1. Juni 2023 Klaus Bullan: Ergebnisse der Kommunalwahlen in Italien

Meloni gewinnt, Elly Schlein und die PD verlieren

Die neue PD-Vorsitzende Elly Schlein

Die Stichwahlen in der zweiten Runde der Administrativwahlen in Italien haben gezeigt, dass sich der Siegeszug der Rechten in Gestalt der Fratelli d´Italia seit der Regierungsübernahme im Herbst 2022 fortsetzt.

Auch wenn es kein Erdrutschsieg ist, gibt es weitere Stimmgewinne von Giorgia Meloni und ihrer Partei – auch zulasten der rechten Partner Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia). Die Opposition verliert einige Rathäuser und kann keine zurückerobern. Der Partito Democratico (PD) bleibt eindeutig stärkste Oppositionskraft.

Die Meinungsumfragen im Land bestätigen das Bild, dass von Sympathieverlusten der neuen großen Rechtspartei im ersten halben Jahr als Regierungskraft, in dem die Mühen der Ebene durchschritten werden müssen, nicht die Rede sein kann. Bei 30% liegen die Umfragewerte der Fratelli d’Italia und damit deutlich über ihrem Wahlergebnis von 26% bei den Parlamentswahlen. Die PD wird bei 20% taxiert und kann ebenso wenig wie die 5 Sterne, Lega und Forza Italia Terraingewinne verbuchen.

Die Partei der Ministerpräsidentin gewinnt innerhalb der rechten Regierungskoalition weiter an Gewicht und Zustimmung. Der Opposition hingegen gelingt es offensichtlich nicht, sich als glaubwürdige Alternative zu präsentieren. Außerdem ist sie nicht in der Lage, gemeinsam zu agieren. Die Parteien der Rechtskoalition streiten öffentlich, bei den Wahlen sind sie aber in der Lage, vereint aufzutreten und zu gewinnen, während es dem Mitte-Links-Lager oft nicht einmal gelingt, sich bei Stichwahlen hinter den Kandidat*innen mit den größten Erfolgsaussichten zu sammeln.

Marco Sarracino, Mitglied der Parteiführung der PD wertet die Wahlergebnisse so aus: »Es gibt eine sehr starke Nachfrage nach sozialem Schutz, auf die die progressive Front noch keine angemessenen Antworten gegeben hat.« (il manifesto, 31.5. 2023)

Die ökonomischen und sozialen Verwerfungen in Italien werden offensichtlich nicht der Regierungskoalition angekreidet, auch wenn bei den Kommunalwahlen jetzt lokale Konflikte und Interessen im Vordergrund standen. Aber auch wenn Frau Meloni in der internationalen und nationalen Politik Statur gewinnt und keineswegs als postfaschistisches Feindbild wahrgenommen wird, sind die guten Umfragewerte und die Wahlerfolge nicht Ausdruck guter Regierungsführung.

Wie nicht anders zu erwarten war, hat die Regierung Meloni keines der gravierenden Probleme, in denen Italien zum Teil seit Jahrzehnten steckt, einer Lösung zuführen können. Das Wirtschaftswachstum bleibt nahe der Nulllinie, die Inflation bleibt hoch, die Verschuldung ist weiterhin auf Rekordniveau in Europa und die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Insbesondere die Beschäftigungschancen der nachrückenden Generation sind äußerst prekär, die Schattenwirtschaft ist im europäischen Vergleich immens hoch und die Armut nimmt wie in anderen EU-Staaten weiter zu. In einer Zeit, in der laut italienischem Statistikamt mehr als 25% der Italiener*innen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, streicht die Regierung das Bürgergeld, das für einen Alleinstehenden zuletzt 780 Euro im Monat vorsah, und das 2018 von der Regierung aus 5 Sternen und Lega auf Drängen der 5 Sterne als Maßnahme gegen die Armut eingeführt wurde.

Stattdessen gibt es jetzt Eingliederungshilfen, die an restriktive Bedingungen gebunden sind, zeitlich stark begrenzt und vom Umfang her massiv reduziert werden (380 Euro für 18- bis 59-Jährige). Die Ausgaben sollen insgesamt um 40% sinken. Das wird die Armut auch angesichts der hohen Inflation weiter in die Höhe treiben. Die finanzpolitische Disziplin der Regierung Meloni, die den Steuersenkungsplänen ihrer Koalitionspartner eine Absage erteilt hat, führt zu Spannungen zwischen den Regierungsparteien.

Giorgia Meloni hat sich bisher entgegen der schrillen Töne ihrer rechtspopulistischen Partei im Wahlkampf nicht mit Brüssel angelegt, sicher auch, weil sie die Auszahlungen aus dem europäischen Wiederaufbauplan, die sich bis 2026 auf die Rekordsumme von 190 Mrd. Euro belaufen, nicht gefährden will. Nun zeigt sich, dass Italien nicht in der Lage ist, diese Summen, zum größten Teil für Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen, fristgerecht auszugeben. Die Verwaltung in allen Gebietskörperschaften ist damit offenbar überfordert, wie der italienische Rechnungshof kritisiert, der darauf hinweist, dass in den ersten vier Monaten dieses Jahres erst 1,1 Mrd. Euro von den geplanten 32,7 Mrd. für das erste Halbjahr ausgegeben wurden. Meloni plant nun, den Rechnungshof kaltzustellen, indem sie ihm per Gesetzesdekret die Prüfung des europäischen Wiederaufbauplans entziehen will.

Auch eine Kernforderung der Fratelli d’Italia und Giorgia Melonis, die Einführung eines Präsidialsystems nach französischem Vorbild, ist weit von einer Realisierung entfernt: Selbst der Koalitionspartner Lega lehnt das Vorhaben ab, und fordert stattdessen eine stärkere regionale Autonomie in Italien.

Die rigide Flüchtlingspolitik isoliert Italien in der EU und führte bereits zu diplomatischen Spannungen zum Nachbarland Frankreich. Mit der Einschränkung für NGOs, Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten, schürt Meloni die Ängste in der Bevölkerung vor Einwanderung. Die Ideologie der radikalen Rechten in der Regierung, der »ethnischen Substituierung«, also dem »Bevölkerungsaustausch«, Paroli zu bieten – so der italienische Agrarminister –, verschärft die demografischen Verwerfungen, denen Italien durch anhaltenden Bevölkerungsrückgang aufgrund niedriger Geburtenraten ausgesetzt ist.

Auf einem weiteren ideologischen Gebiet bleibt Meloni ihren Wurzeln aus der faschistischen Bewegung treu: Die Flamme im Parteiwappen, das Symbol des italienischen Faschismus, bleibt erhalten.


Rückschlag für den PD und seine neue Vorsitzende

Die Kommunalwahlen werden als erster Rückschlag für die neue Vorsitzende der sozialdemokratischen PD bewertet. Elly Schlein, der 37-jährigen Frau, ist es gelungen, gegen die etablierten Kräfte innerhalb der PD bei einer Abstimmung in mehreren Etappen den Parteivorsitz zu erobern. In der Stichwahl gegen den Regierungspräsidenten der traditionell roten Emilia Romagna, Stefano Bonaccini, der schon zu PCI-Zeiten Funktionen in dieser und allen Nachfolgeparteien innehatte, konnte sich Elly Schlein deutlich gegen den Favoriten der Partei durchsetzen. Vor allem Frauen, junge Menschen und Bewohner*innen der größeren Städte wählten die neue Hoffnung der progressiven Kräfte.

Elly Schlein kommt aus einer kosmopolitischen, hoch gebildeten Familie. Die Eltern sind Hochschulprofessor*innen, sie hat einen schweizerischen, einen italienischen und einen US-amerikanischen Pass. Die Juristin und Feministin lebt mit einer Frau in einer Beziehung. Sie ist erst 2022 (wieder) in die PD eingetreten. Ihr innerparteilicher Wahlkampf war davon geprägt, dass die PD sich als klar linke Kraft erneuern, für die Rechte der Arbeiter*innen und der prekär Beschäftigten eintreten und die Verteidigung des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens auf ihre Fahnen schreiben müsse. Auch vor der Forderung nach Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums scheut Schlein nicht zurück.

Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit gehörten ebenso zusammen wie soziale Rechte; Gewerkschaftsrechte und die Rechte von Minderheiten wie Migrant*innen und der LGBTIQ- Community. Elly Schlein ist als Oppositionsführerin das Gegenbild zu Giorgia Meloni, was ihre Erfolgsaussichten in der Partei sicherlich erhöht hat. Für das politische System Italiens, das immer von Männern höheren Alters regiert wurde, kommt es einem Erdbeben gleich, dass an der Spitze von Regierung und Opposition (jüngere) Frauen stehen, die sich durchgesetzt haben.

Nach den für die PD und Elly Schlein enttäuschenden Wahlen gibt es bereits aus dem Parteiestablishment kritische Stimmen, die eine stärkere Repräsentanz des unterlegenen Flügels in der Parteiführung einfordern und empfehlen, den Linkskurs der Partei zugunsten einer Annäherung an die »Mitte« aufzugeben. Die Bewährungsprobe für Schlein und ihren Kurs werden die Europawahlen im kommenden Jahr sein.

Sie selbst hat in ihren Stellungnahmen zum Wahlausgang, dessen Ergebnisse sie nicht beschönigt, sondern als deutliche Niederlage charakterisiert, darauf hingewiesen, dass die Wahlerfolge der rechten Regierungsparteien nichts Italienspezifisches sind, sondern ein Trend in Europa, der sich zeitgleich bei den Kommunalwahlen in Spanien gezeigt hat und kurz zuvor bei den Parlamentswahlen in Griechenland. Das macht die Schwierigkeiten deutlich, vor denen progressive Kräfte in ganz Europa stehen.

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