19. September 2019 Friedrich Steinfeld: Angriff auf Saudi-Arabiens Erdölanlagen

Maximaler US-Druck … gegen missliebige Energieproduzenten

Wer sich durch die außenpolitische Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Rahmen des G7-Gipfeles in Biarritz, die beiden Kontrahenten im USA-Iran-Konflikt einander wieder näher zu bringen, Hoffnungen auf Verhandlungen zu einer Krisenlösungen gemacht hatte, wurde mit dem Drohnen- und Raketenangriff auf das Herzstück der saudi-arabischen Erdölindustrie eines Besseren belehrt.

Der amerikanische Außenminister Mike Pompeo wertete diesen Akt als einen »beispiellosen Angriff auf die Welt-Energieversorgung«. Auch wenn der 2003 von den USA und ihren Verbündeten begonnene Irak-Krieg ein viel schlagenderes Beispiel für militärische Zerstörung (mit Tausenden ziviler Opfer) sowie Zerschlagung regionaler Ordnungsstrukturen ist, so markiert der jüngste Angriff eine neue Stufe in der Konflikteskalation zwischen der USA und dem Iran. Diese betrifft auch die globale Energieversorgung und damit das Funktionieren der Weltwirtschaft insgesamt.

Mit dem Drohnen- und Raketenangriff wurde neben dem Ölfeld Khurais vor allem das Herzstück der saudi-arabischen Erdölindustrie, die Raffinerie Abqaiq massiv getroffen. In der weltweit größten Anlage dieser Art wird ca. die Hälfte des aus Saudi-Arabien exportieren Erdöls für den Export aufgearbeitet. Der Produktionsausfall betrifft etwa 5% der globalen Erdöl-Nachfrage. Die amerikanische Investitionsbank Goldman Sachs sieht darin eine »historisch große Störung«.

Ein rascher Anstieg des Ölpreises in Folge dieses Produktionsausfalles war absehbar. Für eine sich im Abschwung befindende Weltwirtschaft ist ein Ölpreisanstieg Gift. Wieweit dieser Anstieg geht und wie lange er dauert, hängt davon ab, bis wann die Anlagen repariert sein werden. Kurzfristige Produktionsschwankungen können durch Anzapfen der strategischen Ölreserven ausgeglichen werden. Außerdem ist durch die gestiegene Erdölförderung der USA (Fracking) das Angebot auf dem Weltmarkt deutlich größer geworden. Ein Anstieg des Ölpreises macht das Fracking rentabler und sorgt für eine Ausweitung der Produktion.

Die USA sind im Begriff, zu einem Netto-Exporteur von Energie zu werden. Seit 2016 hat die amerikanische Erdölproduktion von 8,8 Millionen Barrel am Tag auf 12 Millionen zugenommen, während die Förderung der Opec-Staaten von 32,2 Millionen auf 30 Millionen sank. Insofern ist die direkte Betroffenheit der USA von Störungen in der globalen Erdölversorgung deutlich geringer geworden.

In Deutschland wurde das Heizöl infolge des Angriffes auf die saudi-arabischen Erdölanlagen pünktlich zur nahen Heizperiode deutlich teurer, während der Anstieg der Benzinpreise an den Tankstellen äußerst moderat blieb. Nur etwa 1% des in Deutschland verbrauchten Erdöls stammt aus Saudi-Arabien, die Hauptlieferanten sind neben Russland Großbritannien und Norwegen.

Ein Land hingegen wie China, das wirtschaftlich ohnehin schon deutlich unter den Folgen des von den USA vom Zaune gebrochenen Handelskrieges leidet, muss zwei Drittel seines Erdölverbrauches von täglich 12,8 Millionen Barrel importieren, der allergrößte Teil stammt dabei aus den Anrainerstaaten des Persischen Golfes.

Die Anrainerstaaten des Persischen Golfs produzieren gut ein Drittel des weltweiten Öls. Eine weitere Konfliktsteigerung am Golf bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen würde zu einer grundlegenden Störung der globalen Öl-Versorgung und damit zu einem längerfristigen gravierenden Anstieg des Ölpreises mit unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft führen.


Die Lage im Nahen und Mittleren Osten

Bisher hat sich Saudi-Arabien im Kampf mit seinem Erzrivalen Iran um die regionale Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten in etlichen Konflikten und Stellvertreterkriegen außerhalb des eigenen Landes entweder direkt oder indirekt militärisch und/oder finanziell engagiert und sich zum (vermeintlich) eigenen Vorteil massiv in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt. So führt die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz im jemenitischen Bürgerkrieg einen Krieg gegen die Houthi-Rebellen, von dem immer wieder auch die Zivilbevölkerung durch Bombenangriffe saudischer Kampfbomber massiv betroffen ist.

Trotz der hohen militärtechnischen Überlegenheit konnte die vom saudischen Kronprinzen verantwortete Militär-Interventionen im Jemen zur Unterstützung der von der politischen Macht in der Hauptstadt Sanaa vertriebenen sunnitisch geprägten Zentralregierung bisher keine substantiellen militärischen Erfolge gegen die »Sandalenkämpfer« der Houthis erringen.

Mit dem Drohnen- und Raketenangriff auf seine Erdöl-Anlagen wurde Saudi-Arabien nun zum ersten Mal selbst militärisch massiv getroffen, was Selbstmordattentätern von Al Qaida 2006 nicht gelungen war. Trotz einer gigantischen militärischen Aufrüstung durch die externen Rüstungslieferanten – so hat Saudi-Arabien in den letzten Jahren für hunderte Milliarden Dollar Rüstungsgüter insbesondere aus den USA, dem weltweit größten Waffenausstatter, aber auch aus Europa gekauft – waren die Luftabwehrsysteme nicht zu einer Abwehr in der Lage! Saudi-Arabien zeigt sich selbst militärisch enorm verwundbar.

Dies bedeutet einerseits einen direkten wirtschaftlichen Verlust, der aber aufgrund der saudischen Währungsreserven in Höhe von ca. einer halben Billon Dollar noch relativ problemlos ausgeglichen werden kann, andererseits aber vor allem einen weiteren Image-Schaden für das Land, das sich für unverwundbar hielt und Regime-Kritiker wie den saudischen Journalisten Kahshoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul brutal ermorden ließ.

Der immer deutlicher werdende Gesichtsverlust der saudischen Machthaber steht zudem quer zu den schon seit längerem gehegten, aber immer wieder verschobenen Plänen, Teile des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco an die Börse zu bringen, um so zusätzliches Kapital für zukünftige Investitionen jenseits des Erdölsektors zu generieren.

Die von Iran militärisch unterstützten schiitisch geprägten Houthis haben den militärisch erfolgreichen Drohnen- und Raketenangriff gegen die saudi-arabischen Erdölanlagen für sich reklamiert. Der amerikanische Außenminister Pompeo macht den Iran für den Angriff verantwortlich, ohne dafür bisher Beweise vorgelegt zu haben. Andererseits kommen für den Anschlag grundsätzlich auch von Iran unterstützte schiitische Milizen in anderen Ländern, z.B. im Irak, in Frage. Immerhin sollen jetzt Fachleute der UN den Drohnen- und Raketenangriff genauer untersuchen. Wer immer die Drohnen und Raketen tatsächlich abgeschossen hat, der Vorfall markiert einen qualitativ neuen Stand der Kräfteverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten.

Die Kombination aus Drohnen- und Raketenangriff deutet auf ein vergleichsweise hohes Niveau an militärische Fähigkeiten hin. Unterstützt durch die rasanten Fortschritte in der Militärtechnologie durch den umfassenden Einsatz von IuK-Techniken stellen die Drohnen mittlerweile eine kostengünstige, dezentral steuerbare und zugleich im militärischen Sinne sehr wirkungsvolle, weil präzise wirkende neue Waffengattung dar, die traditionelle Waffensysteme ergänzt bzw. zunehmend ersetzt. Die Fähigkeit zur asymmetrischen Kriegsführung staatlicher und nicht-staatlicher Akteure wird dadurch enorm befördert. Die asymmetrische Kriegsführung erweist sich vor diesem Hintergrund als eine effektive militärische Angriffs- wie Verteidigungsstrategie gegen militärisch weitaus stärkere und technologisch hochgerüsteten Gegner, ohne dass es dabei zu einem offen militärischen Schlagabtausch kommt.

Einem konventionellen Krieg der USA gegen Iran wäre der Iran niemals gewachsen. Die mit dem Irakkrieg 2003 von den USA in Gang gesetzte Zerstörung von Staatlichkeit im Irak und letztlich in der gesamten Region hat dem Iran mit seiner über 2000 Jahre historisch gefestigten Staatlichkeit erst die Chance eröffnet, in dieses Machtvakuum zu stoßen und sich dadurch als schiitisch geprägte Regionalmacht zu etablieren. Durch sein weit verzweigtes Netz von eigenen Milizen und unterstützten schiitischen Milizen in anderen Ländern (wie z.B. in Syrien und im Irak) ist der Iran prinzipiell in der Lage, bei einem militärischen Angriff auf das Land einen schnellen und umfassenden Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten zu entfachen.

Die politisch-religiöse Führung im Iran hat immer wieder damit gedroht, dass eine Blockierung der eigenen Erdölausfuhr letztlich auch zu einer Blockierung des Erdölexportes der übrigen Anrainerstaaten führen werde. Während bisher immer die Sperrung der Straße von Hormuz, dem Nadelöhr aller Energie- und Warentransporte aus bzw. in die Anrainerstaaten des Persischen Golfes, als mögliche Blockierungsstrategie genannt wurde, stellen die Drohnen- und Raketenangriffe anschaulich dar, welches Spektrum an zerstörerischen militärischen Handlungsmöglichkeiten nicht nur den Großmächten, sondern mittlerweile auch regionalen staatlichen und lokalen nichtstaatlichen Akteuren zur Verfügung steht.

Andererseits steht der Iran aufgrund der massiven Wirtschaftssanktionen der USA und ihrer Androhung von Sekundärsanktionen gegenüber allen Drittstaaten, die sich nicht daran halten, aber weiter in den USA Geschäfte machen wollen, vor massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Anders als von Trump und seinen Beratern erhofft, führte diese wirtschaftliche und soziale Zuspitzung bisher jedoch nicht zu einer substanziellen Änderung der iranischen Außenpolitik oder gar zu einem Regime-Change.

Während beim G7-Gipfel in Biarritz noch von Fortschritten in der Diplomatie im USA-Iran-Konflikt die Rede war, hat sich die Position Irans mittlerweile wieder verhärtet. Nicht auszuschließen ist, dass massive Konflikte innerhalb des US-amerikanischen Regierungsapparates, worauf die Entlassung des nationalen Sicherheitsberaters John Bolton hinweist, eine gewisse Annäherung der Haupt-Kontrahenten blockiert haben.


Trumps geopolitische Sackgasse

In der Konsequenz steuert Trump die USA mit seiner Außenpolitik geopolitisch zunehmend in eine gefährliche Sackgasse. Die globalen Strukturen der Produktion und Verteilung fossiler Energieträger wurden in einem längerem historischen Prozess etabliert und haben vor dem ökonomischen Hintergrund der Durchsetzung der fordistischen Produktionsweise als gesellschaftliche Betriebsweise die hegemoniale Vorherrschaft der USA auf dem Weltmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg enorm gefestigt.

Im Zentrum steht dabei der historische Pakt mit Saudi-Arabien. »Gerade das Bündnis mit Saudi-Arabien hat eine lange Tradition – von dereinst von amerikanischen Unternehmen gegründeten Arabian-American Oil Companie, die heute Saudi Aramco heißt, über die Öl-Übereinkunft zwischen dem Präsidenten Roosevelt mit dem König Saud im Jahr 1945 bis hin zum Erfolg der Nixon-Adminstration, die erreichte, dass die Saudis ihr Öl in Dollar handelten. Dies half den Vereinigten Staaten, den Dollar als Weltreservewährung zu erhalten.« (Alexander Armbruster, Amerikanische Dollar und saudisches ÖL, in: Frankfurt Allgemeine Zeitung vom 17.9.2019). An diesen Bündnis-Strukturen, die auch umfassende Waffengeschäfte der USA einschließen, sowie an der mit diesem Pakt verknüpften zentralen Bedeutung des Dollars wollen die USA unter allen Umständen festhalten.

Vor diesem Hintergrund haben die USA unter Trump – trotz Gegenwehr vieler US-Bundesstaaten – auch kein nationales Interesse an einer effektiven Bekämpfung der ruinösen Folgen des Klimawandels, sondern haben als Netto-Exporteuer von fossilen Energieträgern (Fracking) ein massives wirtschaftliches Interesse an der Aufrechterhaltung der traditionellen Formen der Energiegewinnung und -nutzung entwickelt. Der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klima-Abkommen war nicht primär ideologisch motiviert, sondern von massiven wirtschaftlichen Eigeninteressen bestimmt.

Die Sanktionspolitik gegen den Iran hat daher immer auch den Aspekt, einen politisch missliebigen Erdölproduzenten vom fossilen Energiemarkt zu verdrängen, indem Käufern iranischer Energieträger, wie z.B. Indien, mit Sekundärsanktionen gedroht und als Alternative amerikanisches Flüssiggas angeboten wird. Ähnliches gilt für die Türkei, die mit dem russischen Bau einer weiteren Gas-Pipeline nicht nur mehr russisches Erdgas beziehen wird, sondern auch zum Überleitungsgebiet für Erdgas nach Südeuropa werden soll; beides unterläuft direkt die wirtschaftlichen Interessen der USA. Auch der Kampf der US-Regierung gegen Northstream II ist Teil des Konfliktgeschehens um die zukünftigen Strukturen und Formen der Energiemärkte.

Der Drohnen- und Raketenangriff auf die saudi-arabischen Erdölanlagen macht deutlich, dass die USA nicht mehr in der Lage sind, die Sicherheit der globalen Energieversorgung in der im Zuge der globalen Umwälzungen und Machtverschiebungen entstandenen neuen Welt-Un-Ordnung zu garantieren.

Schon zum Jahreswechsel 2018/2019 hat Trump offiziell die bisherige Rolle der USA als »Weltpolizist« mit Vehemenz aufgekündigt. Als zentrale Säulen der US-Außenpolitik verbleiben daher wirtschaftliche (Sanktions-)Macht und militärische Übermacht. Die US-Außenpolitik nimmt immer weniger Rücksicht auf Bündnis- und andere Partner, agiert mit ihrer Politik des maximalen Drucks außenpolitisch immer aggressiver und gerät dadurch immer mehr in den Sog der Logik des Einsatzes ihres gewaltigen militärischen Potenzials. Dadurch verschieben sich Schritt für Schritt die außenpolitische Handlungsspielräume in Richtung gewaltförmiger Konfliktlösungen.

Die USA stellen mittlerweile ein mehrfaches Risiko für die Zukunft des Planeten dar, sowohl was ihre aggressive geopolitische Fixierung auf die fossilen Energieträger und die damit verknüpften weltwirtschaftlichen Konsequenzen, als auch was den Weltfrieden sowie den mit ihrer Politik verbundenen systematisch produzierten CO2-Anstieg betrifft.


Schlussfolgerungen für europäische und deutsche Außenpolitik

Alle Rüstungslieferungen in den Nahen und Mittleren Osten sind nicht nur zeitlich befristet, sondern grundsätzlich zu stoppen. Forderungen wie die des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktionen Jürgen Hardt, das Waffenembargo gegen Saudi-Arabien angesichts des Drohnen- und Raketenangriffes auf dessen Erdölanlagen zu lockern und dieses Land nun mit »Defensiv«-Waffen auszurüsten, sind angesichts der zugespitzten Konfliktlagen und der noch im Gange befindlichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten so durchsichtig wie aberwitzig.

Nur ein gestärktes ziviles internationales Konflikt- und Krisenmanagement wird in der Lage sein, die Konfliktparteien vor weiteren militärischen Auseinandersetzungen zu bewahren und friedliche Konfliktlösungen, so komplex sie auch sein mögen, auf den Weg zu bringen. Darin besteht eine der Kernaufgaben einer eigenständigen deutschen und europäischen Außenpolitik.

Die gegenwärtige Debatte um Forschung, Entwicklung und praktische Nutzung von alternativen Energieträger muss um die Dimension der in eine gefährliche Krise geratenen internationalen Versorgung mit fossilen Energieträgern, die daraus resultierenden enormen Risiken für die Weltwirtschaft und den globalen Frieden erweitert werden. Eine radikale Wende in der Klimapolitik bedeutet daher nicht nur die Blockierung eines weiteren CO2-Ausstoßes, sondern auch den Bruch mit der erneut von den USA angestrebten Vorherrschaft in den globalen Strukturen der Versorgung mit fossilen Energieträgern.

Für die deutsche und europäische Politik heißt dies: Die Schwarze Null gehört im langfristigen Überlebensinteresse auf den ideologischen Müllhaufen der Geschichte. Auch angesichts des Konjunkturabschwunges ist es an politischer Absurdität nicht zu überbieten, wenn die derzeit (noch) herrschenden politischen Eliten die Einladung der Finanzmärkte, Kredite zu den Konditionen negativer Zinsen aufzunehmen, aus ideologischer (neoliberaler) Borniertheit nicht als historische Chance ergreifen, um die gesellschaftliche Zukunft grundlegend neu zu gestalten.

Für die Investitionstätigkeit heißt dies: Nicht kleckern, sondern klotzen. 50 Milliarden Euro jährlich an Investitionen in Infrastruktur, Umwelttechnik, Bildung, E-Mobilität, Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs, über zehn Jahre laufend und mit sozial verträglichen Lösungen verknüpft. Damit könnte auch dem massiven Erstarken des Rechtsradikalismus in diesem Land endlich substanziell Einhalt geboten werden.

Wer dies jetzt nicht begreift, verspielt die Chancen für die Gestaltung einer zivilen und lebenswerten Zukunft.

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