6. September 2019 Joachim Bischoff: Angst vor wirtschaftlichem Abschwung

Rezession am Horizont

Dunkle Wolken über der US-Ökonomie. Foto: Julien/flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Die Weltwirtschaft ist im Bremsmodus. Für das wirtschaftlich bedeutendste Land der Eurozone, Deutschland, warnt die Bundesbank vor einer Rezession. Auch in den USA nehmen die Befürchtungen vor einer deutlichen Abschwächung der Akkumulationsdynamik zu.

Internationale Handelskonflikte, die Unwägbarkeiten des Brexits und die Abkühlung der Weltkonjunktur belasten die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Ausgerechnet der Präsident der USA – der führenden Schutzmacht der internationalen wirtschaftlichen Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg – tut alles, um eben diese Architektur zu zerstören. Er hat den Handelskrieg in den letzten Wochen immer mehr eskaliert. Und indem Trump glaubt, den Unternehmen befehlen zu können, wo sie investieren und produzieren sollen, befördert er die schon bestehende Unsicherheit und den Abschwung weiter.

Die US-Konjunktur hat zuletzt an Dynamik eingebüßt. Nachdem die größte Volkswirtschaft der Welt im ersten Quartal noch um 3,1% gewachsen war, nahm das Bruttoinlandsprodukt zwischen April und Juni nur mehr mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 2,1% zu und ist damit im Frühjahr etwas schwächer ausgefallen als zunächst angenommen. Im Zuge des von US-Präsident Donald Trump entfachten Zollkonflikts mit China gingen die Exporte im zweiten Quartal um 5,8% zurück. Der private Konsum, der für zwei Drittel des BIP steht, legte aber um 4,7% zu.

Im Zuge der Konjunkturabkühlung wird die politisch unabhängige US-Notenbank Fed um ihren Chef, Jerome Powell, von Präsident Trump gedrängt, die Zinsen deutlicher zu senken. Powell hat offen gelassen, ob er zu einer Zinssenkung im September bereit ist. Zuletzt hatte die Fed Ende Juli den geldpolitischen Schlüsselsatz um einen Viertelpunkt auf die neue Spanne von 2,0 bis 2,25% gesenkt. Die leichte Konjunkturabschwächung ist allerdings noch kein Alarmzeichen. Gegenwärtig beträgt der Anstieg der Konsumentenpreise in den USA 1,6% – auch auf dieser Seite kein Grund, die Teuerung mit einer noch expansiveren Geldpolitik zu befördern. Die Arbeitslosenquote bewegt sich mit 3,7% seit knapp einem Jahr auf einem Tiefstand, wie er seit fünfzig Jahren nicht mehr erreicht wurde.



Dennoch drängt Trump die US-Notenbank zu einer deutlichen Zinssenkung: »Ich möchte gern eine umfangreiche Absenkung sehen«. Angesichts der zunehmenden Spannungen in den Handelsstreitigkeiten der USA hatten Fed-Spitzenvertreter zuletzt Bereitschaft signalisiert, die Wirtschaft gegebenenfalls mit einer Zinssenkung zu stärken. Die Währungshüter seien darauf vorbereitet, die Geldpolitik bei Bedarf zur Stützung des Wachstums anzupassen. Denn auch wenn die Wirtschaft rund laufe, gingen von der Handelspolitik Risiken für die Konjunktur aus.

Befeuert durch die neuerlichen Zollerhöhungen im Konflikt USA-China seit Anfang September befürchten Wirtschaftsexperten, dass eine Rezession nicht mehr auszuschließen ist. Die USA haben mit Beginn des Monats September neue Zölle in Höhe von 15% auf chinesische Importe im Wert von 110 Mrd. US-Dollar eingeführt – und auch China hat mit Erhöhungen reagiert. Die chinesischen Strafzölle gelten u.a. für Kleider, Schuhe und Elektronikprodukte und treffen damit mit voller Wucht die amerikanischen Konsument*innen – Konsument*innen, die im November 2020 über die Wiederwahl von Präsident Donald Trump zu entscheiden haben. Die Investmentbank JP Morgan hat geschätzt, dass die Kosten des Handelskonflikts jeden US-Haushalt mit neuen Zöllen von über 1.000 US-Dollar pro Jahr treffen werden.

Schon jetzt wächst die US-Wirtschaft langsamer, gleichwohl steigt das Handelsbilanzdefizit weiter. Die Darstellung des Präsidenten, dass vor allem China für den Konflikt zahle, überzeugt immer weniger. Seine Behauptung, »Tausende US-Unternehmen« kehrten China den Rücken, ist zudem schwer nachvollziehbar.

Am 15. Dezember sollen dann Strafzölle von ebenfalls 15% auf weitere Konsumgüter aus China im Wert von rund 160 Mrd. US-Dollar in Kraft treten. Dann werden auch Produkte wie Smartphones, Laptops und Kleidung erfasst werden. Ursprünglich sollten alle im August angekündigten Strafzölle von September an gelten, Trump ließ die zweite Tranche jedoch verschieben, um das Weihnachtsgeschäft nicht zu belasten. Von Dezember an gelten damit auf fast alle Warenimporte aus China – 2018 betrug das Volumen rund 540 Mrd. US-Dollar – Strafzölle.

Die US-Strafzölle auf chinesische Importe bringen nicht nur die Weltwirtschaft in Turbulenzen, sie belasten zunehmend auch die amerikanische Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen sind alarmiert und spüren negative Folgen. Der Konfrontationskurs des Präsidenten hat daher auch seine Umfragewerte sinken lassen.



Zum ersten Mal, seit Trump zum Präsidenten gewählt wurde, ist der Anteil der US-Amerikaner*innen, die mit einer wirtschaftlichen Verschlechterung rechnen, größer als der Anteil, der von einer Verbesserung ausgeht. Während 37% der Befragten eine Eintrübung erwarten, rechnen nur noch 31% mit einer wirtschaftlichen Aufhellung. Und für den Präsidenten kommt es noch schlimmer. Ein Großteil gibt Trump die Schuld an der konjunkturellen Abschwächung. 41% der Befragten sagen, dass er mit seiner Politik der Wirtschaft schade – das sind so viele wie noch nie in seiner Amtszeit. Nur noch 37% sind der Meinung, dass er der Wirtschaft hilft.

Trump will gleichwohl von einem Scheitern der Sanktionspolitik nichts wissen – das sei unangebracht und nur eine Erfindung der Lügenpresse. »Ich denke das Wort Rezession ist unangebracht. Denn das ist nur ein Wort, das gewisse Leute, ich sage es auf die höfliche Art, und die Medien, versuchen aufzubauschen.«

Nach wie vor gibt Trump der amerikanischen Notenbank die Schuld für die aktuelle Unsicherheit an den Märkten und hat Fed-Chef Jerome Powell als Feind ausgemacht. Ihm wirft er vor, das Wachstum mit zu hohen Zinsen zu bremsen. Donald Trump behauptet bei jeder Gelegenheit, dass die US-Wirtschaft in einem besseren Zustand sei als jemals zuvor. Auf vielen Veranstaltungen schwört er seine Anhänger*innen auf die Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 ein, und lässt sich für die angeblichen Erfolge seiner Politik feiern.

Immerhin gibt es in der Trump-Administration Überlegungen zu einer Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer. Davon würden theoretisch alle Arbeitnehmer*innen profitieren, wobei die Steuersenkungen aber den Einkommensstarken am stärksten zugutekommen dürften – wie es bereits bei der 2018er Steuerreform der Fall war. Ganz oben auf Trumps Agenda steht allerdings die Senkung der Kapitalertragssteuer. Trump will die Steuer an die Inflation koppeln – steigende Verbraucherpreise würden also zu höheren Steuernachlässen führen. Im Zweifelsfall will Trump das durch einen Präsidentenerlass durchsetzen und damit den Kongress umgehen. Auch die Reduktion der Kapitalertragssteuer käme vor allem den Reichen zugute.

Handelskrieg und US-Wirtschaft

Zwar sind die Konjunkturdaten seit Anfang Juli besser als erwartet ausgefallen. Gleichwohl: Die vom Handelskrieg zwischen den USA und China ausgelöste Schwäche der Weltwirtschaft zeigt sich auch bei der US-Industrie. So ist der Einkaufsmanagerindex für die US-Industrie im Juli mit 50,4 Punkten auf das niedrigste Niveau seit September 2009 gesunken. Und er gab im August weiter nach. Zum ersten Mal seit drei Jahren sank der Stimmungsindikator unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten. Dabei verschlechterten sich alle Subkomponenten. Als besonders besorgniserregend bewerten Ökonomen den Rückgang bei den Aufträgen auf ein Siebenjahrestief von 47,2 Punkten. Das lasse auf eine schwache Entwicklung in den kommenden Monaten schließen.

Trump räumte bei einem Treffen der republikanischen Partei ein, dass es um die Wirtschaft alles andere als zum Besten steht. Laut einem Medienbericht hat er daher zuletzt einige Geldgeber für den Wahlkampf und die Elite der Republikaner auf eine mögliche milde Rezession eingestellt, die vor der Wahl in 2020 eintreten könnte. Eine Rezession könnte allerdings Trumps Chancen auf eine Wiederwahl beeinträchtigen. Umso mehr Druck dürfte er in den nächsten Wochen auf die Fed ausüben und umso energischer versuchen, Steuersenkungen durchzusetzen.

Die fragile Konstellation wird dadurch unterstrichen, dass, wie wir gesehen haben, inzwischen eine Mehrheit der US-Amerikaner*innen der Wirtschaftspolitik von Trump die Verantwortung für das zähe Wirtschaftstempo zuschreibt. Zum ersten Mal überhaupt ist auch eine Mehrheit der Meinung, dass es mit der Wirtschaft bergab geht. Das gefährdet die wichtigste Botschaft des US-Präsidenten und damit seine Wiederwahl: »Lasst euch nichts erzählen über Skandale und Chaos im Weißen Haus.«

Die USA sind handelspolitisch mit vielen Ländern im Clinch. Das hat die konjunkturellen Risiken deutlich erhöht. Das bleibt auch Amerikas Notenbank nicht verborgen. Im Zentrum steht der globale Automobilmarkt. In China, dem mit Abstand größten Automarkt der Welt, sinken die Verkaufszahlen. Die Ursachen sind offenbar der Handelskrieg mit den USA und einige hausgemachte Faktoren. Das belastet den globalen Automarkt mehr als seinerzeit die Finanzkrise. In 12 der 15 größten Märkte weltweit sinkt der Absatz seit Anfang des Jahres.

Trump ist in der Vorbereitung seiner politischen Kampagne für die Wiederwahl und neben der Migration und einem erkämpften Respekt für die Hegemonialstellung der USA ist vor allem das Wirtschaftswachstum ein wichtiger Parameter. Die US-Wirtschaft befindet sich noch im elften Jahr ununterbrochener Expansion und hat damit den Rekord für die längste rezessionsfreie Wachstumsperiode der amerikanischen Geschichte gebrochen. Aber viele Ökonomen feiern dies nicht, sondern schließen aus diesem einmaligen Trend, dass nun eine Rezession überfällig sei – und wenn nicht sofort, dann sicherlich noch vor den Präsidentschaftswahlen von 2020.

Ein charakteristisches Merkmal des Kapitalismus ist, dass die Wirtschaft im Zeitablauf bei Produktivitätssteigerungen wächst, dieses Wachstum aber nicht kontinuierlich und gleichmäßig erfolgt. Jahre des Aufschwungs werden abgelöst durch Zeiträume wirtschaftlicher Schwäche. Die durchschnittliche Länge eines solchen Zyklus dauert im OECD-Raum sieben bis zwölf Jahre. Die materielle Basis für diese Bewegung liegt im Bereich der Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Die fixen und flüssigen Bestandteile des produktiven Kapitals schlagen verschiedenartig und zu verschiedenen Perioden um. Ebenso haben die verschiedenen Bestandteile des fixen Kapitals in demselben Geschäft je nach ihrer verschiedenen Lebens-, daher Reproduktionszeit, wieder verschiedene Umschlagsperioden.

»In demselben Maße also, worin sich mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise der Wertumfang und die Lebensdauer des angewandten fixen Kapitals entwickelt, entwickelt sich das Leben der Industrie und des industriellen Kapitals in jeder besonderen Anlage zu einem vieljährigen, sage im Durchschnitt zehnjährigen. Wenn einerseits die Entwicklung des fixen Kapitals dieses Leben ausdehnt, so wird es andrerseits abgekürzt durch die beständige Umwälzung der Produktionsmittel, die ebenfalls mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise beständig zunimmt. Mit ihr daher auch der Wechsel der Produktionsmittel und die Notwendigkeit ihres beständigen Ersatzes infolge des moralischen Verschleißes, lange bevor sie physisch ausgelebt sind. Man kann annehmen, daß für die entscheidendsten Zweige der großen Industrie dieser Lebenszyklus jetzt im Durchschnitt ein zehnjähriger ist. Doch kommt es hier nicht auf die bestimmte Zahl an. Soviel ergibt sich: Durch diesen eine Reihe von Jahren umfassenden Zyklus von zusammenhängenden Umschlägen, in welchen das Kapital durch seinen fixen Bestandteil gebannt ist, ergibt sich eine materielle Grundlage der periodischen Krisen.« (Karl Marx, MEW 24, S. 185.)

Die These der Verkürzung und Verlängerung von Zyklen hat für langwierige Debatten und Auseinandersetzungen gesorgt. Hinzu kommt als weiterer Diskussionspunkt: Was heißt Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und welche dominanten gesellschaftlichen Betriebsweisen können oder müssen wir konstatieren? Wir stehen am Ende der fordistisch-tayloristischen Betriebsweise vor einer Krise der »strukturellen Überakkumulation«.

Gegenwärtig bewegt sich der Industriezyklus erneut einem Scheitelpunkt entgegen, die derzeitigen Risiken sind erheblich. Die ultralockere Geldpolitik hat einiges dazu beigetragen, den Verlauf zu verlängern. Ein kleiner Anlass genügt, um die unterschwelligen Probleme an die Oberfläche treten zu lassen. Wir werden Ende 2019/2020 den Übergang zu einem Periodenwechsel des Zyklus sehen. Diese Krise hat auch etwas mit dem Aufbrechen der Widersprüche in der Globalökonomie zutun: Die USA wollen die seit Längerem bestehende Asymmetrie im internationalen Austausch (Waren, Dienste, Transfers und Kapital) nicht länger tolerieren. Im Fokus steht der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China. Die eigentlichen Verursacher der Leistungsbilanzüberschüsse/-defizite sind allerdings Japan, EU (Deutschland etc.)

Die strukturelle Überakkumulationskrise ist seit 2008ff. durch die expansive Politik der Notenbanken modifiziert worden. Die Länge des Wirtschafts- oder Konjunkturzyklus erklärt sich durch die Gestaltung des Finanzzyklus und die aktive Notenbankpolitiken. Denn aus dem Umschlagszyklus ergeben sich die spezifische Rolle des Geldkapitals und die Rückwirkung des Finanzzyklus auf den materiellen Umschlagszyklus des gesellschaftlichen Fixkapitals. Entscheidend für den weiteren Verlauf ist, dass der Umschlagszyklus des fixen Kapitals, der zuletzt immer noch durch die fordistisch-tayloristische Betriebsweise geprägt war, jetzt im Übergang zur Plattformökonomie in eine disruptive Erneuerung umschlägt.

Der Konjunkturzyklus in den USA hat seinen Höhepunkt überschritten. Es ist paradox: Mitten in einem breit abgestütztem Wirtschaftsaufschwung, der von Investitionen und vom Handel getragen wird, arbeitet die Trump-Administration an der Erhöhung des Risikos eines wirtschaftlichen Abschwungs. Zur Paradoxie gehört: Die Wähler*innen und Anhänger*innen einer Erneuerung des US-Kapitalismus werden die Zeche bezahlen müssen, denn Strafzölle und Mauern verfestigen den Rückstand der Produktivität.

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