13. September 2022 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Vorläufige Resultate der Parlamentswahl in Schweden

Rechtsruck im Sozialstaat

Schwedenpartei-Vorsitzender Jimmie Åkesson

Bei der Parlamentswahl in Schweden hat es erneut ein politisches Patt in den Kräfteverhältnissen gegeben: Dem bisher regierenden Mitte-Links-Lager steht ein konservativ-rechtspopulistischer Vier-Parteien-Block gegenüber. Die schwedische Wahlbehörde teilte mit, dass das vorläufige Ergebnis der Wahlen erst in einigen Tagen feststehen werde.

Nach aktueller Zählung soll der bürgerlich-rechte Block unter Ulf Kristersson 175 der 349 Sitze im schwedischen Parlament (»Riksdag«) erhalten, gerade einen mehr als das von der sozialdemokratischen Regierungschefin Magdalena Andersson geführte Parteienbündnis mit Grünen und Linkspartei.

Die Sozialdemokratie konnte ihren Stimmanteil zwar auf 30,5% verbessern, aber das linke Parteienbündnis blieb laut bisheriger Auszählung knapp hinter dem bürgerlich-rechten Block. Erst wenn die Stimmen aus dem Ausland sowie noch einige Briefwahlstimmen ausgezählt sind, kann das vorläufige Endergebnis festgestellt werden. In der Regel dominiert bei diesen Stimmen ein Übergewicht der Bürgerlich-Konservativen, weshalb es keine Überraschung wäre, wenn die sozialdemokratisch geführte Regierung abgewählt wäre.

Der schwedische Reichstag in Stockholm hat 349 Sitze. Für eine Mehrheit sind somit 175 Mandate notwendig. Um diese Zahl zu erreichen, sind Andersson und ihre sozialdemokratische Minderheitsregierung bisher auf die Unterstützung der liberalen Zentrumspartei, der Linken und der Grünen angewiesen. Der konservativ-rechte Block, der vom Moderaten-Chef Ulf Kristersson angeführt wird, verfügte bislang über die restlichen 174 Sitze. Eine kleine Verschiebung könnte als eine große Wirkung auslösen.

Die eigentliche Veränderung gegenüber früheren Wahlen ist die Einbeziehung der Schwedendemokraten in das bürgerlich-konservative Parteienbündnis. Für die Moderaten (Konservativen) und die Christlichen Demokraten war eine explizite Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten lange Zeit Tabu. Erstmalig ist in dieser Wahl diese politische Distanz aufgeweicht worden. Zugleich markiert der Einbezug der rechtsnationalistischen Schwedendemokraten ein heikles Glied des konservativ-bürgerlichen Bündnisses.

Der Elefant im politischen Raum ist die in den letzten Jahren mächtig erstarkte Partei der Schwedendemokraten. Diese Partei charakterisiert sich selbst als national-konservativ, hat aber Wurzeln in den rechten Randsegmenten der schwedischen Gesellschaft. Eine Studie des Stockholmer Instituts für Zukunftsstudien kam vor einigen Jahren zu der Einschätzung, dass der gemeinsame Nenner der Unterstützer*innen der Schwedendemokraten in der Skepsis gegenüber einer sehr offenen Immigrationspolitik liege, wie sie von Schweden bis 2015 betrieben worden sei, einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Parlament und anderen politischen Institutionen sowie gewissen Befürchtungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Wandels im Zuge der früheren Migrationspolitik.

Die rechtsnationale Partei hat laut der Studie sowohl im Mitte-Links- als auch im Mitte-Rechts-Lager erfolgreich nach Wähler*innen gefischt. Das sei ein Zeichen dafür, dass ihre Sympathisant*innen vor allem von einem Sachthema umgetrieben würden – konkret der Immigrationspolitik, – und sich nicht primär im Schema des traditionellen ideologischen Antagonismus von links und rechts bewegten. Eine substanzielle Anzahl Befragter habe ferner angegeben, dass sie den Wahlen ferngeblieben wären, wenn es keine Partei wie die der Schwedendemokraten gegeben hätte.

Diese Bedeutung der Migrations- und Fluchtbewegung verweist auf eine defizitäre Struktur des Sozialstaates: die Integration der Migrant*innen in die Gesellschaft und vor allem den Beschäftigungssektor.

Dies deuten die Arbeitslosenzahlen an: Im August 2021 verzeichnete Schweden mit 8,9% nach Spanien, Griechenland und Italien den vierthöchsten Wert in der EU. Der schwedische Wert lag damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 6,8%. Noch klarer wird das Problem, wenn man untersucht, wer arbeitslos ist: Die Kluft zwischen Einheimischen und Zuwanderern ist riesig. In den Jahrzehnten sozialdemokratisch geführter Regierungen ist es nicht gelungen dieses Problemfeld aufzulösen.


Das politische Patt

Seit über zwei Jahrzehnte hat es in der schwedischen Politik schon zwei etwa gleichstarke Lager gegeben: ein linksgerichtetes unter Führung der Sozialdemokraten und ein bürgerliches unter Führung der Moderaten. Seitdem die rechtspopulistischen Schwedendemokraten aber an Stärke gewonnen haben, ist die Regierungsbildung deutlich schwieriger geworden. Seit 1932 bis zum Ende der 1970er Jahre verfolgte der schwedische Wohlfahrtsstaat unter nahezu ununterbrochener Regierungsmacht der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) den Anspruch, einen »Dritten Weg« zwischen liberal-kapitalistischen Ländern und denen des realsozialistischen Versuchs einzuschlagen.

Diese Konzeption des »Dritten Wegs« war beständig harter Kritik von Seiten konservativer, marktliberaler und rechtsextremer Kräfte in Europa ausgesetzt. Die Konzeption der meritokratischen Ausgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft wurde dann aber durch den Strukturwandel und die Migrationsbewegungen ausgehöhlt. Die SAP wie andere sozialdemokratische Parteien auch verloren mehr und mehr an gesellschaftlicher Akzeptanz.

Hohe Steuern, im Gegenzug dafür aber eine kostenlose Ausbildung, ein weitgehend kostenloses öffentliches Gesundheitssystem, ein Staat, der seine Bürger*innen mit extensiven Sozialleistungen versorgt, und eine Polizei, die ausrückt und die Sicherheit im Lande garantiert – so sieht der ungeschriebene Gesellschaftsvertrag in Schweden aus.

Der Konservativen(Moderaten)-Chef Kristersson betonte, zwar liege seine Partei erstmals hinter den Schwedendemokraten, könne aber gleichwohl eine »Veränderung leiten«. Er wolle einen und nicht spalten, erklärte der Konservative. Ziel sei die Bildung einer neuen, handlungskräftigen und stabilen Regierung. Auch dies könnte nach Jahren eher instabiler sozialdemokratischer Minderheitsregierungen als Fingerzeig in Richtung einer engen Einbindung der Schwedendemokraten gedeutet werden.

Schweden steht damit vor einem Bruch mit dem bisherigen Umgang mit den Rechtspopulisten. Allerdings dürften die potenziellen Koalitionspartner den Rechtspopulisten Jimmie Åkesson als Regierungschef nicht akzeptieren. Åkesson selbst erhob am Wahlabend zwar indirekt Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung und wohl auch Kabinettsposten, sprach aber nicht davon, Regierungschef werden zu wollen.

Die Schwedendemokraten haben damit seit ihrem Einzug in den Reichstag im Jahr 2010 in jeder Wahl zuzulegen vermocht, wenn auch der Zuwachs diesmal nicht mehr so spektakulär ausfiel wie noch 2018. Ihr Chef Akesson hat über die Jahre, die Partei vom rechtsradikalen Rand stärker in die Mitte zu steuern versucht, offenbar mit einigem Erfolg. Er vermochte laut soziologischen Analysen vom Wahlabend sowohl den Sozialdemokraten als auch den Moderaten Wähler*innen abspenstig zu machen.

Gleichzeitig gelang es ihm, in der vergangenen Legislaturperiode die Akzeptanz der Schwedendemokraten im Mitte-Rechts-Lager schrittweise zu erhöhen. Vor den Wahlen von 2018 hatte sich noch keine der übrigen Parlamentsparteien vorstellen können, mit den als »radikal« oder sogar als »rassistisch« etikettierten Schwedendemokraten auch nur informell zusammenzuarbeiten. Die Schwedendemokraten sind zur zweitstärksten Parlamentspartei aufgestiegen, auch weil sie immer stärker aus dem Bereich der traditionellen Arbeiter- und Gewerkschaftsschichten unterstützt wurden.

Ein Hintergrund: die massive Veränderung der Arbeitswelt. Die Automation lässt einfache Jobs verschwinden. Und dies ganz besonders in Schweden, in einem Land, das technologisch an vorderster Front steht. Dienstleistungen werden vermehrt nicht mehr im Angestelltenverhältnis, sondern auf der Ebene von digitalen Vermittlungsplattformen erbracht. Diese neuen Strukturen verlangen nach mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt. Doch gerade hier hatten die Sozialdemokraten eine starke Tendenz, mit Zähnen und Klauen ihre hergebrachte Vorstellung des »nordischen Modells« zu verteidigen. Jegliche Flexibilisierung wurde als Sozialabbau gebrandmarkt, der den »Anfang vom Ende« einläute.


Ein neues Kooperationsmodell

Das »klassische« parlamentarische Kräftespiel des 20. Jahrhunderts zwischen einem sozialdemokratisch dominierten und einem bürgerlichen Block ist durch das markante Erstarken der schwedischen Rechtsnationalisten durcheinandergebracht worden. Die politische Umwälzung in Schweden hat einen klaren Kern: Die Rechtspopulisten sind der große Wahlsieger der Schweden-Wahl. Obwohl Ministerpräsidentin Magdalena Andersson mit ihren Sozialdemokraten erneut klar stärkste Kraft wird, deuten die bisherigen Zahlen darauf hin, dass sie ihre Regierungsgrundlage verlieren könnte. Grund dafür ist, dass sich der konservative Block den Schwedendemokraten angenähert hat und mit ihnen nun auf eine minimale Mehrheit kommen könnte.

Das machtpolitische Patt, das in Schweden seit bereits zwei Legislaturperioden herrscht, dürfte damit anhalten – unabhängig davon, wer letztlich eine Regierung zu bilden vermag. Das ist für das Land keine gute Nachricht. Denn die Probleme, die sich aufgestaut haben, nicht zuletzt im Bereich der Integration von Zuwanderer*innen, aber auch mit Blick auf die Wirtschafts- und die Energiepolitik, rufen nach politischer Handlungsfähigkeit.

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