7. September 2022 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Vor den Parlamentswahlen in Schweden

Rechtspopulisten im Höhenflug

Am 11. September 2022 wird der schwedische Reichstag gewählt. Neben der Parlamentswahl stehen am selben Tag auch die Wahlen der Provinziallandtage und der Gemeinderäte an.

Mehr als 100 Parteien stehen 2022 zur Wahl. In einer Wahlumfrage des SIFO (Swedish Institute for Opinion Surveys) liegt die sozialdemokratische Partei (Socialdemokraterna) der Ministerpräsidentin Magdalena Andersson deutlich vor den rechtsradikalen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna).

Bis zum 30. November 2021 war der Sozialdemokrat Stefan Löfven schwedischer Ministerpräsident. Löfven hatte sieben Jahre lang eine Minderheitsregierung angeführt. Anfang November 2021 hatte der Politiker zunächst den Parteivorsitz an seine Parteikollegin Andersson abgegeben, zwei Wochen später folgte sein Rücktritt als Ministerpräsident.

Mit seinem Rücktritt wollte Löfven seiner im Umfragetief liegenden Partei bessere Chancen bei der Parlamentswahl 2022 bieten. Andersson, zuvor Finanzministerin, ist die erste Ministerpräsidentin Schwedens. Sie führt eine Minderheitsregierung an, die von drei Parteien toleriert wird – von der Zentrumspartei (Centerpartiet), Grünen und Linken.

Die Sozialdemokraten bewegen sich in den Umfragen zwischen 25 und 30%, sind also nach wie vor stärkste politische Kraft. Seit 2014 führen sie in wechselnden Konstellationen die Regierung an. In den vergangenen Jahren stand diese Regierung auf besonders wackligen Füßen.

Nachdem die Sozialdemokraten erkannt hatten, dass ein dritter Wahlkampf mit Ex-Ministerpräsident Stefan Löfven als Spitzenkandidat nicht zum Erfolg geführt hätte, wechselten sie ihre Führung aus. Mit Andersson gelang der Partei ein Neustart.

Der Wahlkampf wurde durch das Themenfeld Ordnung und Sicherheit, Ghettobildung und Migration beherrscht. Die konservative und rechte Opposition punktet hier deutlich. Und es gelingt ihr, der Regierung die Schuld für die seit August explodierenden Stromrechnungen zu zuzuweisen.

Umfragen zeigen, dass die Sozialdemokraten bei anderen Themenfeldern dominieren. An erster Stelle steht das Gesundheitswesen, gefolgt von Ordnung und Sicherheit sowie der Schul- und Bildungspolitik. Platz 4 belegt das Thema Zuwanderung und Integration, Platz 5 die Energiepolitik. Gesundheitswesen, Schule und Bildung sind die Bereiche, in denen die Sozialdemokraten nach Meinung der Befragten die besten politischen Rezepte haben.

In Umfragen liegt ein möglicher Block aus Sozialdemokraten, Linken, Grünen und Zentrumspartei kurz vor der Wahl in etwa gleichauf mit dem liberal-konservativen Lager um die Partei Moderaterna.

Die Umfragen weisen die Rechtspopulisten kontinuierlich als zweitstärkste Partei aus. Damit haben sie auch die bislang stärkste bürgerliche Kraft, die Moderaten unter Parteichef Ulf Kristersson, überholt. Dass sie künftig Teil einer konservativ-bürgerlichen Regierung werden könnten, ist immer noch umstritten.

Gleichwohl präsentieren sich die von den anderen politischen Parteien bislang geächteten rechten Schwedendemokraten zum ersten Mal als Teil des bürgerlichen Oppositionsblocks. Deren rhetorisch gewandter Parteichef Jimmie Åkesson träumt davon, Schweden zum Land mit der »geringsten Einwanderung in Europa« zu machen. »Es gibt keinen anderen Faktor, der Schweden so sehr und so negativ beeinflusst hat wie die große, unkontrollierte und nachlässige Migrationspolitik«, sagte er im Wahlkampf.

Während der letzten Jahrzehnte standen die schwedischen Regierungen für eine liberale Einwanderungspolitik. Sie hießen die Migrant*innen und Flüchtlinge als Arbeitskräfte willkommen, und betonten die kulturelle Bereicherung. Erst mit der Flüchtlingskrise 2015, als 160.000 Flüchtlinge nach Schweden kamen, wurden die Sozialdemokraten mit einer Haltung der Überforderung durch größere Teile der Bevölkerung konfrontiert. Sie bremsten die Asylgewährung. Trotzdem hat Schweden pro Kopf immer noch eine höhere Einwanderung als die Nachbarländer und zudem in der EU den höchsten Anteil von außereuropäischen Migrant*innen.

Aber die Integration stellte sich mehr und mehr als Problemfeld heraus. Einwanderer leben in den von alten Wohnblöcken geprägten Vororten oft in ihrer eigenen Kultur und Sprache, was den Weg zu Bildung und Arbeit erschwert. Es entstand eine Parallelgesellschaft, für die sich die übrige Bevölkerung kaum interessierte – bis die Kriminalität überdeutlich sichtbar wurde.

Die Sozialdemokraten haben unter ihrer neuen Führung ihre Position in der Migrationspolitik deutlich verschärft. In Anlehnung an die sozialdemokratische Regierungschefin Dänemarks, Mette Frederiksen, die in den letzten Jahren die Schraube in der Einwanderungs- und Integrationspolitik stark angezogen hat, gehen auch die Genoss*innen in Schweden zu einer härteren Migrationspolitik über. Damit werden aber zugleich die Spannungen innerhalb der tolerierten Minderheitsregierung verstärkt. Grüne und Linke sind nicht bereit, diese Verschärfungen in Kauf zu nehmen.

Die Koalitionsbildung nach der Wahl dürfte wieder schwierig werden. Denn die Programmatik der Parteien geht in vielen Bereichen deutlich auseinander. Das gilt nicht nur für den Umgang mit Kriminalität und Einwanderung, sondern etwa auch für die für viele Wähler*innen enorm wichtige Gesundheitspolitik. Auch die Inflation und die hohen Energiepreise bewegen die Schwed*innen vor der Wahl.

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