9. April 2020 Otto König/Richard Detje: Ostermarsch 2020 – Rüstungsausgaben reduzieren und Geld ins Gesundheitswesen investieren!

»Raserei des Virus offenbart Narretei des Krieges«

Mitten in der Corona-Krise richtete UN-Generalsekretär António Guterres einen eindringlichen Appell an die Weltbevölkerung und deren Regierungen: »Die Raserei des Virus offenbart die Narretei des Krieges«.

Vor dem Hintergrund, dass die Corona-Pandemie eine Bedrohung für alle darstellt – unabhängig von Nationalität, Ethnizität und Glauben, appellierte Guterres an alle Konfliktparteien auf dem Globus: »Ziehen Sie sich von allen Kampfhandlungen zurück. Bringen Sie die Gewehre zum Schweigen, stoppen Sie die Artillerie, beenden Sie die Luftschläge«. Es ist an der Zeit, sich gemeinsam »auf den wahren Kampf unseres Lebens zu konzentrieren.«

Wenige Tage zuvor hatte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ebenfalls an die Öffentlichkeit gewandt und sich damit gebrüstet, dass die Einsatzbereitschaft des transatlantischen Militärbündnisses trotz der Pandemie nicht eingeschränkt wäre: »Unsere Arbeit geht weiter; einschließlich der multinationalen Battlegroups im Osten des Bündnisgebietes; dem NATO Air Policing; unserer Marine-Einsätze; und unserer Einsätze von Afghanistan bis in den Kosovo«. Gleichzeitig appellierte der militaristischen Hardliner an die Regierungen der Mitgliedstaaten, »trotz der zu erwartenden finanziellen und ökonomischen Einbußen an der Erhöhung der Rüstungsausgaben festzuhalten«.

Angesichts der von der Johns Hopkins Universität bestätigten Zahlen, dass weltweit 1,3 Millionen Menschen sich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert haben und bereits mehr als 70.000 Menschen (Stand: 6.4.2020) daran gestorben sind, ist das Beharren Stoltenbergs darauf, dass die NATO-Staaten bis 2024 mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär aufwenden sollen, infam. Schon heute geben die 29 NATO-Mitglieder 52% der globalen Militärausgaben in Höhe von 1822 Milliarden US-Dollar aus.

Während die Welt unter dem Corona-Virus ächzt, floriert der globale Waffenhandel. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat für die vergangenen fünf Jahre von 2015 bis 2019 eine »dramatische Steigerung« der Rüstungsexporte ermittelt. Wie aus dem im März veröffentlichten »Fact Sheet, Trends in International Arms Transfers, 2019«[1] hervorgeht, stammen 60% aller globalen Waffenexporte aus Waffenschmieden der USA (36%) und der EU (24%).

Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der größte Waffenhändler der Welt. Auf Platz 2 der Waffenexporteure steht Russland, dessen Anteil sich jedoch von 27% auf 21% verringert hat, gefolgt von Frankreich (7,9%) und Deutschland (5,8%) auf Rang vier, noch vor China (5,5%). Diese Top fünf Länder liefern fast dreiviertel (74,2%) des schweren Kriegsgeräts an Abnehmer in den USA und Europa, aber auch in die Kriegs- und Krisenregionen im Nahen und Mittleren Osten. Mit 51% gingen zwischen 2015 und 2019 mehr als die Hälfte der US-Kriegsmaterialexporte auf die arabische Halbinsel. Hier befinden sich laut SIPRI sechs der zehn größten Importeure von Kriegsgerät.

Vor allem Saudi-Arabien hat seine Rüstungskäufe um 130% aufgestockt und ist mit einem Anteil von 12% am Weltmarkt größter Abnehmer schwerer Waffen wie Kampfflugzeuge, präzisionsgelenkte Bomben, Panzern und anderen todbringenden Produkten. Neben der Krisenregion am Persischen Golf rüsten die NATO-Staaten insbesondere potenzielle Rivalen Chinas auf. So ist Australien viertgrößter Waffenimporteur, das zuletzt 4,9% aller Einfuhren schwerer Waffen weltweit tätigte. Siebtgrößter Waffenimporteur der Welt ist Südkorea (3,4%), das im Zeitraum von 2015 bis 2019 beinahe ein Drittel seiner Rüstungskäufe in Deutschland getätigt hat.

Obwohl die Bundesregierung immer wieder betont, dass sie eine »restriktive« Rüstungsexportpolitik betreibe, gehört die deutsche Rüstungsindustrie mit einem Plus von 17% in den vergangenen fünf Jahren zu den »Gewinnern«. Dazu haben die Waffenlieferungen nach Südkorea, Ägypten, Griechenland, Kolumbien, Italien und Israel beigetragen; diese machten insgesamt 39% der deutschen Gesamtausfuhren aus.

Der jüngste Rüstungsexportbericht der GroKo vom November 2019 bestätigt, dass im ersten Halbjahr 2019 Rüstungsexporte im Wert von über 800 Millionen Euro an Ägypten sowie der Verkauf von Ortungsradar an die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt wurden, die aktiv am Krieg im Jemen beteiligt waren. Dass die Nahost-Exporte mit einem Anteil von 24% deutlich niedriger lagen als bei den wichtigsten Konkurrenten im Waffengeschäft, ist darauf zurückzuführen, dass seit Herbst 2018 Saudi-Arabien als Großkunde für deutsche Rüstungsschmieden ausgefallen ist.[2]

Für den Vorstandschef der Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall handelt es sich, wie er Anfang März verkündete, um einen »Super-Zyklus« der Rüstungsindustrie, der dem Unternehmen ein sattes Umsatzwachstum und Auftragseingänge in Rekordhöhe beschert. Während der Unternehmensbereich Automotive wegen der Schwäche der Automobilbranche im Jahr 2019 um 6,6% einbrach, hatte die Rüstungssparte eine Steigerung um 9,4% auf über 3,5 Milliarden Euro zu verzeichnen. Das operative Ergebnis stieg um 35% (!) auf 343 Millionen Euro. Als international agierender Systemanbieter für die Streitkräfte profitierte Rheinmetall vom anhaltenden Boom im wehrtechnischen Geschäft.[3]

Die weiteren Geschäftsperspektiven sind ausgezeichnet. Hintergrund ist die massive Aufrüstung vor allem der westlichen Staaten. Da diese in ihren Budgets anschwellende Wehrhaushalte »auf Jahre hinaus fest eingeplant« haben, könne »die Rüstungsbranche ... als krisensicher« gelten, insbesondere auch in Zeiten der Corona-Pandemie, urteilen Börsen-Analysten und stufen »Rüstungsaktien zurzeit als äußerst lukrativ ein«. So wird der Wehretat für die Bundeswehr in diesem Jahr auf 45,1 Milliarden Euro steigen und die Rüstungsetats der europäischen Staaten werden zusammen 300 Milliarden Euro übertreffen. Allein für das US-Militärbudget ist im Jahr 2020 ein Betrag von 704,6 Milliarden US-Dollar beschlossen worden (Telepolis 17.2.2020).

Während die Vereinigten Staaten in die Modernisierung ihrer Atomwaffen und in neue Mittelstreckenraketen investieren, werden von den europäischen Staaten vor allem neue Kampfflugzeuge angeschafft, so das SIPRI-Institut. Westeuropäische Staaten gaben Ende 2019 Bestellungen für 380 Exemplare der Modelle F-35s und F-16s des US-amerikanischen Herstellers Lockheed Martin.

In Deutschland soll die überalterte Tornado-Flotte der Bundeswehr vom Jahr 2025 an durch bis zu 90 weitere Eurofighter-Jets sowie 45 F-18-Kampflugzeuge des US-Herstellers Boeing abgelöst werden. Dabei seien 30 der F-18 in der Version »Super Hornet« für die »Nukleare Teilhabe« vorgesehen, 15 weitere F-18 »Growler« für den »elektronischen Luftkampf« – das Stören, Niederhalten und Bekämpfen gegnerischer Luftabwehrstellungen.

Die Eurofighter seien für »den Einsatz konventioneller Bomben und als Jagdflugzeug« gedacht.[4] Darüber hinaus steht das kostspielige Großprojekt – der neue deutsch-französischen Kampfjet (Future Combat Air System, FCAS) –, für den laut Schätzungen mindestens 90, womöglich sogar mehr als 100 Milliarden Euro ausgegeben werden müssen, in den Startlöchern.

Für Friedensaktivist*innen ist dies Grund genug, unablässig für Frieden, Abrüstung und eine gerechte Welt zu streiten. Doch ausgerechnet im 60. Jahr der Ostermarschbewegung[5] können Forderungen wie »abrüsten statt aufrüsten«, sofortiger Stopp aller Waffenexporte und Einstieg in Rüstungskonversion, Beitritt Deutschlands zum Verbotsvertrag von Atomwaffen, keine Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa nicht auf die Straßen und Plätze getragen werden. Wegen der Corona-Pandemie haben die Landesregierungen Kontaktverbote für Gruppen ab zwei bzw. drei Personen bis mindestens zum Ende der Osterferien ausgesprochen und damit faktisch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aufgehoben.

Dennoch will die Friedens- und Antiatombewegung nicht auf Proteste verzichten. Mit dem Hinweis, dass Spaziergänge von bis zu zwei Personen nicht nur erlaubt, sondern für die »Erhaltung körperlichen Wohlergehens und geistiger Munterkeit förderlich und sinnvoll« sind, rufen beispielsweise die Kölner Friedensfreunde am Ostersamstag dazu auf, um 14.00 Uhr vom Heinrich-Böll-Platz aus mit mindestens zwei Metern Abstand zu anderen Spaziergängern im Gänsemarsch mit Fahnen oder beschrifteten Plakaten zum Kennedy-Ufer zu laufen. Zuvor startet um 12.00 Uhr der Online-Marsch des »Ostermarsch Rhein Ruhr« mit einem Videozusammenschnitt mit Musik und kurzen Redebeiträgen (www.ostermarsch-ruhr.de).

»Die Corona-Krise führt uns vor Augen, wie wichtig ein funktionierendes und gut ausgestattetes Gesundheitssystem ist«, heißt es in dem Aufruf »Geld für Gesundheit statt für Rüstung!« Jahrelang seien wichtige Bereiche im Gesundheitswesen privatisiert und beim Personal gespart worden, während die Bundesregierung gleichzeitig Milliarden Euro für Rüstung und Militär ausgegeben hat.

Die staatlichen Ausgaben für Verteidigung machen rund 12% (45 Mrd. Euro) des Bundeshaushalts aus, die für Gesundheit lediglich 4% (15 Mrd. Euro). Doch statt mehr Geld für Panzer oder Kampfflugzeuge auszugeben, müsse dies für die Finanzierung von mehr Intensivstationen und vor allem für gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal eingesetzt werden. Die Bundesregierung sowie alle Bundestagsabgeordneten werden aufgefordert, die »Rüstungsausgaben zu reduzieren und das Geld stattdessen in das Gesundheitswesen zu investieren.«

Weitere Aktivitäten an Ostern können auf der Website www.friedenskooperative.de eingesehen und der erwähnte Aufruf unter https://www.friedenskooperative.de/gesundheit-statt-ruestung unterzeichnet werden.

Anmerkungen

[1] »Die USA und Frankreich erhöhen die großen Waffenexporte dramatisch«, SIPRI 9.3.2020.
[2] SPD und CDU/CSU hatten sich im März 2018 im Koalitionsvertrag auf einen Rüstungsexportstopp für die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligten Länder – zu denen Saudi-Arabien gehört – verständigt. Ein kompletter Exportstopp gegen Saudi-Arabien wurde jedoch erst ein halbes Jahr später nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi verhängt und seitdem zweimal verlängert – zuletzt bis zum 31. März 2020. Eine Entscheidung über eine weitere Verlängerung steht noch aus.
[3] Siehe auch: »Der »Super-Zyklus« der Rüstungsindustrie«, german-foreign-policy.com vom 3.3.2020.
[4] Siehe auch Jürgen Wagner: Fauler Tornado-Kompromiss, IMI-Analyse 2020/17.
[5] Am Karfreitag vor 60 Jahren starteten am 15. April 1960 Atomkriegsgegner zum ersten Ostermarsch in Deutschland. Aus Bremen, Hamburg, Braunschweig und Hannover sind kleine Gruppen von Protestierenden zu Sternmärschen zum NATO-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne im Süden der Lüneburger Heide aufgebrochen. 1963 nannte sich die Bewegung offiziell in »Kampagne für Abrüstung« um. Der Protest richtet sich nicht mehr nur allein gegen Atomwaffen: Die Ostermarschierer gehen für den Frieden auf die Straße, für totalen Waffenverzicht und für gute Beziehungen zwischen den Ländern. 1968 erreichte die westdeutsche Ostermarsch-Bewegung ihren Höhepunkt, 300.000 Menschen nehmen an Kundgebungen teil.

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