30. August 2019 Hinrich Kuhls: Premierminister Johnsons rechtspopulistische Mission

Mit dem Brecheisen zum Chaos-Brexit

Die Monarchin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (UK) hat den Vorschlag ihres Premierministers akzeptiert, am 14. Oktober die Regierungserklärung der neuen Tory-Regierung zu verlesen. Zeitpunkt und Dauer der damit vorangehenden Sitzungspause des Parlaments treiben den Verfassungskonflikt im UK voran, während sich die Organe der EU weiterhin auf die Rolle des Beobachters beschränken.

Die Empörung und die Wut in der britischen Zivilgesellschaft und Politik hat eine neue Dimension erreicht. In vielen Städten fanden spontane Protestkundgebungen statt, die am 3. September mit einer zentralen Kundgebung vor dem Parlament mit der Forderung nach unverzüglichen Neuwahlen fortgesetzt werden. Eine entsprechende Online-Petition ist innerhalb von zwei Tagen von mehr als zwei Millionen Personen unterzeichnet worden; sie wird allerdings nicht mehr vor dem Austrittstermin behandelt werden.

Die Hälfte der Bevölkerung lehnt nach wie vor einen EU-Austritt ab und zwei Drittel den vom Kabinett Johnson forcierten ungeregelten Brexit. Der wachsende Widerstand richtet sich gegen einen weiteren Schritt der Selbstermächtigung der Exekutive.

Johnson und seine Minister*innen in den Schlüsselressorts wie Gove, Raab, Pratel und Rees-Mogg berufen sich – wie zuvor die von ihnen zum Rücktritt gezwungene May – auf den »Willen des Volkes«, der sich mit dem Austrittsvotum im EU-Referendum vor drei Jahren eindeutig manifestiert habe. So wie sie seinerzeit zusammen mit Farage, dem Vorsitzenden rechtspopulistischer Parteienformationen – zunächst von UKIP, heute der Brexit-Partei –, in der Brexit-Kampagne an einem Strang gezogen haben, so sind sie sich jetzt in der Interpretation des Volkswillens einig, der durch einen parlamentarischen Willensbildungsprozess, der die Exekutive bindet, nicht verfälscht werden dürfe: Austritt heißt disruptiver Bruch mit der EU.


Parlament, Regierung und die direkte Demokratie

Während des innerparteilichen Wahlkampfs um den Vorsitz der Tory-Party im Juli war die Suspendierung des Parlaments im Zusammenhang mit der Brexit-Beratung ein zentrales Thema. Dabei standen nicht Sitzungspausen vor Wahlen oder vor einer Regierungserklärung im Vordergrund, sondern die Prorogation des Parlaments in einer Notfallsituation. Alle sechs zuletzt verbliebenen Kandidaten hatten sich in dieser Frage positioniert. Der jetzige Außenminister Raab, einst Sprecher der ERG-Gruppe, hatte mit dem Eintreten für eine proaktive Prorogation zwecks Durchsetzung eines No-Deal-Brexits punkten wollen. Johnson hatte auf Nachfragen die Prorogation nie ausgeschlossen. Von daher konnte die Anordnung der Suspendierung zwecks Abgabe einer Regierungserklärung nur dann überraschen, wenn die Positionen, die zu Johnsons Wahl als Parteivorsitzender und damit zum Premierminister ohne parlamentarische Mehrheit geführt hatte, schon in Vergessenheit geraten waren.

In der ungeschriebenen britischen Verfassung bestimmt die Regierung weitgehend die Tagesordnung und die Sitzungszeiten des Parlaments. Die Ankündigung, während einer laufenden Legislaturperiode mit einer Regierungserklärung (»Queen’s speech«) eine neue, normalerweise ein Jahr umfassende Session einleiten zu wollen, hat neben der meistens ein- bis zweiwöchigen Sitzungspause zwei weitere Folgen.

Erstens müssen unerledigte Gesetzesentwürfe wieder neu in der nächsten Session eingebracht werden. Vor allem wegen der nicht abgeschlossenen Brexit-Gesetzgebung hatte das Kabinett May die Forderungen der Opposition nach Einleitung einer neuen Session immer wieder verworfen. Zweitens: Wird die Regierungserklärung von der Mehrheit des Unterhauses abgelehnt, finden Neuwahlen statt.

Die Reaktionen auf Johnsons Entscheid, in der entscheidenden Phase vor dem vom Europäischen Rat festgesetzten Austrittstermin 31. Oktober die Sitzungszeit des Parlaments um zwei Wochen zu verkürzen, sind heftig. Dieser Schritt ist politisch provokativ, aber verfassungskonform.

Die Verfassungsdehnung hatte schon zuvor stattgefunden, nämlich mit der Übertragung der Regierungsgeschäfte an einen Tory-Vorsitzenden, der im Parlament über keine ausgewiesene Mehrheit verfügt. Parlamentssprecher Bercow, der jetzt vehement das »konstitutionell empörende« Vorgehen der Regierung beklagt, hatte die aus den Reihen der Konservativen Partei beantragte Feststellung der Mehrheitsfähigkeit Johnsons unterbunden.

Die weitere Provokation seitens des Johnson-Regimes besteht darin, erst den Tag der Wiederaufnahme der Parlamentstätigkeit nach der Sommerpause als Termin für die Abgabe der Regierungserklärung bewusst verstreichen zu lassen, um dann zu behaupten, mit dem Zeitpunkt der »Queen’s speech« und der Dauer der Suspendierung des Parlaments sei kein politisches Kalkül verbunden, sondern es sei normales Regierungshandeln.

Die nächste Provokation besteht in der zeitlichen Nähe der Regierungserklärung (14.10.) und der Sitzung des Europäischen Rats (17.10.), auf der über die Verlängerung der Austrittsfrist zu entscheiden wäre, die von den britischen Oppositionspartien angestrebt wird. Findet die Regierungserklärung keine Mehrheit, stehen Neuwahlen an. Johnson wird ganz verfassungskonform den Termin auf Anfang November festsetzen, nachdem das UK an Halloween die EU ohne Vertrag verlassen haben wird.

Der Schattenschatzkanzler der Labour Party, John McDonnell, spricht von einem »spezifisch britischen Coup«, nicht im Sinne eines Putsches, sondern einer verfahrensmäßigen Missachtung des Parlaments und insbesondere der »offiziellen Opposition«. Dazu gehört auch Johnsons ganz spezielle Provokation der Abgeordneten. Denn nicht im Kabinett, sondern im kleinen Kabinettsausschuss des Nationalen Sicherheitsrats (Privy Council) führte Johnson die entsprechende Anordnung herbei. Als Leiter der dreiköpfigen Delegation, die bei der Monarchin an deren Urlaubssitz die Unterschriften abholte, fungierte Rees-Mogg, derzeit im Kabinett als Minister für die Wahrung der Verfahrensrechte der Abgeordneten verantwortlich.

Nicht vorab, sondern zeitgleich informierte Johnson die Parlamentarier*innen per Brief über sein Vorhaben, und zwar kollegial von Abgeordnetem zu Abgeordnetem. Der Interventionsbrief des Oppositionsführers und anderer Regierungsgegner, die ebenfalls als Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats direkten Zugang zum Staatsoberhaupt haben, konnte die Königin nicht mehr rechtzeitig erreichen.

Die seit drei Jahren virulente Krise im UK schlägt in eine Verfassungskrise um. Der rechte Flügel der Konservativen hatte auf das EU-Referendum gedrängt. Was sich seit dem von Rechtspopulisten und Nationalisten innerhalb und außerhalb der Konservativen forcierten  Brexit-Votum verändert hat, bringt der Tory-Abgeordnete Bernard Jenkin, Vorsitzender des Unterhaus-Ausschusses für öffentliche Verwaltung und Verfassungsfragen, auf den Punkt. Unter der Überschrift »Parlament und Volk müssen akzeptieren, was sie beschlossen haben« (FT 30.8.2019) verteidigt er das Vorgehen der Johnson-Regierung.

Johnsons Entscheidung »stellt eine Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen Parlament, Regierung und Volk dar. Die Ironie in diesem Fall ist, dass viele derjenigen, die sich jetzt am lautesten konstitutionell empören, immer wieder für die Gesetze und Entscheidungen gestimmt haben, die dieses Ergebnis ermöglicht haben.« Dazu zählt Jenkin das Gesetz (Fixed-term Parliaments Act), mit dem Konservative und Liberale 2011 die Auflösung des Parlaments neu geregelt haben, mit der die Stellung des Premierministers gegenüber dem Parlament gestärkt worden sei. Zudem habe das Parlament sowohl das EU-Referendum als auch den Austrittsantrag nach dem Referendum jeweils mit großer Mehrheit auf den Weg gebracht. Zusammenfassend: »Wir müssen akzeptieren, dass die direkte Demokratie unweigerlich die repräsentative Demokratie übertrumpft.«

Was Jenkin verschweigt: In der Thronrede, in der die Regierungserklärung Camerons einen Monat vor dem EU-Referendum 2016 verlesen wurde, war die Gewichtung genau entgegengesetzt: »Meine Regierung wird ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft durchführen. Es werden Vorschläge für eine britische Bill of Rights vorgelegt. Meine Minister werden die Souveränität des Parlaments und den Vorrang des Unterhauses wahren.«

Alle Prinzipien der Brexit-Verfechter haben sich – eines nach dem anderen – als hohl entlarvt, so der Economist in seinem Leitartikel »Who’s gonna stop no-deal?« (Printausgabe vom 31.8.2019). Am lautesten hätten sie damals davon gesprochen, die Kontrolle zurückzuerobern und dem Parlament die Souveränität zurückzugeben. Mit der Suspendierung des Parlaments hat sich das in Schall und Rauch aufgelöst. »Vor dem Referendum argumentierten die Brexiteers, dass ein Sieg es ihnen ermöglichen würde, ein brillantes Abkommen mit der Europäischen Union auszuhandeln. Jetzt plädieren sie dafür, ohne jeglichen Deal zu gehen. Vor dem Referendum sagten sie, dass der Brexit Britannien erlauben würde, mehr Freihandelsabkommen abzuschließen. Jetzt sagen sie, dass der Handel auf der Basis der Mindestbedingungen der WTO in Ordnung wäre.« Weiter: Johnsons »Agieren ist technisch legal, aber es stößt an die Grenzen der Konventionen der Verfassung. Weil er zu schwach ist, um im Parlament Abstimmungen zu gewinnen, will er es zum Schweigen bringen. In der britischen repräsentativen Demokratie ist das ein gefährlicher Präzedenzfall.«

Diesen Präzedenzfall ordnet der Economist in einem weiteren Leitartikel (»Democracy’s enemy within: Populism«) wie folgt ein: »In einer Umfrage des Pew Research Centre im vergangenen Jahr gaben mehr als die Hälfte der Wähler aus acht Ländern Europas und Nordamerikas an, dass sie mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden sind. Fast 70% der US-Amerikaner und Franzosen sagten, dass ihre Politiker korrupt sind.

Populisten haben diesen Pool von Ressentiments genutzt. Sie verspotten die Eliten, auch wenn sie selbst reich und mächtig sind; sie erzeugen und befeuern Wut und Spaltung. In Amerika forderte Trump vier fortschrittliche Kongressabgeordnete auf, sie sollten ›zurückkehren zu den heruntergekommenen und von Verbrechen gezeichneten Orten, von denen sie kamen‹. In Israel porträtiert Netanyahu, ein perfekter Insider, offizielle Ermittlungen wegen seiner vermuteten Korruption als Teil einer Verschwörung gegen ihn als Premierminister. In Britannien empört Johnson seine Gegner, indem er das das Verfahren mit der Suspendierung des Parlaments für fünf entscheidende Wochen manipuliert hat.« Das stelle ihn in die Reihe von Orbán, Salvini, Erdoğan und anderen autoritären Rechtspopulisten.

Das Ergebnis des Volksentscheids von Juni 2016 mit seiner binären Fragestellung sollte respektiert werden, die Ausgestaltung des Austritts hingegen sollte entsprechend den internationalen Rahmenbedingungen stattfinden und die Verhandlungen mit der EU im Rahmen der Institutionen der repräsentativen Demokratie – so der damalige gesellschaftliche und politische Konsens. Unter dem Druck des rechten Tory-Flügels hatte die Regierung May von Anfang an diesen Konsens verlassen und bereitete damit den Boden für die Machtübernahme der Neuen Rechte von Rechtspopulisten und Nationalisten in der Konservativen Partei und der britischen Regierung.

Mit der Entscheidung, das Parlament fünf Wochen lang zu suspendieren, hat Johnson drei Ziele erreicht:

  • die Kluft zwischen der Wählerschaft der Konservativen Partei und der Brexit-Partei wird verringert;
  • alle oppositionellen Kräfte werden in die Entscheidung gezwungen, ob sie zur Abwendung eines Chaos-Brexits trotz erheblicher politischer Differenzen mit der Labour Party als entscheidenden Faktor der Opposition kooperieren;
  • die Organe der EU werden unter Druck gesetzt, zur Abwendung der politischen und ökonomischen Folgekosten eines ungeordneten Brexits ihren bisherigen Verhandlungskurs zu verlassen.


Vor der Spaltung der Konservativen Partei?

Um Neuwahlen für die Konservative Partei und für das Lager der Brexit-Verfechter gewinnen zu können, stand Johnson vor der Aufgabe, die starke Unterstützung der Brexit-Partei, die einen vertragslosen Chaos-Brexit fordert, einzudämmen. Das scheint aufs erste gelungen zu sein. Die Zustimmungsraten für die Rechtspopulisten um Farage sind um gut zehn Prozentpunkte zurückgegangen, für die Konservativen entsprechend gestiegen. Das Gewicht zwischen dem konservativen und rechtspopulistischen Pro-Brexit-Lager einerseits und den progressiven, auf einen gesellschaftlichen Ausgleich und/oder einen Anti-Brexit-Kurs orientierten Wähler*innen andererseits hat sich hingegen nicht verschoben. Johnsons autoritäres Agieren öffnet aber den Weg für ein offizielles oder stilles Wahlbündnis von Tory- und Brexit-Partei.

Der innerparteiliche Widerstand wird kurzfristig die Spaltung der Konservativen Partei auf die Tagesordnung setzen. Die Vorsitzende der schottischen Tories ist aus Protest gegen die Aktion Johnsons zurückgetreten. Ob und wie viele der 12 schottischen Tory-Abgeordneten dem Protest folgen und der jetzigen Tory-Regierung ihre Unterstützung entziehen, ist offen. Erst ihre überraschenden Mandatsgewinne bei der letzten Wahl hatte es May ermöglicht, zusammen mit Unterstützung der nordirischen Rechtspopulistischen von der DUP ihre Minderheitsregierung zu bilden.

Mehrere Minister des Kabinetts May halten ihren Nachfolgern »undemokratisches Verhalten« vor. Sie vergrößern den Kreis der kleinen Schar proeuropäischer Tories, die einen ungeordneten Brexit vermeiden wollen. Auch hier ist offen, ob dieser Minderheitsflügel die Auseinandersetzung innerhalb der der Tories sucht, die Bildung einer neuen Parteiformation anstrebt oder sich einer anderen Fraktion anschließt. Die Liberaldemokraten stehen bereit.


Können sich die Oppositionsparteien auf eine Übergangsregierung verständigen?

Schon einen Tag vor Johnsons Überraschungscoup hatten sich die Vorsitzenden der Oppositionsparteien auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die No-Deal-Politik der Regierung verständigt. Die Vereinbarung kam zustande, weil die Frage der Übergangsregierung im Falle eines Misstrauensvotums außen vorgelassen worden war.

Zunächst soll mit der Einbringung eines Gesetzes versucht werden, die Regierung dazu zu zwingen, beim Europäischen Rat die Verlängerung der Austrittsfrist zu erreichen. Entsprechende Bemühungen im Frühjahr waren nur teilweise erfolgreich. Das Expertenteam des unabhängigen »Institut for Government« hat schon seit einiger Zeit darauf hingewiesen, dass eine dazu entschlossene Regierung ein entsprechendes Gesetz verhindern oder torpedieren kann.

So wird es in der ersten Septemberwoche darauf hinauslaufen, dass der Kurs der Regierung Johnsons nur gestoppt werden kann, wenn gegen sie der Misstrauensantrag eingebracht wird. Der Antrag kann allein vom Oppositionsführer gestellt werden, der zurecht darauf hinweist, dass damit entsprechend der konstitutionellen Tradition der Auftrag an ihn verbunden ist, eine Regierung zu bilden. Corbyn war den anderen Oppositionsparteien von vornherein entgegengekommen, indem er die Aufgaben der Übergangsregierung auf eine Verschiebung des Brexit-Datums und die Einleitung von Neuwahlen beschränkt sehen will. Ob die Liberaldemokraten, die aus ehemaligen Labour- und Tory-Abgeordneten gebildete Fraktion Change UK und die konservativen Johnson-Gegner*innen sich diesem Vorschlag anschließen oder nicht, entscheidet darüber, wie das UK die EU verlässt.


Hält die EU weiterhin an der gescheiterten Zweistadien-Taktik fest?

In der kurzen Zeit seit Johnsons Regierungsantritt hat sich der Diskurs der Brexit-Gegner verschoben. Hatte der Premier zunächst die Löschung des Nordirland-Protokolls aus dem Austrittsvertrag als Vorbedingung für Zusatzverhandlungen für einen geordneten Brexit gestellt, so ist jetzt der No-Deal-Brexit ohne weitere Verhandlungen als Ziel in den Vordergrund gerückt, mit dem der plebiszitäre Entscheid »Ja zum Austritt« ohne parlamentarische Eintrübungen umgesetzt werden soll.

Der No-Deal-Brexit bringt für das UK und die EU dauerhafte ökonomische Verluste. Sie werden das UK stärker treffen als die EU, aber die Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt werden in der Republik Irland relativ höher sein als im UK und in den Niederlanden kaum geringer als auf Insel. Zudem werden die Interessen von zwei Millionen EU-Bürger*innen, die mit einem irischen Pass in Nordirland leben, missachtet. Schon allein aus diesen beiden ökonomischen und politischen Gründen sind EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischer Rat verpflichtet, die Verletzung des Belfaster Abkommens von 1998 zu unterbinden.

Die »Backstop«-Lösung im Nordirland-Protokoll ist im UK nicht konsensfähig und der politische Hebel für die andauernde Spaltung des Landes. Der Brexit ist nicht nur der erste Austritt eines EU-Mitglieds, sondern wegen der Verwobenheit von nationalen, supranationalen und internationalen Souveränitäten ein Sonderfall. Die Zweistadien-Verhandlungstaktik – erst Austrittsvertrag, dann Vertrag über die künftige Kooperation – konnte dieser Situation nicht gerecht werden und ist gescheitert. Das Beharren auf dieser Schrittfolge wird dem Rechtspopulismus im UK und in der EU weiter Vorschub leisten. Nur mit dem sofortigen Angebot des Europäischen Rats an die Regierung des UK, die Verhandlungen mit dem Ziel des gleichzeitigen Abschlusses beider Verträge neu zu öffnen, kann das Desaster des Chaos-Brexits verhindert werden. Den EU-Verträgen steht nicht entgegen, wenn die Verhandlungen dann sowohl im UK als auch transnational von gesellschaftlichen Foren zur Konsensfindung begleitet werden.

Es ist zu hoffen, dass in der sehr kurzen Frist bald klügere Einfälle der EU-Seite auf den Tisch kommen, als sie der deutsche sozialdemokratische Außenminister Maas jetzt auf dem EU-Außenministertreffen in Helsinki wiederholt hat. Statt in den Monaten zuvor den öffentlichen Dialog mit der Labour Party zu suchen, schlug er mit Händen in den Taschen und vor der Brust verschränkten Armen seinem neuen britischen Amtskollegen Raab vor, er möge doch neue Vorschläge einreichen. Was für eine Fehleinschätzung des international vernetzten Rechtspopulismus und was für eine Unterschätzung der Auswirkungen des Chaos-Brexits auf Ökonomie und Politik der EU-Staaten!

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