10. Juni 2025 Redaktion Sozialismus.de: Hintergründe von Trumps autoritärer Abschiebepolitik

Provozierte Proteste und Gewalt

Die für Abschiebungen von Migrant*innen ohne legalen Aufenthaltstitel zuständige US-Grenzschutzbehörde (United States Immigration and Customs Enforcement – ICE) verhaftete Ende der letzten Woche vor einem Baumarkt in Los Angeles wahllos Tagelöhner, die hier wie üblich Arbeit suchten. Dies löste in der Stadt und inzwischen auch anderswo Proteste aus.

Gemäß Angaben der Zeitung Los Angeles Times war es aber vor allem ein Instagram-Video-Post des Lokalpolitikers José Luis Solache, der die Menschen auf die Straße trieb. Er hatte am Samstagmorgen beobachtet, wie sich ICE-Beamte vor einer Dienststelle des Ministeriums für Inlandsicherheit gegenüber vom Baumarkt aufstellten: »Viele Bewohner erscheinen, um zu zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind.«

Bereits am Vortag hatten ICE-Beamte bei Unternehmen in der Stadt vier Razzien durchgeführt. Dabei kam es etwa vor einer Bekleidungsfirma zu spontanen Protesten. Bewaffnete Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen räumten den Weg frei, damit die verhafteten Migranten abtransportiert werden konnten. Als der Gewerkschaftsführer David Huerta protestierte, wurde er zu Boden gestoßen und festgenommen.

US-Präsident Donald Trump scheint Kalifornien – eine Hochburg der Demokraten – zu einem Exempel seiner harten Migrationspolitik machen zu wollen. Der Nachrichtensender CNN kommentiert: »Es ist der Showdown, auf den das Weiße Haus gewartet hat.«. Die Bilder von Protest und Demonstranten mit mexikanischen Fahnen sind für den Präsidenten ein Geschenk. Er nutzt sie, um seine Auffassung von der Zuwanderung als einer »Invasion« bzw. »Besetzung« der USA zu untermauern. Bereits im Mai hatte der stellvertretende Stabschef im Weißen Haus, Stephen Miller, eine Erhöhung der täglichen Festnahmen von Migranten gefordert und soll Abteilungsleitern mit Entlassung gedroht haben, wenn ihre täglichen Quoten zu tief ausfallen.

Die Auswirkungen von Trumps lange angekündigter verschärfter Migrationspolitik werden deutlich. Tausende irregulär eingewanderte Lateinamerikaner*innen wurden festgenommen und viele von ihnen abgeschoben – ungeachtet aller Kritik von Bürger- und Menschenrechtlern. Dafür hatte der Präsident den Notstand an der Grenze der USA zu Mexiko ausgerufen. Zudem hat der US-Kongress mit dem »Lakes Riley Act« bereits ein schärferes Migrationsgesetz beschlossen. Danach sollen Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus nicht nur für schwere Straftaten, sondern auch für geringfügige Vergehen in Einwanderungshaftzentren festgehalten werden, zum Beispiel für Ladendiebstahl.

In der ersten Woche von Trumps zweiter Amtszeit wurden knapp 2.400 Migrant*innen festgenommen, mittlerweile gibt die ICE täglich neue Zahlen bekannt. Die Festnahmen zielen angeblich vor allem auf vorbestrafte Einwanderer Vorstrafen ab. Eine Präsidenten-Sprecherin sprach vergangene Woche von der »größten Massenabschiebung der Geschichte«. Allerdings gab es auch unter der demokratischen Vorgängerregierung von Joe Biden jeden Tag Hunderte Festnahmen – 2024 waren es im Schnitt 311, im Jahr zuvor 467.

Die Abschiebungen könnten in den kommenden Wochen und Monaten noch zunehmen, denn in seiner Antrittsrede am 20. Januar hatte Trump »Millionen und Abermillionen« angekündigt, die abgeschoben werden sollten. Sein »Grenzzar«, der ICE-Direktor Tom Homan, sagte gegenüber dem Sender Fox News: »Sie werden sehen, dass die Zahl der Festnahmen landesweit stetig zunehmen wird.« Dafür brauche es mehr finanzielle Unterstützung durch den Kongress. Die bislang von der Trump-Administration abgeschobenen Migrantinnen und Migranten wurden hauptsächlich nach Mexiko und Guatemala ausgeflogen. Die mexikanische Regierung plant inzwischen entsprechende Aufnahmelager.


Übergang zu autoritärer Politik

Trump zwingt die Demokraten über die Verschärfung der Abschiebepolitik zu einer schwierigen Gratwanderung. Ihre lockere Migrationspolitik hat sie im November den Wahlsieg gekostet. Wie stark würden sie sich nun noch für Migrant*innen einsetzen? Jede Art von Sympathie für papierlose Menschen wird von den Republikanern als Landesverrat und Komplott mit Kriminellen bezeichnet. Für Newt Gingrich, den ehemaligen republikanischen Speaker zeigen der Protest in Los Angeles: »Die eine Seite setzt das Gesetz durch und beschützt Amerikaner, die andere Seite verteidigt Illegale und steht auf der Seite von Gesetzesbrechern.«

Diese autoritäre Migrationspolitik führte zu den Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen. Friedliche Demonstranten blockierten in Los Angeles wichtige Straßen, einzelne beschossen Polizisten mit Feuerwerk, andere Aktivisten nutzen die Situation zu Plünderungen oder zündeten Autos an. Die Polizei setzte Tränengas, Blendgranaten und »nichttödliche« Geschosse ein und untersagte weitere Demonstrationen in der Innenstadt. Trotzdem kam es weiter zu relativ kleinen und mehrheitlich friedlichen Protesten.

Einzelne schlugen in Gewalt um. »ICE raus« wurde skandiert, Abfallsäcke auf der Straße angezündet und Autos der Grenzschutzbehörde mit Steinen beworfen. Das »Chaos« sei zwar auf ein kleines Gebiet begrenzt gewesen, notierte die Los Angeles Times, »aber es war genug, um dramatische Fernsehbilder zu liefern. Und es war ein wichtiger Auslöser für die Trump-Regierung, um 2.000 Soldaten der Nationalgarde nach L.A. zu entsenden.«

Tags darauf ordnete der amerikanische Präsident an, einen Teil der kalifornischen Nationalgarde für 60 Tage unter den Befehl der Bundesregierung zu stellen, um Bundesgebäude und -personal zu beschützen. Denn bei den Protesten in Kalifornien handle es sich »um eine Form der Rebellion gegen die Regierung der Vereinigten Staaten«. Am Montagnachmittag mobilisierte der Präsident weitere 2.000 Nationalgardisten sowie 700 aktive Marines. Noch verzichtet Trump auf die Ausrufung der »Insurrection Act«, der ihm erlauben würde, Militär im Inland auch für Polizeiaufgaben wie etwa Verhaftungen einzusetzen.

George H.W. Bush war der letzte Präsident, der die Nationalgarde mobilisierte, um 1992 schwere Unruhen in Los Angeles unter Kontrolle zu bringen – auf Ersuchen des damaligen Gouverneurs. Trump dagegen überging den aktuellen Gouverneur nicht nur, sondern beleidigte den Demokraten auch als »Abschaum»: »Wenn Gouverneur Gavin Newsom und die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, ihre Arbeit nicht erledigen können, wird die Bundesregierung das Problem lösen«, schrieb er auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Am Montag sprach er sich gar für Newsoms Verhaftung aus.

Newsom und Bass verurteilten die Gewalt. Aber sie warfen Trump vor, die Proteste mit der Entsendung der Nationalgarde gezielt anheizen zu wollen. Der Gouverneur möchte den Präsidenten verklagen: »Donald Trump gießt Benzin ins Feuer. Die Kommandierung der Nationalgarde eines Gliedstaats ohne Absprache mit dem Gouverneur ist illegal und unmoralisch.« Er rief die Demonstranten auf, friedlich zu bleiben und nicht in Trumps Falle zu tappen. Der Aufruf zu seiner Verhaftung sei ein »klarer Schritt hin zum Autoritarismus«.

Die Bürgermeisterin von Los Angeles, ebenfalls eine Demokratie, Bass sagten gegenüber dem Sender Nation Public Radio, die lokalen Polizeikräfte hätten die Proteste im Griff gehabt, die als Reaktion auf die Verhaftungswelle der ICE entstanden waren, »jetzt ist die Stadt ein Pulverfass«. Es seien selbst Migrant*innen festgenommen worden, die zu regulären Interviewterminen mit den Einwanderungsbehörden erschienen waren – auch solche mit Kindern, die amerikanische Staatsbürger sind. Viele Einwandererfamilien in den USA fürchten derzeit, zerrissen zu werden.


Wer sind die Einwanderer ohne legalen Aufenthaltstitel?

Die Zahl der illegalen Einwanderer in den USA dürfte in den letzten zwei Jahren gestiegen sein, wie verschiedene alternative Datenquellen zeigen. So erreichten beispielsweise die Begegnungen mit Migrant*innen an den US-Grenzen im Zeitraum 2022/23 Rekordwerte , und die Zahl der Antragsteller, die auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag warten , stieg bis Ende 2023 um etwa eine Million.

Darüber hinaus wurden bis Dezember 2023 im Rahmen zweier Bundesprogramme – dem Programm für Kubaner, Haitianer, Nicaraguaner und Venezolaner (CHNV ) und dem Programm »Uniting for Ukraine« (U4U) – rund 500.000 neue Einwanderer auf Bewährung ins Land gelassen. Gruppen wie diese wurden traditionell als Teil der nicht autorisierten Einwandererbevölkerung betrachtet, doch in den Schätzungen für 2022 taucht fast keine von ihnen auf.

Laut Schätzungen des Pew Research Center aus dem Juli 2024, auf denen die folgenden Angaben beruhen, betrug die Zahl der illegalen Einwanderer in den 11,0 Millionen im Jahr 2022. Diese basieren auf der American Community Survey 2022, dem aktuellsten verfügbaren Jahr. Der Anstieg von 10,5 Millionen im Jahr 2021 kehrte einen langfristigen Abwärtstrend von 2007 bis 2019 um. Dies ist der erste anhaltende Anstieg der Zahl der illegalen Einwanderer seit dem Zeitraum von 2005 bis 2007. Allerdings lag die Zahl der illegalen Einwanderer, die 2022 in den USA lebten, immer noch unter dem Höchststand von 12,2 Millionen im Jahr 2007.

  • Die Zahl der illegalen Einwanderer aus Mexiko ist von einem Höchststand von 6,9 Millionen im Jahr 2007 auf 4,0 Millionen im Jahr 2022 gesunken. Mexiko war lange Zeit das häufigste Geburtsland für illegale Einwanderer und bleibt dies auch weiterhin .
  • Von 2019 bis 2022 wuchs die Zahl der illegalen Einwanderer aus nahezu allen Regionen der Welt, vor allem aber aus der Karibik, Südamerika, Asien, Europa und Afrika südlich der Sahara.
  • Die Zahl der illegalen Einwanderer stieg zwischen 2019 und 2022 in sechs Bundesstaaten – Florida, Maryland, Massachusetts, New Jersey, New York und Texas. Nur in Kalifornien war ein Rückgang zu verzeichnen.
  • Im Jahr 2022 waren rund 8,3 Millionen US-Arbeitnehmer illegale Einwanderer, ein Anstieg gegenüber 7,4 Millionen im Jahr 2019. Die Zahl für 2022 entspricht im Wesentlichen den bisherigen Höchstwerten aus den Jahren 2008 und 2011.

Im Jahr 2022 machten illegale Einwanderer 3,3% der US-Gesamtbevölkerung und 23% der im Ausland geborenen Bevölkerung aus. Diese Anteile lagen unter den Spitzenwerten von 2007, aber etwas über den Werten von 2019. Gleichzeitig wuchs die Zahl der legalen Einwanderer stetig von 24,1 Millionen im Jahr 2000 auf 36,9 Millionen im Jahr 2022. Dieses Wachstum war auf den rasanten Anstieg der Einbürgerungen von 10,7 Millionen auf 23,4 Millionen zurückzuführen. Die Zahl der legalen Daueraufenthalter sank leicht von 11,9 Millionen auf 11,5 Millionen. Infolgedessen waren im Jahr 2022 49 % aller Einwanderer eingebürgerte US-Bürger.

In 6,3 Millionen Haushalten mit insgesamt über 22 Millionen Einwohnern leben illegale Einwanderer. Diese Haushalte machen 4,8% der 130 Millionen US-Haushalte aus. In 86% dieser Haushalte handelt es sich entweder beim Haushaltsvorstand oder dessen Ehepartner um einen illegalen Einwanderer. Fast 70% dieser Haushalte gelten als Haushalte mit »gemischtem Status«, was bedeutet, dass in ihnen auch legale Einwanderer oder in den USA geborene Einwohner leben. In nur etwa 5% dieser Haushalte sind die illegalen Einwanderer nicht mit dem Haushaltsvorstand oder Ehepartner verwandt. In diesen Fällen handelt es sich wahrscheinlich um Arbeitnehmer oder Mitbewohner.

Von den 22 Millionen Menschen, die in Haushalten mit illegalen Einwanderern leben, sind 11 Millionen in den USA geboren oder haben dort legale Aufenthaltsgenehmigungen. Dazu gehören 1,3 Millionen in den USA geborene Erwachsene, die Kinder illegaler Einwanderer sind, außerdem 1,4 Millionen andere in den USA geborene Erwachsene und 3,0 Millionen legal eingewanderte Erwachsene.

Etwa 4,4 Millionen in den USA geborene Kinder unter 18 Jahren leben mit einem nicht autorisierten eingewanderten Elternteil zusammen. Dies entspricht etwa 84% aller minderjährigen Kinder, die mit einem nicht autorisierten eingewanderten Elternteil zusammenleben. Insgesamt sind im Jahr 2022 etwa 850.000 Kinder unter 18 Jahren nicht autorisierte Einwanderer.


Wie laufen die massiv forcierten Abschiebungen ab?

Grundsätzlich wird nach der Festnahme von einem US-Gericht über die Abschiebung von Migrant*innen entschieden, die keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Im Falle einer Entscheidung zur Abschiebung werden sie mit Maschinen der US-Armee oder zivilen Flugzeugen in ihre Herkunftsländer gebracht und den dortigen Behörden übergeben.

Trumps Strategie besteht darin, die Zahl zu erhöhen und noch schneller abzuschieben. Eine seiner ersten Maßnahmen war die Abschaltung der App »CBP One«, die es Migranten ermöglichte, online Asylanträge zu stellen und Termine zu vereinbaren. Durch die Abschaltung wurden auch bereits vereinbarte Asyltermine storniert.

Die US-Regierung teilte vergangene Woche zudem mit, dass irregulär eingewanderte Menschen künftig auch in Kirchen, Schulen und Krankenhäusern festgenommen werden können. Rein rechtlich war dies bereits vorher möglich. Doch eine Sonderregelung sah bislang vor, dass Beamte der US-Einwanderungspolizei nicht ohne spezielle Genehmigung an solch »sensiblen Orten« tätig wurden.

Vor allem die derzeitigen Abschiebungen lateinamerikanischer Migrant*innen werden öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt. Unter anderem präsentiert das Weiße Haus auf seinem Social-Media-Account Aufnahmen »krimineller« Migranten. Die Festnahmen und Abschiebungen werden auch deshalb als besonders brutal wahrgenommen. Neben Kolumbien hat auch Brasilien bereits einen menschenunwürdigen Umgang bei den Abschiebungen beklagt.

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