28. August 2018 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: AfD sympathisiert offen mit dem Mob in Chemnitz

Rechter Sumpf

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Bei Protesten am Sonntagnachmittag sind in Chemnitz mehrere Hundert Demonstranten durch die Innenstadt gezogen. Unter ihnen waren gewaltbereite Rechte, die gegen »Ausländerkriminalität« protestierten. Es war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen 35 Jahre alten Mann beim Chemnitzer Stadtfest.

Die rechte Ultra-Fußballvereinigung »Kaotic Chemnitz« rief zu dieser Demonstration auf – »Lasst uns zusammen zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat!«, so die rechtsextremen Hooligans auf Facebook. 800 Menschen, darunter viele Jugendliche, aber auch Familien mit Kindern, zogen durch die Stadt. Dabei kam es z.T. zu einer regelrechten Hetzjagd auf vermeintliche Migrant*innen. Aus der Menge wurden Parolen wie »Ausländer raus«, »Wir sind das Volk« und »Das ist unsere Stadt« gerufen.

Die Polizei war anfangs nur mit zwei Einsatzzügen vor Ort und mit der Situation völlig überfordert. Ihre Versuche, mit den Demonstranten zu reden oder ihnen den Weg abzuschneiden, scheiterten. Sie wurden überrannt und mit Flaschen beworfen. Die Polizei war überrascht und konnte letztlich Angriffe auf Migrant*innen nicht unterbinden.

Am Montag kam es erneut zu einer Demonstration des »rechten Milieus«, organisiert von der Bürgerbewegung »Pro Chemnitz«, einer Vorläuferpartei der AfD im Stadtrat, die von einer Gegendemonstration des Bündnisses »Chemnitz Nazifrei« begleitet wurde. Nachdem sich beide Demonstrationen am Montagabend aufgelöst hatten, räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. Man habe mit einigen Hundert Teilnehmer*innen gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl. »Der Einsatz verlief nicht störungsfrei.« Noch am Nachmittag hatte Polizeipräsidentin Sonja Penzel versichert, es seien ausreichend Kräfte angefordert worden. Es werde nicht zugelassen, dass Chaoten die Stadt vereinnahmen.

Eine Eskalation und ein Aufeinandertreffen der beiden Lager konnte nur mit Mühe verhindert werden. Die Polizei hatte auch Wasserwerfer aufgefahren. Beobachter gehen davon aus, dass die Situation in der Stadt zunächst angespannt bleiben wird. Innenminister Roland Wöller (CDU) bezeichnete die Geschehnisse als »neue Dimension der Eskalation«. Man werde Gewaltbereiten und Chaoten nicht die Straße überlassen, sondern den Rechtsstaat durchsetzen, sagte er. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach in Berlin von »Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens«. Der sächsische Generalstaatsanwalt, Hans Strobl, zog am Montag die Ermittlungen an sich und beauftragte die Sondereinheit »Zentralstelle Extremismus Sachsen«.

Von Seiten der organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen wird zu Recht beklagt: »Man sieht zum wiederholten Mal, dass es rechten Hooligans gelingt, so zu mobilisieren, dass die Sicherheitskräfte erst einmal überfordert sind. Das hat sich schon mehrfach gezeigt, in Köln, Heidenau, Freital und Clausnitz. Dass die Sicherheitskräfte davon so überrascht werden, das macht mir ehrlich gesagt größere Sorge als die Menge, die sich zusammenfindet.« Von Seiten der Polizei dürfe es »null Toleranz für Selbstjustiz geben«.

Die Kundgebung und ihre Teilnehmer*innen gleichen den vielen anderen Versammlungen dieser Art, die es seit zwei, drei Jahren vor allem in ostdeutschen Bundesländern gibt: Zuletzt war das brandenburgische Cottbus ein Zentrum des Konflikts, wo Demonstrationen des rechten Vereins »Zukunft Heimat« großen Zulauf fanden.

Jetzt also Chemnitz. Die Parolen gleichen sich: »Lügenpresse«, »Merkel muss weg oder gleich ins Gefängnis«, »Deutschland gehört uns«, »Politiker sind Volksverräter« und »Der Islam ein Verbrechen«. Die meisten Demonstrant*innen kommen dabei nicht etwa, wie immer wieder vermutet wird, von außerhalb, sondern aus der Stadt und der näheren Region.

Aus den Reihen der AfD gibt es offene Unterstützung für die Aktionen. Markus Frohnmaier, ein Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, nimmt selbst gewaltbereite Demonstranten in Schutz. Er twitterte: »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!« Es sei Bürgerpflicht, die »todbringende ›Messermigration‹« zu stoppen.

Auch Alice Weidel, die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, mischte sich in die Geschehnisse um Chemnitz ein. Sie beklagte sich über die deutschen Medien, die die Nationalitäten der Mörder nicht nennen und gleichzeitig die Demonstranten als »marschierende Rechte« bezeichnen würden. Mittlerweile hat Weidel den Tweet kommentarlos gelöscht. Die Gruppierung »Kaotic Chemnitz«, die zur Demonstration aufgerufen hat, wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.

Geht ein neuer Riss durch Deutschland? Die AfD hat in den ostdeutschen Bundesländern 21,5% der Stimmen geholt. Im vergleichsweise wirtschaftsstarken Sachsen mit seinen Boomstädten Dresden und Leipzig errang sie mit 27% sogar mehr Stimmen als die CDU und ist damit stärkste Partei. Diese Resultate machen deutlich, dass Ost und West selbst nach fast 30 Jahren immer noch nicht so stark zusammengewachsen sind, wie man sich das im politischen Berlin gerne einredet. Zumindest die Annahme, die Kluft zwischen Ost und West werde allmählich kleiner, trifft nicht zu.

Die AfD hat in Ostdeutschland viele Hochburgen und diese können sich auf entsprechende Milieus und Anschauungsweisen in der Zivilgesellschaft stützen. Den Grund für ihren Erfolg vor allem in der Sonderentwicklung der früheren DDR und den Verwerfungen bei der Vereinigung zu suchen, geht allerdings in die Irre – auch wenn richtig ist, dass Sachsen schon seit längerem wegen deutlicher Rechtstendenzen in der Zivilgesellschaft, aber auch der Verwaltung und in der CDU aufgefallen war: wegen Pegida, fremdenfeindlichen Aktionen und der Tolerierung rechter Auffassungen.

In den anderen vier ostdeutschen Ländern kam die Partei hinter der CDU jeweils auf den zweiten Platz, in Brandenburg (20,2%) und Thüringen (22,7%) knapp über 20%, in Sachsen-Anhalt (19,6%) und Mecklenburg-Vorpommern (18,6%) knapp unter 20%. In Ostdeutschland und vor allem in Sachsen sind Teile der Bevölkerung nicht in der neuen kosmopolitischen Gesellschaft angekommen: Sie wollen nicht mehr Diversität, nicht mehr Offenheit. Sie glauben, die Politiker*innen wollen möglicherweise ganz bewusst »ihre« Gesellschaft zerstören.

Der zerstörerische Rechtstrend für das Parteiensystem ist nicht so sehr das Resultat ideologischer Überzeugungen (außer für Minderheiten), sondern das Resultat einer immensen Wut, die sich – anfänglich ohne Adressaten – in den in den meisten kapitalistischen Gesellschaften seit längerem aufgebaut hat. Dieses Empfinden von Ohnmacht und Wut speist sich aus Abstiegs- und Zukunftsängsten.[1]

Auch wenn es in Ostdeutschland wenig Migrant*innen ohne deutschen Pass gibt, fühlt man sich von der Flüchtlingsmigration in der Lebensweise und in der Arbeitswelt bedroht. Man hat Vorbehalte gegen »Multikulti«, wie es sie Anfang der 1970er Jahre auch in Westdeutschland gab. Da Flüchtlinge – wenn überhaupt – vor allem in einfacheren Jobs Arbeitsplätze finden, werden sie von schlecht Qualifizierten als Konkurrenz gesehen. Hinzu kommt generell das Gefühl der Benachteiligung, das viele ältere Ostdeutsche empfinden.

Längst ist mit rechten Aktionen wie jetzt erneut in Chemnitz eine Grenze überschritten. Wenn dort unter AfD-Flaggen demonstrativ der Hitlergruß gezeigt wird, dann wird deutlich, wie stark der rechte Mob sich bereits ausgebreitet hat, ohne Scheu provoziert und gewalttätig agiert. Wenn gleichzeitig Polizei, Behörden und der Rechtsstaat überfordert sind, der rechtsextremen Gewalt wirksam Einhalt zu gebieten, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass die gern beschworene Staatsmacht viel zu oft auf dem rechten Auge blind ist und von den staatlichen Organen viel zulange mit einer energischen Gegenwehr gezögert wurde.

Ein Faktor für die Eruption rechter Gewalt gerade in Sachsen ist, dass die Politik, namentlich die sächsische Union und Ministerpräsident Michael Kretschmer sich dieser seit langem nicht konsequent entgegengestellt haben. Vor allem die herrschende CDU verfolgt das Muster, die Vorfälle kleinzureden und zu verharmlosen. Es mangelt an entschiedener Gegenwehr, die offenkundig nicht mehr aus der demokratischen Zivilgesellschaft allein mobilisiert werden kann.

[1] Vgl. dazu ausführlicher Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Die moderne Rechte in der Berliner Republik, in: Sozialismus Heft 3/2018; sowie zu anderen westeuropäischen Länder Klaus Busch/Joachim Bischoff/Hajo Funke, Rechtspopulistische Zerstörung Europas?, Hamburg 2018.

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