22. August 2024 Joachim Bischoff: Wahl-Parteitag der Demokraten in den USA
Politische Signale aus Chicago
Der neue Wahlkampf-Slogan der Demokraten »We’re not going back!« ist ein Ergebnis des Parteitages der Demokraten in Chicago: Nicht zurück in den Hass und die Wut der Ära von Donald Trump, der um seine Wiederwahl als Präsident in knapp drei Monaten kämpft. Dass dieser Slogan zieht, und nicht nur bei den Besucher*innen des Parteitags, ist auch die Leistung des Agierens des Kandidaten-Teams Kamala Harris und Tim Walz.
Walz’ Trainer-Rolle und Harris’ Lachen sind die Ingredienzen für den Gute-Stimmung-Wahlkampf, die »Good vibes«, um die sich fast alles dreht. Nicht dass es an ernsten Problemen in den USA und für diesen Präsidentschaftswahlkampf mangelte. Ganz im Gegenteil.[1] Doch die Politik der guten Laune lebt und wird genährt durch ihr düsteres Gegenbild Trump.
Wäre er nicht der Gegner, wäre er geschickter und maßvoller, würde die gute Stimmung, die Harris und Walz verbreiten, wohl schnell verpuffen. Während Trump seine Gegner beleidigt, bedroht und Mühe hat, mit Menschen in Not umzugehen, wie Anlässe im Weißen Haus während seiner Präsidentschaft zeigten, strahlen Harris und Walz Empathie und Menschlichkeit aus.
Walz hat in seiner Rede auf dem Parteitag auch kontroverse Wahlkampf-Themen angesprochen. Der bislang wenig bekannte Gouverneur des Bundesstaats Minnesota blickte auf Stationen in seinem Leben. Über seine Kindheit in einer kleinen Stadt in Nebraska sagte er, »man lernt, sich umeinander zu kümmern«. Der 60-Jährige sprach auch über seine Karriere als American-Football-Coach. Walz vermittelte alltäglichen Optimismus und lockere Kritik am republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump.
Kamala Harris und er stünden für ein Amerika, in dem jeder lieben könne, wen er wolle, und für ein Land, in dem die Menschen Zugang zu künstlichen Befruchtungen und zu Abtreibungen hätten. Die Republikaner um ihren Kandidaten wollten diese Freiheiten der Menschen beschneiden und etwa Abtreibungen landesweit verbieten. Krönung von Walz’ Agierens war die »Entzauberung« von Trump als Möchtegern-Autokraten, als Kämpfer gegen den »deep state« und die amerikanische Demokratie.
Er charakterisierte den politischen Herausforderer nicht zum ersten Mal schlicht als »weird», als schrägen Typen weit außerhalb des »Mainstreams«, der Frauen die Freiheit über ihre eigenen Körper rauben und Kinder schutzlos Amokläufern mit Schnellfeuergewehren überlassen will. »Weird« ist Walz’ politische Entzauberungsformel. Mit einem Mal sind Trump und sein Vize-Kandidat J.D. Vance einfach seltsame Vögel – Leute, die keine Freude oder Freunde haben, nur düstere Visionen über Amerika. Wie die etwas eigenartigen Typen früher in der Schule, die sich oft danebenbenehmen und wirres Zeug reden. Wenn etwa Vance von kinderlosen »Katzenfrauen« erzählt, die angeblich Amerika regierten. Oder Trump erklärt, er würde lieber durch einen Stromschlag sterben, als von einem Hai aufgefressen zu werden.
So erscheinen die Demokraten als normal – und als der Mainstream. Sie sind nicht mehr der Klub von Eliten an den Küsten und die Missionare der Wokeness, sondern jene, die uramerikanische Werte repräsentieren. Diese Mischung aus »Minnesota Nice« – die für Bewohner*innen des Mittelwestens immer noch typische Nettigkeit – und lässiger Angriffsfreude inspiriert den Wahlkampf sowohl von Harris wie von Walz. Die Botschaft an alle lautet: Ihr braucht keine Angst vor der Zukunft zu haben. Wir sind alle ein Team und können zusammen in einer diversen Gesellschaft leben.
Die Politprofis auf dem Parteitag, angefangen vom Kandidaten-Team, warnen aber auch: »Good vibes« seien eben nur Stimmungen, die auslaufen können. Denn viele Amerikaner*innen haben derzeit wenig Grund, gut gelaunt zu sein. Der gesellschaftliche Hintergrund der politischen Rhetorik der Republikaner sind Unzufriedenheit und Zukunftsängste. Ein sich abschwächender Arbeitsmarkt, die hohen Lebenshaltungskosten und die wachsende Unsicherheit im Alltag machen vielen zu schaffen. Das Wohlfühl-Duo Harris und Walz könnte im bevorstehenden Wahlkampf und der finalen Abstimmung doch nur zweiter Sieger werden.
Das Programm der Demokraten
Kamala Harris war längere Zeit Staatsanwältin und für ihre rechtsstaatliche Härte bekannt und umstritten. Dieser berufliche Hintergrund ist in den Augen der demokratischen Basis nun kein Manko mehr, sondern wirkt wie ein Plus angesichts der mehrfachen strafrechtlichen Urteile gegen Trump. »Stimme für die Staatsanwältin, nicht den Straftäter«, steht auf Autoaufklebern, die die Partei verteilt. Es geht um Rechtsstaatlichkeit auch bei Abstimmungen. Der scheidende Präsident Joe Biden hat die Gefahr der Nicht-Anerkennung einer Niederlage des unterlegenen Kandidaten der Republikaner in den Raum gestellt.
Harris und Walz treten für die Fortsetzung des Programms der Biden-Administration ein: Harris verkörpert die Kontinuität der Politik der Demokraten. Sie hat die entscheidende Stimme abgegeben für den Inflation Reduction Act, sie ist also Teil des Bidenomics-Programms. Harris gehört zur Mitte, zu den Zentristen innerhalb der Partei, aber in bestimmten Fragen, vor allem in Sachen Gender, Abtreibung und Dienstleistungsgesellschaft, ist sie entschieden progressiv.
Der ursprüngliche Plan der Biden-Administration, etwa Mutterschutz und Kinderbetreuung als Teil eines Care-zentrierten, ökonomischen, gesellschaftlichen Programms zu verbessern, ist durch die Verhandlung vor allem im Kongress unter die Räder geraten. Übriggeblieben ist vor allem Infrastruktur- und Industriepolitik. Harris kämpft für andere Schwerpunkte und man darf hoffen, dass mit ihr die Care-Orientierung durchgesetzt werden kann.
Unter der Regierung Biden-Harris ist die Zuwanderung explodiert, und gleichzeitig hat das Elend entlang der amerikanischen Südgrenze zugenommen. Die Steuerung und Bewältigung der ungeregelten Migration ist in den USA wie in Europa ein ungelöstes Problem. Schließlich hatte Biden einst in Aussicht gestellt, Millionen neuer Zuwanderer*innen ins Land zu lassen – und damit Millionen von Lateinamerikaner*innen motiviert, ihr Glück an der Grenze zu versuchen.
Tatsache ist aber auch, dass die Regierung unter seiner Präsidentschaft und Harris’-Vizepräsidentschaft mehrere umstrittene Grenzregulierungen der Ära Trump nie revidierte, darunter die »Remain in Mexico«-Leitlinie, gemäß der Asylbewerber*innen im südlichen Nachbarland auf ihren Entscheid warten müssen. An dieser wird wohl auch eine Präsidentin Harris festhalten.
Neben der Flüchtlingskrise ist die Eintrübung der US-Konjunktur die größte Sorge der amerikanischen Wähler*innen. Ob sich die schlechten Nachrichten in den kommenden Monaten häufen oder es sogar zu einem Abschwung im Wahljahr kommt, könnte für den Ausgang der Wahl noch entscheidend werden. Immer häufiger ist das Wort »Rezession« in diesen Tagen zu hören, obwohl die Wachstumsraten für das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) zuletzt mit einem auf ein Jahr gerechneten Wert von 2,8% positiv überrascht hatten.
Wie in den Zeiten der Pandemie, verstärkt durch eine rezessive Entwicklung der Kapitalakkumulation, wollen die Demokraten erneut versuchen, durch staatliche Interventionen – etwa den Green New Deal – die Wirtschaft anzukurbeln und soziale Härten abzufedern. Diese Interventionen sind bei dem hohen Verschuldungsgrad der US-Ökonomie und den harten Auseinandersetzungen um die Verschuldungsgrenze und die Sanierung der öffentlichen Finanzen eine politische Gratwanderung.
Nimmt man Schätzungen etwa des unparteiischen Congressional Budget Office als Grundlage, dürften die von den Demokraten vorgeschlagenen Maßnahmen zur Einnahmeverbesserung bei weitem nicht ausreichen, um das sehr große Haushaltsdefizit der USA auf einem nachhaltigen Niveau zu stabilisieren. Die erhebliche Schräglage der öffentlichen Finanzen[2] ist neben Migration und Rezessionsängsten das dritte gravierende Problem. Immerhin sprach Harris das Defizit, das bisher im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte, überhaupt an.
Unter einer Präsidentin Harris sollen in den USA die Sozialsysteme weiter ausgebaut werden. Als Vizepräsidentin setzte sie sich speziell für die »Care economy« ein, also für günstige Kinderbetreuung und Hilfe für pflegebedürftige Senior*innen. Ihr Wahlkampfteam hat zudem bestätigt, dass sie an Bidens Versprechen festhalten will, die Steuern für Personen, die weniger als 400.000 US-Dollar jährlich verdienen, nicht zu erhöhen. Schon als Senatorin hatte sich Harris für Steuergutschriften für Geringverdiener*innen eingesetzt. Zudem wollte sie die Gehälter von Lehrer*innen erhöhen und das mit Steuererhöhungen für Besserverdienende finanzieren.
Einige Vorschläge der Demokratin sind trotz der kämpferischen Rhetorik moderat. Besonders die »Tax credits« haben viele Befürworter*innen. Auch der republikanische Kandidat fürs Vizepräsidentenamt Vance schlägt höhere Kinderabzüge vor. Und Trump schreibt in einer Reaktion auf die Vorschläge von Harris, wenn sie »ihre kommunistischen Preisobergrenzen« als Präsidentin durchsetze, werde es Hunger und Armut geben, vom sich Amerika nie mehr erhole.
Dieser Ängste und Ressentiments schürenden Rhetorik steht die lebensfrohe, optimistische Botschaft des Kandidatenteams der Demokraten gegenüber. Die Grundthemen des Parteitags der Demokraten sind: Toleranz, Respekt, Solidarität und Freiheit. Man sorgte füreinander, aber zugleich hat jeder das Recht, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Freiheit, sagt Walz, bedeute, dass man seine Träume verwirklichen könne, und nicht die Freiheit der Regierung, das Privatleben der Bürger*innen zu kontrollieren.
»Wir sind heute Abend alle aus einem einfachen Grund hier: Wir lieben dieses Land«, rief der Gouverneur von Minnesota den jubelnden Demokraten zu. »Wir gehen nicht zurück«, lautet der zentrale Slogan gegen die Konservativen, den Walz ebenfalls ins Publikum rief. Nicht zuletzt spielt der Kampfruf auf das Recht auf Abtreibung an, eines der wichtigsten Themen im demokratischen Wahlkampf.
Anmerkungen
[1] Eine ausführliche Einschätzung der ökonomischen und politischen Lage sowie zu den Auseinandersetzungen in den USA erscheint im September-Heft von Sozialismus.de: Joachim Bischoff, Konservative Revolution oder Zukunft der liberalen Demokratie?
[2] Auf das drückende Problem der öffentlichen Finanzen in den USA wird in dem in Anmerkung 1 angesprochenen Beitrag ausführlicher eingegangen.