23. August 2024 Bernhard Sander: Ein auf Zeit spielender Präsident und die Vorschläge der Linken
Nach dem »olympischen Frieden« in Paris
Der Plan des Staatschefs Emmanuel Macron ist einfach: Der große zentrale Block, den er angeblich repräsentiert, soll seinen Fahrplan bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 schreiben.
Er beharrt auf seiner Position: Eine neue Koalition müsse aufgebaut werden, indem das präsidiale Lager – Modem, Renaissance und Horizons – und politische Kräfte, die er für »gemäßigt« hält, zusammengeführt werden – das heißt, alles, was nicht La France insoumise (LFI) und Rassemblement national (RN) ist.
Unter dem Vorwand, die olympische Pause zu nutzen, damit sich die Gemüter beruhigen, spielt Emmanuel Macron ein gefährliches Spiel. Geschwächt durch die Auflösung der Nationalversammlung, die sich als riskante Wette erwiesen hat, verhält sich der Staatschef dennoch so, als wäre er immer noch Königsmacher.
Nicht ausgeschlossen ist offenbar selbst die gelegentliche Zusammenarbeit mit den Leuten des Rassemblement National. Deren totale Nichtberücksichtigung bei der Verteilung der Schlüsselpositionen im neugewählten Parlament – Präsidium, Ausschüsse – bezeichnete Macron als »keine gute Sache«.
»Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir alles tun werden, um La France insoumise zu blockieren«, rechtfertigt Laurent Wauquiez, der Vorsitzende der Fraktion der republikanischen Rechten (DR), die begonnene Zusammenarbeit mit dem Macron-Lager. Die Rechte unterstützte Yaël Braun-Pivet als Parlamentspräsidentin im Austausch für die Stimmen der Macronisten für sieben weitere Posten, darunter zwei Vizepräsidentschaften.
Die Rechte bedroht mit ihren 47 Abgeordneten, die nicht zum RN-Bündnispartner und bisherigem Parteivorsitzenden Eric Ciotti gewechselt sind, aber auch das Projekt Macrons, weil sie jeder Mitte-Rechts-Regierung, die er vorschlägt, jederzeit das Misstrauen aussprechen bzw. entsprechenden Anträgen des RN beitreten kann. Die roten Linien lauten: »1. Wir werden Steuererhöhungen ablehnen. 2. Wir werden es ablehnen, dass auf dem Rücken der Rentner gespart wird.« Und als dritten Punkt lehnt es der DR-Fraktionsvorsitzende kategorisch ab, Minister*innen aus der Partei La France insoumise in der Regierung zu sehen.
Da kein Lager über eine ausreichende Mehrheit verfügt, spielt Macron auf Zeit, in der Hoffnung, dass eine hypothetische Mitte-Rechts-Koalition zustande kommt, die die Angebotspolitik, die er seit sieben Jahren betreibt, aufrechterhalten kann. Originellerweise möchte die Rechte bestimmte bürgernahe öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheit oder Schule stärken, allerdings ausschließlich durch das Prisma des Kampfes gegen die »Bürokratie«, also ohne zusätzliche Mittel. Die Vorschläge zur »unkontrollierten Einwanderung« ähneln denen der LR-Parlamentarier*innen zum letzten Gesetzentwurf, der vom Verfassungsrat abgelehnt wurde.
Die Bestrebungen des Präsidenten haben ihren Zweck bisher erreicht und umgehend zum Zwist in der Neuen Volksfront (NFP) geführt, die sich nur schwer auf einen Vorschlag für das Ministerpräsidentenamt einigen konnte. Vor allem die sozialliberalen Minderheitsströmungen im der wiedererstarkten Sozialistischen Partei (PS) kritisieren die vorherrschende Linie, »das Programm und nichts als das Programm« zu realisieren.
Für die NFP, insbesondere ihrer größten Gruppe LFI, muss es darum gehen, ihre starke Position zu halten. Das kann nur gelingen, wenn sie das in neuen proletarischen Schichten errungene Vertrauen bewahren kann, jener Menschen, die migrantischer Herkunft sind, oft bekennende Muslime, in besonders prekären Milieus an der Peripherie der Städte leben und zu den »armen Arbeitenden« zählen. Doch die Intransingenz insbesondere der als »Links-Islamisten (Islamo-Gauchistes)« verschrienen LFI gefährdet die Einheit der NFP.
Emmanuel Macron weigerte sich umgehend nach der Nominierung von Lucie Castets, die NFP mit der Bildung einer Minderheitsregierung zu beauftragen, der es rasch möglich wäre, wichtige Dekrete zu erlassen wie die Erhöhung des Mindestlohnes auf 1.600 Euro, die Außerkraftsetzung der Rentenreform, die Einführung eines Preislimits für Grundnahrungsmittel oder die Übernahme aller Schulkosten für Bedürftige.
Der parteilosen Castets geht es um mehr als Sofortmaßnahmen: »Ich nehme politische Differenzen ernst. Eine Koalition mit dem Regierungslager ist unmöglich, und das wollen unsere Wähler auch nicht.« Das Wahlprogramm der Neuen Volksfront bleibe ihre Basis, betonte sie und bekräftigte, dass sie für den Fall ihrer Ernennung die Rentenreform, mit der Macron das Rentenalter in Frankreich von 62 auf 64 Jahre angehoben hatte, rückgängig machen wolle.
Die gemeinsame Kandidatin nutzte angesichts der fortbestehenden Gefahr einer alles in Frage stellenden Spaltung der Allianz die olympische Sommerpause, sich und ihre Schwerpunkte im Land bekannt zu machen: Sie kündigte ihre Absicht an, »bis 2027 Steuer- und Sozialeinnahmen in Höhe von 150 Milliarden Euro zu erzielen, um unser Programm zu finanzieren und das Defizit zu verringern«. Zu diesem Zweck kündigte sie für den Fall, dass sie in den Amtssitz Matignon einzieht, »eine große Steuerreform« an, die »die Progressivität der Einkommensteuer« betrifft, die »auf 14 Stufen erhöht« werden soll, wie es das Programm der Linkskoalition für die Parlamentswahlen vorsieht.
Dies soll zu »Steuersenkungen« für »einen Großteil der Haushalte« führen, versichert Frau Castets. Sie möchte auch, dass »Ex-Pats ihre Steuern an den französischen Fiskus zahlen, wie es die im Ausland lebenden Amerikaner gegenüber dem amerikanischen Fiskus tun«. Sie bestätigt außerdem eine Ausweitung der »Vermögensbesteuerung« und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. In Bezug auf Unternehmen befürwortet sie die Einstellung der »teuersten Maßnahmen, z.B. Beitragssenkungen, die überdimensioniert sind«. Sie will das Pflegepersonal in den Krankenhäusern aufstocken und »eine Lehrkraft mehr pro Klasse« einstellen.
Vergleicht man das NFP-Programm mit dem »Gemeinsamen Programm« von 1972, das Sozialisten und Kommunisten verabredet und unter dem Staatspräsidenten Mitterrand später ins Werk zu setzen versuchten (z.B. Verstaatlichung des Bankensektors und großer Unternehmen), wird man schnell feststellen, wie bescheiden die Linke heute geworden ist. Dennoch stellt sich auch für die NFP die Frage, wie sie Neutralität oder gar Unterstützung bei Links-Gaullisten und Liberalen gewinnen kann.
Die Minderheitssprecherin der Sozialliberalen im PS, Hélène Geoffroy, kann dazu nicht viel beitragen außer Nachkarten: »Man wollte einen Namen setzen, bevor wir uns die Frage stellen, was wir tun wollen. Regieren oder nur den Rücktritt des Präsidenten der Republik erwirken? Es ist eine wirkliche Regierung, die unser Land braucht. Die Franzosen wollen Antworten auf ihre täglichen Schwierigkeiten.«
Diese Wartesituation ist ungesund, denn nichts ist politischer als die Erstellung eines Haushaltsplans. Eine durch die Parlamentswahl faktisch delegitimerte Regierung unter Gabriel Attal, dessen Rücktrittsangebot vom Wahlabend Macron abgelehnt hatte, hält die Macht weiter in Händen. Sein Kabinett blieb bei der Wahl des Parlamentspräsidiums stimmberechtigt und verhinderte so die Wahl des Kommunisten Chassaigne, der über die NFP-Mandate hinaus noch über 20 weitere Abgeordnete hinter sich bringen konnte.
Auch wenn sie noch nicht verschickt wurden, hat sich das scheidende Team an die Vorbereitung der Obergrenzenbriefe gemacht, in denen für 2025 die Höhe der Ausgaben für die einzelnen Aufgaben des Staates festgelegt wird. Dadurch erweckt die Regierung jedoch den Eindruck, dass sie die gleiche Politik fortsetzt, als wäre nichts geschehen, und schürt den berechtigten Zorn derjenigen, die an ihrer Stelle eine andere Politik betreiben wollen.
Anstatt sich zu entspannen, verkrampft sich die politische Szene mit jedem Tag ein wenig mehr, und die Ressentiments werden stärker. Das ist problematisch, denn wenn sich die Krise aufgrund einer unauffindbaren Mehrheit zu einer Haushalts- und Finanzkrise ausweiten sollte, wären die franzöischen Bürger*innen die ersten Verlierer. Dazu müsste man allerdings den Mut haben, ihnen das zu sagen.
Für den Historiker Roger Martelli, ehemaliges Mitglied der Parteiführung der PCF und Mitherausgeber der Zeitschrift »Regards«, kann die Linke so nicht weitermachen: »Soll man in einer so verworrenen Situation überhaupt regieren wollen? Die Antwort ist positiv: Nach so vielen Schlägen ist die Erwartung der linken Wählerschaft groß, dass es einen Kurswechsel gibt. Allerdings muss man auch sagen, wofür man in einer so prekären Situation regieren will.
Insbesondere von Seiten der Partei ›France insoumise‹ heißt es, dass die Linke regieren wird, um ihr Programm umzusetzen. Aber mit diesem Programm verhält es sich wie mit allen anderen Programmen: Streng genommen wurde es im ersten Wahlgang von knapp 30% der abgegebenen Stimmen gebilligt. Im zweiten Wahlgang wurde es nicht abgelehnt, aber die Zustimmung, die es erhielt, ist weit von der Mehrheit entfernt.
Das ist ausreichend, um ›von‹ diesem Programm aus zu regieren. Aber wie soll man ohne stabile Mehrheit ›das Programm, das ganze Programm, nichts als das Programm‹ umsetzen? Wie die CGT-Vorsitzende Sophie Binet passenderweise in Erinnerung gerufen hat, braucht das linke Volk keine ›Märtyrerregierung‹, die drei kleine Runden dreht und dann weggeht, die durch Taten nur zeigen will, dass alle anderen Strömungen dieses Programm nicht wollen, und die in Wirklichkeit eher demonstrieren würde, dass die Linke unfähig ist, das umzusetzen, wofür sie sich engagiert hat.
Zweifellos muss man also regieren wollen, mit drei erreichbaren Zielen von ungleicher Schwierigkeit: möglichst viele positive Maßnahmen durchsetzen, die punktuell Mehrheiten finden können; bei weniger konsensfähigen Punkten (Renten, Steuern ...) alles tun, um Vereinbarungen zu erzielen; in letzter Konsequenz, wenn das nicht möglich ist, jeden vor dem souveränen Volk zur Verantwortung ziehen.«