27. Februar 2023 Joachim Bischoff: Druck zur Veränderung der Finanzpolitik

Nach der Pandemie die Schuldenkrise

Beim Finanzminister-Treffen der G20-Staaten in Indien gab es wegen des Streits über den Ukraine-Krieg keine gemeinsame Abschlusserklärung. Die meisten Finanzchefs der größten Volkswirtschaften der Welt hatten Moskau für seinen Angriff auf die Ukraine scharf verurteilt.

Russland und China weigerten sich, die gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen. Sie verlangten, dass die Absätze, die sich auf den Krieg beziehen, gestrichen werden.

Der indische Sekretär des Wirtschaftsministeriums, Ajay Seth, erklärte, dass alle anderen 18 Länder der Meinung seien, dass der Krieg Auswirkungen auf die Weltwirtschaft habe. Zu diesen Auswirkungen gehört auch die sich aufbauende Schuldenkrise. Der zweite Punkt, bei dem die Vertreter der führenden Industrie- und Schwellenländer keine gemeinsame Linie gefunden haben, war das Thema Schuldenerleichterungen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte China ermahnt, der Verantwortung bei möglichen Schuldenerleichterungen für Länder wie Ghana stärker gerecht zu werden. Die Volksrepublik ist einer der weltweit größten Kreditgeber. Aber die Schuldenproblematik betrifft auch die kapitalistischen Hauptländer selbst.


Schuldenkrise auch in den kapitalistischen Metropolen

Die USA haben angesichts einer Blockadehaltung der oppositionellen Republikaner im Kongress offiziell die Schuldenobergrenze touchiert. Die USA haben eine gesetzlich festgelegte Grenze, die besagt, wie viele neue Schulden die Regierung aufnehmen darf. Dass diese Schuldengrenze in recht regelmäßigen Abständen angehoben wird, gehört in Washington zu den politischen Standardprozeduren.

US-Finanzministerin Janet Yellen unterrichtete die Parlamentsspitzen in einem Brief darüber, dass sie zur Abwendung einer Zahlungsunfähigkeit des Landes »außergewöhnliche Maßnahmen« eingeleitet habe. Die Maßnahmen betreffen Rentenfonds für öffentliche Bedienstete und Angestellte der Post. Yellen mahnte, weil solche Maßnahmen eine Zahlungsunfähigkeit nur einige Monate lang abwenden könnten, müsse der Kongress »schnell handeln«. Im schlimmsten Fall droht eine Stilllegung der Regierungsgeschäfte, ein sogenannter Shutdown.

Joe Biden hatte in seiner Rede zur Lage der Nation deutlich gemacht, dass er keinesfalls bereit ist, Kürzungen bei Sozialprogrammen vorzunehmen. Dagegen hatte der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, McCarthy, für die Mehrheit erklärt, eine Anhebung die Schuldenobergrenze käme ohne Zugeständnisse, d.h. Kürzungen von Sozialausgaben, von Seiten der Demokraten nicht in Frage. Bis spätestens Mitte des Jahres muss eine Lösung gefunden werden.

Ein weiterer Grund für die Bedrohung durch eine neuerliche Schuldenkrise sowohl in den kapitalistischen Hauptländern als auch in den Schwellenländern ist die aggressive Zinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die Notenbanken stecken in einem Balanceakt: Sie wollen die Zinsen anheben, um auf die Inflation zu reagieren. Sie sollen zugleich aber die Konjunktur nicht beschädigen, und müssen auch im Blick behalten, dass die Staaten bei steigenden Zinsen nicht von ihrer Schuldenlast erdrückt werden.


Druck zur Veränderung der Finanzpolitik

Staat und Verbraucher*innen in den USA verschulden sich immer stärker. Der Grund sind die Kaufkraftverluste wegen der Inflationsdynamik. Mit der Energiekrise und den kriegsbedingten Preisanstiegen steigt die Verschuldung. Zudem sind die Zinsen kräftig angehoben worden. Das bedeutet: Die Verschuldung der Privathaushalte in den USA ist im vierten Quartal 2022 so stark angestiegen wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Ihre Gesamtverschuldung stieg um 394 Mrd. US-Dollar, der größte nominale Anstieg seit 20 Jahren. Sie erreichte damit einen Rekordwert von 16,9 Bio. US-Dollar.

Auch die öffentliche Verschuldung in den USA hat die bisherigen Grenzen gesprengt: Sie hat derzeit 31,4 Bio. US-Dollar erreicht! Die aktuelle Schuldenobergrenze wurde am 19. Januar 2023 bei genau diesen 31,4 Bio. US-Dollar erreicht. US-Finanzministerin Janet Yellen, sozusagen die oberste Schulden-Managerin der US-Regierung, musste einen Brief an den US-Kongress schreiben, der für die Anhebung der Obergrenze zuständig ist. Die US-Regierung riskiert eine »wirtschaftliche und finanzielle Katastrophe«, wenn das Repräsentantenhaus keinen Gesetzentwurf zur Anhebung der Schuldenobergrenze verabschiedet, so Janet Yellen.


Dynamik der öffentlichen Schulden

Das Congressional Budget Office hat Mitte Februar einen Bericht veröffentlicht, indem geschätzt wird,  dass die Schulden in den nächsten zehn Jahren um etwa 19.000 Mrd. US-Dollar zunehmen werden. Das wären knapp 20% mehr als bisher prognostiziert, weil die Zinskosten zunehmen und die finanzielle Versorgung von Veteranen, Rentner*innen und dem Militär immer teurer wird.

Die Budgetexperten rechnen in diesem Jahr mit einem Defizit von 1,4 Bio. US-Dollar – und in den kommenden zehn Jahren mit durchschnittlichen Einnahmelücken von jährlich 2.000 Mrd. US-Dollar, da die Steuereinnahmen u.a. nicht mit den zunehmenden Lasten des Sozialversicherungssystems und den Medicare-Leistungen der in den Ruhestand gehenden Babyboomer Schritt halten können.


Wachsende Haushaltsdefizite

Die öffentliche Gesamtverschuldung des amerikanischen Staates wird im Jahr 2024 gemäß den vorgelegten Daten der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung der Volkswirtschaft des Landes entsprechen und bis 2033 auf 118% der Wirtschaftsleistung steigen. Die »wahre Schuldenlast« ist aber deutlich höher, weil viele der ungedeckten Verbindlichkeiten in Form von Zahlungsversprechen in dieser Statistik gar nicht erst erscheinen. Die CDO-Fachleute verweisen auf die Kostenexplosion für die Bereitstellung von Sozialversicherungs- und Medicare-Leistungen.

Die öffentlichen Staatsschulden in Höhe von 31,4 Bio. US-Dollar sind das Ergebnis politischer Entscheidungen, d.h. sowohl als Reaktion auf wirtschaftliche Krisen, als auch den transformatorischen Umbau der Infrastruktur und einen überfälligen Ausbau der sozialstaatlichen Dienstleistungen. Die damit ausgelösten Budget-Defizite könnten auch mit Steuererhöhungen oder Verbesserung bei der Steuererhebungspraxis vermieden werden. Allerdings folgt die Politik in der Regel der Logik der Schonung der höheren Einkommen und Vermögen. Daher haben auch die Steuersenkungen dazu geführt, dass die Staatseinnahmen verringert wurden. Hinzu kommen die gigantischen Aufwendungen für die unter Bush begonnenen Kriege im Irak und in Afghanistan, und neuerdings für die Unterstützung der Ukraine,  die nicht durch Steuererhöhungen, sondern durch Kredite finanziert worden sind. Es ist also letztlich wenig überraschend, dass in Folge der Milliardenschweren Hilfen zur Bekämpfung der Pandemie und für die Ukraine die öffentlichen Finanzen verstärkt in einen Krisenmodus fallen.

Die republikanischen Mitglieder des Kongresses zögern der Anhebung der Schuldengrenze zuzustimmen, um das  Weiße Haus – also die Fraktion der Demokraten – auf einen Kurs der finanzpolitischen Austerität – vor allem zu Sozialkürzungen – zu zwingen.


Zinserhöhung als Faktor für Verschuldung

In den letzten Monaten sind die kurz- und langfristigen Kreditkosten erheblich gestiegen. In der Konsequenz werden die Zinslasten des Bundes in den nächsten zehn Jahren um etwa 30% auf 10,4 Bio. US-Dollar zunehmen. Ähnlich sind die Steigerungsraten der Zinslasten in den anderen kapitalistischen Hauptländern. Finanzminister Lindner muss für die Schulden des Bundes wieder deutlich mehr Zinsen zahlen als in den Vorjahren. Das macht vor allem die FDP nervös. 10,3 Mrd. Euro wurden bereits zusätzlich für Zinszahlungen eingeplant. Lindner klagt: »Im letzten Jahr haben wir gut vier Milliarden Euro an Zinsen gezahlt. … Es ist nicht ausgeschlossen, dass es im Jahr 2023 bis zu 30 Milliarden Euro sein werden.« Dies sei ein Signal zur Umkehr: »Wir haben nicht nur eine sicherheitspolitische Zeitenwende, sondern auch eine ökonomische.« Niemand wisse mit Bestimmtheit , ob das reicht. Und selbstverständlich schließen die Freien Demokraten höhere Steuern oder eine Vermögensabgabe aus.

Aufgrund der Inflation werden zwar auch die Steuereinnahmen zunehmen, weil sie die Nominaleinkommen der Lohnabhängigen in die Höhe treibt. Allerdings ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Der neue Bericht des US-Kongressbüros macht deutlich, »wie anfällig wir für einen Teufelskreis höherer Zinszahlungen sind, der mehr Kreditaufnahme und immer mehr Schulden und Zinsen erfordert«.

Fakt ist: Die Verschuldung ist derzeit historisch sehr hoch. Das bedeutet, dass sowohl die kapitalistischen Haupt- als auch die Schwellenländer einen hohen Refinanzierungsbedarf haben. Und das wird durch die von den USA ausgehende Zinswende deutlich verschärft.


Vor einer neuen Schuldenkrise?

Die Finanzminister der wichtigen Industrie- und Schwellenländer (G20) haben im indischen Bengaluru über aktuelle finanzpolitische Herausforderungen wie die Schuldenkrise vieler armer Staaten beraten. »Die Welle der Verschuldung seit der Finanzkrise ist in ihrer Größe, Geschwindigkeit und Reichweite in den Schwellen- und Entwicklungsländern beispiellos«, konstatiert die Weltbank. Lösungsansätze dafür zu finden, sieht Indien als eine Hauptaufgabe seiner G20-Präsidentschaft in diesem Jahr. Indien sehe sich »ganz klar als Anwalt der Entwicklungs- und Schwellenländer«, hieß es  aus der deutschen Delegation. Eine globale Schuldenkrise könne jedoch auch zu einer Belastung für die Weltwirtschaft werden.

Der Blick richtet sich dabei vor allem auf China, einen der weltweit größten Gläubiger. Schon lange steht das Land unter internationalem Druck, Schuldenerleichterungen für arme Staaten zuzustimmen, bewegte sich jedoch bislang nur zögernd. Zuvor hatte der IWF festgestellt, dass Afrika südlich der Sahara mit dem »schwierigsten Umfeld seit Jahren« konfrontiert sei, da die Erholung der Region durch eine galoppierende Inflation, steigende Zinssätze und eine globale Wachstumsschwäche gestört werde. US-Finanzministerin Janet Yellen wirft China vor, den Hauptgläubiger vieler afrikanischer Länder, sich »nicht konstruktiv zu beteiligen« und die Bemühungen um Schuldenerleichterungen zu behindern.

Ein weiteres großes Thema bei den internationalen Beratungen sind die Finanzhilfen für die Ukraine. Es deutet sich an, dass der Bedarf des kriegsgebeutelten Landes noch höher ist als bisher gedacht. Vor allem im G7-Kreis am Rande der G20-Konferenz wird daher auch über ein mehrjähriges Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) gesprochen, das bei der IWF-Frühjahrstagung im April in Washington beschlossen werden könnte.

Knapp 60% der ärmsten Staaten waren laut Weltbank bereits vor Russlands Krieg überschuldet – die seither gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel verschlimmern die Lage. Für Investitionen in die Anpassung an die Erderhitzung und den Umgang mit Klimaschäden bleibt kaum Spielraum in den Budgets vieler Länder. Einige Länder wie Sri Lanka kämpfen aktuell  mit der Zahlungsunfähigkeit. Im Januar 2023 folgte das wirtschaftliche Schwergewicht Ghana. Schon zuvor gab es mehrere Länder, die unter dem Eindruck der Corona-Pandemie Schuldenerlasse von ihren Gläubigern ersuchen mussten.

Eine Mischung aus realwirtschaftlichen Schocks und geldpolitischen Straffungen werde »eine große Zahl von Ländern mit niedrigem Einkommen in die Notwendigkeit einer Umschuldung treiben«, sagt der US-Ökonom John Lipsky, der viele Jahre in leitender Stellung beim Internationalen Währungsfonds (IWF) tätig war. »Das ist eine absolute Katastrophe, auf die wir da zusteuern.« Nach Angaben der Weltbank befinden sich aktuell 60% der ärmsten Länder dieser Welt in einer Schuldenkrise oder sind davon bedroht. Länder wie Pakistan, Tunesien, Äthiopien, El Salvador und Ghana laufen sogar Gefahr, bankrott zu gehen.

In dieser Situation, wo vielen Entwicklungs-und Schwellenländer schon in einer Schuldenkrise stecken, könnte durch eine Eskalation im Streit um die US-amerikanische Schuldengrenze eine dramatische Entwicklung ausgelöst werden. Das heißt, wenn der Kongress die Schuldenobergrenze nicht bis Mitte von 2023 anhebt, könnten die USA ihre Schulden nicht mehr bedienen. Das würde »zweifellos eine Rezession in der US-Wirtschaft auslösen und könnte zu einer weltweiten Finanzkrise führen«, so Yellen.

»Wenn es Zweifel an der Fähigkeit oder Bereitschaft der US-Regierung gäbe, Zins- und Tilgungszahlungen pünktlich zu leisten, könnte das sehr, sehr negative Folgen haben«, sagte auch Jan Hatzius, der Chefökonom von Goldman Sachs. Wenn der Kongress die Schuldenobergrenze demnach nicht rechtzeitig anhebe, würden sich Anleger Sorgen machen, dass es zu Zahlungsausfällen bei US-Staatsanleihen kommen könnte, die »vielleicht der wichtigste Vermögenswert in der Weltwirtschaft« seien, so Hatzius. Ein Zahlungsausfall oder auch nur ein Beinahe-Zahlungsausfall könne definitiv eine Rezession auslösen, meint der Chefökonom. »Das ist die Sorge: Dass es zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten kommt, zu einer starken Verschärfung der finanziellen Bedingungen, und das verstärkt den Abwärtsdruck auf die Wirtschaftstätigkeit«, so Hatzius. Und weiter: »Das ist wie gesagt die Sorge. Es ist nicht unsere Erwartung.«

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