29. April 2020 Joachim Bischoff: Vor allem Japan monetarisiert Haushaltsdefizite

Notenbanken finanzieren eine historische einmalige Schuldenexpansion

Bank of Japan (Foto: dpa)

In Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, die Politik des gesellschaftlichen »Lockdowns«, werden die US-Federal Reserve unbegrenzte Mengen an US-Schatzleihen, die Bank von England britische Staatsanleihen im Volumen von 200 Mrd. Pfund Sterling und die Europäische Zentralbank Anleihen der Euroländer im Umfang von bis zu 750 Mrd. Euro aufkaufen.

Dies läuft unter dem Strich auf eine Monetisierung der Haushaltsdefizite durch die Notenbanken hinaus. Die Bank of Japan (BoJ), Fed und die EZB agieren gleichermaßen zur Finanzierung der nationalen Rettungsaktionen in der Corona-Krise. Das Ziel ist, die Zinsen der Staatsschulden niedrig und das Finanzsystem flüssig zu halten.

Aufgrund der Corona-Krise steigen in den kapitalistischen Hauptländern die Staatsausgaben immens, während gleichzeitig die Einnahmen sinken. Dadurch wachsen die Staatsdefizite extrem an. Die Bereitschaft zur monetären Staatsfinanzierung steigt weltweit, was sich im Resultat in den Bilanzen der Notenbanken niederschlägt.

In Japan wird diese Politik seit über einem Jahrzehnt praktiziert. Die Abenomics genannte Strategie, die auf massive staatliche Konjunkturprogramme, lockere Zinspolitik der Zentralbank, strukturelle Reformen und Ausbau der Staatsverschuldung setzt, sei die »einzige Möglichkeit«, die japanische Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Schon zur Jahrtausendwende senkte die Bank von Japan den Zins auf 0%, um die Akkumulation zu stimulieren und den Schuldenzzuwachs in Schranken zu halten. 2002 begann die BoJ, staatliche Schuldenbonds aufzukaufen, nachdem der damalige Ministerpräsident Junichiro Koizumi die Strukturreformen versprochen hatte, die die Notenbank schon lange von der Politik gefordert hatte. Doch Abes Gefolgsmann Kuroda katapultierte das Kaufprogramm in eine andere Dimension. Inzwischen lagern 45% der Staatsschulden in den Tresoren der japanischen Notenbank. Eine Politik der Rückführung dieser Schuldverschreibung ist illusionär.

Im Gegenteil: Jetzt hat die japanische Notenbank weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft in der Corona-Krise beschlossen. Sie weitet das Programm zum Kauf von Geldmarktpapieren und Firmenanleihen auf ein Volumen von 20 Bio. Yen (rund 171 Mrd. Euro) aus. Bislang hatte das Kaufprogramm einen Umfang von sieben Bio. Yen. Die Notenbank bekräftigte zudem, im Zweifel unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen. Den Leitzins ließen die Währungshüter*innen unverändert bei -0,1%.

Diese expansive Geld- und Kreditpolitik soll ein Konjunkturpaket der Regierung flankieren. Das staatliche Rettungspaket hat einen Umfang von 108,2 Bio. Yen (rund 919 Mrd. Euro). Damit entspricht es in seinem Umfang rund 20% der Wirtschaftsleistung Japans. Mit den Maßnahmen soll vor allem in Not geratenen Familien und kleinen Firmen geholfen werden.

Dieses Stützungspaket übertrifft noch die staatliche Intervention während der globalen Finanzkrise 2008. In der japanischen Großindustrie sorgt die Angst vor den Folgen des Corona-Virus auf die Weltwirtschaft erstmals seit Jahren für Pessimismus. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Quartalsumfrage (»Tankan«-Bericht) der japanischen Notenbank unter rund 10.000 Unternehmen des Landes hervor.

Japans Bevölkerung ist zwar im Vergleich zu den USA oder manchen Staaten Europas nicht so stark von der Ausbreitung des Corona-Virus betroffen. Doch hatte sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus zuletzt beschleunigt – insbesondere in den Metropolen Tokio und Osaka. Eine drastische Einschränkung des öffentlichen Lebens wie in anderen kapitalistischen Ländern soll es nach Angaben von Regierungschef Shinzo Abe trotz des jetzt eingeführten Ausnahmezustands nicht geben. Auch auf Strafen bei Verstößen gegen die Aufforderung, zuhause zu bleiben, soll weitgehend verzichtet werden.

Ministerpräsident Abe gab im Fernsehen die Devise aus, jede/r Bürger*in solle ihre/seine Sozialkontakte um 70 bis 80% verringern. So könne man den Höhepunkt der Ausbreitung des Virus in zwei Wochen erreicht haben. Der Notstand soll bis 6. Mai gelten und betrifft rund 44% der japanischen Bevölkerung.

Schon vor Ausbruch der Corona-Krise war Japans Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Schlussquartal 2019 auf das Jahr hochgerechnet um 7,1% gesunken – so stark wie seit Mitte 2014 nicht mehr. Grund war vor allem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr. Das aktuelle Krisenpaket treibt das Staatsdefizit des Landes weiter in die Höhe. Der Schuldenberg Japans ist bereits mehr als doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung. Wie in den anderen kapitalistischen Ländern auch spielt die Notenbank bei der Finanzierung der Staatsschulden die entscheidende Rolle.

Die Bank von Japan hat folglich ihre Geldpolitik weiter gelockert, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Virus-Krise einzudämmen. Aus der Fülle von Maßnahmen ragt heraus, dass die japanische Zentralbank die Obergrenze für ihre Ankäufe von Staatsanleihen aufgegeben hat.

Notenbankgouverneur Haruhiko Kuroda und die anderen Mitglieder des geldpolitischen Rats entschieden, dass die Bank bis auf Weiteres japanische Staatsanleihen »aktiv kaufen« solle. Als wichtiger dürfte sich indes erweisen, dass die Bank von Japan u.a. mit drastisch erhöhten Ankäufen von Unternehmensanleihen mehr monetäre Liquidität in die Wirtschaft pumpt, damit die Finanzierungsbedingungen sich trotz der Virus-Krise nicht zu sehr verschlechtern. Den negativen Leitzins von minus 0,1% für Übernachteinlagen lies die Bank unverändert.

Die Zentralbank präsentiert ihre Beschlüsse als Unterstützung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen, mit denen die japanische Regierung der Wirtschaftskrise im Gefolge der Pandemie entgegenwirken will. Das betont die begrenzte Unabhängigkeit der Bank von Japan, die sich nach dem Amtsantritt von Ministerpräsident Shinzo Abe am Jahresbeginn 2013 in einer Erklärung mit dem Finanzministerium zur gemeinsamen Bekämpfung der Deflation verpflichtet hatte.

Im Kern laufen die jetzigen Beschlüsse darauf heraus, dass die Notenbank mehr Staatsanleihen kauft, um die Finanzierung des großen Nothilfepakets der Regierung zu erleichtern. Indirekt finanziert sie so die von der Regierung beschlossene Barauszahlung von umgerechnet rund 860 Euro an jede/n Japaner*in. Das Finanzministerium plant eine zusätzliche Schuldaufnahme von 25,6 Bio. Yen (220 Mrd. Euro), um die Nothilfen zu finanzieren. Zugleich plant die Zentralbank eine neue Fazilität, um Geld in diejenigen Banken zu schleusen, die im Rahmen der Regierungspläne kleine und mittlere Unternehmen besonders unterstützen.

Die japanische Wirtschaft dürfte nach den Prognosen der Zentralbank in dem im April begonnenen Fiskaljahr um 3% bis 5% schrumpfen. Das wäre das zweite Rezessionsjahr nacheinander, nachdem die Bank für das im März beendete Fiskaljahr ein Minus von 0,1% bis 0,4% erwartet. Die Wirtschaft und vor allem der private Konsum waren nach der Erhöhung der Konsumsteuer im Oktober von 8 auf 10 Prozentpunkte schon am Jahresende 2019 geschrumpft. Für die Monate von Januar bis Juni zeichnet sich ein abermaliges Minus ab, weil Japan mit seiner Anti-Virus-Kampagne zur sozialen Distanzierung die heimische Wirtschaft schwächt und zugleich die ausländische Nachfrage als Folge der globalen Pandemiebekämpfung zeitweise wegbricht.

Die Bank von Japan erwartet für das Folgejahr aber einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung mit einer Wachstumsrate von 2,8% bis 3,9%. Dahinter steht die Annahme, dass die Folgen der Pandemie sich schon vom zweiten Halbjahr an abschwächen werden. Mit der erwarteten Rezession im aktuellen Fiskaljahr und dem drastischen Verfall des Ölpreises rechnen die Mitglieder des geldpolitischen Rates vorerst indes mit einem zeitweiligen Rückfall Japans in die Deflation.

Konkret beschloss die japanische Zentralbank, die bisherige Zielmarke der Ankäufe von Staatsanleihen von 80 Bio. Yen (690 Mrd. Euro) im Jahr aufzugeben. Die Bank begründete den vorerst erhöhten Ankauf von Staatsanleihen damit, dass die erhöhte Schuldaufnahme der Regierung für das Nothilfeprogramm den Markt beeinflussen werde. Die Staatsanleihenkäufe sollen sich von nun an auch offiziell danach richten, dass der Zinssatz auf Sicht von zehn Jahren um 0% liegen soll.

Um mehr monetäre Liquidität in die Wirtschaft zu schleusen, will die Zentralbank für weitere 15 Bio. Yen (129 Mrd. Euro) Unternehmensanleihen und Commercial Papers kaufen. Die erst im März eingeführte Fazilität zur Geldleihe von Banken wird von rund acht Bio. Yen auf etwa 23 Bio. Yen erweitert. Akzeptierte die Zentralbank als Garantie bislang nur Unternehmenskredite, die von den Banken vergeben wurden, wird sie von nun an auch private Schulden als Sicherheiten annehmen. In dem Maße, in dem die Geschäftsbanken entsprechende Kredite vergeben, werden sie für ihre Einlagen bei der Zentralbank mit einem positiven Zinssatz von 0,1% belohnt.

Ferner beschloss die Zentralbank, die Ankäufe von börsengehandelten Aktienfonds (ETF) und handelbaren Immobilienfonds bei 12 Bio. Yen bzw. 180 Mrd. Yen im Jahr beizubehalten. Mit diesen Käufen stützt die Zentralbank den Aktienmarkt. Anleger*innen und Investoren in Japan reagierten positiv auf die Beschlüsse der Zentralbank.

Zur Begründung hat die Notenbank ausdrücklich erklärt, sie trage dem Umstand Rechnung, dass die Regierung die Schulden erhöhen und dazu mehr Staatsanleihen emittieren werde. Die Stützung der Vermögenstitel im Rahmen der Operation wäre begründungspflichtig. Abgesehen davon ist diese Politik faktisch zur Leitschnur der anderen wichtigen Notenbanken geworden.


Die Monetisierung der Staatsschulden ist Realität

Die Geldpolitik allein ist unter den heutigen Umständen eindeutig machtlos. Die Notenbanken haben die Leitzinsen gesenkt und drücken durch ihre Anleihekäufe die langfristigen Renditen nach unten. Allein durch Zinssenkungspolitik kann in einer schweren Wirtschaftskrise keine Steigerung der Konsumausgaben oder Unternehmensinvestitionen angestoßen werden.

Die massiv verminderte Wirtschaftsleistung kann durch erhöhte Staatsausgaben für die Krankenversorgung, direkte Beihilfen an entlassene Arbeitnehmer und geringere Steuern abgemildert werden. Dies führt zwangsläufig zu starken Haushaltsdefiziten. Theoretisch könnte die Finanzierung dieser Defizite durch Ausgabe von Staatsanleihen die Anleiherenditen erhöhen und so die konjunkturstimulierende Wirkung potenziell verringern. Doch da die Notenbanken Anleihen kaufen und dadurch die Renditen drücken, können die Regierungen zu ultraniedrigen Zinsen beliebig hohe Kredite aufnehmen.

In Japan, wo die hohen Haushaltsdefizite seit 25 Jahren mit Ankäufen von Staatsanleihen durch die Bank von Japan in gleicher Höhe einhergehen, ist klar, dass die Anleihebestände der Notenbank nie verkauft werden: Hier gibt es eine dauerhafte Monetisierung. Auf längere Sicht gibt es durchaus berechtigte Bedenken, ob damit die Stabilität des Geld- und Kreditsystems unterminiert sowie die akkumulierten Vermögenswerte geschützt werden.

Gleichwohl: Diese Schattenseiten könnten und müssten durch gesellschaftliche Strukturreformen aufgefangen werden. Aktuell sind die Interventionen der Zentralbanken unverzichtbar Die Auswirkungen der Monetisierung sind von der Größenordnung abhängig. Befürchtungen über die langfristigen Auswirkungen auf die Bilanzen der Notenbanken oder die Rentabilität der Geschäftsbanken sind unbegründet.

Ein Teil der Ökonomen ist kritisch gegenüber der Monetarisierung der Staatsschulden. Sie befürchten, dass die Monetisierung übertriebene Ausmaße annehmen könnte. Daher die Anforderungen: Diese Maßnahmen müssten rückgängig gemacht werden, also der Verschuldungsgrad wieder gesenkt werden, wenn die künftige Wachstums- und Inflationsentwicklung höher ausfallen sollte als derzeit erwartet. Falls nicht, werden die Schulden zum Dauerzustand.

Jeder Versuch der Rückführung der öffentlichen Verschuldung wirft zu Recht die Frage der Verteilung der Lasten auf. Abgesehen von diesen Verteilungseffekten bleibt entscheidend in der Frage der Monetarisierung der Staatsschulden die Glaubwürdigkeit der Notenbanken. Die Gefahr der extensiven Nutzung dieses Instrumentes ist prinzipiell nicht zu bestreiten. Die unabhängigen Notenbanken sollten explizite Entscheidungen über die Höhe der dauerhaften Monetisierung treffen und verhindern, dass sie in den Schlepptau der Politik geraten.

Es gibt keinen zwangsläufigen Prozess der Ausweitung der Monetarisierung der Staatsschulden. Der Übergang zu einer schrankenlosen Monetarisierung infolge eines wachsenden Schuldenberges ist mit Sicherheit das Ende einer gesellschaftlichen Strukturpolitik und liefe auf die Selbstzerstörung der wirtschaftlichen Ordnung hinaus.

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