26. Mai 2024 Redaktion Sozialismus.de: Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

Personal- oder auch Perspektivwechsel in der EU?

Vom 6. bis 9. Juni wählen die Bürger*innen in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) ein neues gesamteuropäisches Parlament. Gemeinsam mit den Vertreter*innen der Regierungen, den Kommissar*innen, haben die gewählten Abgeordneten die Aufgabe, neue Gesetze zu gestalten und zu beschließen.

Bei den letzten Wahl 2019 waren auch noch die Einwohner*innen von Großbritannien dabei. Eine Bilanz über des Austritts des Vereinigten Königsreichs gibt es faktisch nicht. Der ursprünglich versprochene Aufbruch nach dem Austritt der Brit*innen ist im Krisen-Chaos von Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine und der Waffen- sowie Finanzhilfen für dieses nicht der EU angehörigen Landes aus dem Alltagsbewusstsein verschwunden.

Die von der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament beschlossenen Gesetze betreffen sämtliche Bereiche des Lebens in der EU: von der Wirtschaft und über die Bekämpfung der Armut und den Klimawandel bis hin zur militärischen Sicherheit. Die Wahl ist also durchaus von Bedeutung. Wer wahlberechtigt ist, sollte dieses Recht nutzen.

Nach der Europawahl wird dann auch der Vorsitz der EU-Kommission neu besetzt. Ursula von der Leyen (CDU) kandidiert für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin. Sie wurde von der Europäische Volkspartei (EVP) im März in Bukarest als Spitzenkandidatin nominiert. Die EVP vereint konservative und christdemokratische Parteien aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten vereint.

Obwohl von ihrer Partei als Spitzenkandidatin vorgeschlagen, ist von der Leyen nicht direkt wählbar, da sie auf keiner der nationalen Wahllisten – auch nicht der nach Bundesländern unterschiedlichen Wahlzetteln in Deutschland. Traditionell wird der oder die EU-Kommissionspräsident*in aus der europäischen Parteienfamilie ernannt, die bei der Europawahl am besten abschneidet. In Umfragen liegt von ihre Partei EVP bisher deutlich vorn.

Laut einer Umfrage von »eupinions« – das sich auf seiner Website selbst als »eine unabhängige Plattform für europäische, öffentliche Meinung« bezeichnet, aber ein Projekt der Bertelsmann-Stiftung ist – kennen 75% der Befragten in ganz Europa die CDU-Politikerin. Damit sei sie deutlich bekannter als ihre Vorgänger. Als ihre größte Leistung werde ihr Umgang mit dem Ukraine-Konflikt nach dem Angriff Russlands genannt, gefolgt vom Management der Corona-Pandemie.

Zugleich gaben 70% allerdings an, sich nicht ausreichend über die Arbeit der Kommissionspräsidentin informiert zu fühlen, um ihre Leistung auch beurteilen zu können. Für eine stärkere Legitimation des Kommissionspräsidentenamtes könnte eine Direktwahl durch die EU-Bürger*innen eine Option sein. Die Umfrage ist nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung repräsentativ für die EU.

Während ihrer ersten Amtszeit als Kommissionspräsidentin trieb von der Leyen wichtige Projekte wie den Green Deal und den EU-Migrationspakt voran. Im Falle einer zweiten Amtszeit plant sie, die EU-Verteidigungspolitik durch die Schaffung eines eigenen Verteidigungsressorts in der EU-Kommission mit dem Posten eines eigenen Kommissars zu stärken.

Für den Fall einer Wiederwahl zeigte sich von der Leyen offen für eine Zusammenarbeit mit »rechtskonservativen« Kräften der EKR im Europäischen Parlament, wie sie jüngst in der »Eur(o)vision Debate« der Spitzenkandidaten erneut deutlich machte. Der Fraktion der EKR (Europäische Konservativen und Reformer) gehören u.a. die rechtspopulistischen Fratelli d'Italia der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, die ebenfalls rechtspopulistische Vox aus Spanien sowie die polnische PiS-Partei an.

Eine Kooperation mit der Fraktion Identität und Demokratie (ID) – zu der das französische Rassemblement National (RN ), die italienische Lega und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gehören (siehe hierzu auch den Schwerpunkt zu den Konzepten der national-völkischen Rechten in Europa sowie zur Migrationspolitik der Tories in der Juni-Printausgabe von Sozialismus.de), sowie bis zu ihrem kürzlichen Ausschluss auch die AfD – schloss von der Leyen hingegen aus.

Gegenüber der »Financial Times« hatte sie gesagt, sie sei offen für eine weitere gemeinsame Schuldenaufnahme, wenn die Prioritäten klar seien. Die Entscheidung darüber liege aber allein in den Hauptstädten der EU-Länder. Seit einiger Zeit wird in Brüssel über neue gemeinsame Schuldenaufnahmen debattiert. Frankreich etwa hatte sich für gemeinsame Schulden, sogenannte Eurobonds, für Verteidigungsausgaben ausgesprochen. Auch EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni plädierte jüngst etwa für ein Instrument für Investitionen, beispielsweise in Energie oder Verteidigung, das über gemeinsame Schulden finanziert werden soll.

Als Vorbild könne das Corona-Aufbauprogramm der Staatengemeinschaft dienen. Das bis 2026 laufende Programm »Next Generation EU« mit einem Umfang von mehr als 800 Mrd. Euro soll den EU-Staaten helfen, die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie zu begrenzen. Finanziert wird es über Schulden, die bis 2058 gemeinsam getilgt werden sollen.

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FPD) betonte, das Programm sei von allen Mitgliedstaaten als einmalige Ausnahme beschlossen worden. Insbesondere den Bürger*innen in Deutschland sei das auch von CDU und CSU versichert worden. Allerdings sei auch hier ein »Kurswechsel […] absolut unnötig, weil die ökonomischen Wirkungen des Pandemie-Programms durchwachsen sind«, sagte er in Richtung von der Leyen.

An der Wahl zum Europäischen Parlament Anfang Juni wollen nach der bereits erwähnten Umfrage der Bertelsmann Stiftung rund 60% der Europäer*innen. Das wären deutlich mehr als 2019, als die Wahlbeteiligung in der EU bei 51% lag, in Deutschland hatten 61% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Laut der letzten Umfrage des Forschungsinstituts Allensbach hält sich der Optimismus der EU-Bürger*innen allerdings in Grenzen. »Nur 34% der Bürger sind in Bezug auf die Zukunftsperspektiven der Europäischen Union hoffnungsvoll gestimmt, 45% besorgt. Viele fürchten, dass der Zusammenhalt eher schwächer als stärker wird. Das Zutrauen in die Wirtschaftskraft der Union geht seit Jahren zurück, und die Unsicherheit ist groß, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft entwickeln wird. Nur gut jeder Fünfte ist zuversichtlich, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer der EU in den nächsten fünf Jahren zunimmt.«

Laut anderen jüngsten Umfragen könnte die AfD, der bisher größere Zugewinne prognostiziert wurden, bei der Europawahl in der Wählergunst Stimmen verlieren, seit zwei ihrer Spitzenkandidaten unter anderem wegen vermuteter Verbindungen zu Russland und China im Zwielicht stehen. Befragungen zufolge rutscht die Partei um zwei Punkte auf 17%. Durch den Ausschluss aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europaparlament könnte sich der Abwärtstrend verstärken. Für die weiteren Parteien werden folgenden Ergebnisse prognostiziert: SPD 16%, Union 29%, FDP und Die Linke jeweils 4%, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) 7% und Freie Wähler 3%.

Die ID-Fraktion mit RN, der Lega, der FPÖ und bisher auch der AfD steht im Europaparlament am weitesten rechts. Schon lange schwelende Spannungen innerhalb der Fraktion haben mittlerweile einen Höhepunkt erreicht. Nach der Ankündigung der von Marine Le Pens RN, im neuen EU-Parlament nicht mehr mit der AfD zusammen arbeiten zu wollen, hat die Fraktion nun die AfD mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. Auslöser war ein Interview des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, in dem er sagte, nicht alle SS-Mitglieder seien Verbrecher gewesen. Der RN und die italienische Lega distanzierten sich daraufhin von der AfD, die, so Le Pen, ein »Führungsproblem« habe.

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