24. Juli 2018 Peter Stahn

Opel: Ist das Ende der Erpressung erreicht?

Titelblatt des Katalogs der Opel-Automobilwerke von 1904 im Jugendstil

Weniger als ein Jahr nach der Übernahme des deutschen Herstellers ist dem Peugeot-Konzern mit Opels Rückkehr in die Gewinnzone das gelungen, woran der US-Vorbesitzer General Motors (GM) jahrzehntelang grandios scheiterte: Das Betriebsergebnis, das Opel im ersten Halbjahr erwirtschaftet hat, beträgt 502 Mio. Euro.

Die Gewinnmarge erreicht 5%. Grund dafür ist aber nicht nur der gute Autoabsatz, sondern vor allem ein hartes Sparprogramm. Das hat der neue Mutterkonzern PSA bei dem deutschen Autohersteller durchgesetzt. Dazu gehören unter anderem Lohnverzicht und Stellenstreichungen. Gleichwohl bleiben die Zukunftsaussichten ungewiss, droht der weitere Ausverkauf der Marke.

Nach der Übernahme von Opel durch PSA (Peugeot/Citroen) im August vergangenen Jahres haben sich nach monatelanger Auseinandersetzung das Opel-Management auf der einen sowie Betriebsrat und IG Metall auf der anderen Seite vor Kurzem in einem »Zukunftstarifvertrag« auf eine umfassende Beschäftigungssicherung und Investitionen an den Standorten in Deutschland bis einschließlich Juli 2023 geeinigt.

Die Beschäftigten müssen im Gegenzug auf das im Metall-Flächentarif ausgehandelte tarifliche Zusatzgeld verzichten und mögliche weitere Tariferhöhungen ab 2020 werden nur verzögert für die Vertragsdauer wirksam. Das Technische Entwicklungszentrum in Rüsselsheim ist nicht Teil der Vereinbarung.

 

Die Vereinbarung

Die Einigung sieht vor, dass der Eigentümer PSA in alle deutsche Standorte investiert, also in den Stammsitz Rüsselsheim im Automobilwerk mit 4.000 Beschäftigten, in die Fahrzeugfabrik Eisenach mit 1.850 Beschäftigten, in das Komponentenwerk in Kaiserslautern mit 2.130 Beschäftigten, in das Logistikzentrum Bochum mit 700 Beschäftigten sowie in das Testzentrum Rodgau-Dudenhofen. Opel sichert den Beschäftigten zu, den Stamm von bislang rund 19.000 Beschäftigten fünf Jahre lang um nicht mehr als 20%, also um maximal 3.700 abzubauen. 3.500 Mitarbeiter*innen haben bereits entsprechende Vereinbarungen getroffen. Der Stellenabbau erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis über die verschiedenen Abfindungs-, Altersteilzeit- und Vorruhestandsprogramme. Damit ist die seit Monaten herrschende, an die Substanz der Beschäftigten gehende Unsicherheit um ihre Zukunft zumindest vorerst beendet.

Die Gewerkschaft IG Metall und der Gesamtbetriebsrat von Opel hatten zuvor mit einer Zuspitzung des Konflikts gedroht, sollte die Beschäftigung in den drei deutschen Werken in Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach nicht über das Jahr 2020 hinaus abgesichert werden. PSA hatte im Gegenzug Zugeständnisse der Belegschaft zur Voraussetzung für Investitionen in neue Modelle und Produkte gemacht. Opel hat mit dieser Vereinbarung zum Einen seine Personalkosten, wie von der PSA-Leitung beabsichtigt, um nahezu ein Viertel durch Stellenabbau und Lohnverzicht gesenkt und zum Anderen die beim Kauf von Opel von GM übernommene Pflicht, bis 2020 in die Werke zu investieren, erfüllt.

Wie lange diese Vereinbarung tatsächlich hält, ist offen. Zur Erinnerung: Opel und GM haben neben der Fabrik in Bochum auch das Werk im belgischen Antwerpen und im portugiesischen Azambuja geschlossen. Seit 2008 hat Opel in Europa ca. 20.000 Jobs gestrichen. Die Eingliederung von Opel in den PSA-Konzern mit dem sozialverträglichen Abbau von weiteren 3.700 Arbeitsplätzen ist nur ein weiterer Schritt zur Konsolidierung und eine Sicherheit für die verbleibenden Arbeitsplätze in den Opel-Werken bis 2023. PSA selbst hat ebenfalls seit 2011 rund 34.000 Jobs abgebaut. Es gibt dort jetzt noch 89.000 Beschäftigte. Und das Ende der Fahnenstange in diesem Konsolidierungs- und Übernahmeprozess innerhalb der im Umbruch befindlichen Automobilbranche scheint noch nicht erreicht. Berichte über einen möglichen Teilverkauf des Entwicklungszentrums in Rüsselsheim mit 7.400 Arbeitnehmer*innen haben den Betriebsrat alarmiert.

Das Technische Entwicklungszentrum

Bereits vor Abschluss des Zukunftstarifvertrags für die Standorte war klar, dass auch die Zukunft der 7.400 Ingenieur*innen und Techniker*innen des Opel-Entwicklungszentrums in Rüsselsheim ungewiss sein wird. Sie wurde aber nicht Teil der aktuellen Einigung. Zwar soll das Entwicklungszentrum nach früheren Aussagen von PSA auch im Rahmen der Forschung und Entwicklung innerhalb des Konzerns weiterhin eine wichtige Rolle spielen, doch durch den geplanten Abzug der Entwicklungsaufträge der ehemaligen Konzernzentrale GM ist die Auslastung stark gesunken. Nun prüfen PSA und Opel nach einem Bericht von »Le Monde« derzeit, einen Teil der Entwicklung an einen oder mehrere Ingenieurdienstleister zu verkaufen.

Veräußert werden könnten vier Bereiche: Antrieb, Fahrzeug-Engineering, Werkzeug- und Lackiertechnik. Diese werden mit insgesamt 500 Mio. Euro bewertet. In diesen Bereichen arbeiten 3.980 Angestellte. Es heißt, der Verkauf könnte bis Jahresende unter Dach und Fach gebracht werden. PSA sei wegen der Verkaufspläne bereits an die französischen Firmen Altran, Akka und Segula sowie die deutsche Bertrandt herangetreten und habe deren Interesse abgeklopft. Zudem soll PSA bei einem Teilverkauf eine bestimmte Auslastung durch eigene Aufträge – sprich Auslagerung von FuE-Teilen – in Aussicht gestellt haben, um für mögliche Käufer attraktiv zu sein.

Ursprünglich war geplant, dass in Rüsselsheim die nächste Generation der Vierzylinder-Benzinmotoren, Brennstoffzellen und Sitze für PSA entwickelt werden sollen. Ob dieser Plan zur Disposition steht, darüber schweigt sich die Konzernleitung weiter aus. Vermutungen gehen dahin, dass PSA formal eine Partnerschaft oder ein Teilverkauf anstreben könnte, um juristisch die gegenüber den Mitarbeiter*innen eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Später könnte sich PSA dann ganz zurückziehen.

Die Auseinandersetzung über den geplanten Verkauf wird spätestens nach den Sommerferien geführt. Die deutschen Arbeitnehmervertreter*innen sind jedoch durch die Ankündigung des möglichen Verkaufs eines Großteils des Entwicklungszentrums überrascht und wollen sich wehren. Ein Teilverkauf sei nicht nur für die Beschäftigten des Entwicklungszentrums schwierig, er sei für die Marke Opel existenzgefährdend. Ohne eigene Entwicklung gebe es keine Markenidentität, so der Betriebsrat. Allerdings hat sich mit der Entscheidung für gemeinsame Plattformen und gleiche Motorisierung in der Gesamtgruppe PSA/Opel schon länger ein Rationalisierungskonzept abgezeichnet, in dessen Rahmen es für Opel eine Eigenständigkeit in der Entwicklung nicht mehr geben kann, aber Ingenieurleistungen für alle Modelle im Entwicklungszentrum von Opel möglich sind.

Sanierungsprogramm

Für den Kauf von Opel und den Restrukturierungsplan im Rahmen des Konzerns hat Tavares schon mal eine Mio. Euro an Boni kassiert. Die Aktionäre sind zufrieden. Zu ihnen gehören das chinesische Unternehmen Dongfeng mit fast 20%, die Familie Peugeot mit 17,6% sowie die staatliche Investitionsbank BPI mit knapp 10% der Stimmrechte. Als Ziel für die gesamte Gruppe wird eine operative Umsatzrendite von 4,5% und ab 2021 von 6% vorgegeben, für Opel soll sie mindestens 2% Prozent bis 2020 und 6% ab 2026 betragen.

Gemessen an dieser Vorgabe sollen die Personalkosten von Opel – 15,3% gemessen am Umsatz – auf das Niveau des PSA-Durchschnitts von 10,3% (2014 noch bei 14,5%!) sinken. »Die deutschen Werke müssen bei den Personalkosten erst wettbewerbsfähig sein« – dann bekommen sie neue Arbeit, heißt es von PSA-Chef Tavares.

Bei PSA werden jedes Jahr Tausende Stellen gestrichen. Auch so hat Tavares den Hersteller von Peugeot und Citroën seit 2014 von der Beinahe-Pleite zu Milliardenprofiten geführt. Für 2017 präsentiert er stolz eine Rekord-Gewinnmarge von 7,3% – »trotz Opel«. Den operativen Gewinn steigerte PSA um ein Viertel auf 3,9 Mrd. Euro, bei einem Umsatz von 65,2 Mrd. Euro. Opel erlöste 7,2 Mrd. Euro.

Kann Opel dieses Renditeziel überhaupt in absehbarer Zeit erreichen? Seit 1999 hat Opel keinen Gewinn mehr gemacht. Und auch 2016 ist aus dem erhofften Gewinn nichts geworden – wegen angeblicher Verluste durch den Brexit und die Abwertung des britischen Pfundes. Das Betriebsergebnis konnte zwar um 565 Mio. Euro auf ein Minus von 242 Mio. Euro verbessert werden. Doch nur noch 5,4% aller Pkw in Europa sind Opel-Neuwagen. So schlecht stand der Konzern noch nie da. Vor der Übernahme durch PSA vor gut einem Jahr lag der Markanteil immerhin noch bei mehr als 6%.

Im Mai hat die Marke nur 18.761 Neuzulassungen verzeichnet. Das ist ein Minus von 15,1% gegenüber dem gleichen Monat des vergangenen Jahres. Seit Jahresbeginn steht bei den Verkaufszahlen ein Minus von 7,6%, der Mitbewerber Ford verzeichnet ein Plus von 5% mehr Zulassungen als vor einem Jahr und einen Marktanteil von 7,2% gegenüber Opel mit 6,1%. Zudem wurde in diesen Tagen der Vorwurf bekannt, dass die bisher als sauber deklarierten Opel-Diesel nun auch als Betrugsdiesel erkannt wurden. 60.000 Diesel müssten weltweit, 10.000 in Deutschland zurückgerufen werden und belasten die Bilanz.

Mit seinem Sanierungsprogramm »Pace« will das Opel-Management einem schnellen Schwenk auf die Technologie des neuen Mutterkonzern PSA vornehmen und verspricht sich damit, schneller in die Gewinnzone zu kommen. Die Kosten pro hergestelltem Auto sollen um 700 Euro sinken, sodass bereits ab 800.000 Autos die Gewinnzone erreicht werde, kündigte der Autobauer an. Durch die Nutzung der Plattformen des Mutterkonzerns PSA sollen Opel und die Schwester Vauxhall bis zu 50% der Entwicklungskosten sowie durch einen gemeinsamen Einkauf bis 2020 jedes Jahr 1,1 Mrd. Euro an Kosten einsparen. Damit soll ein operativer Gewinn in Höhe von 2% des Umsatzes erreicht werden. Danach sollen es sogar 1,7 Mrd. Euro jährliche Einsparungen sein, die Rendite soll bis 2026 auf 6% steigen.

Kern der Rationalisierung im PSA-Konzern: Es wird nur noch zwei unterschiedliche Plattformen für die künftige Modellpalette einschließlich der Elektrifizierung geben:

  • Die EMP2-Plattform (Efficient Modular Platform). Sie ist seit 2013 im Einsatz und ersetzt zukünftig diverse bisherige Chassis-Architekturen. Gedacht war EMP2 in erster Linie für Modelle der Mittelklasse und größere Limousinen sowie SUV. Sie gilt als Hoffnungsträger für die größeren Benzin-Plug-in-Hybridantriebe ab dem Frühjahr 2019.
  • Die zweite Plattform, die Frankreichs größter Autokonzern nutzen will, heißt CMP (Common Modular Platform) und ergänzt die EMP2. Die CMP hat PSA zusammen mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner Dongfeng Motors (DFM) entwickelt. Gedacht ist die neue Architektur (minus 40 Kilogramm gegenüber der aktuellen Generation) für Kleinwagen, mittelgroße Limousinen und Kompakt-SUV. CMP soll in der Variante e-CMP aber auch die Elektrostrategie des Konzerns sicherstellen. »Die neue Plattform liefert die Basis einer neuen Generation von Elektrofahrzeugen, die bis zu 450 Kilometer Reichweite schaffen«, sagt Gilles Le Borgne, Direktor Forschung und Entwicklung.

Wie Opel produziert und exportiert PSA schwerpunktmäßig in Europa und insbesondere in Frankreich. Die Exporte in den Hauptwachstumsmarkt China gingen 2017 auf nur noch 387.000 Einheiten zurück. Bereits im Vorjahr war PSA in China um 16% geschrumpft. Die für Opel avisierten 20 neuen Auslandsabsatzmärkte bzw. Produktionsstandorte in Russland, China und weltweit sind auch von anderen Herstellern umkämpft und werden demnach nicht so leicht zu realisieren sein.

Die ersten Eigenentwicklungen mit elektrischem Antrieb gehen frühestens im nächsten Jahr auf den beiden Plattformen von PSA an den Start. Der erste elektrische Opel (Corsa) wird in Saragossa gebaut. Das Werk Trémery (Frankreich) wird für die Produktion von Elektromotoren ab 2019 und einen weiteren Anstieg ab 2021 im Rahmen des Joint Venture mit der japanischen Firma Nidec vorbereitet. Bis 2025 soll jede Modellreihe der Groupe PSA elektrifiziert sein. Ob Opel tatsächlich von der Elektrifizierung der Antriebe profitieren kann, muss sich erst noch erweisen.

Denn der Wandel zur Elektromobilität in der Automobilindustrie wird wegen der noch fehlenden Infrastruktur erst allmählich, aber dann deutliche Folgen für die Zahl der Beschäftigten haben. Bis zum Jahr 2030 könnten entsprechend den Untersuchungsergebnissen der Fraunhoferstudie ELAB 2.0 durch Elektrifizierung der Antriebe in der Motor- und Getriebeproduktion in Deutschland rund 75.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Druck auf die Beschäftigten wird mit einer neuen Etappe des Personalabbaus in der in den kommenden zwei Jahren beginnenden Übergangsphase der Transformation der Automobilindustrie mit Parallelität zu Verbrennungsmotoren bis 2030 zunehmen.

PSA plant im Bereich Digitalisierung und Konnektivität mittelfristig rund drei Mio. Fahrzeuge des Konzerns mit vielen Optionen zu vernetzen. Dabei helfen soll das 2016 aufgesetzte Projekt »Connected Vehicle Modular Platform, CVMP«, das der französische Autokonzern mit dem chinesischen ITK-Riesen Huawei entwickelt hat. Auch Opel soll ab 2019 über diese Plattform verfügen.

Auch der Einstieg in die Elektromobilität geschieht ohne eigene Entwicklungsarbeiten von Opel. Dabei spielt der noch von GM entwickelte Opel Ampera-e keine Rolle mehr und fällt aus dem Programm. Im Jahr 2020 will Opel vier Elektromodelle inklusive des neuen Corsa mit PSA-Technologie auf den Markt bringen und vier Jahre später jedes Modell auch in einer E-Variante anbieten. Zwei davon sind schon angekündigt: Der Opel Grandland PHEV mit Plug-in-Hybridantrieb und der Corsa mit rein elektrischem Antrieb auf einer PSA-Plattform werden ab 2020 in Eisenach und in Sarragossa gebaut. Zu diesem Zeitpunkt soll es keine Fahrzeuge auf GM-Basis mehr im Programm geben.

Für die Elektrifizierung schmiedet PSA eine Allianz mit dem japanischen Elektromotorspezialisten Nidec. Mit dessen französischer Tochter Nidec Leroy-Somer haben die Franzosen ein Joint-Venture eingefädelt, an dem jeder Partner 50% hält. Das Gemeinschaftsunternehmen soll Elektromotoren in Frankreich konzipieren, entwickeln und fertigen. Die E-Motoren sollen in Modellen aller Marken – also Peugeot, Citroën, DS und Opel – zum Einsatz kommen. Das französisch-japanische Joint-Venture soll Anfang kommenden Jahres starten, die Unternehmen wollen zusammen 220 Mio. Euro investieren.

Noch liegt die exakte Planung zur künftigen Auslastung der Opel-Werke in Rüsselsheim und Eisenach nicht vor. Noch immer fahren dort die gleichen Modelle vom Band wie vor der Übernahme, von der Gewinnschwelle ist man weit entfernt. Nachdem Opel unter dem gemeinsamen Dach von PSA sämtliche Entwicklungen, die unter der Regie von GM gemacht wurden, verworfen hat, könnte das Unternehmen von den französischen Entwicklungen hinsichtlich Elektrifizierung und Vernetzung nur profitieren. Zu einem Alleinstellungsmerkmal von Opel zumindest für die asiatischen Märkte könnte eine eigene Designentwicklung in Rüsselsheim beitragen.


Konkurrenz der Standorte

Die Zugeständnisse, die die deutschen Arbeitnehmervertreter*innen Opel gemacht haben, haben vorher bereits die Gewerkschaften und Betriebsräte an den anderen Standorten in Polen, Österreich, Ungarn, England und Spanien mit ähnlichen Produktivitäts-Vereinbarungen, Investitionen für Lohnzugeständnisse zugestehen müssen. Außerhalb Deutschlands arbeiten gut 17.000 Menschen für Opel. Mit der gegenseitigen Verständigung und Solidarität der Arbeitnehmervertreter*innen zwischen den Opel-Standorten über Ländergrenzen hinweg war es jedoch schon unter Regie von GM nicht weit her. Um ein Ausspielen der europäischen Opel-Standorte gegeneinander, das die PSA-Führung offenbar gut beherrscht, in Zukunft zu verhindern, müssten die Gewerkschaften und Betriebsräte ihre internationale Zusammenarbeit erheblich ausbauen. Gegenwärtig lassen sich die Interessenvertreter*innen von Opel und PSA eher auseinanderdividieren.

Auch über die Verteilung der Entwicklungskompetenzen im Gesamtkonzern gibt es eher Konkurrenz als Abstimmung unter den Beschäftigten und ihren Interessenvertreter*innen über Ländergrenzen hinweg. Die geplante Einbeziehung des Entwicklungszentrums in Rüsselsheim mit der dortigen Ansiedlung einer Reihe von Kompetenzen für den Gesamtkonzern entblöße – so die französische Gewerkschaft CFDT – französische Forschungszentren und Werke, um die von Opel besser auszulasten.

Die Konkurrenz zwischen den Standorten zu organisieren, auch international, das beherrscht PSA-Chef Carlos Tavares vollkommen. Neben der Konkurrenz der Entwicklungszentren werden zukünftig die Modelle der Konzernmarken Peugeot, Citroën, DS, Opel und Vauxhall alle aus einheitlichen Bodengruppen und Motoren bestehen. Das Management kann dann frei wählen, in welchen Werken es welche Autos fertigen lässt, wen es für Zugeständnisse mit Kapazität belohnt. Der erpresserische Druck des PSA-Anteilseigners wird mindestens so solange nicht zu Ende gehen, wie Opel rote Zahlen schreibt.

Automobilindustrie in Hessen

In Hessen ist Opel neben Volkswagen und Daimler einer der drei großen Automobilhersteller. Dazu sind viele Zulieferer und auch Engineering-Dienstleister in Hessen tätig. Die wichtigsten Standorte sind Rüsselsheim und der Raum Kassel. Die Branche erwirtschaftet 14,6% des Umsatzes der hessischen Industrie. Auf die Herstellung von Kraftfahrzeugteilen und -zubehör entfallen 25,1% des Branchenumsatzes. Die Exportquote der hessischen Automobilindustrie lag 2016 bei 50,9% (Bundesebene mit 63,1%), d.h. 8,1 Mrd. Euro des Umsatzes waren Auslandsumsatz. Die internen Aufwendungen der Automobilindustrie in Hessen für Forschung und Entwicklung summierten sich 2015 auf 1,7 Mrd. Euro, was einem überproportionalen Anteil von 35% an der hessischen Industrie entspricht – Rang eins unter den Branchen. Die Bruttoanlageinvestitionen werden für 2016 mit 1,2 Mrd. Euro angegeben – 30,5% aller Bruttoanlageinvestitionen der hessischen Industrie 2016.[1] In Hessen zählte die Automobilindustrie 2016 53.176 Beschäftigte1 (+1,1% gegenüber 2015).

Die Beschäftigung nimmt seit mehreren Jahren zu. 2018 wird dieser Trend mit dem Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen bei Opel gebrochen. 13,2% der Beschäftigten der hessischen Industrie haben ihren Arbeitsplatz in der Automobilindustrie als zweitgrößte Industriebranche hinter Chemie/Pharma. Hessen nimmt damit hinter Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen den fünften Rang der Automobilhersteller in Deutschland ein. Aufgrund ihrer relativ geringen Wertschöpfungstiefe kommt darüber hinaus den Automobilzulieferern eine große Bedeutung zu. Ihre Branchenabgrenzung ist nicht leicht vorzunehmen, da ein beachtlicher Teil der Beschäftigten im Maschinenbau und Elektrotechnik ebenfalls für die Automobilindustrie tätig ist.



Die größeren Betriebe mit 250 und mehr Beschäftigten vereinen den weitaus überwiegenden Anteil des Umsatzes und der Beschäftigten der Branche auf sich. So sind in den 23 hessischen Großbetrieben der Branche 94,5% der Beschäftigten tätig, die 2016 96,5% des Branchenumsatzes erwirtschafteten. Damit ist die Automobilbranche in Hessen durch eine außerordentlich hohe Konzentration gekennzeichnet, die erheblich über dem Durchschnitt der hessischen Industrie liegt. In der hessischen Industrie sind in den größeren Betrieben im Vergleich nur 61,2% der Beschäftigten tätig mit einem Umsatz von 72,6% vom Gesamtumsatz der Branchen. Die Hessische Automobilbranche liegt sogar noch etwas über den Vergleichswerten der Branche auf Bundesebene (90,7% bzw. 94,8%).

Die zwei größten Hersteller sind Opel in Rüsselsheim und VW in Baunatal im Raum Kassel. Das Werk der Volkswagen AG in Baunatal ist die zweitgrößte VW-Produktionsstätte in Deutschland. In Baunatal werden Schalt- und Automatikgetriebe, Abgasanlagen und Karosserieteile hergestellt. Zudem werden im Werk Elektromotoren entwickelt und gefertigt sowie für ein riesiges Ersatzteillager der VW-Werke produziert.

Die Arbeitsplätze in der hessische Automobilproduktion – und darüber hinaus des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt – sind ausgesprochen abhängig von den zwei großen Herstellern Volkswagen und Opel. Noch ist völlig ungewiss, was die neuen Eigentümer von Opel vorhaben. Jetzt muss die Konzernplanung zeigen, ob für die Werke zukünftig eine relativ hohe Auslastung zustande kommt.


Ausblick

Die Betriebsräte von Opel und die IG Metall haben zwar bis 2023 Eckpunkte für die Sicherung der deutschen Standorte erreicht. Die Geschäftsführung sichert Investitionen in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern zu. Doch die IG Metall verlangt bislang vergeblich einen verbindlichen, mit Zahlen unterlegten Produktionsplan für die deutschen Werke.

Mit dem geplanten Teilverkauf des Entwicklungszentrums wird das eigentliche Geschäft von Opel nach dem Abbau der Arbeitsplätze an den Standorten weiter amputiert. Ein Zeichen dafür, dass der Wert von Opel für PSA in den 1,2 Mio. Käufer*innen von Fahrzeugen und nicht in der Entwicklung oder in der Produktion zu finden ist? Besonders brisant aus Sicht des Betriebsrats: Sollten sich die Berichte bestätigen, würde dies bedeuten, dass PSA- und Opel-Management bereits seit längerer Zeit über den Verkauf des Entwicklungszentrums verhandeln. Damit hätten sie der IG Metall und der Einigungsstelle wissentlich die Unwahrheit gesagt: Die Frage, ob es konkrete Verkaufsabsichten für Teile des Entwicklungszentrums gebe, habe das Management damals klar verneint (vgl. SZ v. 4.7.18).

Der Automobilexperte Dudenhöffer meint dazu: Der Verkauf großer Teile des Entwicklungszentrums war ebenso wie der Abbau von vielen Mitarbeiter*innen scheinbar bereits bei der Übernahme geplant. Die Franzosen hätten von Anfang an mit verdeckten Karten gespielt. Man müsse davon ausgehen, dass dies nicht die letzte Aktion zur Profitabilitätsverbesserung sein werde. Opel entwickele sich damit zu einer Art Verkaufsabteilung mit angeschlossener Produktion und Mini-Entwicklung. Auf längere Sicht könne sogar nur die Verkaufsabteilung übrigbleiben: »Den Rest macht Frankreich« (MZ online vom 4.7.18). Sollten die Pläne fortschreiten, kündigte Betriebsratschef Schäfer-Klug einen Arbeitskampf an: »Klar ist: IG Metall und Gesamtbetriebsrat werden einen solchen Angriff auf das Herz der Marke Opel (...) nicht kampflos hinnehmen«.

Angesichts des enormen Umbruchs in der Automobilindustrie mit neuen Antriebs- und Mobilitätskonzepten sowie einem tiefgreifenden kostengetriebenen Konzentrations- und Verlagerungsprozess, haben Gewerkschaften und Betriebsräte massive Probleme, über einen reinen Abwehrkampf hinaus steuernd und gestaltend eingreifen zu können. Am Beispiel Opel sehen wir, wie ein kleiner Volumenhersteller im Rationalisierungsprozess und Verbund mit einem großen Hersteller an den Rand seiner Existenz gedrängt wird.

Die erreichte Absicherung der Beschäftigten bei Opel für die nächsten fünf Jahre und eine bisher vage Investitionszusage für alle deutschen Standorte ist von begrenzter Dauer. Zukünftige Beschäftigung ist nur mit nachhaltiger Investition in die Werke, die Technik und die Ausbildung der Beschäftigten zu haben. Opel kann als Filiale von PSA als großem Volumenhersteller nur überleben, wenn die Beschäftigten tatsächlich sämtliche Plattformen des Konzerns in den Werken auch nutzen können. Ob sie diese Option überhaupt besitzen, wird sich erst in der weiteren Auseinandersetzung zwischen den Beschäftigten, ihren Interessenvertretern und der Konzernleitung zeigen.

[1] Vgl. hierzu ausführlich Hessen Agentur, Branchenprofil Automobilindustrie in Hessen, Wiesbaden 2018.

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