3. März 2021 Joachim Bischoff

Rettungsplan für Amerika oder Übergabe an den Kommunismus?

Foto: dpa

Auf dem Jahrestreffen der Conservative Political Action Conference (CPAC) behauptete Ex-Präsident Donald Trump unter starkem Beifall erneut, er habe die Wahl am 3. November 2020 gegen den Demokraten Joe Biden eigentlich gewonnen – was für eine ausgeprägte Wahrnehmungsstörung spricht.

Biden kam bei der Wahl auf 81 Mio. Stimmen und auf eine klare Mehrheit der Wahlleute. Für Trump stimmten mehr als 74 Mio. Amerikaner*innen. Dieser betonte auf der Konferenz ausdrücklich die Einheit seiner Republikanischen Partei: »Wir werden vereint und stark sein wie nie zuvor«.

In der Rede kritisierte der frühere Präsident seinen Nachfolger in scharfer Form. Der Demokrat habe den »katastrophalsten ersten Monat« aller Präsidenten der modernen US-Geschichte hingelegt, polemisierte Trump. Die Regierung sei »Anti-Jobs, Anti-Familie, Anti-Grenzen, Anti-Energie, Anti-Frauen, Anti-Wissenschaft«. Biden öffne die Grenze zum Nachbarland Mexiko und lasse zahllose Migrant*innen ins Land, sagte Trump weiter. Seine Politik führe das Land in den »Kommunismus«.


Kampf um den Rettungsplan

Die knappe Mehrheit der Demokraten im US-Kongress kämpft für einen Rettungsplan für Amerika. Präsident Biden bezeichnet die Regierungskonzeption zu Recht als »Rettungsplan für Amerika« und nicht als »Wiederaufbau-« oder »Konjunkturprogramm«. Mit dem nationalen Rettungsplan will Biden nach den chaotischen Trump-Jahren ein neues Kapitel in der US-Gesellschaft aufschlagen und sowohl die gesundheitspolitische als auch die wirtschaftliche Krise überwinden. Mit diesem Paket soll die gesellschaftliche Kontrolle über die Pandemie zurückgewonnen werden. Verschiedene katastrophale soziale Entwicklungen sollen umgekehrt und der Zusammenbruch der von Einzelstaaten und Kommunen erbrachten Leistungen verhindert werden.

Joe Biden und sein Team wollen die Institutionen, die Ressourcen und das Personal der Bundesregierung mobilisieren und mit voller Wucht einsetzen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Es werden überall im Land Impfzentren und Teststationen entstehen, die Nationalgarde soll zum Einsatz kommen, weit über 100.000 neue Gesundheitsmanager*innen sollen sich um die Nachverfolgung der Ansteckungswege und die effektive Quarantäne kümmern. Die Impfstoffproduktion und die Verteilung sollen von den zuständigen Bundesbehörden mit Sondervollmachten vorangetrieben werden. Bei all dem soll die Zusammenarbeit der verschiedenen staatlichen Instanzen verbessert werden.

Es geht bei dem Rettungsplan um 1,9 Bio. US-Dollar – eine immense Summe, die Joe Biden für die Bevölkerung, die US- Wirtschaft und die durch die Pandemie geschädigten sozialen Verhältnisse einsetzen will. Mehr als 400 Mrd. US-Dollar sind für den direkten Kampf gegen die Corona-Krise geplant, die privaten Haushalte sollen mit insgesamt einer Bio. US-Dollar unterstützt werden. Die unter der Pandemie am stärksten leidenden Unternehmen und Kommunen können mit etwa 440 Mrd. US-Dollar rechnen.

Die USA sind die am stärksten von Corona betroffene kapitalistische Gesellschaft – eine große Herausforderung für den gewählten Präsidenten. Daher ein nationaler Rettungsplan für die folgenden Bereiche:

Gesundheitswesen

  • 160 Mrd. US-Dollar fließen in ein nationales Impfprogramm, mehr Schnelltests, den Ausbau von Testlaboren sowie in kommunale Impfzentren in schlecht erreichbaren Regionen.
  • Durch ein öffentliches Gesundheitsprogramm sollen 100.000 Jobs geschaffen werden. Die Beschäftigten sollen bei der Kontaktnachverfolgung und der Impfstoffauslieferung helfen.

Bildungseinrichtungen

  • 170 Mrd. US-Dollar sind für Schulen und Universitäten vorgesehen. Der Großteil von rund 130 Mrd. US-Dollar ist für öffentliche Schulen eingeplant. Das Ziel: Sie sollen wieder vollständig geöffnet werden.
  • Neue Mitarbeiter*innen wie Krankenschwestern und Hausmeister sollen den Schulen zur Verfügung gestellt werden.
  • Klassengrößen sollen so verringert und die Digitalisierung angetrieben werden.

Corona-Urlaub

  • Unternehmen und die Bundesregierung sollen verpflichtet werden, den von Corona betroffenen Angestellten einen bezahlten Urlaub zu gewähren – maximal 1.400 Dollar pro Woche.
  • Auch Unternehmern mit weniger als 500 Mitarbeiter*innen sollen die Kosten für den Urlaub erstattet werden.
  • 15 Mrd. US-Dollar sind an Zuschüssen für mehr als eine Million der am stärksten betroffenen Kleinunternehmen vorgesehen.
  • Zudem sollen 35 Mrd. US-Dollar grundsätzlich in Kleinunternehmen investiert werden. Dadurch sollen bis zu 175 Mrd. US-Dollar an zinsgünstigen Darlehen und Risikokapital generiert werden.

Arbeitnehmer*innen und Arbeitslose

  • Millionen Amerikaner*innen sollen einen Konjunkturscheck in Höhe von 1.400 US-Dollar pro Person bekommen.
  • Die zusätzliche Arbeitslosenunterstützung soll bis September verlängert werden. Die Zahlung soll zudem von 300 auf 400 Dollar pro Woche angehoben werden.
  • Vorgesehen ist auch eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde.

Familien

  • 30 Mrd. US-Dollar sind an Miet- und Versorgungshilfe für Familien vorgesehen.
  • Die Leistungen für den Kauf von Lebensmittel sollen um 15% angehoben werden.
  • Familien erhalten bis zur Hälfte ihrer Ausgaben für Kinderbetreuung von unter 13-Jährigen als Steuergutschrift zurück – insgesamt bis zu 4.000 US-Dollar für ein Kind oder 8.000 US-Dollar für zwei oder mehr Kinder.

Die Republikaner im Kongress sind – auch wenn sie die Rhetorik von Kapitulation vor dem Kommunismus vermeiden – aus ordnungs- und konjunkturpolitischen Überlegungen gegen ein so großes kreditfinanziertes Rettungsprogramm. Ein solcher Ressourceneinsatz sei unverantwortlich. Außerdem verweisen sie auf die Anzeichen für ein kräftiges Anziehen der Wirtschaft. Zu Beginn des Jahres ist der Auftragseingang für langlebige Güter unerwartet stark gestiegen. Auch auf dem Arbeitsmarkt deutet sich eine Entspannung an. Wie das US-Arbeitsministerium mitteilte, sind die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in der Woche bis zum 20. Februar um 111.000 auf 730.000 Hilfsanträge gefallen. Beobachter*innen waren allerdings vom Ausmaß des Rückgangs überrascht.

Eine überraschend positive Entwicklung zeigte sich auch beim Auftragseingang. Im Januar haben die US-Unternehmen deutlich mehr Order für langlebige Güter erhalten. Hier meldete das US-Handelsministerium einen Anstieg zum Vormonat um 3,4%. Unter langlebigen Gebrauchsgütern versteht man industriell hergestellte Güter wie zum Beispiel Maschinen. Der Januar-Anstieg beim Auftragseingang war bereits der neunte in Folge. Damit konnte der Corona-Einbruch vom vergangenen Frühjahr wettgemacht werden. Dennoch kämpfen die Demokraten um das Projekt eines Rettungsplans.

Um den Rettungsplan umsetzen zu können, brauchte der neue Präsident zunächst die Unterstützung der von den Demokraten dominierten Parlamentskammer, die erwartungsgemäß zustimmte. In einem nächsten Schritt muss der Senat zustimmen, wo ein Teil von Bidens Plan vorab einen Rückschlag erlitt: Die für die Verfahrensregeln in dieser Kammer zuständige Beamtin entschied, dass der landesweite Mindestlohn nicht im Rahmen des Konjunkturpakets auf 15 US-Dollar pro Stunde erhöht werden kann. Biden zeigte sich enttäuscht, ließ aber mitteilen, er respektiere die Entscheidung. Er forderte den Kongress auf, seinen »Amerikanischen Rettungsplan« nun schnell zu verabschieden.

Der Umfang der Maßnahmen entspricht fast 10% der US-Wirtschaftsleistung. Die Republikaner lehnen ein so umfangreiches Paket ab. Der Kongress hatte erst Ende Dezember ein Hilfspaket in Höhe von rund 900 Mrd. US-Dollar verabschiedet. Nach der Zuspitzung der Pandemie in den USA hatte der Kongress im vergangenen Frühjahr außerdem schon Konjunkturpakete in Höhe von fast drei Bio. US-Dollar beschlossen. Der öffentliche Schuldenberg der USA ist seither entsprechend angestiegen.


Die zentrale Bedeutung des Mindestlohns

Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, bedauerte den Rekurs auf die Verfahrensregeln des Senats, die zum Ausschluss des Mindestlohns aus dem Gesetzespakt geführt hat. Die Fraktion der Demokraten hatte eine Vereinfachung der Verabschiedung einer Erhöhung des nationalen Mindestlohns von 7,25 US-Dollar auf 15 US-Dollar mit einer einfachen Mehrheit im Rahmen des nationalen Rettungsplanes im Senat angestrebt. Nun muss die Bestimmung im ordentlichen Verfahren eingebracht werden, für das mindestens sechzig Stimmen nötig sind – zehn davon von den Republikanern, die mit größter Wahrscheinlichkeit dagegen stimmen werden.

Die Verdoppelung des nationalen Mindestlohns, ein zentrales Projekt des linken Parteiflügels um Bernie Sanders, hat damit früh Schiffbruch erlitten. Pelosi unterstreicht: Die Demokraten würden aber nicht aufhören, für einen Mindestlohn in Höhe von 15 US-Dollar pro Stunde zu kämpfen. Daneben gibt es in vielen Bundesstaaten aber auch höhere Grenzen. 2019 arbeiteten laut behördlicher Statistik nur 1,6 Mio. Arbeitnehmer*innen zum nationalen Minimum oder gar darunter, das sind nur 1,9% aller im Stundenlohn Angestellter. Dass vom nationalen Mindestlohn nicht besonders viele Amerikaner*innen »betroffen« sind, relativiert auch die Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wonach die USA im internationalen Vergleich den mit Abstand niedrigsten Mindestlohn aufweisen. Er erreicht nicht einmal einen Drittel des Medianlohns, also jenes Niveaus, das von der Hälfte der Arbeitnehmer*innen übertroffen und von der anderen unterschritten wird. Als angemessen – wenn überhaupt – gilt ein Verhältnis von etwa 60%.

Der Mindestlohn auf Bundesebene ist letztmals 2009 auf 7.25 US-Dollar angepasst worden. Die USA kennen seit 1938 einen Mindestlohn, als der Fair Labor Standards Act angenommen wurde. Seit dessen Einführung 1938 ist die Lohnvorgabe regelmäßig angepasst worden. Die Periode seit der letzten Anpassung im Juli 2009 ist aber die längste ohne Anpassung seit Bestehen des Mindestlohns auf Bundesebene.

 

Die Anhebung des Mindestlohns würde nach Pelosis Angaben für 27 Mio. der rund 330 Mio. Amerikaner*innen eine Einkommensverbesserung bedeuten. Fast eine Mio. Amerikaner*innen würden damit aus der Armut geholt.


Kampf der Republikaner gegen den nationalen Rettungsplan

Die Republikaner lehnen den Rettungsplan ab. Biden sagte mit Blick auf die Zustimmung im Repräsentantenhaus: »Wir sind einen Schritt näher dran, die Nation zu impfen.« Auch die Hilfe für notleidende Familien sei damit näher gerückt. Biden und die Demokraten drängen zur Eile, weil am 14. März die verlängerte und erhöhte Arbeitslosenhilfe für Mio. Amerikaner*innen ausläuft, wenn der Präsident das Gesetz davor nicht unterzeichnet.

Der Verweis der Republikaner auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft überzeugt die Demokraten mit Nichten. In den USA sorgen derzeit zwei Entwicklungen für einen wachsenden Optimismus in der Wirtschaft: die Fortschritte bei den Corona-Impfungen und die Aussicht auf ein neues gewaltiges Konjunkturprogramm, mit dem die US-Regierung die Wirtschaft im Kampf gegen die Folgen der Corona-Krise stützen will. Außerdem hatte der Präsident der US-Notenbank, Jerome Powell, deutlich gemacht, dass es bis auf weiteres keine Abstriche bei der extrem lockeren Geldpolitik zur Stützung der Konjunktur geben wird.

Die Fraktionen der Republikaner im Kongress agieren geschlossen gegen den nationalen Rettungsplan. Ex-Präsident Trump beansprucht gleichwohl die politische Führung der Republikanischen Partei für sich, Untreue will er bestrafen. Denn ein Spalt in der Partei wurde beim Impeachment-Verfahren im Kongress deutlich. Konservative Trump-Skeptiker*innen suchen nach Wegen, aus der Führung des Ex-Präsidenten auszubrechen, dessen Getreue halten dagegen. Bei der Politikkonferenz CPAC, dem »Superbowl der Konservativen«, hat der Ex-Präsident nun klargemacht, welche Konsequenz er aus den vergangenen Monaten zieht.

»Ich gründe keine neue Partei«, versichert er. Dies würde nur das republikanisch-konservative Lager schwächen, weil die Stimmen zersplittert würden. Stattdessen kündigt er einen Rachefeldzug an, um die Republikaner zu einen. Dabei verwebt er geschickt seine persönliche Agenda mit den traditionellen Zielen der Partei. »Ich werde an eurer Seite kämpfen.« Die Republikaner würden mit ihm das Repräsentantenhaus und den Senat zurückerobern. »Und dann wird ein ehemaliger republikanischer Präsident eine triumphale Rückkehr ins Weiße Haus feiern.«


»America Uncanceled«

Namentlich zählte Trump die Parteikollegen im Kongress auf, die für ein Impeachment gegen ihn gestimmt haben. Es klingt wie eine öffentliche Denunziationsliste. »Sie werden sie bei der nächsten Wahl los«, fordert er: »Werdet sie alle los!« Trump kündigte an, dass er sich aktiv an den Wahlkämpfen beteiligen und Kandidat*innen unterstützen werde, weil es starke Anführer brauche. Trump fordert auch Strafen für die großen Tech-Unternehmen. »Es ist Zeit, Big Tech aufzuspalten«, rief er, und forderte die republikanisch regierten Bundesstaaten dazu auf, Unternehmen wie Twitter, Google und Facebook mit Strafen zu belegen, falls sie freie Meinungsäußerungen einschränken sollten.

Wegen der breiten Unterstützung bei den Wähler*innen ist Trumps Einfluss bei den Republikanern weiterhin enorm. Von den CPAC-Besucher*innen sagten 95%, die Republikanische Partei sollte Trumps Politik fortführen. 68% sprachen sich für eine Kandidatur Trumps im Jahr 2024 aus. Trump schürt die Spaltung: Der einzige Graben, der existiere, sei jener »zwischen einer Handvoll nichtsnutziger Insider in Washington und allen anderen im ganzen Land«. Dieser populistische Appell an die Einheit des Volkes und die politischen Nutznießer im Regierungssumpf überzeugt mindestens den Teil der Rechtsaußen-Aktivisten. Trump hat bei seinem ersten großen Auftritt seit Wochen weitergemacht, als sei er ein Siegesgarant, wenn sich die Partei geeint hinter ihn stellt.

Der Ex-Präsident genießt in großen Teilen der republikanischen Partei trotz zweifachem Impeachment-Prozess und bei der Basis nach wie vor großen Rückhalt, auch wenn es parteiinterne Kritiker gibt. Das zeigte sich auch bei der schon erwähnten Meinungsumfrage unter den Teilnehmer*innen der CPAC-Konferenz zu der Frage, wer der beste Präsidentschaftskandidat der Republikaner bei der Wahl 2024 wäre. Trump landete mit 55% mit großem Vorsprung auf dem ersten Platz. Bei der Umfrage stellten 97% der Teilnehmer*innen Trump ein gutes Zeugnis aus. Bei der Konferenz hatten sich in den vergangenen Tagen loyale Trump-Unterstützer*innen versammelt, innerparteiliche Kritiker des Ex-Präsidenten blieben CPAC fern.

Bislang gibt es keinen überzeugenden Ansatz in der republikanischen Partei sich aus dieser Dominanz von Trump zu lösen oder gar zu befreien. Die absurde Verschwörungsphantasie, wonach den Republikanern die Präsidentenwahl gestohlen wurde, hat den kleinen wahren Kern, der für die weitere Zukunft der Partei entscheidend ist: Die Grand Old Party (GOP) hat trotz dem Verlust des Weißen Hauses und der Senatsmehrheit im letzten Wahlzyklus keineswegs ein Debakel erlebt. Mit einigen zehntausend Stimmen in den entscheidenden Bundestaten hätte sie das Repräsentantenhaus gewinnen und ihre Kontrolle über den Senat und das Weiße Haus verteidigen können.

Es bleibt daher auch richtig, dass Trump mit seiner aggressiven populistischen Politik den Wählerzuspruch für die Republikaner stark steigern konnte. Bislang wagt kein skeptischer Politiker die Konfrontation mit Trump aus Furcht, den Zorn der mobilisierten Wähler*innen gegen sich zu haben. Die Chancen für eine politische Kurskorrektur und Erneuerung der republikanischen Partei sind gering. Daher ist auch die Neigung ihrer Fraktionen im Kongress gering, sich auf Kompromisse mit den Demokraten einzulassen. Die gesellschaftliche und politische Spaltung kann nur in Ansätzen überbrückt werden, wenn der Rettungsplan für Amerika durchkommt.

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