26. Mai 2021 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: AfD bestimmte Spitzenkandidaten

Mit Weidel und Chrupalla auf scharfem Rechtskurs

Das Team Alice Weidel und Tino Chrupalla hat bei der Mitgliederbefragung der AfD über die Führungsrolle im Wahlkampf mit 71% deutlich gewonnen. Das Alternativ-Team aus Joana Cotar und Joachim Wundrak erreichte 27%.

Das Ergebnis für Weidel und Chrupalla relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass nur knapp die Hälfte der Stimmberechtigten bei der Online-Abstimmung mitgemacht hat. Rund 32.000 AfD-Mitglieder konnten seit dem 17. März für ihr bevorzugtes Duo votieren. Den Parteiangaben zufolge nahmen 14.815 Mitglieder (48%) teil. Das ist für eine Partei, die sich umfassend für Volksabstimmungen und Basisdemokratie ausspricht, kein Ruhmesblatt.

Der auch innerparteilich umstrittene Co-Parteichef Jörg Meuthen hatte sich dafür eingesetzt, dass die AfD mit einem Duo im Bundestagswahlkampf antritt, das von beiden Strömungen der AfD unterstützt werden könnte. Zur Debatte stand ein Team aus Cotar und Chrupalla. Doch Parteivize Chrupalla ließ sich auf diesen Personalvorschlag nicht ein. Deshalb trat die hessische Bundestagsabgeordnete stattdessen mit dem früheren Generalleutnant Wundrak an.

Meuthen kämpft seit längerem dafür, die rechtskonservativen »Gemäßigten« in der Partei zu stärken, auch um den Überwachungsdruck durch den Verfassungsschutz hinter sich zulassen. Dem von großen Teilen Ostlandesverbände favorisierten sächsischen Handwerksmeister Chrupalla wurde stets nachgesagt, dass er die Ausgrenzungs- und Reinigungslogik von Meuthen nicht mitmacht, und folglich auch von der völkisch-nationalistischen Strömung unterstützt wird. Cotar repräsentiert eher die westdeutschen Landesverbände und legt Wert auf eine Abgrenzung gegenüber dem Höcke-Lager. Meuthen hätte deshalb als Kompromiss gerne ein Spitzenteam Cotar/Chrupalla gesehen.

Die nun gewählten Weidel und Chrupalla repräsentieren ein Wahlprogramm, dessen Entwurf auf dem AfD-Bundesparteitag im April u.a. durch Anhänger:innen des offiziell aufgelösten, vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften, »Flügels« erheblich verschärft wurde. Die Partei fordert nun den Austritt Deutschlands aus der EU, lehnt kategorisch »jeglichen Familiennachzug für Flüchtlinge« ab und verlangt bei der Bundeswehr ohne ausdrückliche Distanzierung von verwerflichen Traditionen »einen starken Korpsgeist«, »deutsche Werte« sowie »militärisches Liedgut und Brauchtum« (siehe dazu den Beitrag »Deutschland. Aber normal« auf Sozialismus.deAktuell vom 15. April 2021).

Die AfD fordert für Deutschland einen radikalen Gesellschaftsumbau: Sie will Einwanderung stark begrenzen. Die deutsche Staatsbürgerschaft soll wieder abhängig von der Herkunft werden. Zahlreichen Projekten gegen Rassismus oder für ein modernes Geschlechterverständnis sollen die Gelder gestrichen werden. Den menschengemachten Klimawandel bezweifelt die AfD: Sie setzt auch weiterhin auf Kohle- und Atomenergie. Die EU lehnt die Partei ab und fordert den Austritt Deutschlands aus dem Staatenverbund. Das Wahlkampf-Spitzenduo Weidel/Chrupalla gab als Hauptgegner die regierenden Christdemokraten aus. Ihr Wahlziel sei es, stärker als die schwächelnden Sozialdemokraten zu werden. Die liegen in aktuellen Umfragen bei rund 16% der Stimmen.

Chrupalla ist vom verabschiedeten Wahlprogramm überzeugt. Die Forderungen nach Senkung der Mehrwertsteuer und dem Wegfall der CO2-Steuer, der Stärkung des ländlichen Raums und der Abkehr vom Ausstieg aus der Kohleverstromung unterstützt er ausdrücklich. Er will die wirtschaftlich angeschlagenen Teile des »deutschen Mittelstands« erreichen. Selbst gelernter Handwerksmeister warnt er vor einer Gängelung der kleinen Betriebe. Mit Wahlprogramm und Spitzenkandidaten-Team geht die AfD in eine harte Konfrontation zu allen anderen Parteien – und alle anderen Parteien zur AfD.

Weidel und Chrupalla sind in den vergangenen Jahren nicht gerade als Kritiker:innen der vom Thüringer Landeschef Björn Höcke angeführten sozialpatriotisch-nationalistischen Tendenzen aufgetreten. Weil die beiden von dieser Strömung während des Bewerbungsprozesses offen unterstützt wurden, ist das klare Ergebnis der Basisurwahl unabhängig von der Frage nach der jeweiligen Bekanntheit der Bewerber:innen als politische Entscheidung zugunsten des deutlich rechtsradikalen Flügels zu bewerten.

Anders als Weidel und Chrupalla hatten sich Cotar und Wundrak gegen die Kompromisslosigkeit beim Familiennachzug und für eine Erschließung neuer Wählerschichten »in Richtung auf die Mitte« ausgesprochen. Diese Richtungsentscheidung für Weidel und Chrupalla ist eine innerparteiliche Niederlage des Parteichefs Meuthen. Er hatte vor dem April-Parteitag durchgesetzt, dass die Spitzenkandidat:innen nicht von den Parteitagsdelegierten, sondern von den Mitgliedern gewählt werden. Mit diesem Verfahren, für das sich Meuthen eigens eine Mehrheit bei einer ersten Mitgliederumfrage gesichert hatte, sollten Weidel/Chrupalla verhindert werden – die nun aber ausgerechnet von der »Basis« gewählt wurden.


Landtagswahl in Sachsen-Anhalt als Treibsatz

Über die Bedeutung und das Gewicht der völkisch-nationalistischen Strömung werden die anstehenden Wahlen in Sachsen-Anhalt Auskunft geben. In den aktuellen Umfragen hat das regierende Bündnis aus CDU, SPD und Grünen weiter eine Mehrheit, die AfD positioniert sich als zweitstärkste fundamental-oppositionelle Kraft. Nach jüngsten Umfragen liegt sie bei 24%, also etwa in der Größenordnung des Ergebnisses von 2016 (26%). Die Rechtspartei hat trotz innerparteilicher Querelen und Obstruktionspolitik im Landtag kaum an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren. Die CDU als führende Kraft des bürgerlichen Lagers liegt mit 26% nur noch knapp vor der AfD.

In der AfD-Fraktion im Landesparlament von Sachsen-Anhalt kam es zu vielen personellen Wechseln: Neben dem Fraktionschef André Poggenburg wurden auch andere Führungskräfte ausgebootet. Einer derjenigen aber, die bei den innerparteilichen Zwistigkeiten meistens außen vor blieben, ist Robert Farle, 71, ein Steuerberater und Rechtsanwalt, der ursprünglich aus Baden-Württemberg kommt. Bis 1992 war er Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), 2015 trat er der AfD bei.

Farle spielt in der AfD-Fraktion eine zentrale Rolle: Er ist ihr parlamentarischer Geschäftsführer – also derjenige, der die politischen Abläufe koordiniert. Wenn einer etwas beitragen könnte zur Zähmung einer Fraktion, dann vielleicht er. Aber Farle tritt heute radikaler auf denn je. Im Landtag etwa hat er kürzlich behauptet: »Die ganze Pandemie ist ein Schwindel.«

Die Anti-Corona-Maßnahmen nennt die AfD auf ihren Wahlplakaten einen »Irrsinn«, der gestoppt werden müsse. Der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der AfD in Sachsen-Anhalt, Oliver Kirchner, erläutert: Die Zahlen der intensivmedizinisch behandelten Menschen hätten ein komplettes Herunterfahren der Wirtschaft nie gerechtfertigt. »Wichtig ist, die Risikogruppen zu schützen und alle anderen Menschen unter bestimmten Abstands- und Hygieneregeln frei leben zu lassen.« Kirchner forderte auch eine Rückkehr zur Kernenergie. Wind- und Solarenergie könnten den Strombedarf langfristig nicht sichern. Um die Bekämpfung der Klimakrise müssten sich zunächst wachsende Länder wie China und Indien kümmern. Deutschland habe daran einen zu kleinen Anteil.

In der Bildungspolitik will die AfD langfristig den Anteil von Schüler:innen an Gymnasien auf 25% pro Jahrgang senken. Laut Kirchner sollen Lehrkräfte dafür wieder eine Mitsprache beim Bildungsweg eines Kindes bekommen. Zu viele Menschen, »die nicht das Niveau haben«, würden studieren wollen und so dem Handwerk fehlen. Lehrer:innen sollten sich weniger mit Bürokratie auseinandersetzen müssen. Das würde den Beruf aufwerten und den Lehrermangel abmildern. Vor allem bei »ideologischen« Projekten könne und müsse gespart werden. Kirchner nannte als Beispiele dafür etwa die Kosten für Sprachkurse oder Integration für Geflüchtete. Gleichzeitig beklagte er eine mangelhafte Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt. er hingegen wolle den »Bestand unseres Volkes sichern«.

Die AfD könnte Anfang Juni in Sachsen-Anhalt durchaus noch stärkste Kraft werden und der CDU droht ein weiteres Debakel. Innerparteilich würde ein starkes AfD-Ergebnis bei der Landtagswahl eine weitere Schwächung des Co-Bundeschefs Meuthen bedeuten, dessen Mehrheit im Bundesvorstand der Landesverband Sachsen-Anhalt mehrfach scharf attackiert hat.

Die politische Auseinandersetzung innerhalb der AfD ist noch lange nicht beendet. Sie ist nach Einschätzung ihrer langjährigen Führungsfigur Alexander Gauland noch immer ein »gäriger Haufen«. Die teils blockierenden internen Auseinandersetzungen in etlichen Landesverbänden schrecken einen Teil der Anhänger:innen offenkundig ab: Die Rechtspartei hat in den letzten Monaten in den Umfragen an Zustimmung eingebüßt. Bisher hatte die AfD trotz dieser internen Krisen und einer Abgrenzung seitens der anderen politischen Parteien Jahr für Jahr neue Mitglieder dazugewonnen. Im vergangenen Jahr ist die Mitgliederzahl erstmals seit 2015 gesunken – von 34.700 Mitgliedern 2020 auf 32.000 zu Beginn dieses Jahres.

Rückläufige bzw. stagnierende Umfragewerte und Mitgliederverluste sind im Zusammenhang mit den heftigen internen Konflikten zu sehen. Nach dem Parteiausschluss des führenden Funktionärs Andreas Kalbitz hatte Meuthen seine Strategie intensiviert, durch Abgrenzung gegenüber der national-völkischen Strömung des »Flügels« größere Akzeptanz in der Wähler:innenschaft und der anderen Parteien zu erreichen und die Ansätze des Verfassungsschutzes in Richtung eines Parteiverbotes zu unterlaufen.

Allerdings findet die insbesondere von »Flügel«-Vertretern und auch dem Spitzenduo vertretene geistlose, bruchstückhafte rechtsradikale Weltanschauung – dieses Amalgam von Verschwörungstheorien und Ressentiments– immer noch Akzeptanz bei einem relevanten Teil der Wähler:innen. Die zivilgesellschaftlichen Kräfte sowie die anderen politischen Parteien haben bislang noch keine überzeugende Antwort auf diesen rechten Radikalismus gefunden.

Es wäre jedoch verkürzt, die Stabilität der modernen Rechtpartei nur auf die Erfolge im parlamentarischen Raum zurückzuführen. Die AfD und vor allem der völkisch-nationalistische Flügel formieren ein Netzwerk in den sozialen Medien und der Zivilgesellschaft – bis hinein in die Gewerkschaften. Selbst wenn die Erfolge bei den letzten Betriebsratswahlen marginal waren, wird weiter daran gearbeitet, die AfD zum parlamentarischen Arm rechter Initiativen wie dem »Zentrum Automobil« auch in den Betrieben auszubauen.

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