20. Februar 2019 Thomas Jaitner: Neuwahlen in Spanien am 28. April

Neustart oder Rolle rückwärts?

Pedro Sánchez. Foto: La Moncloa - Gobierno de España/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat am 15.2. von seinen verfassungsmäßigen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und für den 28. April Neuwahlen angesetzt. Die im Juni 2016 begonnene Legislaturperiode wird damit nur knapp drei Jahre dauern.

Begründet wurde die Entscheidung damit, dass das spanische Parlament zwei Tage zuvor den Haushalt für 2019 abgelehnt hatte. Das kann aber nicht alles gewesen sein, denn die spanische Verfassung sieht vor, dass bei einer Ablehnung der Vorjahreshaushalt automatisch weiterhin gilt (Art. 134.4). Dies ist bereits sechsmal so geschehen, zuletzt 2016 und 2017. Die Regierung hätte die Möglichkeit gehabt, ihre wichtigsten Vorhaben in Form von Gesetzen durchzubringen. Warum kommt es also jetzt zu den Neuwahlen und wie stehen die Chancen der Parteien?


1.

Blicken wir kurz zurück: Bei den Wahlen im Dezember 2015 verlor die regierende Volkspartei PP 3,6 Mio. Wähler*innen und 63 Abgeordnete. Die sozialdemokratische PSOE, die sich jahrelang mit der PP in der Regierung abgewechselt hatte, profitierte aber nicht davon wie üblich, sondern verlor ebenfalls deutlich. Mit Podemos und Ciudadanos schafften zwei neue Formationen den Einzug ins Parlament, die zusammen 33% der Stimmen erhielten. Die Wahl machte deutlich, dass es in der spanischen Gesellschaft einen breiten Wunsch nach Veränderungen gab, aber es blieb unklar, wie diese Veränderungen aussehen sollten und wer sie durchführen könnte. Es gab kein politisches Projekt, das Antworten auf die tiefe Krise des Landes gegeben hätte (soziale Frage, Zukunft der Wirtschaft nach Jahren der Deindustrialisierung, territoriale Frage, Landflucht, Ökologie, Demokratie und Aufarbeitung der Franco-Ära usw.).

Dies war eine neue Situation, denn in den 1980er Jahren hatten die PSOE (Modernisierung durch Europa) und seit Mitte der1990er Jahre die PP (Bauboom) eine große Zustimmung für ihre Vorhaben erreichen können. Die 2015 deutlich gewordene Konstellation hält bis heute unverändert an. Statt eines Reformprojektes dominiert ein Durchwursteln: So zog die PP-Regierung 2012-2014 eine massive Austeritätspolitik durch, um angesichts zunehmender Proteste von 2015 bis 2017 auf weitere Kürzungen zu verzichten, ohne aber die bereits durchgesetzten Maßnahmen zurückzunehmen. Die politische Auseinandersetzung hat sich stark emotionalisiert, die Zustimmung zu den Parteien schwankt in den Meinungsumfragen hin und her, Voraussagen sind immer schwerer zu treffen. Das gilt auch für die Wahlen im April.


2.

Der Plan der PP-Regierung unter Mariano Rajoy, die Probleme einfach auszusitzen, ging nicht auf. Im Mai 2018 wurde sie per konstruktivem Misstrauensvotum durch PSOE, Unidos Podemos und die baskischen und katalanischen nationalistischen Parteien abgewählt. Seitdem hat sich einiges getan. Der rechte Block besteht mittlerweile aus drei Parteien: Zu den rivalisierenden PP und Ciudadanos (sie möchte die jüngere Generation und die moderne Rechte repräsentieren) ist die rechtsextreme VOX gekommen, eine Abspaltung der PP. Seit den Dezemberwahlen in Andalusien ist sie auch landesweit im Aufschwung. Als Nebenklägerin im Prozess gegen die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung genießt sie täglich unbezahlte Wahlauftritte.

VOX treibt die beiden anderen Parteien vor sich her. Während PP und Ciudadanos in Andalusien noch allein die Regierung bildeten und VOX von außen die nötigen Stimmen sicherte, traten die drei Parteiführer bei der Demonstration auf dem Colón-Platz in Madrid am 10. Februar gemeinsam auf. Nach dem Vorbild Venezuelas sollte der Druck der Straße gegen die Regierung organisiert werden. Der große Stratege hinter dieser Dreiergruppe ist der ehemalige Ministerpräsident José María Aznar, ein eigentlich gescheiterter Politiker, der aber jetzt »auf drei Klavieren gleichzeitig« spielen will. Er vertritt die These, dass die verschiedenen Formationen der Rechten zusammenarbeiten müssen, mit unterschiedlichen Aufgaben, damit sie wieder hegemonial werden kann.

Aber die Sache ist kompliziert. Zu der Demonstration auf der Plaza Colón kamen nur 50.000 Menschen, für eine Venezuela-Strategie scheinen die Menschen nicht bereit zu sein. Mit dem scharfmacherischen Kurs des neuen PP-Vorsitzenden, Pablo Casado, sind nicht alle PP-Spitzen und konservativen Wähler*innen einverstanden (vgl. el diario 19.2.). Es ist fraglich, ob Casados 2-Punkte-Wahlprogramm (Steuersenkung und erneute Übernahme der Regierung in Katalonien durch die Zentralregierung nach Art. 155 der Verfassung) ausreicht, um die Wähler*innen zu überzeugen. Ciudadanos möchte offen bleiben für ein Bündnis mit PSOE nach den Aprilwahlen, eine allzu enge Bindung an VOX schränkt diese Möglichkeit ein. Es kann sein, dass sich das spanische Wahlrecht, das die großen Parteien bei der Sitzverteilung im Parlament bevorteilt, diesmal für die fragmentierte Rechte negativ auswirkt.


3.

Die Entscheidung von Pedro Sánchez zu einem Misstrauensvotum im Mai 2018 war mutig. Noch im April hatte die PSOE in den Umfragen auf Platz vier gelegen, die Partei schien handlungsunfähig zu sein. Seine Absprachen mit Unidos Podemos und den baskischen und katalanischen nationalistischen Parteien waren ihm drei Jahre zuvor nach den Dezemberwahlen 2015 von seiner Partei verboten worden, wie er in der Parlamentsdebatte zum Misstrauensvotum noch einmal bestätigte. Diesmal war es möglich, den Alptraum einer unsozialen und korrupten PP-Regierung zu beenden. Aber Programm und praktische Umsetzung waren widersprüchlich. Das wird z.B. deutlich am Kabinett: Es besitzt die höchste Frauenquote innerhalb der EU, aber zwei Minister mussten zurücktreten: Kulturminister Màxim Huerta wegen einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, Gesundheitsministerin Carmen Montón wegen des irregulären Erwerbs eines Masterabschlusses.

Der mit Unidos Podemos erarbeitete Haushaltsentwurf für 2019 umfasste wesentliche soziale Verbesserungen, vor allem eine Erhöhung der Renten und des in Spanien wichtigen Mindestlohns von 735 auf 900 Euro. Dies wurde als Abwendung von der Austeritätspolitik und »soziale Wende« begrüßt. Aber der Haushalt sah zugleich 12 Mrd. Euro für den Erwerb neuer Waffensysteme vor. Die Minderheitsregierung, die nur über 84 von insgesamt 350 Parlamentssitzen verfügt, tat zu wenig, um einen stabilen Reformblock zustande zu bringen, um überhaupt längerfristig regieren zu können. Ein Regierungsbündnis mit Ciudadanos bleibt immer möglich, zumal die Europäische Kommission den Haushaltsentwurf kritisierte.

Der Versuch, mit der katalanischen Regionalregierung in einen Dialog zu kommen als Voraussetzung für eine Konfliktlösung stieß auf den massiven Widerstand der rechten Parteien. Vorläufiger Höhepunkt war die Demonstration auf der Plaza Colón.


4.

Podemos schien 2015 die große Hoffnung zu verkörpern, dass die Linke eine Antwort auf die Krise geben könnte. In wichtigen großen Städten wie Madrid, Barcelona oder Zaragoza wurden Linke zu Bürgermeister*innen gewählt. Mittlerweile ist die Euphorie verflogen. Podemos befindet sich in einer tiefen Krise, die etwas undurchsichtig erscheint, zumal die führenden Personen einsame Beschlüsse fassen, von denen die eigenen Anhänger*innen immer wieder überrascht werden.

Viele Parteigliederungen, die »círculos«, sind inaktiv, viele Wähler*innen haben sich in die Wahlenthaltung zurückgezogen. Bei der Dezemberwahl in Andalusien hat die Wahlenthaltung, die sowohl Unidos Podemos wie die PSOE betraf, zum Wahlsieg der rechten Parteien geführt. Diese Demobilisierung hat sicherlich mehrere Gründe. Podemos hat es nicht geschafft, ein gesamtspanisches soziales und demokratisches Projekt zu entwickeln. Vor allem in der Katalonienfrage wird dies deutlich. Das Beharren auf dem »derecho de decidir«, also dem Recht der katalanischen Bevölkerung in einer Abstimmung über den Verbleib oder Austritt aus Spanien zu entscheiden, kann die Fronten nicht aufbrechen.

Die Entscheidung für Neuwahlen ist vor allem als Versuch von Pedro Sánchez zu verstehen, aus der Defensive herauszukommen und die eigene Position zu stärken, vor allem auf Kosten von Ciudadanos und Podemos. Tatsächlich liegt die PSOE aktuell in den Umfragen vorn. Podemos ist die große Unbekannte bei den anstehenden Wahlen. Es ist möglich, dass sich die PSOE als stärkste Partei behauptet, aber trotzdem nicht regierungsfähig ist, weil die Verluste von Podemos nicht aufgefangen werden können.

Man kann allerdings auch nicht sagen, dass der Sieg der dreifaltigen Rechten bereits feststeht, denn hinter dem großen Lärm verstecken sich viele Schwierigkeiten. Es hängt viel von einem guten Wahlkampf der Linken ab, ob eine stabile Regierung gebildet werden kann, die an die Lösung der seit 2015 offenkundigen Probleme geht. Die politische Stimmung ist sehr labil, Voraussagen über das Wahlergebnis sind schwierig. Es kann noch viel bis zum 28. April geschehen.

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