26. Januar 2024 Andreas Fisahn: Der juristische Rahmen – auch mit Blick auf die AfD
Rechte Parteien, Parteienrechte und deren Beschränkung
Am 23. Januar 2024 hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden, dass die Partei »Die Heimat«, vormals NPD, von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen wird. Das ist mit Blick auf die NPD von Belang, interessiert aber auch vor dem Hintergrund der Frage, ob und wie man der AfD juristisch Einhalt gebieten könnte.
Der Ausschluss von der Finanzierung nach diesem Urteil (- 2 BvB 1/19 -; Randnummern ohne weitere Angaben beziehen sich darauf) bedeutet, dass die Partei keine Gelder wie Wahlkampfkostenerstattung aus öffentlichen Mittel erhält. Außerdem kann sie keine Steuererleichterungen, die für Einnahmen der Parteien möglich sind, geltend machen. Einen Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung hat »Die Heimat« gegenwärtig sowieso nicht, weil die Wahlergebnisse zu gering ausfallen. Eine Wahlkampfkostenerstattung erhält nur, wer bei Bundestags- oder EU-Wahlen mindestens 0,5% der Stimmen erlangt (§ 18 ParteiG). Das gelang der NPD glücklicherweise bisher nicht. Direkte praktische Relevanz hat das Urteil also vor allem dadurch, dass Steuervorteile für die »Heimat« entfallen.
Der Ausschluss von der staatlichen Finanzierung ist durch eine Neuregelung im Grundgesetz möglich. So ist es sinnvoll, deren Hintergrund auszuleuchten, womit zugleich ein Blick auf mögliche juristische Schritte gegen die AfD geworfen wird. Im Jahre 2003 entschied das BVerfG über den ersten Verbotsantrag gegen die NPD. Anders als Vereine, die vom jeweiligen Innenminister verboten werden können, und in vielen Fällen auch verboten wurden wie beispielsweise Rockerbanden (z.B. die Bandidos), können Parteien nur vom BVerfG verboten werden (Art. 21 Abs.3 GG).
In der Geschichte der BRD gab es bisher nur zwei Parteiverbote, nämlich gegen die SRP, eine NSDAP-Nachfolgepartei, und gegen die KPD. Beide Urteile stammen aus den 1950er-Jahren. Den Antrag zu einem Parteiverbot können vom Bundestag, Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden (§ 43 BVerfGG). Gleiches gilt für den Antrag auf den Ausschluss von der Finanzierung. Gegen Parteien, die nur in einem Bundesland agieren, kann auch die Landesregierung entsprechende Anträge stellen.
Erst 2003 wurde erneut über einen Verbotsantrag entschieden, nämlich über den Antrag gegen die NPD. Das BVerfG lehnte den Antrag jedoch ab und stellte das Verfahren ein, weil zu viele Verfassungsschützer oder V-Leute vom Bund und den Ländern in der NPD agierten. Man könne so schlechterdings nicht unterscheiden, welche verfassungswidrigen Äußerungen von der NPD, welche von staatlichen Geheimdiensten kommen. So ließe sich der Verbotsantrag nicht begründen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 18. März 2003 - 2 BvB 1/01 -).
Die Verfassungsschützer und die angeworbenen NPD-Mitglieder wurden daraufhin zurückgezogen oder »abgeschaltet«. Es wurde erneut ein Verbotsantrag gestellt, den das BVerfG 2017 entschied und zur Überraschung der Antragsteller ablehnte. Auf etwas mehr als 350 Seiten führte das Gericht aus, dass die NPD nach ihrer Zielstellung verfassungswidrig ist. Sie wolle die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten »Volksgemeinschaft« ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachte die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.
Und dann kam die Überraschung: Um verboten zu werden, müsse die Partei auch stark genug sein, um diese Ziele verwirklichen zu können. Das träfe auf die NPD mit ihren wenigen Mitgliedern und Wählern nicht zu. Juristen verklausulieren gern: Man spricht von Potenzialität. Ein Verbot käme nur in Betracht, wenn das auf die Beseitigung der Verfassung »gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität)« (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, Rn. 585).
Das war insofern eine Überraschung als die Potenzialität im SRP- und KPD-Urteil keine Rolle gespielt hatte. Vermutlich folgte das BVerfG dem Gerichtshof für Europäische Menschenrechte (EGMR), der Parteiverboten sehr restriktiv handhabt. Wie auch immer: Gleichzeitig fand sich in den Passagen über die Parteienfinanzierung eine Idee, wie man der NPD dennoch juristisch beikommen kann, nämlich indem man ihr die Finanzen nimmt.
So entschieden Bundestag und Bundesrat das Grundgesetz zu ändern und ergänzten den Art. 21 GG um die Bestimmung, dass verfassungswidrige Parteien von der Finanzierung ausgeschlossen werden können, worüber auch das BVerfG entscheiden solle. Das geschah mit dem Urteil vom 23.1.2024.
Wenig überraschend ist, dass dem Antrag stattgegeben wurde. Die Verfassungswidrigkeit der NPD war schon festgestellt worden. Es musste nur noch geklärt werden, ob auch der Ausschluss von der Finanzierung von der Potenzialität, also von der Stärke der Partei abhängig sein soll. Das soll sie natürlich nicht, so dass dem Antrag stattgegeben werden konnte.
Das BVerfG erläutert in der Begründung noch einmal, welche Äußerungen und Verhaltensweisen herangezogen werden können, um deren Verfassungswidrigkeit zu begründen. Dazu gehören auch Äußerungen im Parlament oder das Verhalten der Anhänger (Rn. 273 ff).
Und da wird es mit Blick auf die AfD spannend, denn die NPD oder »Heimat« ist bekanntlich nicht in Parlamenten vertreten, wohl aber die AfD. Und die AfD Spitzenfunktionäre sind im Umgang mit gezielten Provokationen im Graubereich des rechtlich Zulässigen deutlich geschickter und geschulter als die Pöbeleien des Fußvolkes. Auch wenn es nicht unüblich ist, dass das BVerfG seine Rechtsprechung noch einmal zusammenfasst, selbst wenn es darauf nicht ankommt, hat das Gericht im Finanzurteil noch einmal klar gemacht, wie breit auf die Äußerungen der Parteimitglieder und Anhänger bei rechtlichen Schritten zurückgegriffen werden kann.
Nun wissen nur Bundes- und Landesregierungen, wie viele Spitzel sie in der AfD platziert haben – jedenfalls sollten sie es wissen. Aber die ansonsten vorgetragenen Argumente gegen rechtliche Schritte gegen die AfD oder einzelne Funktionäre überzeugen allenfalls auf der zeitlichen Schiene.
Was kommt in Betracht? Die schärfste Waffe ist der Verbotsantrag, der sicher nicht an der Schwäche der AfD scheitern kann. Voraussetzung für einen solchen Antrag ist eine umfangreiche Materialsammlung, welche die Distanz der Partei zu Demokratie und Menschenwürde belegt. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte hat eine umfangreiche Studie vorgelegt, die viel Material zur Frage des Verhältnisses der AfD zur Menschenwürde enthält.
Wenn die Verfassungsschutzämter ihre Arbeit machen und die alten Strukturen, die der Ex-Präsident Hans-Georg Maaßen geschaffen hat, nicht noch nachwirken, müsste dort auch viel Material gesammelt sein. Zeitlich wird das Verfahren sicher nicht vor den Wahlen in diesem und auch nicht im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Aber das gilt wohl: besser spät als nie.
Nun gibt es Menschen, die befürchten, dass aufgrund der tiefen Spaltung der Gesellschaft und drohender Gewaltausbrüche bis zum Bürgerkrieg ein Verbotsantrag gestellt werden sollte. Das ist offenkundig sehr spekulativ. Die Reaktionen auf die Abwahl von Trump oder die Pis in Polen zeigen, dass die Gefahr real ist, aber auch dann besteht, wenn diese Strömungen Erfolg hatten – mal abgesehen von dem Schaden, den sie schon vorher für Demokratie und Menschenrechte anrichten.
Unterhalb des Parteiverbotes gibt es die Möglichkeit, die AfD – wie die NPD – von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Nach dem neuen Stiftungsgesetz, das die Finanzzuwendungen an parteinahe Stiftungen regelt, hat die Erasmus-Stiftung der AfD zunächst keinen Anspruch auf Finanzierung, der allerdings nicht grundsätzlich und für ewig ausgeschlossen ist. Für den Ausschluss von der Parteienfinanzierung bräuchte es den Antrag beim BVerfG. Voraussetzung dafür ist wiederum eine ausreichende Begründung und Materialsammlung, mit der bewiesen wird, dass die AfD Demokratie und Menschenwürde negiert.
Ungeklärt ist bisher, ob das BVerfG beim Ausschluss aus der Finanzierung weniger strenge Beweisanforderungen stellt als beim Parteiverbot. Das neue Urteil deutet in die andere Richtung. Dort ist von einem »Gleichlauf« der Verfahren und Anforderungen die Rede (Rn. 156). Allerdings würde es der Logik gestaffelter Eingriffe entsprechen, wenn die geringere Eingriffsintensität (Rn 313 mit Verweis auf den EGMR) des Finanzierungsausschlusses – da die Prüfung der Verhältnismäßigkeit entfällt (Rn. 235 f) – mit einer geringeren Beweislast verbunden würde, insbesondere weil der Ausschluss aus der Finanzierung befristet werden kann, was im Fall der NPD/Heimat dem Antrag folgend geschehen ist (Rn. 189).
In den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten sind weitere Vorschläge, um der AfD juristisch beizukommen. So wurde von der ehemaligen Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff vorgeschlagen, gegen einzelne Politiker wie z.B. Björn Höcke einen Antrag auf Verwirkung ihrer Grundrechte zu stellen. Das Grundgesetz schreibt in Art. 18 vor, dass Personen, die ihre Grundrechte »zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung« missbrauchen, diese Rechte verwirken. Ob die Rechte verwirkt sind und über das Ausmaß der Verwirkung – welche Rechte der Person also aberkannt werden – entscheidet wiederum das Bundesverfassungsgericht. Antragsberechtigt sind der Bundestag, die Bundesregierung und auch eine Landesregierung (§ 36 BVerfGG).
Nun hat das Verwaltungsgericht Meiningen entschieden, dass es die Meinungsfreiheit erlaubt, Höcke als Faschisten zu bezeichnen. Auch wenn damit nicht über den Tatbestand entschieden ist, eine Tendenz ist erkennbar, ebenso wie mit der Bezeichnung von Höcke als Rechtsextremisten durch den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang.
Wie auch immer: Fie Beweisführung ist hier – auch wenn in der Geschichte der BRD bisher keine Verwirkung der Grundrechte festgestellt wurde – einfacher als bei Anträgen nach Art. 21 GG, also beim Parteiverbot, weil es nur um einzelne Personen geht, über die Material gesammelt werden muss. Die Beweisrichtung ist identisch. Man kann die Grundrechte verwirken, wenn man gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung kämpft.
Die Grundordnung ist auch in Art 21 das Schutzgut. Dort sollen die Parteien »darauf ausgehen, (sie) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen« oder – im Fall des Finanzierungsausschlusses – »darauf ausgerichtet sind, (sie) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen«. Bei Einzelpersonen wird man für die Grundrechtsverwirkung sicher keine Potenzialität annehmen können, so dass der »Kampf« gegen die Grundordnung dem Inhalt nach von der »Ausrichtung auf die Beeinträchtigung« nicht unterschieden werden dürfte.
Interessant ist vielleicht noch die Frage, ob ein Land einen Antrag auf Verwirkung auch gegen eine Person, die Bürger eines anderen Bundeslandes ist, stellen kann. Der Wortlaut des BVerfGG spricht jedenfalls nicht dagegen. Aber, das wurde erwähnt, eine Konkretisierung des Artikels durch das BVerfG steht noch aus. Wegen des geringeren Beweisumfangs dürfte so ein Verfahren jedenfalls schneller zu einem Abschluss kommen als die Verfahren nach Art. 21 GG.
Neuerdings wurde in die Diskussion gebracht, die AfD-Jugendorganisation, die »Junge Alternative« zu verbieten. Das sei leichter möglich, weil sie als eigenständiger Verein organisiert ist, Vereine aber durch das Innenministerium verboten werden können und kein Verfahren vor dem BVerfG nötig ist. Die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger meint, ein solches Verbot sei rechtskonform.
Grundlage ist Art. 9 Abs.2 GG, nach dem Vereinigungen, »die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten« werden können. Ein Antrag beim BVerfG ist nicht erforderlich. Oben wurde schon erwähnt, dass in der Geschichte der Bundesrepublik eine Reihe von Vereinen verboten wurden. Das Bundesinnenministerium zählt 55 Vereinsverbote, »die sich zusätzlich auf insgesamt 109 Teil- und Ersatzorganisationen erstrecken (Stand: 30. Juni 2020). Von diesen Verboten wurden 93 im Bereich Ausländerextremismus ausgesprochen, wobei 46 auf Ausländervereine und 44 auf ausländische Vereine entfallen. 14 Verbote wurden im Bereich Islamismus ausgesprochen, eines im Bereich Linksextremismus, 19 im Bereich Rechtsextremismus sowie 33 aus den Strafgesetzen zuwiderlaufenden Gründen.«
Das Problem bei der »Jungen Alternative« ist, dass sie zwar ein als eigenständiger Verein firmiert, aber mit der AfD verbunden ist. Es stellt sich also die Frage, ob ihr Verbot nicht indirekt ein Parteiverbot ist, das nach Art. 21 GG ausgesprochen werden müsste. Wenig spricht dafür, weil sich andere Parteijugendorganisationen wie die Jusos innerhalb der Partei und nicht bewusst als eigenständiger Verein organisieren. Wenn sich also eine Jugendorganisation, die einer Partei nahesteht, selbstständig als Verein organisiert, muss man sie auch so behandeln können. Aber auch diese juristische Frage ist bisher ungeklärt.
Das Zögern der Politik entsprechend vorzugehen, das ist festzuhalten, ist sicher nicht juristisch zu begründen, sondern allenfalls politisch. Argumentationen wie die von Friedrich Merz (CDU), der erklärte, dass Verbote die Märtyrerrolle der AfD stärkten und deshalb eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechten zu empfehlen sei, sind allerdings wenig überzeugend. Sie ist scheinheilig, insoweit er selbst Vorurteile säht (»kleine Paschas«), und kommt reichlich spät, insbesondere weil die Brandmauer inzwischen löchrig ist. Die Rolle des Märtyrers nimmt die AfD längst ein, die lässt sich kaum noch steigern.
Andreas Fisahn ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld. Im VSA: Verlag hat er 2023 gemeinsam mit Alois Stiegeler und Manfred Braatz den Band »Oben, Unten, rechts und links. Eine etwas andere Einführung in die politische Farbenlehre« veröffentlicht.