Corbynismus an Fahrt aufgenommen hatte, in der Tat umgebaut worden. Mit seinem Mantra einer »Partei, die wieder dem Dienen verpflichtet ist«, instrumentalisiert Starmer die Labour Party wieder unverhohlen für die Ziele des britischen Kapitals.
Sein Mantra »erst das Land, dann die Partei« ist eine verschlüsselte Botschaft an die britische Wirtschaft, dass ihre Interessen Vorrang haben und die Interessen der Labour-Bewegung, die die Labour Party ja eigentlich vertreten sollte, in den Hintergrund gedrängt werden. Die Rechte ist auf dem Vormarsch, und die Möglichkeiten, innerhalb der Partei etwas dagegen zu unternehmen, sind äußerst begrenzt.
Es sieht so aus, als hätten mich meine Analysen eingeholt. Schon vor einigen Jahren konnte man beobachten, wie Starmer die Saat für seine Politik der Selbstzerstörung säte, aber ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell aufgehen würde. Die Möglichkeit, an dem Prozess der politischen Neuformierung außerhalb der Labour Party teilzunehmen, sei es in den Protestbewegungen mit ihren Massendemonstrationen, dem offensichtlichen Aufschwung unabhängiger linker Kandidaturen oder dem, was mit den Grünen geschieht, bedeutet zumindest für mich, dass die Mitgliedschaft in der Labour Party sowohl eine politische Belastung als auch eine moralische Bürde darstellt.
Meine Entscheidung hat nichts mit einer Geringschätzung der Linken zu tun, die ihre Mitgliedschaft in der Labour Party aufrechterhalten und in der Partei auf verschiedene Weise aktiv bleiben. Aussagen wie »Man kann kein richtiger Sozialist sein, wenn man Mitglied der Labour Party ist« sind blanker Unsinn. Dieses Schwarz-Weiß-Denken in der Politik ist weit verbreitet, weil es ein strukturelles Merkmal des Alltagslebens ist. Dagegen muss man sich wehren und darf ihm nicht nachgeben.
James Schneider hat in seinem Buch Our Bloc und in seinem jüngsten Interview auf Politics Theory Other das einleuchtende und vernünftige Argument vorgebracht, dass alle Teile der Linken miteinander reden und so weit wie möglich zusammenarbeiten sollten, auch dort, wo es konkurrierende Schwerpunkte gibt. Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass die Linke eine Massenpräsenz hat, die die Agenda bestimmen und das Establishment zum Zittern bringen kann. Sie ist weit mehr als die Karikatur des samstäglichen Zeitungsverkaufs oder der spontanen Versammlung von Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb. Wenn die Zukunft ein gefährliches Unterfangen ist, dann besteht die Daseinsberechtigung der Linken darin, sich dieser Gefahr nicht zu entziehen.
Aber ich schweife ab. Was die Labour Party betrifft, so ist für mich die gemeinsame Reise vorerst zu Ende. Aber das bedeutet für mich sicher nicht das Ende meines politischen Engagements.
Phil Burton-Cartledge ist Dozent für Soziologie an der Universität von Derby und Autor der Studie »The Party’s Over. The Rise and Fall of the Conservatives from Thatcher to Sunak«. In Sozialismus.de 11-2023 schrieb er über »Die Reproduktionskrise der Konservativen Partei. Zur schwindenden politischen Macht der Tories«. Sein hier dokumentierter Beitrag (Übersetzung: Hinrich Kuhls) erschien zuerst am 2.6.2024 auf seinem Blog »All That Is Solid…« unter dem Titel »Leaving Labour«.