2. Juli 2019 Redaktion Sozialismus

Nord-AfD: erfolgreiche Richtungswahl für den rechten Flügel

Foto: vfutscher/flickr.com (CC BY-NC 2.0)

Die schleswig-holsteinische AfD hat auf einem Parteitag Ende Juni einen neuen Landesvorstand gewählt. Trotz eines laufenden Parteiauschlussverfahrens wegen möglicher Verbindungen in die rechtsextreme Szene wurde Doris von Sayn-Wittgenstein in einer Kampfabstimmung wieder zur AfD-Landesvorsitzenden gewählt.

Sayn-Wittgenstein erhielt 137 von 244 abgegebenen Stimmen und damit 56%. Ihr schärfster Konkurrent, Christian Waldheim, AfD-Fraktionschef in Norderstedt und AfD-Bundesrechnungsprüfer, unterlag mit 100 Stimmen. Er gilt als Verfechter der Linie des Bundesvorstands. Zum Landesparteitag waren 235 Mitglieder der mehr als 1.000 Parteimitglieder gekommen. Die Nord-AfD hat keine Delegierten, jedes Parteimitglied kann zu Parteitagen kommen.

Sayn-Wittgenstein war 2017 zum ersten Mal zur Landesvorsitzenden gewählt worden. Schon bald danach gab es Spannungen, vor allem in der Fraktion, die von einem Vertreter des gemäßigten Flügels geführt wird. Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Sayn-Wittgenstein 2014 den vom thüringischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Verein »Gedächtnisstätte« unterstützt haben soll, der auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei steht. Kurz darauf hatte die Fraktion sie ausgeschlossen, sie trat als Landesvorsitzende zurück und der Bundesverband strengte ein Parteiausschlussverfahren gegen sie an, das in erster Instanz scheiterte. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Sayn-Wittgenstein wehrt sich gegen die Vorwürfe.

In ihrer Bewerbungsrede betonte Sayn-Wittgenstein, sie sei nicht rechtsextrem, sondern halte nur – anders als andere – an dem alten AfD-Kurs fest. Es gehe allerdings um eine Richtungswahl. Sayn-Wittgenstein präsentiert sich als Retterin der Nation. Sie betonte auf dem Parteitag, dass ihre Kandidatur aus Pflichtgefühl und aus Idealismus erfolge. Dem Bundesverstand sei sie ein Dorn in Auge, weil sei zum alten Kurs stehe: »Wir holen uns unser Land zurück.« Sie zitierte zudem aus einer Rede des AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Jongen zur deutschen Erinnerungskultur.

Jongen hatte in einer Bundestagsdebatte die Geschichts- und Gedächtnispolitik der Republik angegriffen. Sie sei darauf angelegt, den Daseinswillen der Deutschen als Volk und Nation zu brechen. Sie habe sich mit dieser Rede »solidarisiert«, und frage sich, warum sie als rechts »gebrandmarkt« werde. Ihre Schlussfolgerung: »Sogar in unserer Partei sind schon jene Kräfte am Werk, die am Tod unserer Nation mitwirken. Dies gilt es zu erkennen.«

Sayn-Wittgenstein sieht sich als Opfer eines Machtkampfs in der Partei: Auf der einen Seite stünden Leute wie sie, die für einen »nationalen Kurs« plädieren. Auf der anderen Seite jene, denen sie eine Strategie der Anpassung attestiert. »Ich glaube, es geht hier gar nicht so sehr um mich, sondern es geht darum, dass ich für eine Linie in der Partei stehe, die wirklich eine Alternative für Deutschland sein will und sich nicht so ein bisschen an die etablierten Parteien rankuscheln möchte«, sagte sie in einem Interview mit dem »Compact«-Magazin. Für die »Moderaten« hat sie nichts übrig: »Man muss vielleicht auch dann die Menschen, die es sich jetzt hier auch in der Partei versuchen bequem zu machen, als das entlarven, was sie sind: nämlich Leute, die unserem Land schaden und vielleicht es nur auf Pöstchen abgesehen haben.«

In einem Interview bezeichnete der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland Sayn-Wittgenstein als ein Beispiel für »Personen, die wir alle gern draußen sehen würden«. Dass sich Gauland, seines Zeichens auch Ehrenvorsitzender der AfD in Brandenburg, derart deutlich gegenüber dem rechten Flügel positioniert, ist die Ausnahme. In Gaulands eigenem Landesverband Brandenburg, dessen Ehrenvorsitzender er ist, hat Andreas Kalbitz den Vorsitz inne. Dessen rechtsextreme Karriere ist gut dokumentiert. Kalbitz, der auch Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg ist, war in den 1990er Jahren Mitglied der rechtsextremen Republikaner und des völkischen Witikobunds. Im vergangenen Jahr wurden Fotos aus dem Jahr 2007 publik, die ihn auf einem Zeltlager der nationalsozialistischen, und seit 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend zeigen. Von 2010 bis 2015 war der Politiker Vorsitzender des rechtsextremen Vereins »Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit«. Kalbitz gehört dem völkischen »Flügel« der AfD an.

Sayn-Wittgenstein gehört der rechtspopulistischen AfD seit 2016 an. Vor einem Jahr wäre sie um ein Haar sogar Parteivorsitzende geworden. Sie hatte auf einem AfD-Bundesparteitag in Hannover gegen den Berliner AfD-Fraktionsvorsitzenden, Georg Pazderski, kandidiert, der letztlich nur Vize wurde. Die Überraschungskandidatin zog ihre Kandidatur dann aber zurück, als sich Alexander Gauland zur Wahl stellte.

In den vergangenen Tagen und Wochen war Sayn-Wittgenstein durch die Kreisverbände getourt, um für sich zu werben, ohne sich aber klar als Kandidatin für den Landesvorsitz zu präsentieren. Der Gegenkandidat Waldheim, Kommunalpolitiker aus Norderstedt und Bundesrechnungsprüfer der AfD, hatte bereits vor Wochen seine Kandidatur für den Spitzenposten angekündigt. Sayn-Wittgenstein und Waldheim kritisierten sich wechselseitig als Richtungspolitiker. Die vergangenen zwei Jahre seien für die Nord-AfD zwei verlorene Jahre gewesen und organisatorisch wie politisch von Stagnation geprägt, sagte Waldheim. »Mir geht es um Fortschritt und Aufbruch.«

Waldheim spricht in seiner Bewerbungsrede davon, dass die AfD Schleswig-Holstein vor einer grundlegenden Entscheidung darüber stehe, wie es mit der Partei weitergehe. Als angeblich drängende Probleme zählt er Massenmigration, Islamisierung und explodierende Energiekosten auf. »Wir alle sind doch Teil der AfD geworden, um etwas zu verändern.« Politik müsse Zukunft gestalten. »Der stetige Blick zurück in die Vergangenheit löst keine Probleme.« Er warnte vor dem Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit und warb für ein Signal des Aufbruchs. Den Landesverband wolle er aus der bundesweiten Isolation lösen. Er sprach von Zusammenhalt statt Spaltung, von Teamgeist statt Egomanie.

Der Landesparteitag war mithin durch einen Flügelkampf geprägt. Waldheim war von dieser Entwicklung nicht überrascht. Er wertete den Sieg von Sayn-Wittgenstein als eine Gefährdung des Landesverbandes. In den Stunden bis zur Wahlentscheidung zeigte sich auf der Mitgliederversammlung in aller Deutlichkeit, wie tief der Riss in der Landespartei ist – zwischen den Unterstützern von Sayn-Wittgenstein und den Vertretern des gemäßigten Flügels. Unversöhnlich stand man sich gegenüber, die Stimmung war in der Hitze des Saals angespannt. Immer wieder gab es laute Empörung aus den Reihen. Redebeiträge und Redezeiten waren zwischen den gut 240 anwesenden Mitgliedern umkämpft, kaum ein Tagesordnungspunkt, der ohne gegenseitige Vorwürfe auskam. Gegner von Sayn-Wittgenstein hatten schon vorher gewarnt, wie weitreichend die Konsequenzen ihrer Wahl sein könnten.

Der Richtungsstreit im Norden ordnet sich in eine Verschiebung der politischen Gewichte in der Bundespartei ein. Die mehrheitlich vom rechtsextremen »Flügel« dominierten Ost-Verbände der AfD sehen sich im Aufwind.  Sie ziehen aus den Wahlergebnissen zur Europawahl und den letzten Umfrageergebnissen die Schlussfolgerung, dass sich die Machtverhältnisse in der Partei zu ihren Gunsten verschieben. Denn auch für die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zeichnen sich in den Umfragen Ergebnisse jenseits der 20 Prozent ab. In Brandenburg und Sachsen könnte die AfD stärkste Kraft werden. In Sachsen träumen die Rechtspopulisten sogar von einer Regierungsbeteiligung, was die CDU kategorisch ausschließt. Die große Frage ist nun, ob es den Ost-Verbänden in der AfD tatsächlich gelingt, Wahlerfolge in innerparteilichen Einfluss umzuwandeln – und damit stärker auf den Kurs der AfD einzuwirken. Mit dem wieder erstarkten Selbstbewusstsein erheben sie jetzt Anspruch auf einen der zwei Plätze an der Spitze der Partei.

Der Brandenburger Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, im nationalistischen »Flügel« der wichtigste Strippenzieher, bestätigt: »Ich halte die Idee einer Ost-West-Besetzung der Vorstandsspitze für nachvollziehbar. Es geht um die Abbildung der realen Verhältnisse.«
Alexander Gauland wird nachgesagt, dass er bei den Ende des Jahres anstehenden turnusmäßigen Bundesvorstandswahlen nicht erneut antreten will. Er wollte schon vor zwei Jahren eigentlich nicht Parteichef werden. Erst nach einem Showdown auf dem Parteitag 2017 in Hannover, bei dem fast die ultrarechte »Flügel«-Vertreterin Doris von Sayn-Wittgenstein gewonnen hätte, erklärte sich Gauland zur Kandidatur bereit.

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