24. Juli 2019 Rainer Benecke/Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Rechtspopulisten und die Rentenfrage

Foto: anaterate/pixabay (gemeinfrei)

Die AfD präsentiert sich als Partei der »Kleinen Leute«. Vor allem bei einem zentralen Thema bleibt sie ohne eine abgestimmte Konzeption. Ein Sonderparteitag zur Rentenpolitik wird wegen internen Streits auf 2020 verschoben.

Ursprünglich wollte die Partei mit dem Rentenkonzept in den Wahlkampf in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ziehen. Laut Umfragen kann sie dort dennoch mit guten Ergebnissen rechnen.

Beispiel Thüringen: Rentner*innen in Thüringen bekommen die niedrigsten Altersrenten in ganz Deutschland. Frauen beziehen durchschnittlich nur 971 Euro, Männer 1.225 Euro. Besonders die Situation der in der DDR geschiedenen Frauen war und ist bedrohlich. Wegen Mängel im Einigungsvertrag sind sie besonders schlecht gestellt und können häufig nur durch weitere Arbeit oder Hilfe aus dem Familienkreis existieren.

Zuletzt im Mai 2019 debattierte der Bundestag erneut über die Integration des DDR-Rentenrechts in das geltende deutsche Recht. Den Antrag der Linken, die Prämien in Ost und West rentenrechtlich gleichzusetzen, lehnten alle anderen Fraktionen ab. Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringens, forderte angesichts dieser Situation ein weiteres Mal mehr Gerechtigkeit für die Menschen im Osten. »Wir müssen endlich die Lebensleistungen von Ostdeutschen im Rentenversicherungsrecht anerkennen«, sagte er als Redner in dieser Debatte.

Die AfD stimmte dem Antrag zu – ein weiteres Indiz dafür, dass der national-soziale Flügel in der AfD um den Thüringer Fraktions- und Landesparteivorsitzenden Björn Höcke weiter an Einfluss gewinnt. Höcke selber hat eine Strategie, was man von etlichen Gefolgsleuten nicht sagen kann: »Die soziale Frage war das Kronjuwel der Linken, es war ihre Existenzgarantie. Und wenn wir als AfD glaubwürdig bleiben und entschlossen bleiben, dann können wir der Linken dieses Kronjuwel jetzt abjagen! Und das sollten wir tun!« Es geht um Ausbau der politischen Macht, nicht um Sorge und Einsicht über steigende Altersarmut. Außerdem verdreht seine thüringische AfD richtige soziale Analysen zu nationalistischen und damit unsozialen Forderungen.

Die Sozialpolitik ist in der AfD so umstritten wie wenige andere Themen, hier stehen sich Wirtschaftsliberale und völkische Sozialpolitiker mit sehr gegensätzlichen Vorstellungen gegenüber. Parteichef Jörg Meuthen zum Beispiel plädiert für eine schrittweise Abschaffung der gesetzlichen Rente, die durch Beiträge von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert wird.

Stattdessen soll es eine steuerfinanzierte Mindestrente geben, die durch eine individuelle Vorsorge ergänzt werden soll. Davon hält die Thüringer AfD um Landes- und Fraktionschef Höcke nicht viel. Sie hat bereits im vergangenen Sommer ein Konzept vorgelegt, das am umlagefinanzierten Rentensystem festhält, zudem soll es einen steuerfinanzierten Zuschlag nur für Deutsche geben. Insgesamt kursieren in der AfD über ein Dutzend Rentenkonzepte.

Im Höcke-Rentenpapier heißt es: »Doch nicht nur die gebrochenen Erwerbsbiographien bedingen zunehmend die Altersarmut. Hinzu kommt: Deutschland beherbergt den größten Niedriglohnsektor Europas …«. Richtig! Aber weil dem so ist, liegt die Antwort nicht in der Forderung nach einer Staatsbürgerrente – Rentenaufschlag nur für Deutsche. Gerade ausländische Kolleg*innen ohne deutschen Pass sind im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen und daraus folgenden Armutsrenten bedroht. Es werden nationalistische Gedanken ausgepackt: Statt der Wertschätzung der Lohnarbeit interessiert die AfD die Wertschätzung der richtigen nationalen Herkunft.

Die AfD im Thüringer Landtag möchte mit einer schlechten Kopie im Wahlkampf die Hegemonie in der Rentenfrage erobern: »Die Produktivitätsrente. Es geht um Wertschätzung. Ein Konzept der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag«, nennt sich das Programm für eine Rentenreform in Deutschland. Und weiter, anbiedernd: »Wir wissen, wem wir unseren Wohlstand verdanken.« Damit tut die Thüringer Höcke-AfD so, als ob eine Landtagsfraktion die Möglichkeit habe, auf die Gesetzgebung des Bundes zur Rente Einfluss nehmen zu können. Und dann schlägt sie zu.

Anders als der Bundesvorsitzende Meuthen, der den Menschen munter weiter die private Vorsorge empfiehlt und die gesetzliche Rentenversicherung in Frage stellt, ist der national-soziale Vordenker Höcke sehr weit beim Diebstahlsversuch gegangen. Er hat sich einen Nachschlüssel zum Raub der Juwelen der »LINKEN« besorgt, der ihm und seinem national-sozialen Flügel die Tür zu den älteren und alten Wahlkohorten in Thüringen zur Landtagswahl öffnen soll. In Thüringen waren zur letzten Bundestagswahl rund 1,8 Mio. Menschen wahlberechtigt. Den höchsten Anteil Wahlberechtigter fand sich in der Altersgruppe der 45 bis 65-Jährigen mit rund 37,5 Prozent (676.000 Wähler*innen). Ihnen folgten 557.000 Wähler*innen, die älter als 65 Jahre sind. Weniger als ein Drittel aller Wahlberechtigten war unter 45 Jahre, also in einem Alter, in dem die Rente noch weit entfernt scheint.

Die Kopiervorlage für die AfD ist der Begriff »Produktivitätsrente«. An Fakten interessierte Wissenschaftler*innen weisen seit Jahren nach, dass nicht die demografische Entwicklung – wie die CDU/CSU, Arbeitgeber*innenverbände und ihnen nahestehende Institute behaupten –, sondern die im Verhältnis zur gewachsenen Produktivität kümmerlich zu nennende Lohn- und Gehaltsentwicklung in Deutschland den Ausschlag für unzulängliche Rentenleistungen gibt. Die Entwicklung der Lohn-und Rentenkommen ist, so kann man denn auch bei der AfD nachlesen, ist »keine Frage demografischer Aspekte, sondern eine Verteilungsfrage«.

Da sind wir denn bei der Schlüsselfrage. Die AfD Thüringen will die sozialen Schieflagen auch bei den Rentner*innen in der Berliner Republik nicht etwa durch Eingriffe in die Verteilungsstrukturen (Vermögenssteuer etc.) korrigieren, sondern vor allem durch die Ausgrenzung von Migrant*innen und Flüchtlingen. So soll die sog. Staatsbürgerrente –wenn es nach Höcke geht – nur Bürger*innen mit deutschem Pass gewährt werden. Die AfD rechnet nach eigenen Angaben einfach 2,5 Mio. Menschen, die in Deutschland gearbeitet haben und ihren Anteil an der gestiegenen Produktivität lieferten, aus der Zahl der möglichen Rentenberechtigten raus. Diese Menschen sollen nach den Vorstellungen von Höcke & Co keine Rente beziehen. Und das, obwohl sie das Bruttosozialprodukt in Deutschland mit erwirtschaftet haben.

Zweitens sollen die zur Aufstockung der Renten der Biodeutschen erforderlichen Bundeszuschüsse »haushaltsneutral« durch die Streichung der Ausgaben für die Integration von Flüchtlingen, die Klima-Schutz-Subventionen und durch Kürzung oder Wegfall der Zahlungen an die EU finanziert werden.

Die national-soziale AfD ähnelt auch hier der NSDAP, die Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre des vergangenen Jahrhunderts soziale Forderungen von KPD oder SPD übernahm und antisemitisch umdeuteten. Nur sind es dieses Mal nicht die Bürger*innen jüdischer Herkunft, sondern die Migrant*innen. Höcke hat vor kurzem deutlich gemacht, dass er damit nicht nur die Flüchtlinge meint, sondern alle, die seit den 1950er Jahren in dieses Land gekommen sind. »Klar ist auch, liebe Freunde, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Politik der offenen Grenzen – und sie wird eigentlich schon seit 1955 praktiziert –, dass diese von den Altparteien zu verantwortende irrationale Zuwanderungspolitik uns finanziell hat bluten lassen, als hätten wir einen weiteren Krieg verloren.«

Die soziale Frage zählt auch zu den Schlüsselfragen der Linken, weil sie unteilbar ist. DIE LINKE und die Linken spielen nicht Schwache gegen noch Schwächere aus. Trotzdem zeigen alle Erfahrungen, dass Angst und Scham, im Alter das eigene Leben wegen unzureichender Rentenansprüche nicht in Würde gestalten zu können, Groll und Vorurteile befeuern, die sich in Äußerungen wie: »Die kriegen alles, wir gar nichts, obwohl wir hier unser Leben lang gearbeitet haben« Luft verschaffen und in der Wahlkabine zu Kreuzen werden.

In Thüringen gehen in der nächsten Zeit über 300.000 Menschen in den Ruhestand. Hier werden Fachkräfte händeringend gesucht. Alles muss dafür getan werden, dass Menschen, egal woher sie kommen, ihren Beitrag leisten können. Mit einer Staatsbürgerrente, die nur für Menschen mit deutschem Pass gilt, wird das sicher nichts. Thüringen und seine Entwicklung werden darunter leiden. Die entschiedenen Gegner der völkisch-nationalistischen AfD haben eine Aufgabe: Es gilt den Unsinn von Höcke & Co. in der Rentenfrage aufzudecken.

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