6. April 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Gründe für das Ausstiegs-Szenario

Österreichs Exit-Strategie

Österreich will direkt nach Ostern den Ausstieg aus dem gesellschaftlichen Lockdown einleiten und schrittweise aus den drastischen Maßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus herauskommen. Die Alpenrepublik ist eines der ersten europäischen Länder, das im Kampf gegen das Virus seine Maßnahmen wieder etwas lockern will.

Wegen der Corona-Krise schränkte Österreich das öffentliche Leben Mitte März massiv ein, das Land läuft seit dem 16. März auf Minimalbetrieb: Mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften und Drogerien ist der Einzelhandel geschlossen, sämtliche Lokale und Restaurants sind ebenfalls zu.

Es gibt nur wenige Gründe, das Haus zu verlassen, Ausnahmen sind nach Regierungsangaben nur in den folgenden Fällen zulässig:

  • berufliche Tätigkeit, wobei ein Abstand zwischen einzelnen Mitarbeiter*innen von einem Meter einzuhalten ist, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann
  • Besorgungen zur Deckung notwendiger Grundbedürfnisse (Lebensmitteleinkauf, Gang zur Apotheke oder zum Geldautomaten, Arztbesuch)
  • Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen
  • Der Aufenthalt im Freien (zum Beispiel zum Spazieren oder Laufen) ist erlaubt, allerdings nur alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren.

Diese harten Maßnahmen eines gesellschaftlichen Lockdown wurden mit staatlichen Kontrollen durchgesetzt. Nun sieht die österreichische Regierung erste Erfolge der Strategie und geht jetzt davon aus, dass die Mischung von Aufrechterhaltung von strengen Ausgangsbeschränkungen und schrittweisen Lockerungen eine Perspektive des Ausstiegs eröffnen und die Motivation der Mehrheit der Bevölkerung erhöhen, die strengen Beschränkungen bis Ende April auch weiterhin zu akzeptieren.

Die türkis-grüne Regierung sieht sich mit ihrem Fahrplan in der Corona-Krise auf Erfolgskurs. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) baten bei ihrer wöchentlichen Pressekonferenz die Bevölkerung, weiter durchzuhalten, damit die nach Ostern geplanten Lockerungen stattfinden können.

Kurz will nicht, dass sich die Krankheit wieder verbreitet: »Ich hoffe, dass wir weiter so erfolgreich sein können und bald sagen können: Wir haben die Krankheit besiegt, Tote verhindert und das wirtschaftliche Comeback besser geschafft als die meisten anderen Länder. Es gibt die Chance, dass sich das fortsetzt, aber nur wenn wir weiter zusammenhalten und zusammenstehen, darum bitte ich Sie.

Sein Vizekanzler von den Grünen spricht gar von einer »großen Kunst«, diesen Weg fortzusetzen und ständig abzuwägen, was die nächsten günstigen Schritte sind, und ergänzt mit Verweis auf bislang nicht eingetretene Modellrechnungen von bis zu 100.00 Toten: »Wir haben Großartiges geleistet. Ich bin überzeugt, dass wir stärker und besser aus dieser Krise herauskommen werden als andere ... Hätten wir zu langsam und unkonkret gehandelt, wären die Zahlen völlig anders.«

Kanzler Kurz verwies mit Blick auf das »dramatische internationale Bild« mit über 15.000 Toten in Italien und über 12.000 Toten in Spanien darauf, dass Österreich schneller und restriktiver reagiert habe und so Schlimmeres verhindern konnte, was nun die Möglichkeit eröffne, schneller aus der Krise zu kommen.

Die Osterwoche werde die entscheidende Woche sein, aber nur, wenn die üblichen Feierlichkeiten nur mit Menschen im gleichen Haushalt stattfänden. Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober sieht das Land auf einem guten Weg, den die täglichen Neuansteckungen sind am Wochenende auf 1,6% zurückgegangen, es gab sogar mehr Genesene als neu Erkrankte. Insgesamt lag die Zahl der Infizierten Anfang der Woche bei etwas über 12.000 – deutlich weniger als noch vor wenigen Wochen prognostiziert.

Allerdings wisse man noch nicht, ob es – wie bislang vermutet – eine deutlich höhere Dunkelziffer gebe, weshalb eine breiter gefasste Testserie mit gut 2.000 Personen auf den Weg gebracht wurde. Bundeskanzler Kurz erklärte unter Berufung auf Zwischenergebnisse der Test, die Corona-Erkrankung in Österreich spiele sich im Promille-Bereich ab und die »Durchseuchung« liege bei annähernd einem Prozent liegen – das würde eine Zahl von maximal rund 88.000 bedeuten und damit tendenziell eine geringere Dunkelziffer als erwartet.

Nicht zuletzt damit wird die Möglichkeit einer kontrollierten Öffnung und eines vorsichtigen schrittweisen Ausstiegs aus dem totalen Lockdown begründet. Dennoch werden die Schulen bis Mitte Mai geschlossen bleiben und als »Homeschooling« fortgesetzt. Veranstaltungen sollen bis Ende Juni nicht stattfinden.

Zudem wird das Tragen eines Mundschutzes künftig nicht nur in Supermärkten und Drogerien zur Pflicht, sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Hinzu kommen der Einsatz von Desinfektionsmittel und Beschränkungen, wie viele Kund*innen sich gleichzeitig im Laden aufhalten dürfen.

Dennoch soll nach und nach das öffentliche Leben in Österreich wieder anlaufen:

  • Ab dem 14. April sollen Geschäfte mit einer Fläche bis zu 400 Quadratmetern sowie Bau- und Gartenmärkte wieder öffnen dürfen
  • In einem zweiten Schritt sollen ab dem 1. Mai alle Geschäfte, Einkaufszentren und Friseure ihren Betrieb wieder aufnehmen
  • Alle anderen Dienstleistungen, insbesondere Restaurants und Hotels, sollen frühestens Mitte Mai stufenweise öffnen können«.

Über die letzten beiden Maßnahmen werde laut Kurz allerdings endgültig erst Ende April entschieden, ebenso wie es mit dem Schulbetrieb weitergeht. An den Universitäten soll das gesamte Sommersemester »ausschließlich digital« stattfinden.

Der Hintergrund für diese politische Entscheidung zur Lockerung des Lockdowns besteht darin, dass die Zahl der bestätigten Infektionen in Österreich zuletzt nur noch langsam anstieg und die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen stagnierte.

Der österreichische Bundeskanzler will »den Bürgern eine Perspektive geben«. Die Lockerung in Österreich war bereits im Vorfeld erwartet worden. Scharf kritisiert worden war allerdings seine Aussage, dass es bis zur Entwicklung einer Impfung oder einer Therapie gegen das Corona-Virus »die Reisefreiheit, wie wir sie gekannt haben, nicht geben« werde. Im besonders betroffenen Bundesland Tirol gilt bis Ostermontag eine Quarantäne für alle Gemeinden. Die Menschen dürfen dort ihren Wohnort nur mit triftigem Grund verlassen.

Die Mischung aus rigorosen Ausgangsbeschränkungen und Quarantänepolitik hat in Europa einen exemplarischen Zwischenerfolg gebracht – auch wenn dies mit erheblichen Einschränkungen von Bürger*innenrechten verbunden war. Wenn die nächsten Schritte der Ausstiegstrategie sich ebenfalls als erfolgreich erweisen sollte, dürfte die türkis-grüne Regierungskoalition als Vorreiter für eine erfolgreiche Anti-Corona Strategie gefeiert werden.

Die bekannten rechtspopulistischen Komponenten der Kurz-Partei sollten jedoch nicht in Vergessenheit geraten und dieses Regierungshandels darf trotz aller sich hoffentlich einstellenden Erfolge im Kampf gegen das Corona-Virus als Auswertung des politischen Handelns nicht das letzte Wort gewesen sein.

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